Protokoll der Sitzung vom 09.10.2013

Herzlichen Dank. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Rüeck das Wort.

(Zuruf von der SPD: Er findet das Mikrofon schon gar nicht!)

Frau Ministerin, inzwi schen hat das Anhörungsverfahren zum Gesetzentwurf statt gefunden. Sie haben danach verlautbaren lassen, dass Sie sehr viel Lob erfahren haben und dass dies der große Wurf sei. Darf man dann fragen, wieso das weitere Gesetzgebungsverfahren bis zum Anfang des nächsten Jahres verschoben worden ist? Wenn dies der große Wurf ist und man so viel Lob erhält, hät te man es doch gleich machen können.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das darf man sicher im mer fragen, Herr Abgeordneter. Es ist ganz einfach so, dass es viel Lob und auch viel Bestätigung dafür gab, dass wir nun unterschiedliche Wohnformen entwickeln und ermöglichen wollen. Es gab aber auch eine Unmenge an Zuschriften – weit über tausend Seiten –, die es nun durch das Ministerium aus zuwerten gilt. Dort, wo man schlüssig sagen kann, dass wir noch etwas anders gestalten oder anders formulieren müssen, weil es sonst für die zukünftigen User noch nicht klar ist, wer den wir eine entsprechende Änderung vornehmen. Wir haben uns bei diesem Gesetz vorgenommen, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Das habe ich den Mitgliedern des Sozial ausschusses schon mitgeteilt.

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Mi nisterin, ich möchte an das anschließen, was Herr Kollege Rüeck bereits angesprochen hat. Können wir aufgrund der er heblichen Rückmeldungen und aufgrund der vielen Punkte davon ausgehen, dass Sie in den nächsten Gesetzentwurf

schon Änderungen einbauen? Ich will die Stichworte nennen, die auch in den Rückmeldungen mehrfach genannt wurden: Bürokratieabbau, Doppelstrukturen – MDK und Heimauf sicht; bei diesem Thema kann man zwar jetzt den Willen er kennen, etwas zu ändern, aber es fehlt noch an der Konkreti sierung –, das Thema „Bestandsschutz für bestehende inno vative Einrichtungen“ und die mehrfach angesprochene Ver sorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und von Menschen mit Behinderungen. Auch würde mich inter essieren, ob Sie für den Bereich der Wohnungslosenhilfe eben falls Änderungen für die nächste Vorlage planen.

Bitte schön, Frau Minis terin.

Ich beantworte Ihre Fra gen wie folgt: Diesen Bereich, der im Volksmund Bürokratie genannt wird, also die Doppelprüfung, die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und die Prüfung durch die Heimaufsicht, die bei den Landratsämtern angesie delt ist, nehmen wir sehr ernst.

Wir haben deshalb bereits ein neues Modell auf den Weg ge bracht. Ich habe darüber in dieser Woche verhandelt. Wir wol len die Zusammenarbeit der Prüforgane erweitern. Erstmals soll die Möglichkeit bestehen, Modellvorhaben auf Landesebe ne in Anlehnung an die Regelung in § 117 Absatz 2 SGB XI durchzuführen.

Wir wollen dies zunächst als Modell – das kann ich sagen – im Landkreis Ludwigsburg durchführen. Dieser Landkreis ist für das Modellvorhaben ausgewählt worden – vier Einrich tungen in unterschiedlicher Trägerschaft. Wir wollen untersu chen, wie es gelingen kann, das Prüfverfahren insgesamt zu vereinfachen, indem beispielsweise der Medizinische Dienst und die Heimaufsicht Prüfungen gemeinsam vornehmen. Wir wollen das Vorhaben hinterher evaluieren und im nächsten Jahr sehen, ob die Möglichkeit besteht, dieses Modellvorha ben zur Regel werden zu lassen – wenn die Evaluation das entsprechende Ergebnis bringt. Wir erwarten davon deutliche Synergieeffekte im Hinblick auf die Aufwendungen, die von den Trägern in Bezug auf diese Prüfungen erbracht werden müssen.

Man darf allerdings bei allem Forcieren dieser Modelle nicht vergessen, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen und die Heimaufsicht kraft ihres Wesens unterschiedliche Prüfziele haben. Der Medizinische Dienst ist gehalten, leis tungsrechtlich zu prüfen, also zu prüfen, ob die Leistung, die eine Kasse bezahlt, entsprechend erbracht wird, während die Heimaufsicht für das Ordnungsrecht zuständig ist.

