Protokoll der Sitzung vom 01.07.2004

(Zuruf des Abg. Junginger SPD)

Aber auch da wird sich eines Tages die Frage erheben: Wo hören wir auf, und wo beginnen wir mit solchen zusätzlichen unternehmerischen Tätigkeiten?

Die unscharfe Grenze – darauf komme ich jetzt – zwischen zulässiger und unzulässiger kommunaler wirtschaftlicher Tätigkeit muss deutlich aufgezeigt und damit auch formaljuristisch anwendbar gemacht werden.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Jawohl!)

Damit ist auch die Gemeindeordnung um eine Privatisierungsklausel mit drittschützender Wirkung zu ergänzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Hofer FDP/DVP)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch kurz auf das EU-Recht eingehen. Es stellt sehr auf offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ab. Daraus ist auch eine Präferenz für privatwirtschaftliche Lösungen zur Erfüllung zu– mindest der materiellen Staatsaufgaben zu sehen. Beispielsweise bekamen die staatlichen Banken dies durch den Wegfall der Staatshaftung bereits zu spüren. Und die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland werden sich noch sehr intensiv mit den Fragen des europäischen Wettbewerbsrechts auseinander setzen müssen.

Auch die Frage nach einer sinnvollen Konzeption der staatlichen Daseinsvorsorge und einer Grenzziehung zwischen dem privaten und dem staatlichen Sektor könnte in der europäischen Dimension mehr zugunsten des offenen Wettbewerbs entschieden werden. Wir müssen uns, glaube ich, auch auf diese Situation vorbereiten. Wir müssen diese Entwicklung schon heute erkennen, damit wir in unserem Land keine Nachteile hinnehmen müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Junginger.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die CDU einen Redner, der schwerpunktmäßig Wirtschaftspolitiker ist, aufgeboten hat, darf ich als Innenpolitiker der SPD-Fraktion mich diesem Thema zuwenden und dabei als Erstes die Überschrift zitieren – Kernbegriff –: „Verlässliche Politik für Baden-Württemberg“.

Wenn ich die umfangreiche Stellungnahme, die Initiativen, die noch keine Fortschritte in der Ergebnisorientierung erkennen lassen, würdige, komme ich zu dem Schluss: Es ist eher eine verlässliche Politik des Stillstands in BadenWürttemberg.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Dies ist deshalb besonders gerechtfertigt,

(Zuruf des Abg. Pauli CDU)

weil wir gerade gestern bei der Verwaltungsreform gehört haben, es gehe um Bürokratieabbau, um Vorschriftenabbau und Aufgabenreduzierung. Dazu sagen wir: Welche Erkenntnisse! Heute diskutieren wir über eine Stellungnahme vom September 2003, die erkennen lässt, dass durchaus kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem vorliegt. Dort finden wir wieder Vorschriften, Untervorschriften und Regelungen zuhauf, ohne dass erkennbar wäre, dass in der Frage des Bürokratieabbaus auch erste Erfolge zu verzeichnen wären.

Was bedeutet das konkret? Wenn der Aufgabenabbau schon im September 2003 als ein wesentliches Element der Verwaltungsreform bezeichnet worden ist, wenn in dieser Stellungnahme steht, dass alle Ministerien aufgefordert seien, Vorschläge zu machen, wie in diesem Bereich Aufgabenabbau oder Privatisierungen möglich wären, die Auswertung damals aber noch nicht abgeschlossen gewesen sei, dann stellt sich heute die Frage: Welche Ergebnisse lagen denn beispielsweise bis gestern vor? Unser Eindruck ist, dass man es nunmehr den Land- und Stadtkreisen überlassen will, die eigene Aufgabe, die vor über einem Jahr mit diesem Antrag auch angesprochen worden ist, zu erledigen.

