Ich kann von dieser Stelle nur noch einmal sagen, dass die Bedeutung des Thesenanschlags für die europäische Geschichte einen Feiertag wert ist, da kann keiner aus seiner Haut. Als Geisteswissenschaftlerin sehe ich darin natürlich einen Wendepunkt des europäischen Denkens mit enormer Strahlkraft – Individualisierung und Verinnerlichung, Trennung von Politik und Bekenntnis, die Impulse für Kunst, Musik, Sprache, Aufklärung usw. Jeder kann das selber nachlesen, wenn Interesse besteht.
Für viele geht es bei dem Reformationstag in erste Linie um einen religiösen Feiertag, und den lehnen sie ab. Wenn es um Religion geht, so finden wir alle, darf es keine Zwänge geben. Darin sind wir uns einig.
Was mich wieder zu dem Punkt bringt, über den wir hier zukünftig weiter zu reden haben: Was bedeutet Erinnerungskultur in einer globalisierten Einwanderungsgesellschaft? Welche Tage wollen wir in Zukunft feiern? Eine Gesetzesänderung zu verabschieden bedeutet, dass das
Parlament diesem Tag eine allgemeine Bedeutung zumisst. Ich wünsche mir in Berlin eine Entwicklung, in der sich die Vielfalt der Perspektiven auf die Stadt auch in der Vielfalt von Gedenken und Feiern abbildet. Ich wünsche mir, dass wir als Parlament auch Gedenktage der Kolonialgeschichte, historische Daten der nichtchristlichen Religionen, soweit sie eine globale Bedeutung haben wie Luthers Thesenanschlag – darüber müsste man sich dann verständigen – zu Feiertagen erklären.
Arbeiten ist das halbe Leben, aber eben nur das halbe. Jede Kultur lebt davon, Geschichte zu erinnern und neu zu interpretieren, und das braucht Freiräume.
In einer sich verändernden lebendigen Kultur wird auch das Erinnern neu zu gestalten sein – da stehen wir sicherlich noch am Anfang.
Danke schön, Frau Dr. Kahlefeld! – Für die SPDFraktion ist als Rednerin Frau Kollegin Harant benannt worden. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der komplizierten Themen, die wir heute schon diskutiert haben, und angesichts dessen, dass wir zum dritten Mal über dasselbe Thema sprechen, kann ich mich sehr kurzhalten. Die Mehrheiten sind klar, Berlin schließt sich dem Votum der anderen Bundesländer an. Der 31. Oktober 1517 ist ein wichtiges Datum in der deutschen Geschichte. Dass es sich zum 500. Mal jährt, soll durch einen einmaligen Feiertag in seiner Bedeutung gewürdigt werden. Das unterstützt auch die SPD-Fraktion. Allerdings halte ich eine KabarettNummer, wie Sie sie, Herr Brauer und die Piraten, in diesem Zusammenhang gern abliefern, für nicht angemessen und eher platt.
Dieses Jubiläum sollten wir als Chance betrachten. Dieses Jubiläum, dieser einmalige Feiertag, sollte genutzt werden – Frau Seibeld hatte es schon angedeutet –, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären,
worin die umfassende Bedeutung dieses Thesenanschlags liegt, der unsere Gesellschaft, nicht von heute auf morgen, aber über lange Zeit, und auch in schweren und blutigen Auseinandersetzungen, grundsätzlich verändert hat.
Ohne die Reformation wären wir vermutlich nicht das Land, das wir heute sind. Wir haben Regeln für das Zusammenleben entwickelt, die ihren Ursprung auch damals vor fast 500 Jahren genommen haben. Es sind kostbare, schwer erkämpfte Werte, die gerade heute wieder eine besondere Bedeutung gewinnen, wenn viele Menschen aus anderen Kulturen zu uns kommen. Das kann man nicht oft genug sagen. Es ist noch nicht überall angekommen, Herr Brauer.
Ich wiederhole drei Punkte, die mir ganz besonders wichtig sind: die Emanzipation des Einzelnen gegenüber übergeordneten Autoritäten, die Meinungsfreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat. Eine Besinnung, darauf, unabhängig von Kirche und Religionszugehörigkeit, ist meines Erachtens einen Feiertag wert.
Vielen Dank, Frau Harant! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Brauer. – Bitte!