Wir wollen anhand des Modells untersuchen, an welchen Stel len es in der Praxis Überschneidungen gibt und wie man ganz praktisch damit umgehen kann, um die Verfahren zu verein fachen.

Über dieses Modellvorhaben hinaus wollen wir noch eine wei tere Neuerung einführen. Um belastende, zeitnah aufeinan derfolgende Prüfungen zu vermeiden, wollen wir im Gesetz die Möglichkeit eröffnen, die Regelprüfung generell um sechs Monate zu verschieben. Dies wird in § 17 Absatz 6 im neuen Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz verankert.

Zu der Frage – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So fängt es an! – Ver einzelt Heiterkeit – Abg. Jochen Haußmann FDP/ DVP: Ob es einen neuen Gesetzentwurf geben wird! – Gegenruf von der CDU: Muss es ja!)

Es wird sicherlich Änderungen im Gesetzentwurf geben. Was die Frage nach Wohnregelungen für psychisch erkrank te Menschen, aber auch für manche ambulante Behinderten einrichtungen und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe an geht, wird der Gesetzentwurf entsprechend präzisiert.

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Hinderer das Wort.

Frau Ministerin, von einigen Trägern stationärer Einrichtungen wurde die Frage aufgewor fen, inwieweit für diese durch die ambulant betreuten Wohn formen Konkurrenz geschaffen wird. Es wurde gesagt, dass die Standards für die Wohngemeinschaften zu niedrig seien. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Wie bei allen Fragen gilt auch hier: Das Böse liegt immer im Auge des Betrachters bzw. an den Stellen, die einen selbst betreffen. Ich gehe grundsätz lich nicht davon aus, dass es zu einer Konkurrenz zwischen ambulant betreuten Wohngemeinschaften und stationären Ein richtungen kommt. Wenn wir uns die Entwicklung in der sta tionären Pflege in den letzten zehn Jahren anschauen, dann können wir feststellen, dass die Menschen heute – im Gegen satz zu früher – fast nur noch dann in ein Pflegeheim, in eine stationäre Einrichtung ziehen, wenn sie entweder so krank sind, dass sie möglicherweise nur noch wenige Wochen oder wenige Monate zu leben haben, oder wenn sie so stark an De menz erkrankt sind, dass sie beim besten Willen nicht mehr zu Hause oder in einer Wohngemeinschaft leben können. Des wegen sehe ich hier zunächst keine Konkurrenz.

Hinsichtlich der ambulant betreuten Wohngemeinschaften ha ben wir sehr lange überlegt, welche Anforderungen wir an die se stellen sollen und wie hoch die Qualitätsanforderungen ins gesamt sein sollen. Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft soll für die Menschen, die sich entschieden haben, in einer solchen zu leben, noch bezahlbar sein – auch im Vergleich zu einer stationären Einrichtung.

Deswegen haben wir drei Kriterien festgelegt, die für ambu lant betreute Wohngemeinschaften zwingend gelten sollen; dies wird nicht über eine Verordnung geregelt, sondern soll im Gesetz festgeschrieben werden. Bei diesen Kriterien han delt es sich um die Anzahl der Quadratmeter der Unterkunft, die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner einer solchen ambulant betreuten Wohngemeinschaft sowie um die perso nelle Voraussetzung, dass über 24 Stunden am Tag eine Kraft anwesend ist.

Das sind weniger Anforderungen als in der stationären Pfle ge; aber der Schutzbedarf eines Bewohners in der stationären Pflege ist höher als der Schutzbedarf eines Bewohners, der sich entschieden hat, in einer ambulant betreuten Wohnge meinschaft zu leben.

Für die CDU-Fraktion darf ich Herrn Abg. Rüeck das Wort erteilen.

Frau Ministerin, wir sind uns einig, dass Pflege auch finanzierbar sein muss. Ich glau be, wir beide sind uns einig, dass mit dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz keine ambulanten Wohngemeinschaften nur für reiche Menschen geschaffen werden sollen.

