Protokoll der Sitzung vom 14.11.2019

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 14:

Städteagenda der EU weiter ausbauen

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien vom 30. Oktober 2019 Drucksache 18/2284

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP Drucksache 18/2179

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Grüne und hier die Kollegin Dr. Kahlefeld. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weltweit leben 55 Prozent der Menschen in Städten, in Europa sind es 75 Prozent. Überall auf der Welt ziehen Menschen in Städte und wenn wir uns fragen, wie wir leben möchten, müssen wir uns über das Leben in Städten Gedanken machen und als Städte zusammenarbeiten. Eine enge Zusammenarbeit von Städten und/oder urbanen Zentren ist zukunftsweisend, weil diese Städte global und natürlich auch in Europa mit vergleichbaren Problemen konfrontiert sind. Sie entwickeln ver

gleichbare Lösungen, über die ein enger Austausch alle Seiten weiterbringt – sei es die Reduzierung des Individualverkehrs, Erhalt und Neugestaltung von Grün in den Städten, die Aufnahme von Geflüchteten oder die Entwicklung der lokalen Wirtschaft.

Zu den zuletzt genannten beiden Punkten gibt es im Rahmen der EU-Städteagenda Partnerschaften, an denen sich Berlin beteiligt.

Die Städteagenda der Europäischen Union gibt es seit 2016. Sie wurde vom Europäischen Rat ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsstaaten, Städten, der Kommission und anderen Akteurinnen und Akteuren zur Entwicklung urbaner Räume zu stärken. Städte sind dynamische und kreative Orte, zivilgesellschaftliche, also Bottom-up, und Bürgerinitiativen entwickeln Lösungen für unsere gemeinsamen Probleme.

Mit dem vorliegenden Antrag intensivieren wir die Mitarbeit Berlins in der Partnerschaft und machen die europäische Ebene in der Berliner Politik sichtbarer. Es soll zukünftig regelmäßig Berichte in den Ausschüssen über die Ergebnisse geben, die in den beiden Partnerschaften erreicht werden: Aufnahme von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten sowie Unterstützung der lokalen Ökonomie.

Berlin hat im Flüchtlingssommer 2015 viele Projekte und Strukturen entwickelt, die im Austausch eingebracht werden können und Vorbildcharakter haben. Ich habe zum Beispiel im Zusammenhang mit der Diskussion unseres Antrags von einem Projekt erfahren, das im Rahmen der Kooperation zur lokalen Wirtschaft und Beschäftigung als Teil der Städteagenda unter Federführung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales entstanden ist. Es heißt „Digital Skills Map“ – ein digitales Verzeichnis, in dem 32 Projekte aus Helsinki, Berlin und Bilbao vorgestellt und vernetzt werden. Dieses Netzwerk dient dazu, digitale Arbeit gut und fair zu gestalten und lebensbegleitendes Lernen zu unterstützen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich freue mich, wenn wir zukünftig regelmäßig darüber informiert werden, welche Projekte und Maßnahmen in Berlin im Austausch mit europäischen Städten entwickelt werden.

Wir fordern mit dem Antrag den Senat auf, dass unter der deutschen Ratspräsidentschaft die Städteagenda in das Arbeitsprogramm aufgenommen wird. Auch eine Verlängerung der dreijährigen Partnerschaften regen wir mit dem Antrag an. Die Stärkung der EU-Städteagenda ist eine Stärkung der europäischen Zusammenarbeit. Umso mehr freue ich mich, dass wir dazu einen parteiübergreifenden Antrag formulieren konnten.

(Emine Demirbüken-Wegner)

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Heiko Melzer (CDU) und Bernd Schlömer (FDP)]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Jupe das Wort.

Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ausgangspunkt für diese hier heute vorliegende Resolution war eine umfangreiche Schriftliche Anfrage meines Kollegen Evers. Wir haben dann aufgrund der Antwort, die uns der Senat gegeben hat, an einer Resolution zur Vorlage in diesem Gremium gearbeitet, haben dafür, ich glaube, der SPD-Fraktion, Herr Kollege, vor über einem Jahr einen Resolutionsentwurf überreicht. Ein bisschen abgeändert liegt er jetzt vor; wir akzeptieren das so. – Das muss jedenfalls einmal gesagt werden: Wir freuen uns, dass wir heute über diese Resolution zur Städteagenda miteinander reden können und dass das hier beschlossen werden kann.