Frau Harant! Die Kabarettnummer haben Sie eben mit dem schönen Satz über Trennung von Kirche und Staat abgeliefert. Pardon! Es ist schon einigermaßen paradox, dass durch diese Stadt täglich Tausende von Menschen irren, die nicht wissen, wie sie über den Tag kommen und den bevorstehenden Winter überstehen werden, während Sie, Frau Seibeld, uns heute hier binnen kurzer Zeit zum dritten Mal mit einer Plenardebatte über einen im Jahr 2017 einmalig durchzuführenden Feiertag traktieren. Drastischer können Sie die Politikunfähigkeit Ihrer Fraktion nicht unter Beweis stellen, wenn das Ihr prioritäres Thema ist.
Sei es aber drum, ich finde es vollkommen legitim, Frau Harant, wenn Menschen die Gründungsjubiläen ihrer Vereinigungen feierlich begehen. Ich finde es aber absolut unverständlich – Sie haben mich provoziert; ich mache jetzt kein Kabarett – wenn letztere, die Kirchen zum Beispiel, neben den satten Staatszahlungen in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro bundesweit alljährlich sich nun auch noch die Feier eines Gründungsjubiläums staatlich alimentieren lassen. Die geplanten 23 Millionen Euro Gesamtkosten für den evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin werden mit 11,9 Millionen Euro staatlicher Mittel unterstützt. Das sind einmalige fast 52 Prozent der Gesamtkosten. Das Land Berlin ist mit 8,4 Millionen Euro dabei. Frei nach dem Dominikanermönch Johannes Tetzel, gegen den Luther war, ist man beinahe geneigt zu sagen: Nur wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Ich bedauere das.
Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit verfassungsrechtlichen Zwängen! Die Art und Weise dieser Zahlungen ist ausschließlich Ländersache. Ich zitiere die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage Drucksache 18/1110 des Deutschen Bundestages:
Den Ländern als Träger der Staatsleistungen steht es dagegen frei, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrundlagen zu schaffen. Das Verfassungsrecht steht dieser Lösung nicht entgegen.
Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb Sie so lemmingartig ständig die Großkirchen dieser Debatte aussetzen müssen, und nicht endlich tatsächlich veränderte ordentliche Verhältnisse schaffen, statt sich ausschließlich auf ein im Jahr 1803 gefundenes, sehr merkwürdiges Finanzgebaren zurückzuziehen. Das ist schon ein Stück aus dem Tollhaus.
1517 – Was soll da eigentlich gefeiert werden? – Es soll die Reformation Martin Luthers gefeiert werden. Die historischen Wurzeln meiner Vorfahren liegen in der Gegend zwischen dem Kyffhäuser und dem Harz. Sie nahmen damals die Reformation Luthers sehr ernst und allzu wörtlich mit dem Ergebnis, dass sich die Bauern und Bergknappen dieser Gegend Folgendes anhören durften:
Drum, lieben Herren, loset hie, rettet hie, helft hie! Erbarmet euch der armen Leute! Steche, schlahe, würge hie, wer da kann! Bleibst du druber tot, wohl dir! Seliglichern Tod kannst du nimmermehr uberkommen.
Das war Frühneuhochdeutsch und ein Zitat aus Luthers Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“. Er richtete das natürlich nicht an die Bauern, sondern an die Fürsten. Allein bei Frankenhausen starben 6 000. Danach wurden die Dörfer verwüstet. Wenn Sie dies feiern wollen, gern. Machen Sie dies!
Yadegar Asisi will in seinem Wittenberger Panorama „Luther 1517“ übrigens auch die Hexenverfolgungen thematisieren. Auch die erhielten durch Luther in der Folge der Reformation – das ist alles andere als Kabarett, Frau Harant – einen heftigen Innovationsschub:
Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder... Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.
Mindestens 25 000 Menschen gingen in den Feuertod, sicherlich nicht allein wegen Martin Luther, aber auch.
