Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

[Beifall von Holger Krestel (FDP)]

Wenn Sie sagen, es gebe keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten, möchte ich auf die Fragestunde vorhin

zurückkommen. Uns ist erklärt worden – das kann jeder in den Wortprotokollen des Innenausschusses nachle- sen –, dass die Observation Amris am 15. Juni 2016 endete, und zwar, weil man keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass er Kontakt zu Islamisten hat. Wir haben vorhin deutlich gemacht, dass wieder einmal durch Recherchen – auch von Journalisten – bekannt wurde, dass er sich sechs Tage vorher, vor der Fussilet-Moschee, ausgiebig mit bekannten Islamisten unterhalten hat. Insofern wollen Sie doch nicht wirklich behaupten, es gebe keine Anzeichen für ein Fehlverhalten, das wir untersuchen müssen? Es gibt sehr viele davon. Um die andere Frage aufzunehmen: Was hätte man tun können, um das zu verhindern? Wir hören im Untersuchungsausschuss in NordrheinWestfalen, dass beantragt und aus NRW angeregt worden ist, dass Berlin eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlässt. Das sollte im Sommer letzten Jahres geschehen. Passiert ist nichts. Auch da liegt ein Fehlverhalten nahe, und es ist unsere Aufgabe, das aufzuklären. Das schulden wir den Menschen.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir das als Parlament in einem Untersuchungsausschuss klären müssen. – Vielen Dank!

Zur Erwiderung hat der Kollege Zimmermann das Wort.

[Heiterkeit bei der FDP]

Sie scheinen Spaß zu haben auf der rechten Seite.

[Zuruf von der FDP: Ist nicht so langweilig wie bei Ihnen!]

Herr Kollege Luthe! Ich habe nicht gesagt, dass es keinen Anhaltspunkt für jegliches Fehlverhalten gäbe, sondern ich habe gesagt, es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Fehleinschätzung, die wir heute im Nachhinein kennen, damals den Polizeibeamtinnen und -beamten vorwerfbar ist, die die Observation und Überwachungsmaßnahmen durchgeführt haben. Das ist ein kleiner, feiner Unterschied. Den sollten Sie aber durchaus erkennen, Herr Luthe, wenn man das hier so behauptet.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zweitens: Wenn Sie behaupten, dass Parlamentarismus nur dann gegeben sei, wenn man Ihrem Antrag auf einen Untersuchungsausschuss folgt, dann ist es eine sehr verengte Sicht, ein Tunnelblick würde ich sagen. Es gibt die Pflicht, dass wir im Interesse der Öffentlichkeit, der Allgemeinheit das richtige und adäquate Instrument einsetzen und nicht alles Mögliche, was einem gerade einfällt. Ich gebe zu, dass man über den Untersuchungsausschuss

sehr wohl nachdenken kann. Wir haben es getan, und wir haben es sehr sorgfältig getan. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Sonderermittler hier das geeignete Instrument ist. Das ist eine zulässige, dem Parlamentarismus adäquate Abwägung, die wir vorgenommen haben, und das werden Sie nicht bestreiten, Herr Luthe. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Dregger das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unbestreitbar haben wir als Parlament die Verantwortung, die Entstehungsgeschichte des schrecklichen Anschlages am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 aufzuklären, nicht nur die Entstehungsgeschichte, sondern seinen Ablauf, und insbesondere zu untersuchen, ob und gegebenenfalls wo und durch wen Fehler begangen worden sind.

Wie sind wir dieser Verantwortung bisher gerecht geworden? – Wir haben uns in den dreieinhalb Monaten, seit dem Anschlag am 19. Dezember 2016, in den zuständigen Fachausschüssen sehr intensiv, zielgerichtet und ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt. Das gilt für den Verfassungsschutzausschuss, den Rechtsausschuss und insbesondere den Innenausschuss. Seit dem 23. Dezember 2016, vier Tage nach dem Anschlag, beschäftigen wir uns als Parlament mit diesen Fragen. Das hat uns befähigt, heute, nach dreieinhalb Monaten, die Entscheidung zu fällen, wie es weiterzugehen hat.

