Protokoll der Sitzung vom 05.06.2014

Die Grünen und wir als Linke haben einen Antrag gestellt, die Rückwirkung in Berlin auch auf die Zeit zwischen 2001 und 2003 zu erstrecken. Ich hatte bereits gesagt, dass wir sie ab 2003 schon haben, und zwar unbedingt. Wir sind natürlich fest davon ausgegangen, dass die Koalition das annimmt. Schließlich heißt es in den Richtlinien der Regierungspolitik, die die Koalition sich selbst gegeben hat, unter Kapitel V Absatz 3:

Der Senat wird die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexuellen und Trans-Menschen weiter vorantreiben.

Aber weit gefehlt! Sie führen zwar eine Rückwirkung zwischen 2001 und 2003 ein, aber nur, wenn die Ansprüche bereits damals geltend gemacht worden sind. Meine Damen und Herren von der Koalition! Dazu zwei Bemerkungen: Es wäre ehrlicher gewesen, Sie hätten alles beim Alten gelassen,

[Thomas Birk (GRÜNE): Richtig!]

denn wer bitte soll im Jahr 2001 oder 2002 solche Ansprüche geltend gemacht haben – zu einem Zeitpunkt, wo gerade die CDU im Bundesrat verhindert hat, dass Ehe und Lebenspartnerschaft dieselben Rechte bekommen? Wer sollte ein Jahrzehnt vorher ahnen, dass Karlsruhe ihm im Jahr 2012 recht geben wird und schon mal vorsorglich im Jahr 2001 oder 2002 einen Antrag stellen, falls die Koalition dann 2014 sagt: Ihr bekommt das Geld, wenn ihr 2001 oder 2002 einen Antrag gestellt habt? – Das ist beschämend, und niemand wird von dieser Regelung profitieren – kein Mensch!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Thomas Birk (GRÜNE) und Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Was Sie damit eigentlich machen – und das ist das Schlimme: Sie schreiben diese Diskriminierung fort und schieben sie den Betroffenen selbst in die Schuhe. Was die Politik 2001 und 2002 nicht hinbekommt, haut sie jetzt den Betroffenen um die Ohren. Das ist erbärmlich.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Thomas Birk (GRÜNE) und Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Zweite Bemerkung – und das ist der Grund, warum wir auch gegen Ihr Gesetz stimmen werden: Ihr Gesetz dürfte verfassungswidrig sein. Es kann nämlich schwerlich sein, dass die Betroffenen von 2003 bis 2014 unbedingt einen Anspruch haben, von 2001 bis 2003 aber nur, wenn sie damals einen Antrag gestellt haben. Meine Damen und Herren! Da kann man den Betroffenen nur zu einer

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

Verfassungsbeschwerde raten, denn wie wollen Sie diese Differenzierung eigentlich rechtfertigen? Die ist doch völlig willkürlich. Dass damals die rot-rote Regierung eine vergleichsweise progressive war und Sie eine stockreaktionäre Koalition sind, soll ein Grund sein, der ein Verfassungsgericht überzeugt? – Das ist doch lächerlich. Das meinen Sie doch nicht ernst.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich komme zum Schluss: Das ist ein so erbärmliches Gesetzeswerk, dass Sie sich schämen sollten. Für die SPD, eine Partei, die noch im Bundestagswahlkampf durch die Gegend gerannt ist und gesagt hat: „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“, ist das eine queerpolitische Bankrotterklärung. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Machen Sie jetzt eine Normenkontrollklage, Herr Lederer? – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Wenn ihr eine haben wollt, könnt ihr eine haben! – Torsten Schneider (SPD): Es geht nicht um das Wollen. Es geht um Sie, Ihre Hybris!]

Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Zimmermann. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lederer! Ich freue mich zunächst, dass Sie daran erinnert haben, dass wir im Jahr 2008 gemeinsam die volle Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit anderen hergestellt haben. Es gibt seither keinen Unterschied mehr, und dazu stehen wir auch heute noch.

[Beifall bei der SPD – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Ab 2003!]

Zweitens haben wir entschieden, dass sogar eine Rückwirkung bis zum Dezember 2003 stattfindet.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das hat das Bundesverfassungsgericht verlangt!]

Es gibt also Ansprüche bis zurück zum Dezember 2003, die eine volle Gleichstellung in dieser rückwirkenden Betrachtung genauso herstellen, und das ist weiterhin gültig.

[Thomas Birk (GRÜNE): Wir sind das drittletzte Land, das das vollzieht!]

Drittens: Herr Kollege Lederer! Sie sagen, wir schreiben hier eine Diskriminierung fort. Wir schreiben keineswegs eine Diskriminierung fort, denn wir stehen dazu, dass jegliche Diskriminierung in diesem Bereich von damals

an und von jetzt an in Zukunft unterbleibt. Das sind gesetzliche Regelungen. Machen Sie den Leuten jetzt nicht Angst, dass wir irgendwelche Diskriminierungen einführen. Das, was dort beschlossen wurde, gilt für die Zukunft, weil wir von der Gleichberechtigung an diesem Punkt überzeugt sind.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lederer?

