Ich darf dennoch ganz kurz die Grundhaltung der CDU darstellen, denn es geht uns keineswegs um die grundsätzliche Ablehnung von Ethikunterricht schon vor der achten Klasse.
Dabei wäre darüber zu diskutieren, welches der richtige Zeitpunkt der Einführung sein könnte, ab der ersten Klasse oder ab Beginn des Besuchs einer weiterführenden Schule. Diese Diskussion ist im Augenblick müßig, da wir ja im Konkreten nicht die Ressourcen aufbringen können, um das Angebot an Ethikunterricht so stark zu erweitern.
Gestern hat Herr Kollege Kretschmann für die Grünen tausend weitere Lehrerdeputate für die beruflichen Schulen gefordert, heute verlangt Frau Kollegin Rastätter für die Grünen tausend Lehrerdeputate für den Ethikunterricht.
Ich denke, sehr geehrte Damen und Herren, wenn man so wie die Oppositionsfraktionen nicht in direkter Haushaltsverantwortung steht, dann kann man das tun. Aber auch Sie wissen wohl, welche Kraftanstrengung es bedeutet, dass wir mit den 5 500 Lehrern, die wir in dieser Legislaturperiode zusätzlich anstellen, eine Antwort auf die wachsenden Schülerzahlen geben.
Das ist schon eine gewaltige Kraftanstrengung und wird auch so geschätzt. Nach der Novembersteuerschätzung sieht alles noch ein bisschen dramatischer aus als im April letzten Jahres.
Es ist anzuerkennen, dass die SPD damals aus diesen Gründen den Gesetzentwurf der Grünen nicht mitgetragen hat. Ein Stück mehr an Ehrlichkeit würde uns bei der Befassung mit diesem Antrag gut tun.
Um es nochmals klar zu sagen: Die CDU-Fraktion spricht sich nicht gegen werteorientierte Unterrichtsangebote auch schon vor der achten Klasse aus. Wir gehen davon aus, dass sie im Gesamtunterrichtsangebot fächerübergreifend im Grunde genommen auch erfolgen. Aber wir sehen auch die praktischen Probleme, vor allem in den großen Städten, wo 30, mitunter sogar 50 % der Schüler gar nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Wir sehen auch die Problematik, die damit verbunden ist, dass eben sehr viele Kinder dem Islam angehören und nicht als Gäste in den Religionsunterricht gehen können, wobei dies eigentlich gerade nicht mit der Einführung von zusätzlichem Ethikunterricht in Verbindung gebracht werden sollte. Aber wir sehen gegenwärtig eben keine Möglichkeit, in eine generelle Einführung oder
Der heute Morgen vorgelegte Entschließungsantrag der Fraktion GRÜNE – damit komme ich zum Schluss – sollte nach unserer Meinung – Frau Rastätter, darüber haben wir noch nicht gesprochen – im Schulausschuss beraten werden, da damit sowohl grundsätzliche als auch praktische Fragen, die ich eben kurz gestreift habe, verbunden sind und vor der Entscheidung über den Antrag noch Klärungsbedarf besteht. Wir sind also der Meinung, dass der Entschließungsantrag zur weiteren Beratung an den Schulausschuss überwiesen werden soll.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Für uns gibt es im Grundsatz überhaupt keinen Zweifel, dass das Thema „Ethik und Ethikunterricht“ immer wichtiger wird. In der Tat: Die inhaltlichen Argumente sind im Plenum und im Ausschuss – Frau Lazarus hat es erwähnt – sowie in der Debatte über die Änderung des Schulgesetzes schon weitgehend ausgetauscht worden. Deswegen fasse ich die Meinung der SPD-Fraktion nur noch einmal kurz zusammen:
Es gibt tatsächlich eine permanent steigende Zahl von konfessionslosen Kindern und Jugendlichen. Wir leben in einer Zeit sehr schneller gesellschaftlicher Veränderungen, in einer Zeit von Verunsicherung, in einer Zeit, in der viele – nicht nur junge Menschen – Orientierung nicht oder nicht mehr bei den Kirchen suchen. Ein Gemeinwesen mit vielgestaltigen und mit widersprüchlichen Werten bedarf – jetzt zitiere ich Kardinal Lehmann – einer „gemeinsam verpflichtenden Hinführung zu so etwas wie einer tragfähigen Mitte“.
(Abg. Capezzuto SPD: Aha! – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das sagen wir schon immer! – Abg. Scheuermann CDU: Also auf zur Mitte!)