Wir können vielleicht einmal kurz resümieren: Was sind denn unsere bisherigen Erkenntnisse zum Ablauf und zur Vorgeschichte dieses schrecklichen Terroranschlags? – Es gibt eine Vorgeschichte in Italien. Da wurde der Attentäter vom Breitscheidplatz inhaftiert, aber die Informationen lagen den deutschen Behörden nicht vor. Daraus kann man Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Informationsfluss innerhalb Europas ziehen. Wir wissen, dass die Abschiebung des Attentäters, der ein Asylbetrüger war, misslungen ist, dass das für die Abschiebung zuständige Land Nordrhein-Westfalen von seinen Möglichkeiten nach § 58a Aufenthaltsgesetz keinen Gebrauch gemacht hat, und das wird dort untersucht.

Wir haben die Erkenntnis, dass die Einschätzung der zuständigen ermittelnden Beamten des Landeskriminalamtes im Hinblick auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters in die Richtung ging, dass man seine Gefährlichkeit unterschätzt hat. Das führte dazu, dass die Ob

(Marcel Luthe)

servation des Attentäters am 15. Juni 2016 und auch seine Telefonüberwachung am 21. September 2016 endeten. Diesen Umständen lagen Entscheidungen zugrunde, die auf der Bearbeiterebene im Landeskriminalamt gefällt worden sind. Wie und warum es zu diesen Entscheidungen gekommen ist, ist eine der entscheidenden Fragen, um zu verstehen, ob Fehler gemacht worden und wie sie zukünftig auszuschließen sind. Deswegen müssen wir uns die Frage stellen, wie wir, von heute an gesehen, im Interesse der umfassenden Aufklärung weiterarbeiten wollen.

Unser Interesse und unsere Verantwortung ist es, dass es zu einer umfassenden, präzisen und möglichst schnellen Aufklärung kommt, dass es zu einer Aufklärung kommt, die keine Rücksicht auf die Position und das Ansehen der Beteiligten nimmt, und da schließe ich die ehemaligen Senatoren ausdrücklich mit ein. Es kommt darauf an, dass die Aufklärung ohne die Gefahr einer billigen, politischen Instrumentalisierung auf dem Rücken der Opfer und ihren Angehörigen erfolgt.

Deswegen ist es gut, dass jetzt genau diesen Voraussetzungen entsprechend ein sehr angesehener Sonderermittler seine Arbeit aufnimmt. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich begrüße es auch deswegen, völlig reinen Gewissens, weil der ernannte Sonderermittler Bruno Jost einen untadeligen Ruf genießt, und zwar bei uns allen. Er ist ehemaliger Bundesanwalt mit bester Reputation. Er genießt den Ruf der Unbestechlichkeit und der Unabhängigkeit, und das hat er in dem sehr schwierigen Mykonos-Verfahren, das wir aus Berlin kennen, unter Beweis gestellt. Er hat sich gegen die versuchte Einflussnahme der damaligen Bundesregierung, die aus außenpolitischen Interessen versucht hat, Rücksichtnahme einfließen zu lassen, durchgesetzt und das Verfahren zu einer Verurteilung geführt, und zwar ohne Rücksicht auf außenpolitische oder sonstige Interessen.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krestel?

Nein, danke! – Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Sonderermittler in den vor uns vorliegenden Monaten die Gelegenheit hat, intensiv, schnell und effizient Aufklärung zu den entscheidenden Fragen, die ich kurz skizziert habe, zu leisten. Deswegen werden wir das unterstützen und dafür sorgen, dass das mit der ausreichenden Transparenz gegenüber diesem Parlament erfolgt, denn Sie haben recht, dass wir letztendlich die Verantwortung haben, diese Transparenz, diese Aufklärung zu sehen und zu kontrollieren.

Ich sage abschließend ganz deutlich: Sollte dieser Sonderermittler in seiner Arbeit behindert werden, sollte er keinen Zugang zu den Unterlagen erhalten, sollte er nicht

mit den verantwortlichen Personen, mit denen er sprechen möchte, sprechen können, werden wir als CDUFraktion einen Untersuchungsausschuss beantragen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Dr. Michael Efler (LINKE) und Anne Helm (LINKE)]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Schrader das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben alle die Pflicht aufzuklären, warum diese schreckliche Tat am Breitscheidplatz passieren konnte. Wir haben die Pflicht, gemeinsam eine Fehleranalyse zu betreiben und zu diskutieren, was man besser machen kann. Dafür kann ein Untersuchungsausschuss ein Mittel sein, aber es ist auch nicht das einzig mögliche Instrument. Es ist auch nicht zwangsläufig das beste Instrument zu jedem Zeitpunkt.