Ich möchte ein paar Dinge dazu sagen, insbesondere zunächst zu den Damen und den Herren hier auf der rechten Seite: Ich habe noch einmal nachgelesen, aber selbst in unserer Verfassung steht ja, dass Deutschland an der Vereinigung Europas mitarbeitet. In Artikel 23 des Grundgesetzes – ich habe es selbst nicht so im Kopf – steht ausdrücklich „zur Verwirklichung eines vereinten Europas“. Von Ihrer Seite sind in gar keiner Weise irgendwelche Vorschläge oder Alternativen aufgezeigt worden, wie man sich diesem Verfassungsauftrag stellen kann.

[Zuruf von der AfD: Verfassungsauftrag?]

Ich bin der Meinung, dass dieser Verfassungsauftrag erfüllt werden muss, und dazu gehört eben auch – meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen, was die Bedeutung der Städte angeht –, für eine Kooperation in Form von Arbeitsgemeinschaften oder wie immer zwischen den Städten und Kommunen zu sorgen.

[Beifall bei der CDU]

Das ergibt sich einmal als Verfassungsauftrag, und wenn man sagt, es ist ein solcher Auftrag, dann kann der sich natürlich nicht nur darauf beziehen, dass die Regierungen der beteiligten Staaten Botschafter austauschen und miteinander in Kontakt kommen; das wäre zu wenig. Man muss sich eben halt auch auf die innere Situation konzentrieren, und das steht in dieser Resolution: Wir wollen uns dafür einsetzen, dass miteinander in verschiedenen Formen kooperiert wird, und zwar nicht nur in den Städten, sondern auch in den Regionen. – Ich denke, das ist

im Sinne von Europa, und komme wieder darauf zurück, was in unserem Grundgesetz, Artikel 23, enthalten ist.

Ich erlaube mir aber in diesem Zusammenhang, vielleicht auch an den Deutschen Städtetag zu erinnern, der bereits Anfang 2019 für ein bürgernahes Europa plädiert hat und ausdrücklich zur Unterstützung – lesen Sie es nach! – der europäischen Idee aufrief. Anlässlich des Deutschen Städtetags wurde Anfang 2019 formuliert, dass eine erfolgreiche Städteagenda gerade aus Sicht der Städte und Regionen als Plattform für innovative Lösungsansätze gestärkt werden sollte, und er forderte weiterhin echte Partizipation. – Insofern sind wir auf derselben Ebene mit dem Deutschen Städtetag.

Vielleicht noch kurz zur Historie: Die Kommunen insgesamt sind in Form einer Arbeitsgemeinschaft, in Form einer Partizipation seit Maastricht 1992 beteiligt. Damals wurde auch der Ausschuss der Regionen gegründet.

Lassen Sie mich schließen – die Redezeit ist abgelaufen, wie ich sehe – mit einem Zitat unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, die gesagt hat:

Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen!

Das tun wir hiermit mit dieser Resolution. – Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Zimmermann jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn der Kollege Jupe die Urheberschaft für diesen Antrag nicht so ganz richtig wiedergegeben hat – ich würde sagen, Herr Kollege, wir haben das gemeinsam entwickelt –, so bin ich doch sehr froh, dass wir hier einen breiten Konsens in dieser Frage in diesem Haus haben. Es zeigt sich, dass diese fünf Fraktionen, die das hier eingebracht haben, die europafreundlichen Fraktionen sind, die den Verfassungsauftrag ernst nehmen, und das ist eine klare Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen kann.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Bernd Schlömer (FDP)]

Im Mai 2016 – Frau Dr. Kahlefeld hat darauf hingewiesen – haben die europäischen Mitgliedsstaaten die europäische Städteagenda in Amsterdam begründet, und Ziel ist im Wesentlichen die Verbesserung der Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen: zwischen den Städten, zwischen Mitgliedstaaten und den Städten, mit der EUKommission, mit NGOs usw. Es soll vor allen Dingen darum gehen, den Austausch von Wissen zu verbessern,

die Gesetzgebung zu verbessern und auch einen optimalen Zugang zu Finanz- und Förderprogrammen zu bekommen.

Mit unserem Antrag wollen wir diese Ziele unterstützen, obwohl wir wissen, dass der Senat von sich aus schon aktiv ist und daran arbeitet und sich intensiv an Programmen der europäischen Städteagenda beteiligt. Wir haben es praktisch in unseren Genen, dass wir über den Tellerrand hinausgucken, wahrnehmen, was die anderen Großstädte und Ballungsräume so machen, dass wir uns international vernetzen und kooperieren, um die besten Lösungen auch für uns zu finden. Deshalb ist Berlin seit Langem engagiert im Eurocities Netzwerk, im Konzert der Hauptstädte mit seinen Städtepartnerschaften und eben auch im Rahmen der europäischen Städteagenda.