Nein, er hat ja alles gesagt. Wir haben es ausdiskutiert, und es geht jetzt wirklich nur noch darum, ob wir für einen Zeitraum von zwei Jahren und vier Monaten – für den von Ihnen beschriebenen Zeitraum – eine noch weitere Rückwirkung einführen. Es gab dafür Argumente, und es gab Argumente dagegen, die wir in den Ausschussberatungen abgewogen haben. Das, was wir jetzt als einen Kompromiss gefunden haben, ist nicht weit entfernt von einem Prinzip, was auch anderswo gilt, dass nämlich jemand, der etwas unter Vorbehalt gezahlt hat oder einen Antrag gestellt hat oder etwas geltend gemacht hat, natürlich damit dokumentiert hat, dass er seine Rechte in Anspruch nehmen will. Wer das gemacht hat, muss selbstverständlich dann am Ende profitieren. Das haben wir als einen Minimalkonsens und als einen Kompromiss hier vorgelegt. Das ist nicht nichts, und deswegen glaube ich, Herr Lederer, dass man von einer zusätzlichen, neuen Diskriminierung – oder was Sie gesagt haben – hierbei nun überhaupt nicht sprechen kann. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Dann hat jetzt das Wort zu einer Zwischenbemerkung der Herr Dr. Lederer. – Bitte sehr!

Lieber Herr Kollege Zimmermann! Schade, dass Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen haben, denn ich wollte nur etwas fragen und nichts weiter sagen. Ich wollte fragen, ob Sie mir sagen können, wie viele Menschen als Beamtinnen oder Beamte des Landes Berlin zwischen 2001 und 2003 einen Antrag gestellt haben, besoldungs- und versorgungsrechtlich mit der Ehe gleichgestellt zu werden. Wie viele Menschen im Land Berlin betrifft das? Da Sie sich so intensiv um deren Rechte bemühen und hier so engagiert für deren Rechte eintreten – das war der Ironiemodus –, werden Sie mir sicherlich sagen können, wie viele Menschen von Ihrer Regelung profitieren.

Meine zweite Frage ist: Können Sie mir sagen, wie viele Menschen von der Regelung profitieren würden, wenn die Einschränkung, die Sie gemacht haben, nämlich dass man schon 2001 und 2002 den Antrag stellen musste, nicht existieren würde?

Die letzte Frage: Ist Ihnen bekannt, dass die Rechte keine sind, die man auf dem Antragsweg geltend macht, sondern die, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, allein durch das Eingehen des Instituts einer Lebenspartnerschaft zustande kommen? Das ist so, wie wenn Sie eine Ehe eingehen und Ihnen die Steuerbefreiung mit dem Ehegattensplitting automatisch zugute kommt. Sie müssen dafür keinen Antrag schreiben, wenn Sie die Ehe eingehen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Möchten Sie antworten? – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lederer! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele davon betroffen sind. Es werden nicht sehr viele sein. Das gebe ich zu. Es geht hier aber darum, dass wir ein Rechtsinstitut für die Zukunft geschaffen haben und eine weitestgehende Rückwirkung über viele Jahre schon in Kraft ist. Es geht jetzt um eine zusätzliche Rückwirkung, die wir heute nicht so machen wollen, wie Sie sie vorgeschlagen haben, sondern in einer modifizierten Form.

[Udo Wolf (LINKE): Willkür!]

Zugegebenermaßen werden davon nicht sehr viele betroffen sein. Eine Zahl kann ich Ihnen nicht nennen, aber wir werden diese Regelung beschließen. – Danke schön!

Danke schön, Herr Zimmermann! – Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort der Herr Abgeordnete Birk. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag dieser rot-schwarzen Koalition steht ein ähnlich schöner Satz wie der, den Herr Lederer eben zitiert hat, nämlich:

Wir werden konsequent die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexuellen und transsexuellen Menschen vorantreiben.

Dieses Versprechen haben Sie schon einmal gebrochen, als Sie sich im Bundesrat zur Öffnung der Ehe enthalten haben. Dieses Versprechen brechen Sie heute ein zweites

