Protokoll der Sitzung vom 19.10.2017

Welche Skrupel haben Sie eigentlich, geltendes Recht durchzusetzen? Aus welchem Grund wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes weiterhin zumuten, sich den Gefahren auszusetzen, die von aggressiven oder gewalttätigen vollziehbar ausreisepflichtigen Personen ausgehen? Warum glauben Sie immer noch, mit sozialpolitischen Mitteln alle Probleme der Welt in Deutschland lösen zu müssen? Was muss noch alles passieren, damit Sie das Notwendige tun, um unser Land zu schützen?

Ich fordere Sie auf: Verweigern Sie sich nicht länger der Realität! Wachen Sie aus Ihrer Verblendung auf! Geben Sie den fatalen Unsinn in Ihrem Koalitionsvertrag endlich auf! Bekennen Sie sich endlich zu konsequentem Ausweisen und Abschieben von vollziehbar Ausreisepflichtigen!

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP) – Katina Schubert (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schubert?

Nein, danke! – Unternehmen Sie alles, um diese Personen in Abschiebungshaft zur Durchsetzung der Ausreisepflicht nehmen zu lassen, insbesondere dann, wenn Sie wissen, dass es sich um Straftäter handelt! Darauf hat jeder Bürger unseres Landes einen Anspruch.

Der Herr Innensenator hat versucht, Handlungsfähigkeit dadurch zu beweisen, dass er eine Taskforce gründet, um die Sache so von seinem Schreibtisch zu bekommen – getreu nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Sie haben ja noch nicht mal einen Arbeitskreis gegründet!]

Herr Innensenator! Was hat denn diese Taskforce zustande gebracht? Nach der Berichterstattung endeten die groß angekündigten Schwerpunkteinsätze der Polizei im Informationschaos. Sie haben weder die Polizei noch den Bezirk über Ihre Taskforce-Pläne ausreichend informiert, Herr Innensenator.

Hinzu kommt die viel zu geringe Personalausstattung der Polizei. Mit dem Leopoldplatz, dem Kleinen Tiergarten und dem Alexanderplatz liegen gleich drei kriminalitätsbelastete Orte im Bereich der zuständigen Polizeidirektion 3. Hinzu kommen Gesundbrunnen, Moabit, Wedding, das Hansaviertel, das Regierungsviertel, die auch nicht gerade wenige Anforderungen an unsere Polizistinnen und Polizisten stellen. Wird jetzt auch noch der Tiergarten zum Kriminalitätsschwerpunkt? Jetzt zahlen die Berlinerinnen und Berliner die Rechnung für die Personalpolitik des rot-roten Senats. Er hat dafür gesorgt, dass wir heute etwa 2 000 Polizeibeamte weniger haben als im Jahr 2001 – trotz der über 1 300 neuen Polizeistellen, die unter der Verantwortung des CDU-Innensenators Frank Henkel gegen Ihren Widerstand neu geschaffen und besetzt worden sind.

[Beifall bei der CDU]

Aufgrund Ihrer nicht zu übertreffenden Verantwortungslosigkeit hat die CDU-Fraktion diesen Antrag eingebracht. Darin fordern wir Sie auf, im Großen Tiergarten umgehend tagsüber und nachts Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Wir fordern Sie auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Straftaten zu unterbinden, Gefahren für die Bürgerinnen und Bürger abzuwehren, die außer Kontrolle geratene Situation zu beenden und die rechtsstaatliche Ordnung dauerhaft wiederherzustellen. Dazu sind die Identitäten sämtlicher dort lagernder Personen festzustellen. Personen ohne Aufenthaltsrecht sind unverzüglich auszuweisen und, wenn nötig, abzuschieben.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Und für die Aufenthaltsberechtigten ist die Obdachlosenhilfe auszubauen. Nicht einmal in diesem Bereich tun Sie das Notwendige. Daher unser Nachdruck mit diesem Antrag! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Dörstelmann das Wort.

(Burkard Dregger)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zwei Punkte voranstellen! Erstens: Diese Koalition hat sich das klare Ziel gesetzt, weder im Großen Tiergarten noch an irgendeinem anderen Ort dieser Stadt irgendwelche weiteren Kriminalitätsschwerpunkte zuzulassen.

Zweitens: Diese Koalition bekennt sich ganz klar dazu, an allen Stellen dieser Stadt – nicht nur an Kriminalitätsschwerpunkten, die bereits bestehen – Kriminalität auch weiterhin konsequent zu bekämpfen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Der öffentliche Raum muss den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt und ihren Gästen zur Verfügung stehen. Darauf haben sie ein Recht, und darauf haben wir alle ein Recht.

