Protokoll der Sitzung vom 07.03.2019

Geduld, Geduld; einen halben Satz müssen Sie noch mal aushalten. – Qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute vielfach gesucht, Herr Melzer, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Und der Arbeitsmarkt ist eben dadurch geprägt, dass es einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gibt und kein Überangebot mehr; auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, Herr Melzer.

Herr Senator! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Buchholz von der AfD-Fraktion zulassen wollen.

Nein! – Der Arbeitsmarkt hängt eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Land zusammen. Auch für das laufende Jahr liegen die Risiken für die Konjunktur eindeutig im außenwirtschaftlichen Bereich: Brexit, Handelskonflikte, Wachstumsabschwächungen in USA und China. Die Binnenwirtschaft wird aber deswegen eine deutlichere Verantwortung tragen müssen, und da spielen eben die privaten und staatlichen Konsumausgaben eine entscheidende Rolle – Frau Brinker hat recht, das sind die Konsumausgaben auch des Staates – und wirken dabei als Stützen der konjunkturellen Entwicklung. Wenn wir also eine Abschwunggefahr sehen, gilt es, die Binnenkonjunktur zu stärken. Dabei spielen mehr Investitionen die Schlüsselrolle. Dabei spielen mehr Arbeitsplätze die zweite Rolle. Aber auch gute Arbeit spielt eine dritte und wichtige Rolle.

Gleichzeitig muss sich dabei der öffentliche Dienst auf dem Arbeitsmarkt behaupten, und das tut er bislang. In Berlin gab es im vergangenen Jahr 33 000 Bewerbungen auf rund 2 500 Ausbildungsplätze. Jenseits der eigenen

Ausbildung stellt das Land Berlin neuerdings jährlich zwischen 8 000 und 10 000 Menschen ein, wenn man das alles zusammenzählt, auch mit dem einen oder anderen der uns angeschlossenen Betriebe. Dafür brauchen wir Hochschulabsolventen, dafür brauchen wir auch Leute vom Arbeitsmarkt. Und wir brauchen dafür einen attraktiven Landesdienst. Finanzielle Anreize sind dafür eines von mehreren wichtigen Themen. Klar ist aber auch – das muss auch allen klar sein, das muss man auch heute sagen –: Einen Bezahlwettbewerb können die Bundesländer dabei nicht gewinnen. Zum einen haben sie mehr als doppelt so viele Angestellte und Beamte wie Bund und Kommunen zusammen, und zum anderen geht das aber auch im Verhältnis zur Privatwirtschaft nur, wenn die Stärken des öffentlichen Dienstes ausgespielt werden; dazu gehört eine beispiellose Arbeitsplatzsicherheit. Aber wir brauchen auch schnelle Einstellungsverfahren, gute Entwicklungsmöglichkeiten, lebenslanges Lernen. Wir brauchen passgenaue Teilzeitarbeit, interessante Aufgaben und ein Arbeitsumfeld, das sich für die Solidargemeinschaft starkmacht, denn dafür wollen viele arbeiten.

Also, eine ausgewogene und faire Vergütungsstruktur ist wichtig, um sich als Arbeitgeber zu behaupten. Gleichzeitig müssen aber die Länder auch sagen, dass sie mehr als ein Thema bewältigen müssen, nämlich das Thema, etwas für die jetzt anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun, sondern wir brauchen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir wollen aufstocken. Wir müssen den Investitionsrückstand und neue Investitionen für die wachsende Stadt gestalten. Und wir müssen auch gerade in guten Zeiten ein Stück weit den Schuldenberg zurückführen. Das gilt für alle Länder, und es gilt insbesondere für Berlin.

