Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner letzten Rede zum Thema Untersuchungsausschuss sagte ich, wir sollten uns in der jetzigen Situation nicht die Frage stellen, ob wir einen Untersuchungsausschuss brauchen, sondern wann wir diesen endlich bilden. Kollege Luthe hat es gesagt, 108 Tage nach dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz debattieren wir heute. Wer im Innenausschuss die Beratung verfolgen konnte und dann von schneller Aufklärung hört, die dann mit einem Sonderermittler effektiv wäre, dann empfinde ich das als Farce.
Wer am Montag die Sitzung des Innenausschusses verfolgt hat, dem bot sich ein mitunter bizarres Bild. Rein argumentativ konnte man den Redebeiträgen aller Fraktionen den Wunsch nach Aufklärung entnehmen, nur ein Untersuchungsausschuss komme nicht infrage, obwohl er in der Argumentation eigentlich gefordert wurde.
Ich möchte nicht noch einmal den ganzen Ablauf des Terroranschlages sowie die nachfolgende Flucht thematisieren – das sollte allen Angehörigen des Hauses bekannt sein –, aber doch die eine oder andere Frage aufwerfen. Wie konnte es beispielsweise sein, dass das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bereits im März 2016 vor Amri warnte und dies vom zuständigen Innenministerium ignoriert wurde? In dem Vermerk heißt es: Demnach ist die Begehung von terroristischen Anschlägen durch Amri zu erwarten. – Noch mal zu der Person: 14 Identitäten, vierzehnmal wahrscheinlich Geld vom Amt, kriminell, zwischenzeitlich in Abschiebehaft. Solche Absurditäten tauchen dann nach und nach auf.
Es gibt überzeugende Gründe, die für einen Untersuchungsausschuss sprechen. Laut NRW-Untersuchungsausschuss haben 40 Behörden Fehleinschätzungen begangen. Hier sind Ross und Reiter zu nennen. Es ist lückenlos aufzuklären, wer wann wo und wie versagt hat. Es geht um 12 Tote und 67 zum Teil schwerverletzte Menschen! Das muss ich auch noch mal erwähnen; es
gerät schnell in Vergessenheit. Aus den Ermittlungsergebnissen des Untersuchungsausschusses können und müssen die entsprechenden Lehren gezogen werden. Jeder bei Amri gemachte und erkannte Fehler ist für die Arbeit der Sicherheitsbehörden in der Gegenwart und in Zukunft unverzichtbar. Hier erkannte Sicherheitslücken müssen geschlossen werden. Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal daran, dass es unsere Pflicht als Politiker ist, für Sicherheit zu sorgen.
Die Ermittlungen eines Untersuchungsausschusses finden weitgehend öffentlich statt. Hiermit wird ausgeschlossen, dass der Verdacht der Verschleierung und Mauschelei aufkommt. Es kann nicht sein, dass im Hinterzimmer des Innensenators ermittelt wird. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss kann Zeugen vorladen und vernehmen, während ein Sonderbeauftragter auf die Mitwirkung und Unterstützung von Beteiligten angewiesen ist. An dieser Stelle möchten wir dem vorgesehenen Sonderermittler, dem ehemaligen Bundesanwalt Bruno Jost, nicht die entsprechende Genauigkeit und Kompetenz absprechen – mit Sicherheit nicht. Aber die Tragweite der Geschehnisse vom 19. Dezember des vergangenen Jahres erfordert sowohl einen Sonderermittler als auch einen Untersuchungsausschuss. Das eine schließt das andere nicht aus.
Vielen Dank, Herr Kollege Woldeit! Sehen Sie es auch so, wie es vorhin z. B. von Herrn Dregger erklärt wurde, dass es ganz klar sei, dass für die Abschiebeanordnung nach § 58a Aufenthaltsgesetz Nordrhein-Westfalen zuständig gewesen sei, oder sind Sie der Meinung, dass dafür auch durchaus Berlin zuständig gewesen sein könnte und diese Frage geklärt werden muss?
Lieber Herr Luthe! Danke für diese Frage, und wenn Sie die Parlamentsdokumentation der vergangenen Woche betrachtet haben, haben Sie gesehen, dass wir genau diesen Punkt gemäß § 21 Abs. 3 als Gesprächsgrundlage
für die Sitzung des nächsten Innenausschuss auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich denke, dafür kann auch Berlin verantwortlich sein.
Was Herr Zimmermann vorhin angesprochen hat – ich möchte auch noch mal darauf eingehen, worum es hier ein Stück weit geht. Herr Zimmermann sagte, wir wollen nicht Ergebnisse in zweieinhalb, drei Jahren haben, der Zeitfaktor sei ganz bestimmend. Hat ein Untersuchungsausschuss keine Zwischenergebnisse? Hat ein Sonderermittler keine Zwischenergebnisse, die er vorlegen kann? Gibt es in der Diskussion keine zwischendurch gewonnenen Erkenntnisse?
