Protokoll der Sitzung vom 18.07.2001

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Göschel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu der Forderung, dass sich der Bund beim Schienenfernverkehr nicht aus der Verantwortung zurückziehen darf, stehen wie nach wie vor. Wir haben das am 25. Oktober letzten Jahres einstimmig beschlossen. Diese Haltung bleibt selbstverständlich bestehen.

Eine Schwierigkeit in dieser Angelegenheit ist, dass seinerzeit bei der Bahnreform versäumt wurde, die Gemeinwohlverpflichtung klarer zu definieren.

(Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Es ist nicht definiert, welche Strecken und wie viele Zugkilometer nötig sind, um dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen und die Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen. Das ist eine schwierigere Verhandlungsposition, als wenn man seinerzeit klarere Bestimmungen eingezogen hätte. Bei der in diesem Jahr anstehenden Revision der Regionalisierung wird die Verhandlungsposition des Landes dadurch erheblich erschwert; denn hausgemachte Fehler haben zu einer Schwächung der Position beigetragen. Ich nenne die Zweckentfremdung der Regionalisierungsmittel, durch die Hunderte von Millionen Mark – Herr Palmer hat es schon angesprochen – umgewidmet worden sind, um originäre Landesmittel, die bisher im Landeshaushalt etatisiert waren, zu ersetzen. Dieser Sündenfall ist Anlass, beim Bund darüber nachzudenken, ob es einen Stopp der Dynamisie

rung oder gar eine Kürzung der Regionalisierungsmittel geben könnte, was selbstverständlich zum Nachteil des Landes Baden-Württemberg und aller anderen Länder wäre.

Im Übrigen – auch darauf ist schon hingewiesen worden – ist die Position der Landesregierung gegenüber dem Bahnkonzern dadurch geschwächt, dass man sich quasi in die babylonische Gefangenschaft der DB Regio begeben hat, und zwar mit der Zusage, der Bahn langfristig die Statusquo-Verkehre abzunehmen. Man begibt sich – wenn es anders sein sollte, kann das klargestellt werden – damit auch in die schwierige Lage, dass man, falls alle Verhandlungen scheitern sollten, die Strecken dann nicht gebündelt, also Interregio-Ersatz und Nahverkehr, ausschreiben kann und dadurch auch keine wirtschaftlicheren Ergebnisse zum Wohle der Kunden der Bahn und auch keine bessere Qualität auf den Strecken bekommen kann. Trotz all der von uns vielfach begrüßten Fortschritte im Schienenpersonennahverkehr des Landes – es ist erfreulich, was sich da entwickelt hat; Herr Kollege Scheuermann hat das ja dargestellt – ist immer noch eine Qualitätsoffensive überfällig. Denn was an Qualität auf unseren Schienenstrecken durch die DB Regio angeboten wird, ist, was Pünktlichkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Bequemlichkeit usw. anbelangt, in aller Regel mangelhaft. Da sind wir uns sicher einig. Nur aus der panischen Furcht heraus, dass Stuttgart 21 mehrfach abgesichert werden muss, hat man sich einer wichtigen Verhandlungsposition begeben. Das wird in der Zukunft mit Sicherheit ein Nachteil sein, wenn es um entsprechende Verhandlungen geht.

Im Übrigen – auch das ist noch ein Mangel, aber der ist ebenso hausgemacht –: Der Rechnungshof hat mit Recht beanstandet, dass die Verträge mit der DB Regio, die jetzt langfristig verlängert werden sollen, zu wenige Qualitätsstandardbestimmungen enthielten und dass das Controlling nach wie vor fehle. Auch dies ist ein Mangel, der bei der Verhandlungsposition mit der Deutschen Bahn AG oder auch mit anderen dazu führt – weil Ausschreibungen dann nicht mehr möglich sind, wenn man sich an ein Unternehmen bindet –, dass Qualität auch in Zukunft nicht in dem Maße gefördert wird, wie wir dies für nötig halten.

