Protokoll der Sitzung vom 12.05.2016

Dem kann ich mich nur anschließen!

Das vom Senat vorgelegte Gesetz war ausbaufähig. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen mit umfangreichen Änderungen ein echtes E-Governement-Gesetz für Berlin

(Harald Wolf)

erarbeitet. Die Schwerpunkte möchte ich Ihnen kurz darstellen.

Wie bereits gesagt, wird ab dem 1. Januar 2023 bei der Berliner Verwaltung nicht mehr mit Papier, sondern digitaler Akte gearbeitet. Es soll zukünftig einen ITStaatssekretär geben. Dieser kümmert sich nach unserer Vorstellung ausschließlich um die Standardisierung der Berliner IT und den Ausbau der digitalen Akte. Wir führen ab dem 1. Januar 2018 eine Pflicht zur Nutzung des IT-Dienstleistungszentrums ein. Die Übergangsfrist ist erforderlich, um das IT-Dienstleistungszentrum in die Lage zu versetzen, als zentraler IT-Beschaffer des Landes Berlin zu fungieren. Wir haben uns zu diesem Schritt entschieden, um die IT-Landschaft zu vereinheitlichen.

Derzeit gibt es 74 IT-Königreiche, 74 IT-Stellen in Haupt- und Bezirksverwaltungen, die jeweils für sich für die IT-Beschaffung und für die IT verantwortlich sind. Das führt in der Praxis zur Zersplitterung der IT-Landschaft; jeder bestellt bisher eine Ausstattung, wie und wo er will. Das soll zukünftig der Vergangenheit angehören. Um die Standardisierung zu erreichen, koordiniert der IT-Staatssekretär zukünftig die Beschaffung, die zentral beim IT-Dienstleister des Landes Berlin erfolgt.

Wir haben in das Gesetz aufgenommen, dass die Bezirke zukünftig im Lenkungsrat von IT-Staatssekretär, Chef der Senatskanzlei und Staatssekretär in der Hauptverwaltung mit vertreten sind. Bisher waren dort nur vier Bezirke vertreten. Wir wollen so sicherstellen, dass die Informationen auch alle Bezirke erreichen.

Wir haben uns in der Koalition entschieden, deutliche Anforderungen zur Barrierefreiheit in das Gesetz zu schreiben. Die digitale Verwaltung muss für Menschen mit Behinderungen sowohl in der Mitarbeiterschaft als auch unter den Nutzern genutzt werden können. Ich will Ihnen hier ein Beispiel geben: Es darf nicht sein, dass ein PDF-Formular so erstellt ist, dass es faktisch ein Bild ist, denn dieses ist für Menschen mit Behinderungen mit Hilfsmitteln nicht lesbar. Das PDF-Dokument muss also so erstellt sein, dass es Hilfsprogramme auslesen und zum Beispiel in Braille-Schrift darstellen können.

Wir haben im Gesetz eine höhere Verankerung der IT-Sicherheit durch Festschreibung eines Mindestschutzniveaus und Bildung einer Stelle zur Meldung und Begegnung von sicherheitsrelevanten Vorfällen festgeschrieben. Und wir haben im Gesetz festgehalten, dass es neben dem D-Mailzugang auch eine tatsächliche Endezu-Ende-Verschlüsselung zum Beispiel durch den PTPStandard geben soll.

Dies alles stellt eine große Herausforderung für den ITStaatssekretär und die zukünftige Regierungskoalition dar. Dieser Weg wird kein leichter sein,

[Oh! von den PIRATEN]

dieser Weg wird steinig und schwer.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Denk mal darüber nach, Sven, wen du da gerade zitierst!]

Einen großen Künstler, der euch möglicherweise politisch nicht passt!