Es ist sehr hilfreich für Berlin, bei den zentralen Zukunftsthemen wie Klimawandel, Integration oder Mobilität auf Erfahrungen anderer Städte zurückgreifen zu können, von anderen zu lernen, wo es Sinn macht, und sodann maßgeschneiderte Lösungen für unsere Stadt zu finden. Wir haben dazu drei Partnerschaften insgesamt: die Amsterdam-Partnerships, 2016 gegründet, für Luftqualität, bezahlbaren Wohnraum und Integration von Migranten. Wir haben die Bratislava-Partnerships seit 2016 für Kreislaufwirtschaft, digitalen Übergang und urbane Mobilität, und wir haben die Malta-Partnerships, 2017 begründet, für die Energiewende, für Anpassung an den Klimawandel und naturnahe Lösungen für die Raumnutzung. Berlin – das will ich nur kurz hervorheben – ist Mitglied in drei dieser Partnerschaften, nämlich lokale Wirtschaft und Beschäftigung, Integration von Zuwanderinnen und Zuwandern und Kultur.

Weil keine Zeit für einzelne Beispiele bleibt, will ich nur zusammenfassend sagen, dass wir das auch schon umsetzen. Kollegin Kahlefeld hat auf ein Beispiel hingewiesen. Berlin ist in mehreren Bereichen aktiv an der Umsetzung dieser Partnerschaften beteiligt, und das ist sehr zu begrüßen.

Wir wollen mit diesem Antrag erreichen, dass diese Partnerschaften über die ursprünglich veranschlagte Dauer von drei Jahren verlängert werden können, dass sie ins Arbeitsprogramm aufgenommen werden und wir dadurch einen europäischen Wissensaustausch für eine nachhaltige Stadtentwicklung und für Berlin verstetigen können. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Bronson das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Kaderparteien gemeinsam einen Antrag einreichen, dann sollte man genau hinschauen. Und es hat sich gelohnt. Der sogenannte Pakt von Amsterdam als Kernstück dieses Antrags hat ohnehin Präferenz für die Arbeitsprogramme der EU-Kommission. Sie wirbt seit März 2017 für die EU-Städteagenda. Doch kommt die Agenda nicht einmal als Begriff im Berliner Haushaltsplan 2020/2021 vor.

Schauen wir, was fehlt. Richtig ist, dass die Städte der EU im Mittelpunkt der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Herausforderungen stehen. Was aber ist mit dem ländlichen Raum? – Wir können uns mit Themen wie Klima, Mobilität und Kreislaufwirtschaft im urbanen Umfeld beschäftigen. Mehr als zwei Drittel der EUBevölkerung lebt in Städten. Dort werden bis zu 85 Prozent des BIP der EU erwirtschaftet und rund 60 bis 80 Prozent der Energie verbraucht. Dort entstehen aber auch die Probleme der zunehmenden Urbanisierung. Nichts wird im Antrag zur Steigerung des BIP gesagt. Im Antrag steht auch nichts zu Smart Citys und nichts zur Einbindung des ländlichen Raums. Das sind immerhin 75 Prozent des EU-Territoriums und knapp ein Drittel der Unionsbürger, die eben nicht in Städten leben. Es steht dort auch kein Wort zum Brexit, der das fragile Equilibrium der EU mit seinen zahllosen Agenden in eine tiefe Krise stürzen wird. Stattdessen wird im Antrag gefordert, Berlin möge seine auf EU-Ebene vorhandenen Kooperationen in Sachen Integration von Migranten und Flüchtlingen – Zitatende – und lokale Wirtschaft und Beschäftigung ausbauen. Das sind also die vorrangigen Probleme, mit denen unsere Aufmerksamkeit gebunden werden soll.

Dieser Antrag geht an den Realitäten der EU komplett vorbei. Anstatt eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, wie die Herausforderung einer verkleinerten EU mit weniger Städten aussehen wird, wie sich die Herausforderungen gestalten werden – insbesondere der ländliche Raum darf nicht von der Digitalisierung einer EU-27 ausgeschlossen werden –, wird ein Schaufensterantrag gestellt, der weder etwas Neues sagt noch eine Initiativlücke schließt. Und das sind doch allein Gründe, um hier einen Antrag vorzubringen. Es gibt überhaupt keinen Grund, diesem Antrag zuzustimmen.

Ich möchte noch eine Bemerkung zum Kollegen Jupe machen. Selbstverständlich steht die AfD auf unserer Verfassung, und sie ist daran orientiert – was denken Sie denn? Wir setzen aus eigener Verantwortung nicht nur vehement die Wiederherstellung des Rechtsstaats durch.

[Zuruf von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Wir setzen uns dafür ein, wir wollen das versuchen, und das ist etwas, was Ihrer Partei leider verloren gegangen ist, Herr Jupe.

(Frank Zimmermann)

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir lehnen den Antrag ab. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!