Meine Damen und Herren, wir sollten in diesem Hause wieder zu der konstruktiven und auch in Sachen Schienenverkehr im Land einvernehmlichen Auffassung zurückkehren, dass es zum Wohle des Landes am besten ist, wenn wir gemeinsam an der Beseitigung der Mängel arbeiten und dabei gemeinsam Fortschritte erzielen.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Es kann nicht sein, dass die Landesregierung, vertreten durch das Ministerium für Umwelt und Verkehr, in Sachen Bahn ein Eigentor nach dem anderen schießt und anschließend nach Rot-Grün ruft und sagt: Jetzt helft uns, das Spiel zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Döpper CDU: Jetzt wissen wir noch nicht, wie die Lösung der SPD aussieht! – Abg. Drexler SPD: Mehr Züge und Pünktlichkeit!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Herr Kollege Scheuermann, Sie sagen: „Zuerst brauchen wir Geld, und dann können wir ausschreiben.“ Dazu möchte ich einfach zur Erklärung sagen: Dann vergeht ja wirklich eine enorm lange Zeit, ohne dass sich etwas tut. Ich denke aber, man kann auch unverbindliche Angebote einholen, um überhaupt einmal das nötige Finanzpotenzial zu eruieren. Es könnte doch sein, dass man einen günstigen freien Anbieter findet. Es gibt ja auch einige auf dem Markt, die schon durchaus den Finger gehoben haben,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Fünf Stück!)

zum Beispiel die Mittelthurgaubahn, die ich nach meinen Aufenthalten in der Schweiz sehr schätze,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Fünf Stück!)

weil ich weiß, dass ihr Angebot qualitativ hochwertig ist. Solche Anbieter könnten einmal zeigen, was so etwas auf dem freien Markt kostet. Damit könnte man vielleicht auch die Deutsche Bahn wieder ein Stück in Bewegung bringen, die mit ihrer Vollkostenrechnung nicht auf dem richtigen Dampfer und schon gar nicht auf der richtigen Lok ist.

Wenn wir parallel tätig werden, können wir einfach Zeit gewinnen, und zwar nicht in dem Sinn, dass wir etwas aufschieben, sondern in dem Sinn, dass wir vorbereitet sind und auch unseren Regionen signalisieren: Wir arbeiten mit euch und ziehen mit euch am gleichen Strick.

Ich denke – das ist auch die Position der FDP/DVP-Fraktion –, Baden-Württemberg darf beim Thema Interregio nicht strategisch erstarren, nur auf den Bund schauen und sich ansonsten nicht bewegen. Sie haben mit den 40 fehlenden Passagieren ein hervorragendes Beispiel gebracht. Das Marketing kann hier nur zusammen von Land und Bund gemacht werden. Denn Zulieferer ist der öffentliche Nahverkehr. Da müssen wir uns zusammensetzen und untersuchen: Wo bekommen wir die Leute her? Wie bekommen wir gemeinsam mehr Kunden auf die Schiene?

Sie haben natürlich Recht: Basis für jedes vernünftige Konzept muss eine bundesweite Konstruktion sein. Eine Insellösung für Baden-Württemberg reicht nämlich nicht aus, sondern es muss auch eine Vernetzung mit den angrenzenden Ländern und letztlich natürlich mit den bundesweiten und den europaweiten Verkehrsverbindungen geben, weil die Anschlüsse vorhanden sein müssen.

Die „Stuttgarter Zeitung“ hatte mit ihrem gestrigen Kommentar auf Seite 3 völlig Recht, in dem davon gesprochen wird, dass von einer langfristigen Politik bei der Deutschen Bahn und beim Bund überhaupt nichts zu sehen ist und dass es nichts nützt, solange Geld da ist, geschwind zu bauen, um dann weiterzusehen, sondern dass man wirklich ein tragfähiges Zukunftsprojekt braucht. Dieses fordern wir hier ein.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Palmer.