[Lachen bei den PIRATEN]

Der Gesetzestext, welchen wir hier beschließen, muss natürlich auch von der Exekutive gelebt werden. Da kommt ein Artikel in der „Berliner Morgenpost“ vom Dienstag gerade recht: Berliner Senat sorgt sich um Akzeptanz elektronischer Akte – so die Überschrift. E-Akten können in der Berliner Verwaltung 10 Prozent Arbeitszeit sparen. Die Innenverwaltung befürchtet jedoch Schwierigkeiten bei der Akzeptanz. Das ist generell ein Problem bei dem Thema, sagt der Innenstaatssekretär Statzkowski, der für IT zuständig ist. – Das Gesetz, das wir vom Senat erhalten haben, hatte genau diesen Eindruck gemacht: keine Verbindlichkeit, keine Festlegungen, keine Zeitrahmen.

Ich werbe bei diesem Thema dafür, die anstehenden Veränderungen als Chance und nicht als Risiko zu sehen. Und ich bin dankbar, dass mein Kollege von der CDU, Burkhard Dregger, ebenfalls mehr an die Chancen gedacht hat. Wir waren uns einig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folglich in diesen Prozess mit einbezogen sein müssen, und haben es deshalb auch in das Gesetz mit aufgenommen. So wird es die gesetzliche Verpflichtung zur Schaffung von barrierefreien Arbeitsplätzen und barrierefreien Formularen geben, und der Hauptpersonalrat wird im Lenkungsrat vertreten sein. Ich finde es richtig, dass wir das so eindeutig geregelt haben.

Der Ausschussvorsitzende Herr Reinhardt hat sich am Montag nach der Beratung im Ausschuss für die konstruktive Zusammenarbeit von Regierung und Opposition bedankt. Ich möchte mich diesem Dank anschließen. Ich finde, wir hatten eine breite Einbindung auch von Vorschlägen der Opposition. Einen Vorwurf teile ich hingegen nicht: Am Montag kritisierte der Vertreter der Grünen, dass wir das E-Governement-Gesetz mit Dringlichkeit beschließen. – Was denn sonst, liebe Kollegen von den Grünen? Der Vertreter der Grünen hat uns hier vier Jahre lang vorgeworfen, dass das E-Governement-Gesetz nicht schnell genug kommt. Und nun legen wir das E-Governement-Gesetz vor und wollen es beschließen, und dann geht es auf einmal alles zu schnell. Das ist wenig konstruktiv, liebe Kollegen von den Grünen.

[Uwe Doering (LINKE): Nach fünf Jahren Beratung spielen zwei Wochen auch keine Rolle mehr!]

Im Ergebnis ist das Gesetz im zuständigen Ausschuss einstimmig bei Enthaltung der Opposition beschlossen worden. Berlin bekommt mit dem E-GovernementGesetz eine kleine Revolution zur Einführung der digitalen Akte in der Berliner Verwaltung. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kohlmeier! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Birk. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kohlmeier, wie Herr Doering soeben schon richtig reingerufen hat: Sie haben sich viereinhalb Jahre Zeit gelassen, dieses Gesetz hier endlich zu beraten und einzubringen, und dann muss es mit Dringlichkeit beschlossen und gestern mit Dringlichkeit durch den Hauptausschuss gebracht werden, wo erkennbar Ihre Koalition überhaupt nicht wusste, wovon die Rede ist! Ich finde, das ist diesem wichtigen Thema nicht angemessen. Zwei Wochen wären schon noch Zeit gewesen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Heute bin ich einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt – ich gebe es gerne zu – in wahrscheinlich meiner letzten Rede hier im Abgeordnetenhaus, weil ich nicht mehr kandidiere. Es überwiegt zum einen die Freude, dass wir endlich dieses E-Governement-Gesetz auf den Weg bringen können, auf der anderen Seite ist jedoch der Ärger über die verlorene Zeit auch groß – es sind viereinhalb verlorene Jahre, die Rot-Schwarz und insbesondere Innensenator Henkel mit zu verantworten haben –, dass wir erst jetzt, zum Ende der Legislaturperiode zu dem kommen, was man am Start hätte machen müssen: ein E-Governement-Gesetz, und das dann umsetzen und nicht alles der nächsten Legislaturperiode überlassen. Das ist jammerschade!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Dann finde ich noch bezeichnend: Die CDU-Fraktion hat sich heute Morgen zusammen mit dem SIBB, das ist der Verband der IT-Wirtschaft in Berlin und Brandenburg, für das großartige Gesetz, das sie selbstverständlich alleine, ohne den Koalitionspartner oder irgendjemanden sonst, verabschiedet hat, feiern lassen, und jetzt sind die Reihen hier geleert. Das heißt, die Priorität scheint bei Ihnen nicht so weit vorne zu liegen, sonst hätten Sie das auch früher geschafft. Herr Henkel trat heute Morgen kurz auf, hielt ein Grußwort, machte sozusagen den Grußonkel, und mehr hatte er zu diesem Gesetz und zur Herbeiführung einer Entscheidung auch nicht beigetragen. Sie haben als Letztes nur den Widerstand bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschworen. Das ist kein positiver Beitrag zu Ihrem Gesetz. Sie hätten die letzten Jahre vielleicht mehr kämpfen müssen, mein lieber Herr Innensenator!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Melzer?

