Wenn Sie sich die Stellungnahme vom Silbernetz e. V. wirklich so herzlich-innig in Erinnerung rufen, werden Sie unter Punkt 5.1 den Wunsch lesen, dass in Berlin ein Parlamentarischer Staatssekretär sich der Aufgabe Einsamkeit annehmen soll, also es wird sogar ein Parlamentarischer Staatssekretär gewünscht, gefordert. Ich bin sogar mit meiner Fraktion demütiger vorgegangen und habe sagt, wir können ja klein anfangen, in dem wir erst mal einen Beauftragten benennen.
Das zum einen – zum anderen: In Berlin gibt es 30 000 Menschen 80 plus. Wie wollen Sie diese Menschen erreichen, die nicht die vorhandenen Angebote annehmen? Durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, durch Herrn Staatssekretär Matz wurde uns verdeutlicht, dass sie eine Datenlage nicht kennen. Also Berlin hat keine Datenlage, macht aber Angebote und weiß nicht, wo die Angebote überhaupt landen. Darüber hinaus stülpen Sie den freien Trägern noch mehr Aufgaben über, ohne ihnen Rahmenbedingungen zu stellen.
Ich komme noch mal auf die über 85-Jährigen zurück. Denen sagen Sie: Sie können einfach weiterhin zu Hause bleiben. Irgendwann entdecken wir sie. Sie werden sicherlich unter den 300 unentdeckten Toten auch irgendwann entdeckt.
Das ist sehr schmerzlich, wie ich es formuliere, aber anders kann ich es nicht verstehen. Es geht hier darum, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir diese Menschen erreichen. Die vorhandenen Strukturen reichen nicht aus. Was wir an Angeboten haben, ist unzureichend.
Diese Menschen sind einsam und alleine. Vor zwei Jahren machte es eine Schlagzeile, als ein älterer Herr in einem Einkaufszentrum an die Pinnwand eine Nachricht mit dem Hinweis steckte: Ich bin alleine. Wer lädt mich zum Weihnachtsessen ein? – Bitte vergessen Sie das nicht, über diese Menschen reden wir! Wir reden über 3,5 Millionen einsame Menschen im Bundesgebiet und über jeden Zehnten in Berlin. Darüber hinaus schauen Sie ins Wortprotokoll vom 19. August auf Seite 11. Da waren Sie diejenige, die gesagt hat: Guter Antrag! Wir machen die Anhörung. – Und ich zitiere: Dann wollen wir mal gemeinsam darüber nachdenken und diese Anhörung und den Antrag weiterentwickeln. – Das sind Ihre Worte.
Dass diesem Weiterentwickeln eine hinterhältige Veranstaltung folgte, hätte ich mir nicht mal im Traum vorstellen können, mit dem Ergebnis, dass alles abgelehnt wird. Einsamkeit, was ist das?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Emine Demirbüken-Wegner! Ein Wort in Ihrer Rede ist wirklich sehr dreist, das Wort Hinterhältigkeit. Mit Hinterhältigkeit kennt sich ja die CDU sehr gut aus. Das haben wir hier in der letzten Plenarsitzung erleben dürfen.
Ich bitte Sie, mal zu schauen, was Ihre Fraktion, möglicherweise auch Sie persönlich gemacht haben. Deswegen ist das schon eine Dreistigkeit.
Aus Ihrer Rede wird mir eher deutlich: Warum haben Sie nicht eine Veranstaltung gemacht? Das stand Ihnen alles frei. Wir haben eine Veranstaltung gemacht, um mit noch mehr Experten zu reden. Keiner von ihnen hat so einen Beauftragten gewollt.
Im Übrigen war ich, Frau Demirbüken-Wegner, selbst mit Frau Schilling vom Silbernetz im Gespräch. Mein Fraktionsvorsitzender und ich waren vor Ort.
Wir haben mit ihr persönlich gesprochen. Ich habe auch über diesen Antrag mit ihr persönlich gesprochen. In meinem Beisein hat sie das nicht unterstützt – nur so als Anmerkung.
Mit Ihrer Anmerkung haben Sie noch eines deutlich gemacht: Sie verachten die Arbeit der ehrenamtlich Engagierten in den sozialen Einrichtungen, bei den Nachbarschaftszentren usw.
Das ist wirklich dreist. Was für eine Haltung ist das, bitte schön? Das ist schon sehr peinlich, das Ihren Worten zu entnehmen, denn sie waren selbst Gesundheitsstaatssekretärin in der letzten Legislaturperiode. Da hätten Sie Präventionsmaßnahmen machen können. Ihr Senator Czaja war für Gesundheit und Soziales zuständig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An meine beiden Vorrednerrinnen doch einfach mal die Empfehlung, sich zusammen auf ein Bier zu treffen oder einen Kaffee trinken zu gehen. Aber hier sind wir zusammengekommen, um über den Einsamkeitsbeauftragten zu sprechen. Nach Vorgabe der SPD im Bundestag will jetzt auch die CDU auf Landesebene einen Einsamkeitsbeauftragten finanzieren. Dazu sollen Projektmittel von bis zu 100 000 Euro jährlich für Personal und Sachmittel freigesetzt werden.