Mit dem Tarifabschluss, den wir am Wochenende nach mehrtägigen Verhandlungen hinbekommen haben – es war insgesamt auch ein Verhandlungsmarathon –, leisten wir einen Beitrag zur ökonomischen Stabilität im Land und zur Stärkung der Binnenkonjunktur. Die Tarifgemeinschaft der deutschen Länder hat für 15 Länder unter meinem Vorsitz mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes einen Tarifvertrag für 33 Monate ausgehandelt. Die Tarifverträge der letzten Jahre hatten allenfalls eine Länge von bis zu zwei Jahren. Das heißt also, die Wünsche der Gewerkschaften – die hatten ja einen Forderungskatalog von 10 Prozent für ein Jahr, 6 Prozent linear, 4 Prozent strukturell aufgestellt – waren eben nicht umsetzbar. Deswegen kamen die auch nicht. Es ist gelungen, mit der langen Laufzeit drei große Strukturthemen und eine lineare Lohnerhöhung abzusichern, die zu Reallohnsteigerungen führt. Und dass gegenwärtig Reallohnsteigerungen vereinbart werden, ist wichtig, ist ein Schlüssel für den Erfolg eines Tarifvertrags, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der gesamten Bevölkerung nutzt.

(Senator Dr. Matthias Kollatz)

Für die Tarifangestellten des Landes werden rückwirkend zum 1. Januar 2019 die Gehälter um 3,01 Prozent erhöht, mindestens aber – das ist wichtig für die geringen Einkommen – um 100 Euro. 2020 kommen dann noch mal 3,12 Prozent obendrauf, mindestens jedoch 90 Euro. 2021 geht es noch einmal für den verabredeten Zeitraum von 9 Monaten um 1,29 Prozent nach oben, dabei mindestens aber um 50 Euro. Im Ergebnis sind das 7,5 Prozent in der Tabelle auf knapp drei Jahre. Das ist ein starkes Signal an die Beschäftigten des Landes Berlin und auch ein Signal dafür, dass wir die Rolle als verantwortungsvoller Arbeitgeber ernst nehmen.

Deswegen ist aber noch eine weitere Maßnahme, über die wenig geredet worden ist, in den Tarifvertrag eingebaut: Die Einstiegsgehälter steigen in den nächsten drei Jahren zusätzlich um noch mal 11 Prozent. Gerade bei den Einstiegsgehältern ist vielfach gesagt worden, dass die Konkurrenzfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu verbessern ist, und es findet jetzt auch statt.

In den Verhandlungen konnten viele strukturelle Verbesserungen erzielt werden. So zahlt Berlin im Sozial- und Erziehungsdienst künftig vergleichbar mit dem TVöDTarif z. B. in den umliegenden Kommunen in Brandenburg. Das ist der Leuchtturm des Tarifabschlusses insgesamt, das ist der Kompromiss, der beim Sozial- und Erziehungsdienst erreicht werden konnte. 40 Prozent von dem, was der ganze bundesweite Tarifabschluss in diesem Thema ausmacht, findet in Berlin statt. Berlin hat normalerweise sonst immer 5 Prozent Anteil an dem, was es an Bundesergebnis gibt.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Eine bessere Eingruppierung wird es für den Rettungsdienst und die IT geben. Im Pflegebereich wird deutlich mehr in den TdL-Krankenhäusern bezahlt und die Pflegezulage auf 120 Euro erhöht. Wichtig ist, dass es nicht nur um Prozente geht, sondern auch um Sockelbeiträge. Und jeder, der mich als Person kennt, weiß, dass es mir immer ein besonderes Anliegen ist, dass es wichtig ist, dass bei den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen etwas passiert. Und dadurch, dass eben keiner mit weniger als 240 Euro pro Monat aus den Tarifabschlüssen für die 33 Monate herausgeht, ist das auch gut gelungen.

Es ist ein finanzieller Kraftakt für Berlin. Es ist ein finanzieller Kraftakt für die anderen Bundesländer. Geld kann man nur einmal ausgeben. Dazu komme ich dann in meiner Schlussbemerkung. 15 Länder sind nicht nur Berlin allein, aber die TdL hat den Tarifabschluss mit klarer Mehrheit getragen, nämlich mit Mehrheit von über zwei Dritteln.

