Protokoll der Sitzung vom 21.07.2011

Sie sagen „genau“, aber ich frage: Wo?

(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Mir ist das bekannt. Mir ist auch das Umlageverfahren bekannt. Sie haben diese Argumentation be reits beim Kassensturz angeführt, und das spricht nun einmal wieder dafür, dass wir die ganze Geschichte sehr genau un tersuchen müssen.

Wir können natürlich das Geld nicht einmal zur Kredittilgung ausgeben – das begehrte der Antrag, über den wir heute Mor gen gesprochen haben –, einmal in Pensionsrücklagen festle gen, was vielleicht gar nicht funktioniert, und dann kommen in einem Jahr oder in zwei Jahren Anträge von der Oppositi on, den Sanierungsstau abzubauen. Hier sollten wir schon ei ne Linie hineinbringen.

Ich möchte hier den CDU-Fraktionsvorsitzenden, Herrn Hauk, zitieren. Herr Hauk sagte in der Diskussion zum Kassensturz zu den Pensionsproblemen:

Dies sollte maßvoll, aber auch unter Beachtung der Kon solidierung des Landeshaushalts geschehen.

So machen wir das auch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort hat nun Herr Staatssekretär Rust.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Warum beschäftigen wir uns heute eigent lich mit diesem Thema?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Weil wir ei nen Gesetzentwurf eingebracht haben! Ganz einfach!)

Formal geantwortet: weil es einen Gesetzentwurf der FDP/ DVP gibt. Aber warum liegt dieser Antrag heute vor? Weil 60 Jahre lang zu diesem Thema schlicht nichts gemacht wurde.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht! – Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist doch lächerlich! Sagen Sie doch einmal, wie hoch der Betrag der Rück lage ist! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/ DVP)

Deswegen müssen wir uns heute mit diesem Thema der Erb last im Bereich der Pensionsverpflichtungen beschäftigen. – Lassen Sie mich das noch einmal genau erläutern, Herr Dr. Rülke. Dann werden Sie sehen, dass das, was gemacht wur de, annähernd nichts ist.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ah!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aus der eben ge haltenen Rede von Herrn Kößler zitieren; die fand ich sehr be merkenswert, und das ist der Grund, weshalb wir uns heute damit beschäftigen. Er sagte:

Denn ohne Regeln kann keine gute Finanzpolitik betrie ben werden. Das sieht man beim Blick auf die Vergangen heit.

Genau so ist es: In der Vergangenheit wurde keine gute Fi nanzpolitik gemacht, und deswegen müssen wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die FDP/DVP hat uns nun bei diesem Thema jovial angebo ten, die helfende Hand zu reichen. „Wir wollen der neuen Lan desregierung helfen“, haben Sie, Herr Dr. Rülke, gesagt. Ei ne Hilfe wäre es gewesen, wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf auch geschrieben hätten, wie der Fonds finanziert werden soll. Genau das haben Sie von uns gefordert. Sie haben diesen Vor schlag des Rechnungshofs mit der Begründung abgelehnt: „Wir können es momentan aus Haushaltsmitteln nicht finan zieren.“ Eine Hilfe wäre es gewesen, wenn Sie uns heute sa gen würden: „Liebe Landesregierung, wir zeigen euch auch, wie die von uns geforderte Erhöhung finanziert werden kann.“ Das wäre eine wirkliche Hilfe gewesen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Der Rechnungshof hat trotzdem recht, und die Zielrichtung Ihres Gesetzentwurfs ist ebenfalls richtig. Wir, die Landesre gierung, haben uns aber auf den Weg gemacht, nicht aus Ein zelbetrachtungen Schlüsse zu ziehen, sondern eine Gesamt schau über die finanzielle Situation des Landes zu machen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Noch ein mal einen Kassensturz!)

Einen Kassensturz, Herr Dr. Rülke, haben wir schon ge macht. Das hat der Minister dargelegt. Es wäre gut, wenn Sie einmal ein bisschen zuhören und erst dann Ihre Zwischenru fe tätigen würden. Dann wären die Zwischenrufe vielleicht noch besser.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das Wesen des Zwischenrufs ist, dass er dazwischen erfolgt! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD: Aber das We sen sollte nicht sein, dass er sinnlos ist!)

Aber dann sollten die Zwischenrufe auch geistreich sein.

Diese Einzelbetrachtung führt uns aber nicht weiter. Ich bin mir sicher: Würde der Rechnungshof auch eine Gesamtschau machen und nicht nur Einzelbetrachtungen anstellen, würde auch er zu dem Schluss kommen, dass es nicht hilft, an dem einen Ende der zu kurzen Decke zu ziehen, sondern dass man eine Gesamtschau anstellen muss.

Wir haben von Ihnen eben nicht nur die Erblast Pensionsver pflichtungen übernommen. Wir haben einen Sanierungsstau von über 6 Milliarden € bei den 8 000 Landesgebäuden über nommen. Auch das ist eine Verpflichtung, die wir in der Zu kunft haben. Wir haben von Ihnen desolate Landesstraßen

übernommen – auch das ist, wenn man es bilanziell betrach tet, eine faktische Verschuldung, die wir haben und die wir ebenfalls in diese Gesamtschau einbeziehen müssen.