In der heutigen Debatte, die sich gezielt und ganz bewusst an dem emotionalen Aspekt der Einsamkeit festmacht, verstellt sich der Blick auf Ursachen und strukturelle Gründe heutiger Vereinzelung. In vielen Fällen sind Einsamkeitsschäden die klaren Folgen politischer Entscheidungen auf allen Ebenen:
die Aushöhlung familiären Zusammenhalts mit Infragestellung der eigenen Identität, die Verelendung von sozialer Struktur in Innenstädten oder die Deregulierung des Arbeitsmarktes. Im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf
müssen wir uns selbst bedingungslose Flexibilität bei der Karriereplanung verordnen. Wir streben eine unablässige Optimierung eines stets neu zu erfinden Selbst an, mit sexuellen Orientierungen nach Tageslaune und auf Abruf. Man baut kein soziales Netz vor Ort mehr auf, wenn man ohnehin nicht weiß, ob man in zwei oder in vier Jahren noch dort leben wird und mit wem.
Wer also beklagt, dass so viele Menschen heute allein wohnen – was nicht notwendigerweise Einsamkeit bedeutet –, der könnte sich doch auch über Mietpreise und Wohnungsbau unterhalten, über Stadtplanung und öffentliche Begegnungsräume, die nicht für uns zu Einkaufszentren umgebaut wurden, wo Menschen nur noch als austauschbare Konsumenten existieren. Wer die Beziehungslosigkeit und die Kontaktarmut älterer Menschen anspricht, könnte über den Zustand der Pflege reden, über Betreuungsschlüssel, über Bezahlung von sogenannten Careworkern und die Auswirkung ihrer gewinnorientierten Privatisierung.
Zur Vernetzung unterschiedlicher Initiativen ist ein Einsamkeitsbeauftragter auf Senatsebene gar nicht notwendig. Es wird in Berlin nicht einmal versucht, mit allen ehrenamtlichen Kräften zu arbeiten, die sich im Kiez auskennen – Beispiel: Steffen Michael Witt. Im „Tagesspiegel“ wurde berichtet, dass der seinerzeit 71-jährige Ehrenamtler über 15 Jahre lang im Wilmersdorfer Kiez betagte Senioren anlässlich runder Geburtstage oder Ehejubiläen besuchte und die Glückwünsche des Bürgermeisters überbrachte. Als bekannt wurde, dass er der AfD beigetreten war, sorgte die rot-rot-grüne Mehrheit im Charlottenburger Rathaus für seine Abwahl aus dem Sozialausschuss.
Wenn derartiges kleines Karo ehrenamtliche Arbeit in den Bezirken torpediert, dann hilft auch kein Einsamkeitsbeauftragter auf Senatsebene.
Das Geld gehört dementsprechend nicht in eine Planstelle, sondern direkt in die paritätischen Wohlfahrtsverbände. Es gehört direkt in die vielen bürgerlichen Ehrenamtsinitiativen. Es gehört direkt in die Beratungsstellen im Kampf gegen Drogen- und Alkoholmissbrauch bei alten und bei jungen Menschen. Einsamkeit ist kein generationsspezifisches Problem. All das bedeutet absolut nicht, dass es nicht etliche Menschen gibt, die wahrhaftig unter ihrer Einsamkeit leiden. Man muss darüber reden, statt teure Gefühlspolitik zu betreiben, die sich als Fürsorge tarnt.
Unterstützen Sie massiv die bestehenden Initiativen in den Bezirken und auf Landesebene und bauen Sie keine
unnötige Parallelstruktur auf, die das Odium einer Personalbeschaffung nicht loswerden wird! Sonst werden Sie sich sagen lassen müssen, liebe Kollegen der amorphen Omnibuspartei der Mitte, dass Sie vorsorglich der Mohring- und Senftleben-Einsamkeit Rechnung tragen wollen, die auch hier in Berlin auf Sie warten wird! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – die AfD lehnt diesen Antrag ab!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Einsamkeit ist ein real bestehendes Problem in der heutigen Gesellschaft. Ein Beauftragter für Einsamkeit wird dieses Problem nicht lösen – warum? –, weil Einsamkeit ein vielschichtiger Begriff ist mit ungefähr genauso vielfältigen Ursachen: Individualisierung, die Forderung nach beruflicher Flexibilität und soziale Isolation durch Hartz IV befördern das Leben allein. Wenn dies als politisches Problem begriffen wird, müssen auch die entsprechenden Ursachen benannt und angegangen werden.