Solange es sich bei der Gruppe konfessionsloser Kinder um eine relativ geringe Anzahl gehandelt hat, war dies weder ein schulpolitisches noch ein bildungspolitisches Problem. Seit Ende der Sechzigerjahre aber haben wir es mit einer zunehmenden Säkularisierungstendenz zu tun, und diese Entwicklung ist einfach Fakt. Unabhängig davon, ob man dies nun begrüßt oder ob man es bedauert: Wir haben diese Entwicklung einfach zur Kenntnis zu nehmen, und zwar ohne den betreffenden Menschen ethische Grundorientierungen und Wertegebundenheit abzusprechen.
An dieser Stelle kommt nun Ethikunterricht ins Spiel, ein Ethikunterricht, der sich auf diejenigen sittlichen Grundsätze bezieht, auf denen unser Grundgesetz und die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beruhen: Menschenwürde, Freiheit, Toleranz, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit. Mit den Begriffen „Toleranz“ und „Gewaltlosigkeit“, die einem ja so schnell von der Zunge gehen, sind wir wieder ganz nahe an der Debatte von heute Morgen.
Da möchte ich nun doch noch eine persönliche Bemerkung einschieben: Vor dem aktuellen weltpolitischen Hintergrund führen wir hier eine eher gespenstische Debatte. Angesichts der Vorstellung, dass gegenwärtig ein Angriffskrieg als Mittel der Politik systematisch vorbereitet wird, ein Krieg, von dem die deutschen Bischöfe sagen, er verstoße gegen das Sittengesetz, bekommen manche Klagen über die Zunahme von jugendlicher Gewalt eine andere Relation.
Meine Damen und Herren, dann bekommt eine frühzeitige Beschäftigung mit ethischen Grundwerten und den daraus erwachsenden Verhaltensweisen auf jeden Fall ein noch größeres Gewicht.
Um gleich ein mögliches Missverständnis auszuräumen: Ethikunterricht kann die ihm gestellte sehr komplexe Aufgabe nicht einfach nebenbei erfüllen. Er muss um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen zu einem eigenen Konzept finden. Es muss gewährleistet sein, dass sich alle Schülerinnen und Schüler mit Sinn- und Wertfragen systematisch auseinander setzen können.
Wir halten es grundsätzlich für wichtig, Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, stufenweise einzuführen. Wir halten es grundsätzlich für wichtig, mit der Erstellung von Lehrplänen zu beginnen. Wir halten es für wichtig, diesbezüglich Lehrerfortbildungen anzubieten. Wir halten es für wichtig, ein ordentliches Studienfach Ethik für Studierende des Grund- und Hauptschullehramts an den PHs einzurichten. Wir halten es für wichtig, Ethiklehrpläne ab Klasse 5 im Rahmen der Entwicklung der neuen Lehrpläne für die Seminarstufe I mit einzubeziehen.
Wir sehen aber auch jenseits dieser grundsätzlichen Überzeugungen einen aktuellen Handlungsbedarf, der auch über den vorliegenden Entschließungsantrag hinausgeht. Wir wollen einen Einstieg, der stufenweise den Weg zu einem umfangreichen Ethikunterricht ebnet. Wir unterstützen deswegen den Entschließungsantrag und hoffen, dass zumindest auf dieser minimalen Ebene ein Konsens aller Fraktionen hier im Hause möglich ist.
Ich habe schon in den früheren Debatten – darauf wurde schon hingewiesen – vorgeschlagen, Pilotversuche auf den Weg zu bringen. Dort könnte im Kleinen wirklich das wachsen, was über kurz oder lang flächendeckend notwendig sein wird: ein im Lehrplan verankerter und frühzeitig einsetzender Ethikunterricht als Wahlpflichtfach.
Zur Realisierung solcher kleinen Projekte drängen sich einzelne Regionen geradezu auf. Ein erstes Praxisfeld würde sich zum Beispiel im Freiburger Stadtteil Vauban anbieten. Was früher die Ausnahme war, ist dort die Regel: Die weitaus überwiegende Anzahl der Kinder dort ist ohne Konfession.
Nun weiß ich allerdings – ich komme zum Ende; es ist eine etwas bittere Erfahrung, die ich in den letzten zwei Jahren
gemacht habe, in denen ich diesem Haus angehöre –: Wenn man von Oppositionsseite solche Vorschläge äußert, dann ist das so ähnlich, wie wenn man einem Ochsen ins Horn pfetzt. Das wäre bei diesem Zukunftsprojekt und bei den Brücken, die dieser Entschließungsantrag baut, ausgesprochen schade.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen gerade von Weihnachten her. „Alle Jahre wieder“, das gilt auch bei diesem Antrag. Ich habe eben meine Rede vom April und auch die vom Februar nachgelesen und dabei festgestellt, dass seit 1997 ununterbrochen alljährlich das Gleiche kommt. Das Weihnachtslied passt also.
