Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

geworden, und das hängt auch damit zusammen, dass das Personal abgezogen worden ist, dass dort unsichere Räume geschaffen worden sind und dass Sie als Politiker und der Senat vergessen haben, für wirksame Sicherheit zu sorgen, und stattdessen mit Videoüberwachung falsche Sicherheit vorgaukeln.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Jetzt kann die Zwischenfrage gestellt werden. – Bitte, Herr Kollege Kohlmeier!

Ich danke Ihnen, Herr Kollege Lux! Ich hätte aufgrund meiner körperlichen Konstitution nicht länger warten und fasten können.

[Unruhe]

Können Sie mir möglicherweise erklären, warum bei der S-Bahn eine Videospeicherung von 48 Stunden in Ordnung ist und mir ein Antrag der Grünen, diese abzuschaffen, bisher nicht bekannt ist, Sie aber bei der BVG so eine große Welle darum machen, wenn von 24 auf 48 Stunden erhöht und damit der S-Bahnregelung angepasst wird?

[Zuruf von den PIRATEN: Bundesrecht!]

Bitte schön, Herr Kollege Lux!

Sie wissen ganz genau, dass die S-Bahn ein privates Unternehmen der Deutschen Bahn ist,

[Joschka Langenbrinck (SPD): Das ist ein öffentliches Unternehmen]

und die regelt das über das Hausrecht, genauso wie Ihr Innensenator das auch immer über das Hausrecht geregelt hat. Es besteht überhaupt kein Bedürfnis, von 24 Stunden auf 48 Stunden zu erhöhen.

Sie wissen ganz genau: Wir hatten hier die Debatte um eine flächendeckende Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr. Die SPD-Fraktion und allen voran Innensenator Körting hat gesagt: Wir machen erst einmal ein Gutachten, evaluieren, gucken, wie sich Straftaten verlagern, ob es wirklich Aufklärungserfolge gibt, in welchem Rahmen die liegen. All das ist bislang nicht geschehen. Die Linksfraktion hat das immer wieder eingefordert.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Kohlmeier fand es gut!]

Es ist nicht passiert. Sie haben in diesem Punkt nicht geliefert. Ihr Innensenator – noch einen Monat vor der Wahl – hat wörtlich gesagt: Er sieht keinen Anlass dazu.

Alle schwerwiegenden Straftaten können im öffentlichen Nahverkehr aufgeklärt werden. – Da hatte er recht, der Innensenator Körting.

Jedes Opfer im öffentlichen Nahverkehr ist eines zu viel, da sind wir uns alle einig. Jede Straftat soll aufgeklärt werden. Man kann an Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind, nur appellieren: Geht schnell zur Polizei, erstattet schnell Anzeige, kommt nicht zu spät! Frisch ermitteln ist immer besser! – Das ist die richtige Reaktion, wenn man Opfer im öffentlichen Nahverkehr geworden ist. Hierauf sollte man einen Schwerpunkt legen, wenn man seriöse Sicherheitspolitik macht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Es ist doch in der Tat so, dass man, wenn man Opfer von Straftaten wird, jede Gelegenheit nutzen und sich sofort an die Sicherheitsbehörden wenden sollte. Ich denke, das sollte der Appell heute sein. Zu sagen, man speichert 48 Stunden – man kann auch noch länger speichern, Herr Dregger. Wenn man so aufbaut wie Sie, dann könnte man auch über Jahre speichern, weil sich vielleicht jemand noch später überlegt, eine Strafanzeige zu stellen. Dann wäre es doch schön, dieses Videomaterial zu haben. Das ist doch keine qualifizierte Argumentation.

Es ist schon erstaunlich, auch wenn man sich die Gesetzesbegründung von Ihnen anschaut, mit wie wenigen Worten, wie dünn, hier begründet wird, wenn man einen Grundrechtseingriff intensiviert, weiter fortführt – übrigens einen, der ohne Verdacht alle Menschen, die sich im öffentlichen Nahverkehr bewegen, betrifft. Jede Kamera, die bei der BVG angebracht ist, speichert jetzt 24 Stunden länger. Die S-Bahn macht das auch, also tun wir es hier auch. Das ist doch aber keine qualifizierte Debatte, wie wir mit Grundrechtseinschränkungen in diesem Land umgehen. Es gibt eine neue Bewegung, die sich gegen staatliche Repressionen, gegen Überwachung wendet, und die ist auch ernst zu nehmen. Die Menschen in diesem Land wollen nicht, dass es komplette Überwachungen von Ihnen gibt, dass der Staat en passant, wie Sie es hier machen, einfach länger speichert, länger aufzeichnet, länger überwacht.

Es ist wirklich sehr erstaunlich, aber auch sehr aussagekräftig, dass es bei den ersten zwei Gesetzesinitiativen dieser angeblich SPD-geführten Koalition zum einen um das Übergangsgeld des Senators geht – der Goldene Handschlag nach kurzer Zeit soll nicht mehr ermöglicht werden, das war die erste Gesetzesinitiative. Die zweite Gesetzesinitiative dieser Koalition ist, die Grundrechte der Berlinerinnen und Berliner weiter abzubauen.