Herr Scheuermann, zunächst einmal vielen Dank für Ihr Lob! Ich hoffe, dass wir weiter an einer konstruktiven Lösung arbeiten können. Ich teile meinerseits Frau Berroth ein Lob aus, weil ich denke, dass sie Recht damit hat, dass die Ausschreibung eilt. Wenn wir warten, bis Sie von der CDU zu Potte kommen, haben wir vielleicht die Interregiokatastrophe schon im Jahr 2003 produziert. Eine Lösung muss schneller kommen. Wir werden versuchen, Ihre Bereitschaft, für den Interregio etwas zu unternehmen, zu testen. Dazu bedarf es wohl eines Antrags, und ich hoffe, Sie stimmen dann auch zu. Die FDP/ DVP und der Rest des Hauses links hätten ja zusammen die Mehrheit.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Salomon GRÜ- NE: Wir kennen ja, wie das läuft!)

Hauptsächlich möchte ich natürlich zu Herrn Scheuermann sprechen. Herr Scheuermann, ich erkläre Ihnen das mit der Gefährdung. Ich erkenne ausdrücklich an, dass es im Land mittlerweile mehr Verkehr auf der Schiene gibt. Ich habe aber argumentiert, dass Sie für den Verkehr wesentlich mehr Geld erhalten haben, als Sie ausgegeben haben. Es ist nun einmal eine Tatsache – das habe ich aus dem Ministerium –: Sie haben im Jahr 1999 1,3 Milliarden DM an Regionalisierungsmitteln erhalten, und 900 Millionen DM haben Sie ausgegeben. Die Differenz ist zum Großteil zur Sanierung des Landeshaushalts verwendet worden. Damit haben Sie Herrn Eichel provoziert, die Regionalisierungsmittel nicht weiter zu erhöhen oder gar zu kürzen. Genau das gefährdet den Schienenverkehr in unserem Land.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Jetzt zu Ihrem Argument der Verhandlungsstrategie. Das kann ich nun gar nicht teilen. Sie haben schon in zwei Jahren 30 Millionen DM für nichts und wieder nichts ausgegeben. Da haben Sie doch auch schon die Verantwortung übernommen. Hätten Sie ausgeschrieben, hätten Sie wahrscheinlich keine müde Mark drauflegen müssen, und das Problem wäre dauerhaft erledigt gewesen. Das ist der Weg, den wir gehen müssen: die Effizienzgewinne durch den Wettbewerb zu nutzen. Dem aber verweigern Sie sich hartnäckig. Das ist das Problem Ihrer Politik.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wenn ich von der Gefährdung der Schiene durch Sie spreche, meine ich nicht nur die Landes-CDU, sondern auch die Bundes-CDU. Ich zeige Ihnen nur eine Grafik; das sind die Investitionen des Bundes in das Schienennetz. Die Langsamfahrstellen sind – das wissen Sie – in den letzten fünf Jahren entstanden. Die Grafik beginnt 1994 nach der Bahnreform. Damals waren 10 Milliarden DM versprochen. Dann geht es immer weiter herunter, und der tiefste Punkt war 1998. Dann kam Rot-Grün an die Regierung, und mittlerweile sind wir da, wo wir eigentlich schon früher hätten sein müssen: bei 10 Milliarden. Sie haben den Schienenverkehr in Baden-Württemberg durch die Verlotterung des Bahnnetzes massiv gefährdet.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Jetzt will ich dem Kollegen Göschel auch noch in einem Punkt Recht geben: Es gäbe eine aktuellere Debatte als das Thema „Interregioverkehr in Baden-Württemberg“. Das wäre die Aktuelle Debatte, die wir ursprünglich beantragen wollten. Das Thema hätte „Bahncard, Bahn-Preissystem“ gelautet. Dieses Thema wäre aktueller gewesen. Dazu habe ich von Ihnen jetzt leider nichts gehört.