Die große Mehrheit dieses Hauses unterstützt die Einsetzung eines Sonderbeauftragten. Auch das ist ein möglicher Weg. Er hat den Vorteil einer schnellen und effektiven Aufklärungsarbeit. Herr Zimmermann hat das dargestellt. Aber eines möchte ich zu Anfang klarstellen: Die Einrichtung eines Sonderbeauftragten entbindet uns nicht von der Verantwortung, im Parlament auch selbst die Aufklärung voranzutreiben.

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Dazu gibt es parlamentarische Mittel wie das Fragerecht und das Recht auf Akteneinsicht, und diese Mittel sollten und werden wir auch nutzen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wenn wir uns dabei der Hilfe eines Sonderbeauftragten bedienen wollen, dann haben wir natürlich auch hohe Erwartungen an diesen Sonderbeauftragten und seine Arbeit. Er muss unabhängig und ohne Rücksicht auf politische Mehrheiten ermitteln, denn wie es nicht laufen soll, das haben wir nach dem NSU-Skandal erlebt. Da hat der damalige Innensenator Henkel einen Sonderermittler eingesetzt, der auch noch aus den eigenen Reihen kam, aus der eigenen Staatsanwaltschaft. Er hat uns am Ende erklärt: Alles ist super gelaufen. Eigentlich gab es keine großen Fehler in den Berliner Behörden, und es kann im Grunde so weitergehen wie bisher. – So geht es nicht!

Ich kann für meine Fraktion sagen: Wir erwarten, dass dieser Sonderermittler alles auf den Tisch bekommt, was er haben will, und dass er kritisch die Vorgänge in den

(Burkard Dregger)

Ermittlungsbehörden und die politische Verantwortung dafür aufarbeitet.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luthe?

Nein, ich möchte ohne Zwischenfragen reden. – Danke!

Wir werden die Arbeit des Sonderbeauftragten kritisch begleiten, und dann werden wir am Ende bewerten, ob wir weitere Untersuchungsinstrumente brauchen, denn auch wir haben Fragen und werden Antworten einfordern.

Uns interessiert nicht nur, warum die Observation von Anis Amri von der Polizei eingestellt wurde und warum man bei der Berliner Polizei zu dem Schluss kam, dass sie nicht mehr nötig sei. Es steht auch die Frage im Raum, warum es trotz der vielen Ermittlungsverfahren von verschiedenen Behörden in Deutschland nicht möglich war, Anis Amri auf irgendeine Weise aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist zum Beispiel bekannt geworden, dass Amri vom LKA Nordrhein-Westfalen als sogenannter Nachrichtenmittler geführt wurde. Das ist keine V-Person, aber durchaus jemand, der potenziell als Informationsquelle für die Ermittlungsbehörden dienen kann. Und auch mindestens eine V-Person des LKA Nordrhein-Westfalen war an Amri dran.

Wenn dann noch in der Presse berichtet wird, es hätte eine Absprache zwischen Berlin, NRW und dem Bund gegeben, keine offenen Maßnahmen wie Personenkontrollen an Amri durchzuführen, dann stellt sich schon die Frage: War das wichtigste Ziel die Abschöpfung von Informationen? Hat man deshalb mit Maßnahmen gegen Amri gewartet? Ging hier Informationsgewinnung vor Gefahrenabwehr, vor Strafverfolgung? Das wäre in der Tat das Modell NSU, wenn der Geheimschutz und die Abschöpfung von Quellen die Aufdeckung von Terrorplänen behindert. Wenn das auch im Fall Amri in diese Richtung geht, dann haben wir wirklich ein massives Problem.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Das sind Fragen neben vielen anderen, die der Sonderbeauftragte aus unserer Sicht bearbeiten muss.

Es ist auch schon angesprochen worden, dass der Bund hier am besten den Überblick behalten kann, aber Berlin kann durchaus einen Teil zur Aufklärung beitragen. Der Senat hat auch zugesichert, dass unsere Fragen, die wir im Ausschuss und hier stellen, in die Arbeit des Sonder

beauftragten einfließen. Das finde ich gut, und das erwarte ich auch, denn nur so, wenn wir alle mitmachen, kann der Sonderbeauftragte das leisten, was er soll, nämlich kritische Aufarbeitung. Also, lassen Sie Herrn Jost erst einmal arbeiten, und dann werten wir das gemeinsam aus. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat Herr Woldeit das Wort.