Gerne!

Bitte!

Herr Birk! Erst ging es Ihnen zu langsam, dann zu schnell, dann finden Sie es schwierig, dass das Gesetz überhaupt kommt und dass wir darüber reden.

[Zurufe: Frage! – [Udo Wolf (LINKE): Was ist das jetzt? Eine Zusammenfassung der Rede?]

Meine Frage ist: Können Sie sich jetzt entscheiden, wie die Haltung der Grünen zu diesem Gesetz ist? So, wie es die Experten sagen, deutschlandweit federführend und einmalig, oder haben Sie auch da wieder was dagegen und nur zu meckern?

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank!

Die Antwort liegt zum Teil in meiner Rede, die ich noch vor mir habe. Ich kann Ihnen aber so weit schon mal versprechen: Wir werden nicht gegen das Gesetz stimmen, weil wir es richtig und wichtig finden, dass ein solches Gesetz verabschiedet wird. Wir anerkennen auch, dass das Gesetz sehr viel weiter geht als das, was ursprünglich vom Senat vorgelegt wurde. Wir haben aber noch weitergehende Vorschläge, wie sich das für eine Opposition, die konstruktiv sein will, gehört. Und weil diese Vorschläge nicht alle berücksichtigt wurden und weil wir ein paar große Risiken sehen, die ich Ihnen auch gleich vortragen werde, werden wir uns heute nur enthalten.

[Heiko Melzer (CDU): Ach so, Enthaltung der Grünen!]

Wir freuen uns aber, dass wir endlich zu dem Punkt kommen, dass wir sagen können: Berlin hat wie viele andere Bundesländer – manche haben es schon ein paar Jahre lang – endlich auch ein E-Government-Gesetz! Das

gehört sich für eine digitale Hauptstadt. Wir sind da leider ein bisschen spät dran. Wir hätten federführend und Vorreiter sein können. Ihre Fraktionen haben jetzt von anderen Bundesländern abgeschrieben. Anders herum wäre es schöner gewesen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Uwe Doering (LINKE)]

Wenn hier der Innensenator geredet hätte – er tut es nicht, obwohl es eigentlich um die Einbringung einer Senatsvorlage geht, die allerdings völlig verändert verabschiedet werden wird –, dann hätte er auch auf die Versäumnisse der letzten viereinhalb Jahre hinweisen müssen, denn nichts von dem Koalitionsvertrag wurde umgesetzt. Sie haben eine standardisierte IT-Landschaft versprochen und wollten die Hälfte der Verwaltung mit der E-Akte versorgen. Jetzt kommt dabei ein kleiner Pilot mit 2 000 Arbeitsplätzen heraus, anstatt 34 000 – in vier Behörden. Wir hatten die Windows-XP-Probleme, und wahrscheinlich haben wir immer noch Windows-Server 2003 im Einsatz, obwohl sie längst nicht mehr unterstützt werden. Die Ursachen für die Probleme, die wir bei den Bürgerämtern, beim Flüchtlingsmanagement und selbst bei den bröckelnden Brücken haben, liegen auch bei den Mängeln der Digitalisierung. Der Rechnungshof hat Ihnen mit dem Bericht eine schallende Ohrfeige gegeben, und dem können wir uns leider nur anschließen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Simon Weiß (PIRATEN)]

Die Koalition der Infrastruktur versagt nicht nur beim Bauen, sondern genauso bei der digitalen Infrastruktur.

