Protokoll der Sitzung vom 20.07.2000

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Das würde er nie tun! – Zuruf des Abg. Rapp REP)

hat sich sehr schnell damit abgefunden oder – wie ich sagen möchte – damit angefreundet, was jetzt in Berlin als Steuerreform verabschiedet worden ist.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Er hat sich an die Spitze der Bewegung gesetzt!)

Der Handel wird das zu spüren bekommen. Ich denke, jetzt, wo die Schlacht geschlagen ist und die Debatten, wie die steuerlichen Rahmenbedingungen aussehen werden, zu Ende sind, ist Zeit und Kraft vorhanden, Herr Minister, die landespolitischen Hausaufgaben zu machen. Denn die Rahmenbedingungen, die für den Handel wichtig sind, sind auch planerische Vorgaben.

Herr Schmiedel hat es angesprochen: Der Landesentwicklungsplan muss endlich verabschiedet werden, um den Druck von der Fläche zu nehmen und um den Regionen die Möglichkeit zu geben, die Entwicklung mit Einzelhandelskonzepten zu kanalisieren. Die Region Stuttgart ist hierbei wegweisend vorangegangen. Ich habe heute Morgen in der Zeitung gelesen, dass sich die Regierungskoalition daranmachen will, jetzt auch anderen Regionen die nötigen planerischen Kompetenzen zu geben –

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Es wird Zeit!)

spät, aber dennoch, möchte ich sagen. Denn für uns Grüne heißt die Devise schon lange – was auch für den Einzelhandel wichtig ist –: mehr Region wagen, mehr Kompetenzen in die Regionen, damit dort die Flächenentwicklung für den Einzelhandel mit regionaler Kompetenz und in regionaler Zusammenarbeit sinnvoll kanalisiert werden kann.

Es geht nicht nur um den Landesentwicklungsplan und darum, den Regionen mehr Kompetenzen zu geben. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die das Land hat. Der Wirtschaftsminister sollte die Vorschläge des Weißbuchs Handel der EU-Kommission aufgreifen und dafür sorgen, dass er mit innovativen Projekten Strukturfondsmittel für den Handel einsetzen kann.

Das gilt beispielsweise für einen Best-Practice-Katalog über flexible Arbeitszeitkonzepte – etwas, bei dem der Handel noch mehr Möglichkeiten ausschöpfen kann und bei dem es immer sinnvoll ist, wenn die Politik Anschubhilfen und -möglichkeiten gibt. Es ist ja auch sinnvoll, wenn für gute Projekte EU-Gelder ins Land geholt werden. Unserer Meinung nach fehlt ein Konzept für die Verwendung der EU-Fördermittel.

Nicht zu vergessen sind die zahlreichen kleinen Betriebe mit ausländischen Inhabern, die mithilfe ihrer Familien oftmals die Versorgung in den Stadtteilen übernehmen, in denen sonst gar keine Läden, gar keine Nahversorgung mehr vorhanden wären.

(Abg. Deuschle REP: Oder die auch oft keine Leu- te mehr haben!)

Sie können Unterstützung brauchen: im Bereich ungeklärter Unternehmensnachfolge, bei der Bewältigung der EuroUmstellung, mehr betriebswirtschaftliches Know-how. Das alles sind Ansatzpunkte für gezielte Coaching-Projekte für gerade diese Betriebe, die eine wichtige Sparte im Einzelhandel sind.

Ich möchte zum Schluss die Punkte zusammenfassen, die jetzt landespolitisch anstehen: erstens die Novellierung des Landesentwicklungsplans, zweitens die Erweiterung regionaler planerischer Kompetenzen und drittens – was ich

noch nicht erwähnt habe – die Nachbesserung des Einzelhandelserlasses, damit er kein Beruhigungsplacebo wird. So können Anregungen, zum Beispiel die in der Region Stuttgart umgesetzten, aufgegriffen werden. Gesetze müssen so sein, dass sie nicht eine Ansammlung von Hintertürchen bieten, sondern klare Vorgaben für die Betroffenen darstellen. Diesen Einzelhandelserlass, Herr Minister, sollten Sie zügig auf den Weg bringen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ist doch schon da!)

Diese Dinge, die ich jetzt aufgezählt habe, nützen dem Handel mehr als so manche vollmundige Forderung nach einer Verlängerung der Ladenöffnungszeiten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hauk CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel, dem Einzelhandel geht es nicht gut. Es besteht auch politischer Handlungsbedarf. Während die meisten anderen Branchen den konjunkturellen Aufwind spüren, ist die Lage im Einzelhandel verhalten. 1999 lagen dort die Umsätze in Baden-Württemberg sogar noch unter dem negativen Bundestrend. Das muss man einfach einmal feststellen.