Die Übertragung des Tarifabschlusses für Beamtinnen und Beamte steht an. Wir werden dazu einen Vorschlag wahrscheinlich im Mai machen, weil nämlich bis Mitte/Ende April die Erklärungsfrist der Gewerkschaften

zum Tarifabschluss ist. Wir werden dazu einen Vorschlag im Senat unterbreiten, und wir werden dabei dem folgen, was der Senat schon beschlossen hat, dass es eben obendrauf auf die Vereinbarung der Tarifverträge 1,1 Prozent geben soll und dass die Beamten die Erhöhung erhalten zum 1. April in 2019, zum 1. Februar in 2020 und zum 1. Januar in 2021. Das wird dazu führen, dass von der Dimension her zu dem, was wir bei den Angestellten haben, bei den Beamten, noch mal das und auch etwas mehr dazukommt.

Und es wird noch eine zweite Anpassung geben, nämlich dass das für den Sozial- und den Erziehungsdienst insbesondere übertragen werden muss, auch für die freien Träger. Auch das wird noch einmal einen wesentlichen Kostenblock für das Land Berlin bedeuten, weil wir, wir Sie alle wissen, gerade dort im sozialen Erziehungsdienst viel mit freien Trägern zusammenarbeiten.

Deswegen rechnen wir tatsächlich damit, dass wir, wenn wir diese beiden Übertragungsschritte mitmachen, einen Kostenblock bis Ende 2021 in der Dimension von 2,3 Milliarden Euro haben, die das Land zusätzlich aufwenden wird. Dazu will ich aber noch einmal sagen, wie in einer Presseerklärung meines Hauses steht, dass man manchmal meint, dass das Aufwenden von Geld für Personal eine gute Investition in die Zukunft des Landes ist. Dann nehmen Sie das doch bitte nicht für krumm. Verkehrt ist es nicht.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir haben dieses Tarifabschluss nicht gemacht, weil es Gruppen sind, in denen viele Frauen sind, aber es ist gut, dass es Gruppen sind, in denen viele Frauen sind.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es deutschlandweit über 70 Prozent Frauenanteil, in der Hauptstadtregion sind es über 80 Prozent. Bei den Pflegekräften liegt der Frauenanteil deutschlandweit bei 80 Prozent, in der Hauptstadtregion liegt er bei 77 Prozent. Dadurch werden Berufsfelder aufgewertet, in denen viele Frauen arbeiten. Das ist etwas Gutes.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das ist nichts Schlechtes. Insgesamt ist damit eine strukturelle Weichenstellung für die wachsende Stadt gegangen worden. Es ist gelungen, auch wenn ich sicherlich nach den Verhandlungen ein paar graue Haare mehr haben – und Sie hören, die Stimme ist noch immer nicht voll da –, dass es die Anstrengung wert gewesen ist. Es war ein guter Tag für die Beschäftigten in Berlin. Es ist ein gutes Ergebnis für die Bevölkerung und auch ein gutes Ergebnis für die Politik in Berlin. – Danke!

(Senator Dr. Matthias Kollatz)

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden. Die Fragen müssen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen; sie dürfen nicht in Unterfragen gegliedert sein, sonst müssen sie zurückgewiesen werden.

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu, eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Für die erste Frage rufe ich ein Mitglied der Fraktion der SPD auf und bitte, an das Redepult zu treten – Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. – Herr Kollege Schopf, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich frage den Senat: Stimmt der Senat der Einschätzung zu, dass die vom Bundesverkehrsministerium geplante Zulassung von E-Scootern auf Gehwegen eine nicht hinzunehmende Gefährdung von Fußgängerinnen und Fußgängern darstellt?

Vielen Dank! – Es antwortet für den Senat Frau Senatorin Günther. – Bitte schön!.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Vielen Dank! Am 26. Februar hat das Verkehrsministerium seinen Referentenentwurf vorgelegt. Darin ist in der Tat festgelegt, wie die Benutzung der einzelnen Arten, Fußweg, Fahrradweg, Fahrbahn, erfolgen soll. Es wurde darin jetzt vorgeschlagen, dass bei Elektrokleinstfahrzeugen bis zu 12 Kilometer je Stunde Geschwindigkeit in der Innenstadt der Gehweg zur Verfügung gestellt werden soll. Wenn der nicht zur Verfügung steht, sollen diese Kleinstfahrzeuge auf den Radweg

und dann eben auf die Fahrbahn, wenn der nicht zur Verfügung steht.