Sehr geehrter Herr Kollege Dregger! Sie haben vorhin angesprochen, dass wir in der Wirklichkeit ankommen müssten oder dort nicht angekommen seien. Ich kann Ihnen eines sagen: Bei der Bestandsaufnahme des Innenressorts im Dezember des vergangenen Jahres ist diese Koalition sehr schnell in der Wirklichkeit angekommen, wenn das noch notwendig war.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die Defizite, die in den Jahren 2011 bis 2016 in der Ressortverantwortlichkeit der CDU im Bereich der inneren Sicherheit aufgekommen sind, sind unübersehbar. Aber wir werden sie abbauen. Wir werden sie abbauen, wie wir das als Koalition bereits begonnen haben – mit zusätzlichen Stellen, mit mehr Polizei, mit einer funktionierenden, gestärkten Justiz und mit einem weiteren Aufwuchs an Personal in all diesen Bereichen. Und wir werden noch mehr tun. Wir werden auch das Notwendige an Analyse leisten, was die einzelnen Sachverhalte betrifft und was in der Vergangenheit offensichtlich bei der Erarbeitung von Konzepten, sofern sie überhaupt erfolgte, zu kurz gekommen ist.

Zu dieser Analyse gehört, wenn wir das von Ihnen aufgerufene Beispiel des Großen Tiergartens betrachten, natürlich auch eine Diversität der dort Handelnden oder der dort Befindlichen. Natürlich sind die nicht alle gleich hinsichtlich ihrer Herkunft. Da gibt es psychisch Kranke, die dort herumlaufen. Da gibt es klassische Obdachlose, sofern Sie mir diesen Ausdruck an der Stelle gestatten. Da gibt es Menschen, die hierhergekommen sind, weil sie in der Hoffnung auf Arbeit, mag sie erfüllt oder enttäuscht worden sein, erst einmal versucht haben, sich irgendwo einen Unterschlupf zu suchen. All das muss man bedenken, wenn man mit dem Problem überhaupt umgehen will.

Der Senat hat entschlossen gehandelt – entgegen Ihrer Darstellung. Die Einrichtung einer Taskforce ist der richtige Weg. Wir müssen doch erst einmal wissen, wer dort ist. Das heißt, die Identität wird festgestellt. Dieses Bekenntnis besteht. Ich weiß also gar nicht, was es daran herumzukritisieren gibt. Wir müssen aber auch eines klar trennen. Wir müssen trennen zwischen Kriminalität und deren Bekämpfung und Obdachlosigkeit und deren Bekämpfung. Wenn wir das nicht leisten, werden wir scheitern. Dieser Senat wird weiterhin – und das ist in dieser Diskussion oft in einem Zusammenhang zu sehen – entschlossen Kriminalität bekämpfen, insbesondere organisierte Kriminalität. Wenn wir das alles vermischen, dann werden wir die Sachverhalte nicht so sauber trennen, dass wir einzelne geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Kriminalität werden herbeiführen können.

[Burkard Dregger (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dregger?

An dieser Stelle nicht! Er hatte gerade das Wort.

Das Zweite – und das wird mitentscheidend sein – ist die Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Auch hier handelt der Senat. Natürlich werden Lagerungen in diesen öffentlichen Parks nicht geduldet. Räumungen und die Beseitigung von Matratzen und Zelten haben bereits begonnen. Natürlich hat man damit das Problem nicht aus der Welt geschafft, denn an dieser Stelle muss man eines sagen: Wir vermuten, dass sich viele osteuropäische Bürger unter diesen Obdachlosen befinden. Dann muss man allerdings auch konsequent feststellen, was passiert, wenn man sie denn außer Landes schafft, wie das hier die CDU wohlfeil fordert. Viele von ihnen könnten relativ schnell zurückkehren. Das heißt, man braucht einen längerfristigen Lösungsansatz, und man muss dafür ein Konzept entwickeln. Das wird nicht ohne Beteiligung der Herkunftsländer gehen. Da sollte man sich keiner Illusion hingeben.

Ganz kurz, da wir ja auch den Antrag der FDP in diesem Zusammenhang mitberaten, ein Hinweis: Natürlich ist es richtig, auch auf die Funktion des Gartendenkmals Großer Tiergarten hinzuweisen. Das finde ich gut. Allerdings muss ich eines sagen: In diesem Zusammenhang, bei diesem Antrag, in dieser Diskussion nicht einmal das Wort Obdachlosigkeit zu erwähnen und sich damit zu befassen, wie man sie beseitigt, das finde ich eine schwache Leistung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Woldeit das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Es war schon absehbar, was sich jetzt gerade hier in der Debatte zeigt, gerade bei den Vorrednern der CDU und der SPD. Ich dachte, es würde wieder das klassische Zuschieben von Verantwortlichkeiten erfolgen. Die CDU würde erwähnen, was unter Senator Henkel alles an Personalaufwuchs geschehen ist. Die SPD würde ihre Verantwortung im Nachgang auf den ehemaligen Henkel-Senat schieben. Es ist aber keinem Menschen geholfen – schon gar nicht im Rahmen der inneren Sicherheit –, wenn wir hier ständig, das erlebe ich jetzt seit einem Jahr, Verantwortlichkeiten im Rahmen der inneren Sicherheit von A nach B schieben.