Wir sagen: Immer ist zu beachten, dass Daseinsvorsorge und Gemeinwohl bei der Frage der Wahrnehmung der Aufgaben der öffentlichen Hand Vorrang haben müssen. Wir sehen das auch auf der europäischen Ebene, wo es ja nicht darum geht, etwa die Wettbewerbskräfte zu stärken, sondern wo es darum geht, die nationalen Strukturen im Bereich der Daseinsvorsorge, die in den EU-Ländern sehr unterschiedlich wahrgenommen und definiert werden, nach besten Kräften zu bewahren.

(Glocke der Präsidentin)

Deswegen ist auch im Konvent zur Europäischen Verfassung das Thema „Subsidiarität, Selbstgestaltung der nationalen und der kommunalen Verhältnisse“ behandelt worden.

(Glocke der Präsidentin)

Dies halten wir für richtig.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hofer?

Sehr gern, wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Das wird es nicht.

Bitte sehr, Herr Abg. Hofer.

Herr Kollege Junginger, sind Sie mit mir der Meinung, dass sich der Begriff der Daseinsvorsorge, auf den Sie sich zu Recht beziehen, seit der Definition durch Forsthoff in den Dreißigerjahren in der Zwischenzeit außerordentlich geändert hat, dass das insbesondere im Bereich der EU festzustellen ist und dass man darauf dann auch in entsprechenden Änderungen einzugehen hat?

Herr Kollege Hofer, das, was wir unter Gemeinwohl und Daseinsvorsorge verstehen, werden auch Sie nachvollziehen können. Nach unserem Verständnis ist beispielsweise speziell die Wasserversorgung eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Darüber können wir vielleicht mit Ihnen diskutieren. Andere sehen das anders. Da gibt es auch zu Forsthoff keinen Unterschied. Die öffentliche Hand hat nämlich die Verpflichtung, die Grundlebensbedingungen sicherzustellen, und zwar zu erträglichen Preisen, sodass die Grundlebensbedingungen für alle in gleicher Weise gewährleistet sind. Da brauchen wir keinen Forsthoff, sondern das ist Politik einer sozialen Gerechtigkeit, eine zukunftsorientierte Politik für Europa. Deswegen ist die Herausforderung der europäischen Ebene, dass diese Begriffe Gemeinwohl und Daseinsvorsorge nicht untergeschleift werden.

Dies ist hier auch das Thema. Deswegen danke ich für die Stellungnahme zu dem Antrag, die wirklich auch denen, die nicht so in dem Thema stecken, auf vielen Seiten darlegt, was alles zu beachten ist: Artikel 33 Abs. 4, nämlich die Erledigung von öffentlichen Aufgaben durch öffentlich Bedienstete. Überall sind Dinge zu beachten, bevor man dann sagen kann: Nun lasst uns doch mal privatisieren, lasst uns Aufgaben abbauen!

Ich darf sagen: Mein Fazit ist, dass die Bemühungen noch zu keinen guten Ergebnissen geführt haben; denn die Fragen, die die CDU-Fraktion zu den verschiedenen Feldern gestellt hat, mussten ganz überwiegend so beantwortet werden, dass in diesen Feldern keine Möglichkeit der Privatisierung bestehe. Wenn es darum geht, öffentliche Aufgaben zu privatisieren, dann lese ich, dass der Aufsichtsdienst in Museen beispielsweise ein solches Erfolgsergebnis darstellt oder etwa die Übernahme von Kantinen in Fachhochschulen durch Private.

Da sind wir uns völlig einig: Wenn durch eine Privatvergabe die Aufgaben günstiger erledigt werden können, kann sich die Frage des Vorrangs von Daseinsvorsorge oder Gemeinwohl nicht stellen. Aber in den zentralen Fragen des Gemeindewirtschaftsrechts – Herr Kollege Kurz hat das als Hauptthema angesprochen – warten wir ab, was die Subsidiaritätsprüfung, die uns hier in diesem Jahr noch beschäftigen soll, ergeben wird und welche Möglichkeiten gegeben

sind, dass tatsächlich auch im kommunalen Bereich weitere Privatisierungen erfolgen können – allerdings immer unter der Vorgabe des kommunalen Selbstbestimmungsrechts. Nicht wir schreiben vor, was wer machen darf, sondern das Grundgesetz und die Landesverfassung geben den Kommunen die Befugnis zu Selbstgestaltungen.