Wir sehen das sehr kritisch. Wir werten jetzt diesen gesamten Referentenentwurf aus. Wir haben zugesagt, bis zum Ausschuss Umwelt und Verkehr kommende Woche eine gesamthafte Bewertung vorgenommen zu haben, aber, wie Sie wissen, sind wir gerade dabei, auch für die Fußgängerinnen und Fußgänger besondere Regelungen zu treffen, damit deren Schutz besser gewährleistet ist. Ich persönlich sehe jetzt diese Anordnung, Elektrokleinstfahrzeuge ausgerechnet auf den Gehweg zu bringen, auch höchst kritisch, weil ich glaube, dass es diesem Ansinnen, den Gehweg als besonders sichere Zone für die schwächsten Verkehrsteilnehmer zu reservieren, entgegenläuft.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Herr Schopf! Sie wünschen eine Nachfrage zu stellen? Dann bekommen Sie das Wort.

Frau Senatorin! Welche Maßnahmen wird der Senat bei der kommenden Beratung im Bundesrat ergreifen, um die Einführung von E-Scootern auf Gehwegen im Land Berlin auszuschließen?

Bitte schön, Frau Senatorin!

Ich habe gesagt, dass wir uns das gesamthaft anschauen, wenn wir die Auswertung vorliegen haben. Es sind dort auch die Maßnahmen aufgeführt, die wir ergreifen wollen, die wir dem Senat vorschlagen, was wir machen sollen, um so etwas auszuschließen oder gegebenenfalls andere Arten zu nutzen.

Die zweite Nachfrage geht an den Kollegen Buchholz von der SPD-Fraktion. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Sie hatten angesprochen, dass auch im Rahmen des Mobilitätsgesetzes jetzt der Schutz und der Vorrang für Zufußgehende ein Stück weit ausgebaut werden soll. Können Sie uns da die wesentlichen Leitlinien, die Sie vorhaben, kurz nennen?

Bitte schön, Frau Senatorin!

Im Moment geht es natürlich darum, den Fußverkehr sicherer und attraktiver zu machen, dass wir das systematischer einbauen, dass wir – beispielhaft ist eingebaut, dass die Grünphasen für Fußgänger verlängert werden – insgesamt für Fußgängerinnen und Fußgänger ein sichereres Umfeld schaffen. Ich würde darum bitten, dass wir noch einmal abwarten, bis wir den vorlegen, weil wir noch in Beratungen sind. Das wird jetzt in Kürze vorgelegt. Dann können wir das auch insgesamt diskutieren. Ansonsten wird das zu stark von Einzelaspekten geprägt. Es ist sinnvoll, sich das Gesamtwerk anzuschauen.

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dregger das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat: Warum eröffnen Sie zunächst einen Abschiebegewahrsam und lassen ihn dann leerstehen? Warum nutzen Sie den gerade erst in Betrieb genommenen und jetzt schon wieder leerstehenden Abschiebegewahrsam nicht zur Durchsetzung der Ausreisepflicht gegen verurteilte Verbrecher, deren Abschiebung ansteht, wie in den Fällen damals des Tiergarten-Mörders oder des Späti-Mörders, die nach Verbüßung ihrer Strafhaft wegen anderer Verbrechen auf freien Fuß gesetzt worden sind und gemordet haben, anstatt in Abschiebehaft genommen zu werden?

Herr Senator Geisel! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Dregger! Ich darf zunächst vorausschicken, dass die Meldung, dass der Abschiebegewahrsam für Gefährder am Kirchhainer Damm geschlossen wäre, eine Falschmeldung ist. Selbstverständlich wird er nicht geschlossen. Er ist gerade eröffnet worden, um dort Abschiebungen von Gefährdern, von Straftätern möglich zu machen.