Ich habe jetzt nur die ganz großen Brocken herausgegriffen. Wir haben im aktuellen Haushalt Einmaleffekte, die Sie recht zeitig vor der letzten Landtagswahl dort eingebaut haben und die mit fast 2 Milliarden € zu Buche schlagen. Diese Einmal effekte werden wir im nächsten Jahr nicht haben. Wir würden sie im Übrigen auch dann noch immer im Haushalt haben, wenn wir bereits in diesem Jahr die Nullneuverschuldung an streben würden. Diese Einmaleffekte haben Sie deshalb ein gebaut, damit der Landeshaushalt im Jahr vor der Wahl mög lichst gut aussah.

Aber auch diese Einmaleffekte müssen wir in den nächsten Jahren angehen. Sie zeigen sich in der mittelfristigen Finanz planung als sogenannte Deckungslücke. Sie haben für das Jahr 2014 in der Rubrik „Neuverschuldung“ das schöne Wort Null hineingeschrieben. Aber Sie hatten damals überhaupt keinen Plan, wie man dann die Deckungslücke von 3 Milliarden € ausgleicht.

(Abg. Karl Klein CDU: Doch! Hatten wir!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, die Landesregierung, haben uns vorgenommen, eine seriöse Gesamtschau zu ma chen. Wir wollen nicht an Einzelpunkten herumdoktern, son dern eine seriöse Gesamtschau machen und dann einen Fi nanzplan für 2020 aufstellen, mit dem wir eine realistische Perspektive entwerfen, wie wir den Landeshaushalt sanieren. Es reicht nicht, irgendwo eine Null hineinzuschreiben, damit es schön aussieht, sondern es geht darum, ein realistisches Sa nierungskonzept aufzubauen.

Darin ist das Thema Pensionsverpflichtungen ein Baustein. Mit diesem Thema werden wir uns beschäftigen. Vielleicht kommen wir auch zu dem Schluss, den Sie in Ihrem Gesetz entwurf implizieren. Aber wie ich bereits sagte, dürfen wir nicht lediglich an einem Ende der zu kurzen Decke ziehen, sondern wir müssen die anderen Enden mit berücksichtigen. Dazu gehören die Sanierungsstaus bei Landesstraßen und Lan desgebäuden, dazu gehören die Lücken im Haushalt, für de ren Deckung noch kein Plan existiert. Im Zuge einer solchen Gesamtbetrachtung werden wir dann auch das Thema Pensi onsverpflichtungen angehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke der Präsidentin)

Herr Staatssekretär, ge statten Sie zwei Nachfragen?

Sehr gern.

Zunächst Herr Abg. Köß ler und dann Herr Abg. Dr. Bullinger.

Herr Staatsekretär Rust, wenn Sie die von mir vorgeschlagene regelgebundene Finanzpoli tik so gut finden, warum haben Sie sie nicht in der Vergangen heit vorgeschlagen?

Meine zweite Frage: Sie haben seinerzeit auch immer wieder Vorschläge gemacht. Wenn man alle Vorschläge im Sinne ei

ner fallgebundenen Finanzpolitik, die Sie unterbreitet haben, verwirklicht hätte, hätten wir heute noch mehr Schulden.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Wie lautet die Frage?)

Das war eine Anmerkung. – Was sagen Sie dazu? Werden Sie in Zukunft den Vorschlag machen, eine regelgebundene Finanzpolitik außerhalb oder unterhalb der Schuldenbremse einzuführen?

Das Zweite war eine Bemerkung, keine Frage. Die kommentiere ich jetzt nicht.

Das Erste war eine Frage. Ich habe gesagt, wir brauchen Re geln. Aber das heißt nicht, dass ich die von Ihnen vorgeschla gene Regel für die richtige halte. Wir brauchen aber – ich glaube, da sind wir uns einig – striktere Regeln für den Um gang mit diesem Thema. Eine Regel, wenn ich es im weites ten Sinn auslege, könnte sein, dass wir einen solchen verbind lichen Orientierungsrahmen bis 2020 festlegen, der dann auch für die Ressorts verbindlich ist, mit dem wir dann ein klares Konzept und eine klare Linie haben, wie wir zu der Nullneu verschuldung im Jahr 2020 kommen. Das könnte eine Regel sein. Darüber, wie diese Regel dann noch weiter differenziert wird, werden wir gemeinsam mit Ihnen und mit dem Landtag zu diskutieren haben.

Herr Staatssekre tär, Sie, auch Ihr Minister, auch der Fraktionsvorsitzende Ih rer Partei haben immer auf den Investitionsstau im Bereich des Straßenbaus hingewiesen. Sie haben sogar einen Wettbe werb gemacht: „Wer hat die schlechtesten Landesstraßen?“ Ist Ihnen bekannt, dass beispielsweise von 1988 bis 1992 un ter Minister Schaufler 669 Millionen € für die Investitionsmit tel im Landesstraßenbau bereitgestellt wurden

(Abg. Andreas Stoch SPD: Machen wir jetzt Landes geschichte?)

und dass mit Eintritt von Herrn Spöri und der SPD in die Gro ße Koalition dieser Betrag um 302 Millionen € gekürzt wur de? Dadurch haben wir noch heute Probleme.

Das Gleiche gilt beim Unterhalt: Hier erfolgte im gleichen Zeitraum eine Reduzierung um rund 370 Millionen € auf rund 300 Millionen €; dies hat die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir, Drucksache 14/5059, so be stätigt. Ist Ihnen das bekannt, und glauben Sie, dass solche Vorgänge aus der Zeit, als Sie mitregiert haben, eindeutig auch dazu beitragen, dass der Investitionsstau im Straßenbau so heftig ausfällt, wie Sie es immer behaupten?