Als nötige Anzahl an Bewohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft wurde von Ihnen acht genannt. Das hat Ihnen von Betroffenen, von den Verbänden nicht nur Lob, von dem Sie berichten, sondern auch viel Kritik eingebracht. Des wegen habe ich eine konkrete Frage: Werden Sie im neuen Gesetzentwurf an dieser Anzahl an Bewohnern festhalten?

Herr Rüeck, Sie haben ei ne Frage aufgeworfen, die in der Tat noch einmal sehr gründ lich zu diskutieren ist. Die Rückmeldungen dazu haben dies gezeigt.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sonst hätte ich dies nicht gefragt!)

Ich kann allerdings für mich und für heute sagen, dass es be reits Wohngemeinschaften im Land unter Umgehung des der zeitigen Heimrechts gibt. In ihnen leben sechs Bewohner, und die Wohngemeinschaft rechnet sich wirtschaftlich. Andere äu ßern, hierfür würden mindestens elf Bewohner benötigt. Wir sind gerade dabei – vermutlich betrifft dies auch Ihre vorhe rige Frage –, diese Frage noch einmal sehr gründlich zu prü fen. Wir prüfen sehr genau, welche Anzahl an Bewohnern tat sächlich angemessen ist.

Denn wir wollen natürlich auf der einen Seite nicht die Wirt schaftlichkeit der Einrichtungen beschneiden, aber auf der an deren Seite wollen wir die qualitativ bestmögliche Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner. Insoweit wird man sehr genau prüfen müssen, welche Anzahl an Bewohnern ange messen ist.

Allerdings sagt uns auch die Alzheimer Gesellschaft, dass sich insbesondere an Demenz Erkrankte in einer Umgebung mit einer geringeren Anzahl an Personen offensichtlich am wohls ten fühlten.

Aber, wie gesagt: Diese Frage ist sehr oft angesprochen wor den, und wir behalten uns vor, sie noch einmal gründlich zu prüfen. Daher möchte ich zum heutigen Zeitpunkt keine Aus sage darüber machen.

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Frau Ministerin, mit dem bestehenden Heimrecht haben wir die Situation, dass das eine oder andere Heim im Rahmen der Übergangsfristen – Stichwort Einzelzimmervorgabe – in später Zukunft vielleicht nicht mehr so weitergeführt wird, weil die bauliche Situation es so ergibt. Im Ministerium gibt es derzeit eine Arbeitsgrup pe, die sich konkret damit beschäftigt. Es sind auch verschie dene Träger einbezogen, die vor diesem Hintergrund vor der Überlegung stehen: Kann ich möglicherweise in den ambu lanten Bereich hineingehen?

Im Gesetzentwurf ist ausgeschlossen, dass man in einer stati onären Einrichtung eine ambulant betreute Wohngruppe rea lisiert, was diese Flexibilität zunichtemacht. Darum frage ich

nach dem Hintergrund, warum man das so starr trennt. Denn das wäre doch gerade eine gute Möglichkeit im Hinblick auf das bestehende Heimrecht, auf die Übergangsfristen, innova tive Ansätze umzusetzen. Deswegen die Frage: Ist es Bestand teil der Überlegungen, diese starre Trennung aufzuheben?

Frau Ministerin, bitte.

Ich denke, wir müssen zu nächst sehr genau differenzieren zwischen dem, was im neu en Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz steht und gesetzliche Regelung werden soll, und dem, was aus der Heimmindest bauvervordnung, die seinerzeit die alte Regierung noch erlas sen hat, nämlich der Einzelzimmerfrage, resultiert.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wenn jeder von uns in diesem Plenarsaal heute gefragt würde, wie er im Alter viel leicht in einer Einrichtung einmal leben will, dann würde, glaube ich, jeder von Ihnen genauso wie ich sagen: „Auch wenn ich noch so dement bin, möchte ich nicht mit jemand völlig Fremdem in einem Zimmer sein.“ Deshalb stehen wir zur Einzelzimmerregelung. Die Übergangsfrist, nämlich bis 2019, ist aus meiner Sicht lange genug. Ich denke, das kann man hinbekommen. Viele Träger haben sich schon darauf ein gerichtet und rüsten und bauen ihre Häuser entsprechend um.