Die Charakteristika dieser Probleme wurden auch dargestellt. Ich wiederhole es noch einmal im Stakkato: schmalste Renditen, härtester Preiswettbewerb – der vor allem im Lebensmitteleinzelhandel beängstigende Dimensionen erreicht hat – und damit natürlich eine ungezügelte Flächenexpansion.

Was kann zur Verbesserung getan werden? Ich will versuchen, auf drei konkrete Dinge einzugehen.

Aber zunächst einmal, Herr Schmiedel: Die Steuerreform in Ehren, aber noch viel wichtiger für den Einzelhandel ist, dass bei uns in Baden-Württemberg wie in keinem anderen Land die Arbeitslosigkeit abgebaut worden ist; denn das setzt die Leute in Lohn und Brot, sodass sie überhaupt beim Einzelhandel einkaufen können.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Capezzuto SPD: Dank der Bundesregierung!)

Drei Themen möchte ich nennen.

Das Erste: regionale Einzelhandelskonzepte. An sich reichen die gesetzlichen Bestimmungen für die jeweilige Kommune aus, um dem Wildwuchs auf der grünen Wiese begegnen zu können. Da muss man einfach sagen – ich sage das auch als Kommunaler –: Hier fehlt es vielfach am Mut zu konsequentem Handeln. Zum Teil aber bedarf es auch regionaler Festlegung, um sich eben nicht in interkommunaler Abstimmung zu verlaufen und gegenseitig ausgespielt zu werden und sich gegenseitig die Kaufkraft abzuziehen nach dem Motto: Die eigene grüne Wiese ist für die eigene Innenstadt immer noch besser als die grüne Wiese des Nachbarn. Das muss man sehen.

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

In der Region Stuttgart geht man deshalb mutig mit einem Märktekonzept voran. Der Einzelhandelsverband hat das ja auch sehr begrüßt. Hier werden Versorgungsbereiche ausgewiesen. Nur in diesen dürfen innenstadtrelevante Sortimente in großflächigen Einzelhandelsformen angeboten werden, sonst nicht. Die Region Stuttgart hat dafür die Kompetenz und die Zuständigkeit. Wir wollen, dass auch den anderen elf Regionen des Landes über die anstehende Novellierung – noch in diesem Jahr übrigens – des Landesplanungsgesetzes eine entsprechende Kompetenz gegeben wird, wohlgemerkt: selbstverständlich verbunden mit einem Klagerecht. Ich freue mich, dass sich die Koalitionsfraktionen darauf bereits verständigt haben. Das wird so kommen.

Zugleich ist es wichtig, denke ich, auch von dem ganz starren Kriterium der zentralen Orte wegzukommen und zumindest in Ballungsräumen mehr auf die tatsächlichen Siedlungsstrukturen abzustellen. Da der Lebensmitteleinzelhandel sowohl von der Angebots- wie auch von der Nachfrageseite her durch steigende Sortimentsvielfalt bestimmt ist und damit auch von größerem Flächenbedarf, ist es gar nicht verwunderlich, Herr Deuschle, dass teilweise schon in Ortsteilen Lebensmittelgeschäfte mit 400 Quadratmeter Verkaufsfläche zumachen.

(Abg. Deuschle REP: Ja, mit 400 auf jeden Fall!)

Dann muss man auch den Orten ohne Zentralkriterium, den Kleinzentren zum Beispiel, oder auch den anderen Orten die Möglichkeit geben, im Ortskern einen Laden mit 1 000 Quadratmetern einzurichten, damit die Versorgung gewährleistet werden kann.

(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP – Abg. Rosely Schweizer CDU: Richtig!)

Da muss man weg von dieser starren Einteilung.

Der Ladenschluss ist hier erwähnt worden. Die Große Anfrage konnte damals ja noch nicht auf die Erfahrungen mit den neuen Ladenschlusszeiten eingehen. Sie datiert ja aus dem Jahre 1997. Heute eine Aufstellung zu machen, welche Auswirkungen das hatte, ist nicht nötig. Das ist müßig, denn kein vernünftiger Mensch plädiert heute mehr für ein Zurück zu diesen alten Zeiten. Im Gegenteil, die damaligen Opponenten sind eines Besseren belehrt worden.

Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten aus einer Presseinformation des Einzelhandelsverbands Baden-Württemberg vom 19. April zitieren. Darin heißt es:

Unsere Position ist eindeutig und wurde auf der Delegiertenversammlung im letzten Herbst in einem richtungweisenden Beschluss festgelegt. Die Delegierten sprachen sich mit absoluter Mehrheit für folgende Marschrichtung aus: völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten an den Werktagen, also von Montag bis Samstag, und höchstens vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr. Jeder sollte die Freiheit haben, darüber zu entscheiden, welche Öffnungszeiten für sein Unternehmen, für seinen Standort, für sein Sortiment, für seinen Kundenkreis die optimalen sind. Man muss immer wieder sagen: Es geht nicht darum, dass jeder 24 Stunden seinen Laden geöffnet halten muss, sondern darum, dass die Freiheit zu entscheiden beim Unternehmer selbst liegen soll.