Nein, ich bin gleich fertig. – Das sollen wir feiern? Ich würde hier lieber Friedrich Spee, einen Jesuiten, der das Ende dieser Frauenverfolgung einleitete, feiern. Aber meinethalben: Ich spare mir jetzt die allen bekannten Ausfälle des Reformators gegen die Juden. Es ist zu heftig, was er gesagt hat. Das lassen wir bitte sein. Ich finde es legitim, wenn die EKG ihr Gründungsjubiläum begeht, aber machen Sie bitte in Gottes Namen daraus keine Zwangsfeier für die ganze Stadt! Man riecht die Absicht hinter dieser Missionsfeier und ist verstimmt, noch dazu, wenn man sie mit bezahlen muss. Sie haben es aber schon angedeutet, dass Sie das Vorhaben durchwinken. Auch darin liegt ein Trost, meinte Luther. Vom 28. bis 31. Oktober 2017 wird Berlin ein langes Wochenende haben. Liebe Berlinerinnen und Berliner, nehmen Sie Ihre Kinder an die Hand, verlassen Sie an diesem Wochenende die Stadt! Denn: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“, dichtete Freiherr Joseph von Eichendorff. Leider haben wir dieses Erlebnis nur einmalig. Wenn Sie ein bisschen Traute hätten, würden Sie den Reformationstag als ständigen Feiertag einführen und Allerheiligen gleich mit wegen der konfessionellen Gleichberechtigung. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Brauer! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Lauer. – Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Gegensatz zu einigen meiner Vorredner genieße ich geradezu jede Minute an diesem Rednerpult und freue mich, auch noch einmal zu diesem Thema sprechen zu können. Meine Freude wurde ein bisschen von der Unterstellung von Frau Harant geschmälert, dass jetzt hier wieder Kabarett kommt. Sei es drum. Wenn Sie sich hier gut unterhalten fühlen, haben Sie mir einiges voraus. Das sei Ihnen gegönnt.
Kabaretthafte Züge nimmt dieser Antrag vor allen Dingen dadurch an, dass er die Konsequenz dessen ist, dass die Koalition nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Gesetzesänderungsantrag einzubringen. Frau Harant spielt ein wenig darauf an, was ich in der ersten Lesung angesprochen hatte. Unabhängig von diesen religiösen Themen – das hat Herr Brauer auch schon erwähnt; man soll es handhaben, wie man will – kann man sich aber die Frage stellen, ob ein Parlament hierfür extra einen Feiertag einführen muss.
Ich habe in der ersten Lesung auf die Frage abgezielt, inwieweit wir als Parlament von unserer Möglichkeit, Feiertage zu erlassen, nicht einfach mehr Gebrauch machen sollten, insbesondere in einer Gesellschaft, in der sich die Leute ohnehin fragen, was eigentlich mit der Zukunft der Arbeit ist, ob es überhaupt noch genug Arbeit gibt und was sie überhaupt tun sollen, wenn später einmal die Roboter die ganze Arbeit abnehmen. Gut, diesen Antrag haben wir dazu nicht genutzt. Wir wissen jetzt, dass das Parlament Feiertage erlassen kann. Wir machen davon viel zu wenig Gebrauch. Wir hatten jetzt am Wochenende wieder die schöne Situation, dass sich alle über den Tag der Deutschen Einheit und darüber gefreut haben, dass es ein Feiertag ist. Er lag auf einem Sonnabend. Was aber passiert? Am Sonntag ist verkaufsoffener Sonntag. Das ist dann auch nicht im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter, derer sich die SPD mal annehmen wollte.
[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von den GRÜNEN – Wolfgang Brauer (LINKE): Das wäre auch nicht im Interesse Luthers!]
Danke, Herr Behrendt! Die 5 Euro kriegen Sie nachher von mir. – Das wäre auch nicht im Interesse von Luther, und Allah und Buddha sehen das vielleicht auch ähnlich.
Worauf ich hinaus will, ist, dass wir diese Debatte dazu hätten nutzen können zu prüfen, wie wir unser Feiertagserlassungsrecht kreativ nutzen. Jetzt haben wir einen Feiertag mehr im Jahr 2017. Die Leute wird es freuen. Die Kosten wurden beschrieben. Dann stimmen wir jetzt darüber ab. – Vielen lieben Dank!
Vielen Dank, Herr Lauer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Zur Vorlage Drucksache 17/2340 empfiehlt der Innenausschuss einstimmig bei Enthaltung Linke und Piraten die Annahme. Wer der Gesetzesvorlage zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die SPD- und die CDU-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.