Da ich nicht mehr sehr viel Redezeit habe und auf der anderen Seite der Herr Innenminister zu den aufgeworfenen Fragen sicherlich noch Stellung nehmen wird – Auswertung eines Bund-Länder-Fachausschusses zum Thema Kfz-Zulassung; die Frage, was die kommunalen Verbände und die Ministerien noch als Beiträge geliefert haben, denn die Auswertung war damals noch nicht erfolgt –, möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem Herrn Innenminister zu danken. Ich glaube, es ist beispielhaft – er ist hoffentlich nicht bei der Erstellung dieser Vorlage amtsmüde geworden –, dass er sein Amt für einen Nachfolger zur Verfügung stellt. Auch wir danken für seine erbrachte Leistung, rechnen mit einem Freibier von Rothaus

(Heiterkeit – Zurufe von der CDU)

und bitten insbesondere darum, die Aufgaben, die gerade im Bereich dieses umfangreichen Antrags noch zu leisten sind, mit dem gleichen Engagement fortzuführen. Denn es ist auch unter Kostengesichtspunkten dringend notwendig, über Aufgabenabbau, Entbürokratisierung, Vorschriftenrückbau zu reden. Bisher sind die Ergebnisse nicht so ausgefallen, dass wir ein Lob aussprechen könnten. Aber jedenfalls: Die Stellungnahme zu dem vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion ist qualifiziert und gibt all denen, die locker von Privatisierung und Aufgabenabbau reden, einmal eine gute Grundlage an die Hand, was in diesem Zusammenhang zu beachten ist.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung zur Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen vorab: Im Landkreis Osnabrück gibt es kein staatliches oder kommunales Krankenhaus, kein staatliches oder städtisches Altenheim und nur wenige kommunale Kindergärten.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Die Abfallwirtschaft ist vollständig privatisiert, der Staat beschränkt sich auf Kontrolle und Aufsicht.

(Abg. Fischer SPD: Seit wann ist die Abfallwirt- schaft voll privatisiert?)

Das Gleiche gilt für große Teile der Wasserwirtschaft, und nur wenige Gemeinden unterhalten kommunale Regiebetriebe, Stadtwerke, Kurbetriebe.

Im Ergebnis gehört der Landkreis Osnabrück zu den wenigen Gebietskörperschaften in Deutschland, die in den vergangenen zehn Jahren ihre Verschuldung deutlich reduzie

ren konnten. Nach einer aktuellen Umfrage der Zeitschrift „Stern“ fühlen sich die Menschen in der Region Osnabrück – das sind die Stadt und der Landkreis sowie der Landkreis Vechta – im Vergleich aller Regionen Deutschlands am wohlsten.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Junginger: Nieder- sachsen, mein Gott! Das haben wir aber anders ge- hört! – Zuruf des Abg. Dr. Witzel GRÜNE)

Das ist, denke ich, eine gute Nachricht und zeigt ein Ziel auf. Nachdem der Bereich der öffentlichen Dienstleistungen in den letzten Jahrzehnten nämlich ein echter Wachstumsmarkt war, bei dem es manchmal eher nach dem Prinzip „Wer bietet mehr?“ zu gehen schien,

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

wird inzwischen der gute alte liberale Grundsatz „So viel Staat wie nötig, aber eben auch so wenig Staat wie möglich“ erfreulicherweise immer mehr zum Allgemeingut. Es ist schön, dass die CDU dies zum Anlass genommen hat, hier einmal genau nachzufragen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr gut!)

Das Handeln, dass man immer mehr an Privatisierungen herangeht, wird zwar oft weniger durch politische als vielmehr durch haushaltsrechtliche und wirtschaftliche Vorgaben bestimmt, aber wichtig ist, dass die dringend notwendige Offensive endlich vorankommt.