Dieses Gesetz, das heute vorliegt, hat fast so lange gebraucht wie das Gesetz zum Klimaschutz, das sich dann am Schluss Energiewendegesetz nannte. Daran sieht man, wie lange Sie brauchen, um Dinge, die für uns die höchste Priorität haben, umzusetzen oder überhaupt erst einmal in Gang zu bringen. Das sind die falschen Prioritäten. Es braucht langsam eine andere Koalition, die schneller vorangeht und die Dinge, die jetzt beschlossen werden, schnell umsetzt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Tatsächlich gab es einen Referentenentwurf zu diesem Gesetz schon 2011 unter Rot-Rot, der auch schon von den anderen Behörden bewertet wurde. Der erste Besprechungspunkt in der Legislaturperiode der rot-schwarzen Koalition war das neue E-Governmentgesetz. Jetzt sind wir am Ende der Legislaturperiode, und es liegt endlich vor. Dabei hätten Sie das Ganze vom Ende her denken müssen. Wenn man die Standardisierung der IT und die Einführung der elektronischen Akte will, dann hätte man dieses Gesetz am Anfang gebraucht.

Was im Oktober 2015 kam, war ein weichgewaschener Entwurf, der nichts mehr von der Verbindlichkeit hatte,

wie sie ursprünglich geplant war. Es bedurfte der Fraktionen, die sich allerdings des Verstands von klugen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern bedienen mussten, um einen besseren Entwurf daraus zu machen. Ich begrüße bei dieser Gelegenheit ganz herzlich Herrn Pasutti und Herrn Both, die ich vorhin noch gesehen habe und die jetzt auf der Tribüne sitzen. Kluge Menschen aus der Verwaltung und den Personalvertretungen haben allen Fraktionen Hinweise gegeben. Jetzt sind im Gesetz eine klare Verbindlichkeit verankert, ein starker ITStaatssekretär, eine starke IT-Staatssekretärin, mehr Barrierefreiheit und mehr IKT-Sicherheit. Diese Punkte tragen wir selbstverständlich mit, und deswegen sind sie in unserem Globaländerungsantrag, der gemeinsam von der Opposition vorgelegt wurde, auch enthalten, denn wir mussten uns immer auf die Ursprungs-Beschlussvorlage des Senats beziehen. Insofern haben wir diese Dinge mit übernommen.

An einem besonderen Punkt zielen Sie allerdings über das Ziel hinaus. Um zu kompensieren, dass Sie hier fast fünf Jahre lang geschlafen haben, wollen Sie die IKTMittel für die verfahrensunabhängige IT im nächsten Haushalt vollständig dem IKT-Staatssekretär übertragen und den Anschluss- und Benutzerzwang ans ITDZ mit einem Schlag schon zum 1. Januar 2018 vollziehen. Das wird nicht gelingen! Sie haben gleich, weil Sie selbst nicht daran glauben konnten, eine Ausnahmeregel geschaffen. Wahrscheinlich wird die Ausnahme erst einmal die Regel werden, und peu à peu wird dann dieser Anschlusszwang tatsächlich vollzogen werden. Alles andere wird furchtbar teuer, denn Sie müssen das Personal, das Sie in den Verwaltungen haben, erst einmal weiterbezahlen und dann, inklusive der Mehrwertsteuer, das durch das ITDZ – sie machen das nicht selbst, denn sie haben auch nicht die Leute – am Markt einkaufen. Da bezahlen Sie beides doppelt. Ich prognostiziere schon mal, dass das mindestens 100 Millionen Euro kosten wird.

Wir hätten gern einen realistischeren Plan gehabt und wären gern auf das Jahr 2022 gegangen. Als Kompromiss haben wir das Jahr 2020 angeboten, aber auch das haben Sie abgelehnt, wie Sie stets die Realität verweigern, wie wir heute schon an anderen Punkten hörten. Das wird jedoch in der Praxis zu reparieren sein.