Ich sage Ihnen ganz deutlich, wie meine Einschätzung ist, und diese Einschätzung teile nicht nur ich, sie teilen auch viele Bürger, und ich verweise auf die Kommentare im „Tagesspiegel“ der vergangenen Woche zu der Thematik. Hier geht es darum, im Rahmen eines Landtagswahlkampfes in NRW Versäumnisse der SPD eventuell nicht ans Tageslicht kommen zu lassen.
Hier geht es darum, im Rahmen der Bundestagswahl Versäumnisse eines ehemaligen CDU-Innensenators eventuell nicht ans Tageslicht kommen zu lassen. Hier geht es darum, die Zeit bis zum 24. September, bis zum Tag der Bundestagswahl zu überbrücken.
Das ist etwas, was die Menschen erkennen. Sie erkennen, dass hier taktiert wird, dass hier Spielchen gespielt werden. Wir wissen natürlich auch, wem der Vorsitz eines solchen Untersuchungsausschusses zustünde, nämlich der AfD-Fraktion. Auch das ist Ihnen offensichtlich ein Dorn im Auge – deswegen Ihre Blockadehaltung. Aber wir lassen diese nicht zu. Wir unterstützen die FDP-Fraktion, und wir fordern einen Untersuchungsausschuss, wie das Parlament das auch verdient. – Danke schön!
Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bayram das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der schreckliche Anschlag vom 19. Dezember des vergangenen Jahres macht uns auch heute, nach Wochen und Monaten, betroffen und lässt uns mit vielen Fragen zurück.
Wie konnte an diesem Tag, in der Vorweihnachtszeit ein einzelner, bereits polizeibekannter Täter einen Anschlag verüben, bei dem 12 Menschen starben und über 60
Menschen schwer verletzt wurden? Wie konnte dieser Täter einen Anschlag planen und durchführen, bei welchem er erst den Fahrer eines Lkw erschoss und mit diesem Lkw in eine Menschenmenge auf dem belebten und sehr beliebten Weihnachtsmarkt in Berlin-Charlottenburg fuhr und damit viele, ja zu viele Leben beendete und für viele das Leben für immer veränderte? Wie konnte dieser Täter im Anschluss fliehen, obwohl er doch weitreichend und umfassend bekannt war? Wie konnte zugelassen werden, dass er sich immer weiter radikalisierte und offensichtlich und bekanntermaßen das Ziel hatte, die Allgemeinheit zu gefährden?
Heute wissen wir etwas mehr als nach den turbulenten Tagen nach diesem schrecklichen Anschlag. Wir wissen, wer es war: Anis Amri war der Täter, geboren in Tunesien, eingereist im Juli 2015 über Italien und die Schweiz. Wir wissen, dass er bereits in Italien als radikaler Islamist erkannt wurde, aber zu wenig unternommen wurde. Auch in der Schweiz soll er gewesen sein und auch dort aufgefallen sein – als gefährlicher Islamist. Schon früh soll es Warnungen deutscher Behörden gegeben haben, sodass man sich immer wieder fragt: Wie konnte es dennoch dazu kommen? – Nach der Tat haben wir viele Meldungen über die Gefährlichkeit des Anis Amri gehört, über seine gescheiterten Vorbereitungen eines Anschlags, über die Festnahmen, die Observierungen sowie die Warnungen ausländischer Nachrichtendienste. Genau das sind die Fragen, die wir klären müssen und wo wir als Parlament unsere Verantwortung übernehmen müssen.
Herr Kollege Luthe! Aber ich mache da schon einen Unterschied. Es ist für mich schon ein Unterschied, zu welchem Punkt ich welche Entscheidung bei der Klärung treffe. Da ist es schon so, dass ich im Moment davon überzeugt bin, dass sowohl die Person als auch das Verfahren, das wir mit dem Senat verabredet haben, richtig ist, nämlich dass er alle Rechte bekommt, um zu befragen, alle Akten einsehen kann und dass er uns im Ausschuss das erste Mal am 15. Mai Rede und Antwort stehen muss. Dann ist er als Sonderbeauftragter immerhin schon einen Monat im Dienst oder im Amt – je nachdem, wie man es beurteilen will. Dass er das erst macht und wir dann im Anschluss neu bewerten werden, das verspreche ich Ihnen, und das hat Ihnen auch schon Kollege Dregger zugesagt.
Es kann dann immer noch sein, dass wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen: Ja, es braucht auch einen Untersuchungsausschuss im Land Berlin. – Aber bis dahin – und das ist mir wichtig – geht es darum, dass wir die Widersprüche aufklären, warum es Beschlüsse zur Observation gab, diese aber nicht durchgeführt wurden. Wir müssen aufklären, ob die Telefonüberwachung von Gefährdern allein reicht, um die Gefährlichkeit festzustellen. In diesem Fall hat es eben nicht gereicht. Und wir müssen auch klären, warum es zu den verschiedenen Einschätzungen über die Gefährlichkeit von Anis Amri gekom
men ist, die sich dann in einer erschreckenden Form als unzutreffend dargestellt haben. Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen, und dazu wollen wir zuerst das Instrument des Sonderbeauftragten einsetzen, aber das heißt nicht, dass wir als Parlamentarier nichts tun. Ich werde auf jeden Fall in den Ausschüssen für Inneres und für Recht meine Fragen weiter stellen, und ich werde mir auch die Akten anschauen und mir genau berichten lassen, was dort passiert ist.