Mal, wenn Sie bei der letzten und notwendigen Angleichung des Beamtenrechts an die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben nicht die versprochene Konsequenz an den Tag legen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Von Vorantreiben kann hier schon gar nicht die Rede sein, denn heute entscheiden wir über Gesetzesänderungsanträge, die die Linken und wir am ersten möglichen Tag nach der Veröffentlichung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in die Plenarsitzung Ende August 2012 eingebracht haben. Sie mussten schon einmal im Ausschuss vertragt werden, weil die Koalition sagte, sie prüfe noch. Wenn das, worüber wir heute, fast zwei Jahre später, beschließen – in einer Sache, wo Sie nur ein Datum hätten austauschen müssen –, in der Koalition „vorantreiben“ heißt, dann wundert mich nicht, dass der Flughafen BER wahrscheinlich nicht vor 2017 eröffnet wird.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Klaus Lederer hat schon erklärt, worum es eigentlich geht. Das Bundesverfassungsgericht – und nicht Ihre Gnade – hat im Juni 2012 festgestellt, dass der Familienzuschlag ab dem Tag des Inkrafttretens der eingetragenen Lebenspartnerschaft am 1. August 2001 auch für verpartnerte Paare rückwirkend gelten muss. Damit war klar, dass dies auch für die Hinterbliebenenversorgung gelten muss. In der Folge waren Bund und Länder gehalten, ihre Beamtengesetze verfassungskonform zu machen, soweit sie es nicht schon waren. In Berlin gilt seit 2008 – das wurde gesagt – die rückwirkende Gleichstellung ab dem 3. Dezember 2003 wegen des europäischen Urteils, des sogenannten Maruko-Urteils. Es ging also jetzt um die Rückdatierung vom 3. Dezember 2003 auf den 1. August 2001. Damit hätten alle, die sich in diesen knapp zwei Jahren verpartnert hätten, rückwirkend bedingungslos Ansprüche erhalten. So weit, so einfach! So haben es inzwischen auch zehn Bundesländer gemacht. Darunter sogar das damals noch schwarz-gelbe Hessen.

Nun hat sich die Berliner CDU aber in den Kopf gesetzt, dass sie unbedingt noch das letzte Fitzelchen strukturelle Diskriminierung, das im Landesrecht noch möglich ist, ausschöpfen möchte. Deswegen haben Sie eine Umfrage gestartet, welche Bundesländer die Option gewählt haben, die das Bundesverfassungsgericht leider ermöglicht, aber nicht vorschreibt, nämlich dass Ansprüche nur dann wirksam werden, wenn sie zeitnah, also in den Jahren 2001 bis 2003, geltend gemacht wurden. Und siehe da: Bayern, Sachsen und Niedersachsen – damals noch schwarz-gelb – haben diese Regelung eingeführt. Das ist aberwitzig, denn so – Herr Lederer hat es beschrieben – bekommen nur die wenigen mutigen Paare, wenn es sie überhaupt gab, die ihre Ansprüche damals geltend gemacht haben – zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht absehbar war, dass dies einmal verfassungsrechtlich geboten sei –, den Familienzuschlag nachgezahlt. Übrigens

(Dr. Klaus Lederer)

gibt es keine Ansprüche für Versorgung. Wir haben Gott sei Dank keinen Versorgungsfall. Thüringen und Sachsen-Anhalt haben übrigens noch gar nicht auf das Verfassungsgericht reagiert. Kein Wunder! Es sind ja auch große Koalitionen. Der Bund hat unter Schwarz-Gelb diese Lösung auch so beschlossen, wie Sie es vorhaben, aber per Runderlass des CDU-Innenministers aus Gründen der Entbürokratisierung wird denn doch allen, die Ansprüche erheben, diese gewährt. Also geht es doch.

Die Debatte dazu im Innenausschuss war geradezu grotesk. Da behauptete Dr. Juhnke, es gehe um Millionenbeträge, die die Haushaltskonsolidierung in Gefahr brächten, um sich dann von seinem Staatssekretär belehren lassen zu müssen, es gebe gar keine Versorgungsfälle. Und die paar nachgezahlten Familienzuschläge werden unseren Haushalt wohl nicht ins Wanken bringen. Staatssekretär Krömer setze dann aber noch einen drauf und bezeichnete diejenigen, die nach unserem Gesetzesvorschlag zu ihrem Recht kommen sollten, als Trittbrettfahrer und verglich sie mit Arbeitnehmern, die an Lohnerhöhungen teilnähmen, auch wenn sie sich an Arbeitskämpfen nicht beteiligt hätten. Es ist wirklich erbärmlich, wes Geistes Kinder führende Verantwortung für Personal im Land Berlin tragen dürfen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Deswegen: Ziehen Sie Ihren diskriminierenden Änderungsantrag einfach zurück! Dann können wir besseren Gewissens am 21. Juni gemeinsam beim Aktionsbündnis des CSD für gleiche Rechte und gegen Diskriminierung demonstrieren, und Sie werden auch nicht wieder vertragsbrüchig, und die SPD muss nicht wieder rote Ohren bekommen, wenn sie an ihren Wahlkampfspruch „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“ erinnert wird. Bleiben Sie allerdings dabei, dann blamieren Sie Berlin, den Regierenden Bürgermeister und sich selbst, und dann müssen die Schwusos und „Muttis gayle Truppe“ von der LSU wieder einmal gegen ihre eigenen Parteien demonstrieren. – Vielen Dank!