Ihre Frage, Herr Haußmann, war, ob man die starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege aufheben kann. Das wird erst dann wirklich möglich sein, wenn das Leis tungsrecht entsprechende Übergänge von ambulant zu statio när vorsieht. Das Leistungsrecht – da gilt für uns das SGB XI – sieht in seinen Grundsätzen vor, dass es Leistungen zum ei nen für die ambulante Versorgung und zum anderen für die stationäre Versorgung gibt. Deswegen wird bei allen Auflö sungen der Übergänge das Leistungsrecht im Wege stehen, und es wird immer eine Einzelvereinbarung mit der Kasse er forderlich sein, wenn wir diese Übergänge aufdröseln wollen. Denn das Leistungsrecht bestimmt nun einmal, welche Mög lichkeiten man hat.

Wir haben allerdings im neuen Wohn-, Teilhabe- und Pflege gesetz die Möglichkeit von Erprobungsregelungen eingebaut – abweichend von einzelnen Anforderungen an stationäre Ein richtungen. Allerdings müssen das Wohnen und auch die Pfle ge- und Unterstützungsleistungen vom Träger verantwortet werden. Aber um z. B. Hausgemeinschaften in einer stationä ren Einrichtung zu ermöglichen – bei uns im Rems-MurrKreis gibt es bereits entsprechende Modelle –, haben wir die Stufe der Erprobungsregelungen eingebaut.

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Reusch-Frey das Wort.

Sehr geehrte Frau Minis terin, es gibt bei jedem Gesetz die Gefahr, dass Dinge überre guliert werden. Insbesondere hört man das aus den Pflegehei men.

Deshalb meine Frage: Gibt es das Gegenmodell, dass zu we nig geregelt wird? Man hört in Berlin dazu recht Schwieriges. Deshalb meine Frage: Wie wird die Gefahr gesehen, dass zu viel bzw. zu wenig geregelt wird, und wie wird dem vorge beugt, dass es zu Missbräuchen kommt, wenn im Gesetz zu wenig geregelt wird?

Bitte schön, Frau Minis terin.

Berlin hat als eines der ersten Bundesländer ein Gesetz erlassen, das Wohngemein schaften ermöglicht. Das Land Berlin hat ordnungsrechtlich keine Schutzmaßnahmen eingebaut mit der Folge, dass das Geschehen in den Wohngemeinschaften ordnungsrechtlich nicht kontrolliert werden kann.

Ich habe mich in diesem Sommer – das hat mich sehr nach denklich gemacht – sehr lange mit dem Berliner Gesundheits senator über diese Fragen unterhalten. Er hat mir gesagt, dass er aufgrund seines Gesetzes ordnungsrechtlich keine Mög lichkeiten des Zugriffs auf die Wohngemeinschaften hat. Prü fungen können nur über das Leistungsrecht stattfinden, und Einzelprüfungen des MDK finden eben nicht in der Häufig keit statt, wie er sie brauchen würde. Manche von Ihnen ha ben in den Sommerferien vielleicht den Artikel „Die Wander oma“ aus dem „Spiegel“ gelesen, nach dem eine demente Oma von Wohngemeinschaft zu Wohngemeinschaft gescho ben wurde, damit dort entsprechend kassiert werden konnte.

Ich möchte das generell nicht allen unterstellen. Aber ich möchte, dass wir mit einem Gesetz diejenigen schützen, die unseren Schutz brauchen, und zwar über das Ordnungsrecht. Man muss in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft si cherlich nicht dieselben Schutzmechanismen einbauen wie in der stationären Einrichtung. Aber ich möchte, dass ein gewis ser Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner gegeben ist. Denn wir müssen uns vorstellen: Das sind Menschen, die ab hängig sind, die unsere Unterstützung und Hilfeleistung brau chen. Ich finde, da hat der Staat mit seinem Ordnungsrecht auch eine Schutzaufgabe, die es in gewisser Art und Weise wahrzunehmen gilt, um diese Bewohnerinnen und Bewohner, wenn sie dement sind, entsprechend zu schützen.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Rapp das Wort.

Frau Ministerin, Sie haben re lativ umfangreich über die Regelung mit den acht oder elf Per sonen geredet. Viele Gemeinden bauen derzeit solche Einrich tungen auf. Sie haben auch sehr viel vom Bestandsschutz ge redet. Die Frage ist konkret: Was sagen wir, was sagen Sie diesen Einrichtungen, die ihre Vorhaben aufgrund der Finan zierungslage fertigstellen müssen, welches Risiko sie haben?