Recht hat er, der Verband. Das ist eine Position, die unsere Fraktion schon seit langem vertritt. Ich kann nur hoffen, dass im Bund und in Berlin nicht immer nur angekündigt, sondern auch einmal gelegt wird.

(Abg. Schmiedel SPD: Na, also jetzt! – Gegenruf des Abg. Pfister FDP/DVP: Ladenschlussgesetz ist Bundesgesetz!)

Schließlich noch ein Wort zum Thema „Internet und ECommerce“. Meine Damen und Herren, ich kann eigentlich nur noch staunen, mit welcher Ruhe und Gemütlichkeit dieses Thema nicht im Wirtschaftsministerium, aber anderenorts angegangen wird, nur weil die Explosion noch nicht eingetreten ist, die aber alle Fachleute für demnächst ankündigen, auch wenn nicht in jeder Branche ein Internetshopping-Boom eintreten wird.

Über 30 % aller Haushalte verfügen bereits über einen Internetanschluss. Der Anteil der internetfähigen Mobiltelefone nimmt zu – wir alle wissen das –, auch der anderer internetfähiger Endgeräte. Der Anteil der Käufer unter den Internetsurfern wird von 30 auf 80 % steigen und im Jahr 2004 – das zeigen die jetzigen Zahlen – eindeutig bei 35 Millionen liegen. Dieses ergibt dann selbstverständlich tief greifende Änderungen im Einzelhandel. Das bringt übrigens nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen für die kleinen Betriebe, denn die örtlichen Vertriebssysteme haben da durchaus Vorteile. Man kann auch Offline- und Online-Angebote miteinander verbinden. Das Marketing kann und wird beide Bereiche umfassen.

Nur – darauf möchte ich abschließend noch hinweisen –: Kleinere und mittlere Betriebe können in diesem Netz nur dann erfolgreich sein, wenn auch die strategische Kooperation der Zukunft stimmt. Wenn es da keine strategischen Kooperationen gibt, werden die Händler, die auch über ein Filialnetz verfügen, im Internet die größten Chancen haben. Das ist ganz eindeutig. Dies sollte übrigens bei den Wirtschaftsförderprogrammen und -projekten noch zusätzlich beachtet werden.

Wenn wir uns fragen, welche politischen Handlungsfelder wir selbst besetzen können, außer die Dinge zu beklagen, komme ich zumindest zu diesen drei Punkten, wo ich meine, dass wir selber, der Gesetzgeber und die Politik, gefordert sind, um einen Beitrag zu leisten, damit der Einzelhandel auch längerfristig Überlebenschancen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Wirtschaftsminister Dr. Döring.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelhandel, Herr Kollege Deuschle, hat mit den Selbstständigen und den dort Beschäftigten sogar noch eine größere Bedeutung für die Beschäftigungssituation in unserem Lande; er beschäftigt insgesamt 386 000 Menschen. Wir haben die Umsatzzahlen und die hohen Ausbildungszahlen. Dies alles zusammengenommen unterstreicht die Bedeutung des Einzelhandels in Baden-Württemberg. Aus dem Grund wird auch eine ganze Menge für den Einzelhandel in Baden-Württemberg gemacht. Ich will der Reihe nach versuchen, das im Zusammenhang mit den Stichworten, die Sie selber gegeben haben, aufzuzeigen.

(Minister Dr. Döring)

Herr Kollege Schmiedel, Sie verweisen auf die Steuerreform. Jede Steuerreform, die den Menschen mehr Geld in der Tasche lässt, ist mit Sicherheit hilfreich und von Bedeutung für den Einzelhandel. Aber was ich besonders erfreulich finde, ist, dass es keinem anderen Bundesland in dem Maße wie Baden-Württemberg gelungen ist, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das ist das beste Programm, das man für den Einzelhandel auf den Weg bringen konnte. Und das haben wir geschafft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der SPD: Dank der guten Rahmenbedingun- gen aus Berlin!)

Lassen Sie mich aber zu den Themen Stellung nehmen, die Sie angesprochen haben. Die Arbeitslosigkeit in BadenWürttemberg wird seit 1996 Jahr für Jahr um zweistellige Prozentzahlen abgebaut. Damals waren Sie noch gar nicht an der Regierung. Wir machen das ohne die Rahmenbedingungen aus Berlin.

(Zuruf von der SPD: In Erwartung des Macht- wechsels!)

Im Übrigen, wenn Sie mit Berlin anfangen: Auch dem Einzelhandel haben Sie mit Ihrer Neuregelung beim 630-DMGesetz einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)