Mein lieber Herr Kollege Dörstelmann! Sie sprachen auch von Analysen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die polizeiliche Kriminalitätsstatistik aus den Jahren 2008 und 2009 herauszufiltern. Sie erinnern sich: Unter dem rot-roten Senat wurden in den Jahren 2003 bis 2006 so gut wie keine Polizisten ausgebildet. Das Personaldefizit zieht sich bis heute. Soll ich Ihnen etwas sagen? Bereits in den Jahren 2008 und 2009 war der Tiergarten ein Kriminalitätsschwerpunkt mit über 25 000 Straftaten. Wissen Sie, wie viele Kriminalitätsdelikte sich allein nur in den drei Bezirken Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg seit 2008 und 2009 bis heute vollzogen haben? Es sind 160 000 und mehr. Bei einem Vergleich in der Stadt betrifft ein Drittel aller Straftaten im Land Berlin diese drei Bezirke. Da hilft es keinem Menschen, Verantwortlichkeiten zuzuschieben. Nehmen Sie Ihre Verantwortlichkeit jeweils an!

[Beifall bei der AfD]

Wir erleben jetzt gerade auch ein Stück weit einen Umbruch. Sogar Grüne-Bezirksbürgermeister trauen sich, Worte in den Mund zu nehmen, die noch vor einem Jahr undenkbar waren. Ein grüner Bezirksbürgermeister spricht von „Abschieben“. Wir erleben eine Frau Bezirksbürgermeisterin Giffey, die sich auf einmal auf Buschkowskys Spuren bewegte, Staatsanwälte, Taskforces und so weiter fordert. Man möchte den Schmuddelbezirk Neukölln wieder aufwerten.

Da bin ich wieder bei dem Kollegen Geisel. Sie haben vorhin gesagt, wenn wir als AfD Ihnen Staatsversagen vorwerfen, sei das eine Rhetorik, die nicht annehmbar ist. Wir können das auch Regierungsversagen nennen, oder wir benennen es hier in Berlin ganz eindeutig: Es ist ein SPD-Versagen von fast drei Jahrzehnten SPD-Regierung.

[Beifall bei der AfD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wesener?

Sehr gern!

Bitte sehr!

Vielen Dank! – Ich hätte die Bitte, dass Sie mir und den über 300 000 Neuköllnerinnen und Neuköllnern erklären, warum Sie den Bezirk Neukölln als Schmuddelbezirk bezeichnen? – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Lieber Herr Kollege Wesener! Da habe ich in der Wortwahl die Frau Bezirksbürgermeisterin vielleicht etwas zu weit interpretiert, weil Frau Bezirksbürgermeisterin Giffey sagte, sie möchte das Schmuddelimage des Bezirks loswerden. Darauf habe ich mich bezogen. Ich hoffe, das hat Ihre Frage beantwortet.

[Beifall bei der AfD]

Es ist immerhin ehrlich, wenn man das als Verantwortliche eines Bezirksamts auch ein Stück weit zugeben muss. Das gehört mit dazu.

Ich komme zu den beiden Anträgen. Der Titel des CDUAntrags lautet „Keinen neuen Kriminalitätsschwerpunkt im Großen Tiergarten zulassen“. Es ist eine falsch gewählte Überschrift. Wir haben dort schon einen Kriminalitätsschwerpunkt. Da bin ich wesentlich näher an der FDP, die sagt „Recht und Ordnung im Park wiederherstellen“. Welche Forderungen haben wir hier? – Es müssten normalerweise alles Selbstverständlichkeiten sein, wenn ich ein wildes Campieren habe und fordere, Identitäten festzustellen, wenn ich fordere, Recht und Ordnung einzuhalten. Der Bürger zahlt Steuern. Dafür gewährt der Staat dem Bürger Sicherheit. Das ist der Ursprungsvertrag zwischen Bürger und Exekutive. Das ist eine besondere Forderung, die wir herausstellen müssen. Da läuft etwas verdammt falsch.

[Beifall bei der AfD]

Mich erschüttert übrigens auch ganz besonders – ich habe es eingangs erläutert: Seit 2008, 2009 gibt es Hotspots über Hotspots über Hotspots. Erst ein tragischer Mord, begangen von einem Menschen, der gar nicht hier sein dürfte, das haben jetzt verschiedene Presseberichterstattungen noch einmal ganz klar hervorgehoben, führt dazu, dass wir diese Debatte heute hier führen. Wir haben

jahrelang die Augen vor den Realitäten verschlossen. Wir haben jahrelang nicht erkannt, wo die Probleme liegen. Wir sind auch heute nicht bereit, die Realitäten beim Namen zu nennen, insbesondere was konsequente Abschiebung von nachvollziehbar ausreisepflichtigen Personen angeht. Lieber Herr Senator Geisel! Wir werden auch das im Rahmen der Gefährderabschiebung und Ähnlichem weiter thematisieren. Sie wissen, das erwarten Sie wahrscheinlich mit einer gewissen Sorge, dass wir auch den Bereich des § 58 Aufenthaltsgesetz noch einmal auf die Tagesordnung im Innenausschuss nehmen lassen. Wir müssen die Probleme angehen.

Ich sage es noch einmal: Ein Verschieben von Verantwortlichkeiten in unterschiedlichen Legislaturperioden bringt uns nicht weiter. Hier hilft nur eines: handeln, handeln, handeln. – Ich danke Ihnen!