[Zurufe von der SPD]

24 Stunden mehr Speicherfrist, das ist Ihre zweite Gesetzesinitiative. Wenn ich mir anschaue, wie dünn sie begründet ist, wie wenig die Leute vom Datenschutzbeauftragten einbezogen worden sind, wie wenig Sie abwägen – es ist nicht eine grundrechtliche Abwägung in Ihrer

Begründung –, dann wird einem in diesem Land angst und bange. Machen Sie weiter so, aber dann wird umso schneller klar, dass von dieser Koalition weder für die Sicherheit noch für die Freiheit dieser Stadt etwas zu erwarten ist. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Lux! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Kollege Buchholz das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Buchholz!

[Uwe Doering (LINKE): Vor einem halben Jahr warst du noch dagegen!]

Nein! Das stimmt nicht! – Meine Damen und Herren! Ich bin ein Stück weit bestürzt über den bisherigen Debattenverlauf. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Hören Sie doch bitte erst eine Minute zu! Können wir uns darauf einigen? Ein bisschen mehr parlamentarischer Umgang und Umgangsformen wären nicht schlecht, auch bei Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie die Bilder in der „Abendschau“ sehen, wenn Sie in der Zeitung lesen, was es für Gewaltvorfälle im öffentlichen Personennahverkehr gab. Mich persönlich – das ist nicht übertrieben – bestürzt das, denn ich nehme meine sämtlichen Termine mit öffentlichen Verkehrsmitteln wahr.

[Canan Bayram (GRÜNE): Ich auch!]

Ich sitze in der U-Bahn, ich sitze in der S-Bahn, ich sitze in Bussen.

Herr Kollege Lux! Es ist uns klar, dass eine zusätzliche Videokamera und eine längere Speicherung keine absolute Sicherheit gewähren können. Es geht aber um drei Dinge. Erstens: Können mehr Straftaten dadurch verhindert werden?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Nein! – Zuruf von den PIRATEN: Nein!]

Zweitens: Können mehr Straftaten aufgeklärt werden? Und drittens: Gibt es für die Nutzerinnen und Nutzer, für die Berlinerinnen und Berliner ein größeres Sicherheitsgefühl, wenn sie in Bussen und Bahnen unterwegs sind? – Da sage ich Ihnen ganz klar: Ja, das ist so.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Herr Kollege Lux! Wie Sie da in einer überheblichen Art über Nutzer von Bussen und Bahnen sprechen, finde ich

unglaublich. Ich meine das ganz ehrlich. Es ist für mich unsäglich, wie Sie hier argumentieren.

[Uwe Doering (LINKE): Die Leute wollen ansprechbares Personal haben!]

Es ist noch nicht lange her, da hatten wir in Berlin eine Sechs-Minuten-Speicherfrist bei den BVG-Bussen. Als ich das zum ersten Mal hörte, habe ich mir nicht nur kurz an den Kopf gefasst. Sechs Minuten – da musste aus vermeintlichen Datenschutzgründen der Fahrer im Augenblick der Gefahr daran denken, diesen Knopf zu drücken, damit die Speicherung nicht überschrieben wird. Verrückt, kann ich nur sagen, völlig verrückt!

Und Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass wir schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen vornehmen, weil wir die Speicherfrist von 24 auf 48 Stunden erhöhen. Herr Kollege Lux! Wegen Grundrechtseinschränkungen müssen Leute anderswo ins Gefängnis – und da geht es wirklich um Leben und Tod. Und Sie erzählen mir, eine Videospeicherung wird die Leute in Ihren Grundrechten einschränken. Ich glaube, Sie haben keine Ahnung von dem tatsächlichen Leben der Leute hier in Berlin, wenn sie Bus und Bahn benutzen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Nein!

Es tut mir leid, dass ich das so emotional vortrage. Ich wollte hier eine ganz sachliche, klare Rede halten. Aber ich kann das nach Ihrem Vorgeplänkel nicht.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Herr Lux! Ich würde Sie bitten, das, was Sie hier erzählen, den Mitfahrerinnen und Mitfahrern in einem Bus zu erzählen. Ich dachte immer, dass auch die Grünen daran Interesse haben, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer der BVG halbwegs sicher fühlen können, wenn sie die Verkehrsmittel nutzen.

Vielleicht darf ich Sie mal konkret daran erinnern – und, Herr Lux, Sie sollten die Statistik mal ganz lesen –, welche Anfragen im letzten Jahr innerhalb der 24-StundenSpeicherfrist beantwortet werden konnten und wo dies nicht mehr möglich war, weil die Videoaufnahmen gelöscht waren. Herr Kollege Lux! Ich habe mir die Videobilder, die auf meinem Heimatbahnhof Haselhorst, wo ich groß geworden bin, vom vorletzten Silvester angeschaut, wo jemand brutal zusammengeschlagen wurde, völlig grundlos.

[Zurufe von den PIRATEN]

Das müssen sich auch die Piraten mal anhören: Diese Tat konnte aufgeklärt werden, weil die Leute auf den Videoaufnahmen erkannt wurden.