(Abg. Schmiedel SPD: Ihr müsst halt etwas ma- chen! Wenn man nichts macht, dann kommt das halt wieder! – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Es sind neue Leute da!)
Wir sind uns völlig einig, Herr Bayer: Lehrpläne zum einen, Lehrerfortbildung zum anderen, und dann auch das Anbieten des Faches Ethik als Studienfach an den PHs und an den Hochschulen, das ist die richtige Reihenfolge. Das habe ich aber auch schon vor einem Jahr gesagt. Da besteht überhaupt kein Dissens.
Unterschiedlich beurteilt wird bei uns nach wie vor das Problem „gleichwertig oder gleichrangig“. Ich sage im Namen meiner Fraktion nach wie vor: gleichwertig ja, gleichrangig nein. Es bleibt dabei, dass derjenige, der aus Glaubensgründen oder sonstigen Gründen nicht in einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht gehen will, obwohl er ein christliches Bekenntnis hat, die Möglichkeit haben muss, in Ethikunterricht zu gehen. Diejenigen, die keinen christlichen Glauben haben, müssen auch die Möglichkeit einer entsprechenden Wertevermittlung bekommen.
Also, meine Damen und Herren: gleichrangig nein, gleichwertig ja. Ethik bleibt Ersatzfach für bekenntnisorientierten Religionsunterricht. Wir haben überhaupt keine ideologischen Hemmnisse – auch dies habe ich schon vor einem Jahr gesagt –, dies bereits ab Klasse 1 „laufen“ zu lassen. Ich sagte auch damals schon: Das ist eine Frage der Ressourcen. Haben wir diese Ressourcen, oder haben wir sie nicht? Wir haben die finanziellen Ressourcen nicht. Wir sind ja außerdem allesamt in diesem Hause der Meinung, dass wir die kleinen Grundschulen auf dem Land erhalten sollen.
Sie nicht, Entschuldigung. – Organisieren Sie da doch jetzt einmal das Fach Ethik. In meiner Grundschule in Wit
tershausen ist es nicht einmal möglich, den bekenntnisorientierten Religionsunterricht in allen Klassen zu unterrichten, weil entsprechende Lehrer und entsprechende Stunden fehlen.
Ich habe also schon damals, vor einem Jahr, empfohlen, das Fach Ethik flächendeckend bei den weiterführenden Schulen, das heißt ab Klasse 5 in der Hauptschule, der Realschule und im Gymnasium einzuführen. Wenn wir das schaffen würden, Herr Bayer, dann wären wir eigentlich schon relativ weit gekommen. Wir haben hier einen weit gehenden Konsens.
Ich möchte allerdings noch eines darlegen, und zwar etwas ins Grundsätzliche gehend. Wenn hier von Wertevermittlung gesprochen wird, sind wir uns, Frau Rastätter, völlig einig, dass dies auch für diejenigen wichtig ist, die nicht in einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht gehen. Wir müssen uns aber auch immer im Klaren sein – da spricht der Assistent von Scholder –: Die Neutralität des Staates ist ein wichtiges Gut, das sich der Liberalismus einst einmal erkämpft hat. Wir sollten uns – Herr Bayer, da liegen wir immer etwas miteinander im Clinch – darüber im Klaren sein, dass wir hier auf des Messers Schneide zwischen Neutralität des Staates, Wahrung der Neutralität des Staates auf der einen Seite und Wertevermittlung – das geht ja noch –, aber auch Erstellung und Vorstellung von Werten, Prägen von Werten auf der anderen Seite marschieren. Das wird immer eine Gratwanderung sein. Sie haben eben einen möglichen schmalen Weg aufgezeigt. Den könnte ich jederzeit mitgehen. Aber wie gesagt, man sollte die Sensibilität nicht verlieren, dass es hier tatsächlich um eine Gratwanderung geht.
Ein ganz wesentlicher Punkt, meine Damen und Herren – ich glaube, da stimmt mir die CDU voll und ganz zu –: Wenn wir auch in einer zunehmenden Säkularisierung leben, heißt dies noch lange nicht, dass der Religionsunterricht säkularisiert werden darf. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.