Deshalb noch einmal die Aufforderung an Sie: Setzen Sie sich dafür ein, dass der Rabatt von 50 % beim Nahverkehr erhalten bleibt! Ein Abrücken davon gefährdete insbesondere im ländlichen Raum außerhalb der Verkehrsverbünde den Nahverkehr ganz massiv. Über § 12 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes haben Sie in dieser Frage im Gegensatz zum Bund ein Mitspracherecht. Ich fordere Sie und Verkehrsminister Müller, der leider nicht anwesend ist,

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Der isst gerade Plu- toniumsuppe!)

auf: Verhindern Sie die Zerstörung des Bahncardrabatts im Nahverkehr!

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Weil wir gerade bei Herrn Müller sind, zum Schluss noch einmal ein Zitat – Frau Berroth hat es auch entdeckt. Bei mir stand das in der „Südwest Presse“, es dürfte aber dieselbe Quelle gewesen sein. Es heißt dort:

Der baden-württembergische Industrie- und Handelskammertag fordert die Landesregierung auf, sich für mehr Wettbewerb im Schienenverkehr stark zu machen. Die Wirtschaft spreche sich dafür aus, die Interregiolinien auszuschreiben.

Wir stimmen sehr gerne mit der Wirtschaft überein, wenn wir Sie auffordern, endlich vernünftig zu handeln.

Das geht sogar noch weiter – im Bodenseeraum ist man davon besonders betroffen –:

Ähnliches treibt die Initiative der Industrie- und Handelskammern Bodensee, Oberschwaben und Ulm um. Sprecher Dietrich Engmann forderte, den Bahnverkehr auf der Trasse Friedrichshafen – Lindau – Ulm – Stuttgart rasch auszuschreiben.

Ganz offensichtlich ist es entweder dort seit dem Abgang von Herrn Müller zu einem Kompetenzzuwachs gekommen oder ist hier im Ministerium ein Kompetenzverlust eingetreten, seit er dort angelangt ist. Also, bitte schön, Herr Müller, bitte schön, CDU-Fraktion: Schreiben Sie aus, damit der Interregio eine Zukunft hat!

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Salomon GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Mappus.

(Abg. Alfred Haas CDU: Der Müller heißt heute Mappus!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal finde ich die Debatte, wie sie läuft, sehr interessant. Es hat schon einige

bemerkenswerte Argumente gegeben. Ich begrüße auch die Tatsache sehr, dass eigentlich jeder Redner mehr über den Regionalverkehr als über den Fernverkehr geredet hat und auch überall zum Ausdruck kam, dass der Regionalverkehr als solcher offensichtlich nicht schlecht laufen kann.

Wenn ich einmal schaue, wie sich der Regionalverkehr seit 1996 entwickelt hat, wie sich die Verkehre in Baden-Württemberg entwickelt haben – 35 % mehr Verkehre, rund 30 % mehr Passagiere, deutlich mehr Verbindungen auch zu sonst ungünstigen Zeiten –, dann denke ich – und ich sage dies jetzt bewusst auch parteienübergreifend –, dass wir in Baden-Württemberg in diesem Bereich auf einem sehr guten Weg sind.

Weil ich der Meinung bin, dass sich dieses Thema nicht für parteipolitische Profilierungen eignet, möchte ich nur einmal feststellen, dass im Zuge der Bahnreform unter anderem das Grundgesetz – logischerweise mit breiter Mehrheit – geändert wurde. Ich würde mir wünschen, dass wir im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit hätten, aber ich habe nicht die Hoffnung, dass das in Berlin in Kürze eintreten wird.

Wenn ich das Regionalisierungsgesetz ansehe, dann muss ich sagen: Es mag zwar sein, Herr Kollege Göschel, dass die Ministerpräsidenten da gut verhandelt haben, aber beschlossen wurde es halt im Bundestag und im Bundesrat. Und wie damals die Mehrheitsverhältnisse waren, wissen wir auch alle. Insofern: Wir sitzen alle im Boot. Die Beschlüsse wollten alle. Dass ein solches riesiges Reformprojekt die eine oder andere Kinderkrankheit hat, ist auch klar, dass man daran arbeiten muss, sicher auch. Aber ich denke, der Weg war richtig. Dies zeigt sich unter anderem eben in Baden-Württemberg.