Eines ist mir noch wichtig: Mein Eindruck war, dass dort eine schützende Hand war, die es möglich machte, dass Anis Amri so ziemlich gegen alle möglichen Regeln des Ausländer- und Strafrechts verstoßen hat. Deswegen finde ich es viel wichtiger, dass auf der Bundesebene ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, denn wir wissen nicht, ob es Berliner Behörden waren, die die Gefährlichkeit tatsächlich eingestuft haben, oder ob es vielleicht Bundesbehörden waren, die die Berliner Behörden nicht handeln ließen, oder die Behörden in Nordrhein-Westfalen. Das sind für mich die wirklich spannenden Fragen, und diese würden wir zum jetzigen Zeitpunkt in einem Berliner Untersuchungsausschuss nicht geklärt bekommen.
Liebe Frau Bayram! Ich habe auch Ihrem Beitrag kein einziges Argument entnehmen können, warum man das eine tun soll, ohne das andere zu lassen. Sie haben mir selbst – auch in den Ausschüssen – beigepflichtet, dass die Antworten, die uns der Senat bisher gegeben hat, ausgesprochen unbefriedigend sind. Es ist auch nicht Sache des Bundes, in irgendeiner Weise aufzuklären – das kann der Bundestag gar nicht –, was wir möglicherweise an Landesstrukturen fehlerhaft organisiert haben und was wir hier richtigstellen müssen. Das ist ausschließlich unsere Aufgabe in Berlin, und dieser Aufgabe müssen wir als gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier auch nachkommen.
Insofern gilt für Sie wie auch für alle anderen Vorredner, die diesen Untersuchungsausschuss ablehnen: Wir schulden diese Aufklärung. Wir schulden sie – wie Sie im Rechtsausschuss richtig gesagt haben – mit allen Mitteln. Es gibt keinen Grund, irgendein Mittel davon wegzulassen, außer wenn man Angst davor hat, was das Ergebnis sein könnte. Das wiederum befürchte ich als Motiv, und insofern appelliere ich noch einmal an Sie und jeden
Einzelnen, in der namentlichen Abstimmung die Zustimmung zu diesem Antrag zu erteilen. – Vielen Dank!
Lieber Herr Kollege Luthe! Ich habe es in meiner Rede ausgeführt, aber sage es gern noch einmal: Es ist nicht wahr, dass wir irgendein Instrument ausschließen. Das haben wir deutlich gemacht. Es ist nur so, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt, wo wir uns für ein Instrument entschieden haben, das der Senat ausgewählt hat, aber von dem wir einfordern, dass wir dort beteiligt werden, dass wir das zuerst unterstützen wollen. Natürlich habe ich genauso die Vorwürfe gegenüber Herrn Henkel, was er in der Zeit falsch gemacht hat. Da habe ich auch die Phantasie, mir zu überlegen, was dort vielleicht auch an Einflussnahmen ist. Aber ich meine, Herr Henkel ist doch so abgestiegen, dass ich Sie frage: Welche politische Konsequenz wollen Sie denn noch von diesem Mann? – Jetzt mal ehrlich unter uns hier!
Ja, das ist eben ein Zeitpunkt – – Normalerweise macht man einen Untersuchungsausschuss, um einen Senator zum Rücktritt zu drängen, aber Heilmann und Henkel sind doch gar nicht mehr da. – Das ist der eine Punkt.
[Thorsten Weiß (AfD): Was ist denn das für eine Argumentation? – Weitere Zurufe von der AfD und der FDP]
Der andere Punkt ist tatsächlich, dass wir untersuchen müssen, was denn in diesem Zusammenhang in den Behörden falsch gelaufen ist. Da kann es am Ende auch Erkenntnisse geben, die wir dann in der Konsequenz umsetzen müssen, im Sinne einer Umstrukturierung und Ähnlichem. Herr Luthe! Ich frage Sie ganz ehrlich: Glauben Sie wirklich, dass Herr Woldeit die besseren Fragen als der Sonderbeauftragte stellen wird? – Ich sage Ihnen, dass der Ausschussvorsitzende, der er dann vielleicht wäre, für mich nicht die bessere Wahl ist gegenüber dem jetzigen Sonderbeauftragten.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Sebastian Czaja (FDP): Aha! – Weitere Zurufe von der AfD und FDP]
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag Drucksache 18/0097 empfiehlt der Rechtsausschuss –