Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

befasste sich der Vorstand der Bayerischen Arbeiterwohlfahrt am Freitag, dem 22. März 2002, mit dem Thema Integration von Zuwanderern. Allerdings ging es dabei um eine äußerst unerfreuliche Situation.

Nun habe ich mich darangemacht, den Sachverhalt, der zu dieser Pressemitteilung führte, zu recherchieren. Die muttersprachliche soziale Beratung wurde in den sechziger Jahren bei den Wohlfahrtsverbänden im Zuge der Gastarbeiteranwerbung installiert. Dabei haben sich die Verbände auf bestimmte Migrantengruppen spezialisiert. So hat die AWO die soziale Beratung für türkische und jugoslawische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

übernommen und unterhält neben den Fachdiensten und Einrichtungen in München soziale Dienste in 14 bayerischen Städten. Was machen diese Dienste? Da gibt es zum Beispiel den Sozialdienst für Migration mit dem Schwerpunkt Beratung in arbeitsrechtlichen Fragen bei Arbeitsplatzproblemen, individuellen Lebensproblemen, Schul- und Ausbildungsproblemen, zum Thema Älterwerden in Deutschland, bei Familien- und Generationskonflikten usw. Das ist der Schwerpunkt der Sozialdienste für Migration. Dann gibt es einen psychologischen Dienst für Migranten, eine ambulante Erziehungshilfe für Migranten, Jugendhilfe, Projekte zur interkulturellen Kommunikation, Schülerzentren und Schulsozialarbeit. Diese Dienste sind doch gerade vor dem Hintergrund der überall diskutierten und festgestellten Integrationsdefizite ganz enorm wichtig.

Nun zu den Finanzierungsproblemen in Bayern: Die Finanzierung dieser sozialen Dienste wurde in der Vergangenheit zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel vom Land übernommen.

Aufgrund einer Vorgabe des Bundesrechnungshofes, der eine hälftige Finanzierung anmahnte, war der Bund gezwungen, mit den Ländern zu verhandeln. Ziel dieser Verhandlungen seitens des Bundes – das hat das BMA bestätigt – war, den Umfang der Beratungsarbeit aufrecht zu erhalten. Das bedeutete, dass die Länder ihren Anteil auf den des Bundes erhöhen sollten.

In allen Ländern ist es gelungen, die hälftige Finanzierung herzustellen. Nur in den reichsten Bundesländern dieser Republik, nämlich in Bayern und Baden-Württemberg, ist es nicht gelungen. Die beiden Länder weigern sich beharrlich, ihren Anteil so zu erhöhen, dass er dem Anteil des Bundes gleichkommt. Dabei geht es wirklich nicht um riesige Beträge. Der Haushaltstitel im bayerischen Staatshaushalt weist circa 2,15 Millionen Euro aus. Dieser Betrag ist geringer als die Summe, die die Bayerische Staatskanzlei für die Repräsentation ausgibt. Diese Kosten liegen wesentlich höher.

Nachdem die Bayerische Staatsregierung keinerlei Anstalten macht, die Mittel zu erhöhen, hat der Bund angekündigt, in den nächsten fünf Jahren seine Mittel zu reduzieren, was dazu führt, dass die Wohlfahrtsverbände Stellen kürzen müssen. Die Arbeiterwohlfahrt hat sich dazu öffentlich geäußert. Ich habe es vorhin gesagt.

Nun hat Frau Staatsministerin Stewens heute in der Fragestunde auf die Anfrage von Frau Hecht hin behauptet – so habe ich es wenigstens verstanden –, dass die Mittel des Freistaates Bayern in diesem Bereich in der Vergangenheit erhöht worden seien. Meiner Recherche nach stimmt das nicht. Ich bringe hierzu zwei Beispiele:

Erstens. Ich habe bei der evangelischen Ausländersozialarbeit nachgefragt. Dort wurde mir gesagt, dass die Mittel des Freistaates in den vergangenen Jahren nicht erhöht wurden. Im Gegenteil: Sie blieben gleich oder wurden weniger, was dazu führte, dass die Evangelische Kirche für diese Dienste 50% an Eigenmitteln zuschießen muss. Das hängt auch damit zusammen, dass die Personalkosten und die Sachkosten in der Vergangen

heit gestiegen sind, aber der Anteil des Freistaates Bayern sich nicht erhöht hat.

Das zweite Beispiel, mit dem ich belegen kann, dass die Aussage der Frau Staatsministerin nicht stimmt, ist die Antwort, die die Staatsregierung in unserer Interpellation „Eine Welt – Politik in Bayern“ gegeben hat. Im Rahmen dieser Interpellation fragten wir die Staatsregierung nach den Ausgaben für die Integration im Freistaat Bayern. Die Staatsregierung hat geantwortet:

Ein spezieller Ansatz für Maßnahmen für dauerhaft und rechtmäßig hier lebende ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien, insbesondere zur Förderung der sozialen und gesellschaftlichen Eingliederung, ist im Haushaltsplan im Kapitel 10 05, Titelgruppe 79, ausgebracht. Er beträgt seit mehreren Jahren 4,3 Millionen DM.

„Seit mehreren Jahren“, heißt es.

Die Mittel dienen vorrangig der Förderung der muttersprachlichen Sozialberatungsstellen der Wohlfahrtsverbände sowie nachbarschaftsbezogener Hilfen zur Eingliederung von ausländischen Kindern und Jugendlichen.

Hier sagen Sie selbst, dass die Mittel, die für die Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände bereitgestellt wurden, nicht erhöht wurden, sondern dass der Betrag seit Jahren gleich hoch ist.

Nun wissen wir auch, dass es in der Vergangenheit Haushaltssperren zuhauf gab, sodass man davon ausgehen muss, dass das, was uns die Wohlfahrtsverbände sagen, nämlich dass die Mittel zurückgegangen sind, glaubhaft ist. Ich würde Sie bitten, Frau Staatsministerin, diesen Widerspruch, den ich hier sehe und der mich persönlich auch ärgert, aufzuklären und darzulegen, wie sich die Sache tatsächlich verhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie gesagt, ich habe mich persönlich beim BMA und bei den Wohlfahrtsverbänden erkundigt. Bei den Wohlfahrtsverbänden ist es nicht möglich, eine eventuelle Finanzierungslücke zu schließen. Frau Staatsministerin, Sie haben heute Mittag bei der Fragestunde ein wenig den Eindruck erweckt, als wäre den Wohlfahrtsverbänden die Sozialberatung nicht sonderlich wichtig. Dazu haben Sie Herrn Apfelböck zitiert. Ich finde das nicht in Ordnung, weil Sie genau wissen, dass dann, wenn die Wohlfahrtsverbände ihre Eigenmittel erhöhen müssen, in anderen Bereichen Kürzungen erfolgen müssen. Das ist der Punkt. Es geht nicht darum, dass den Wohlfahrtsverbänden diese Arbeit nicht wichtig ist, sondern es geht darum, dass Sie intern erklären müssen, warum sie für die Sozialberatung die Eigenmittel erhöhen müssen, was eine Kürzung in anderen Bereichen nötig macht.

Ich habe in Ihrem Hause angerufen und mich erkundigt, wer nach Meinung der Staatsregierung die Finanzierungslücken schließen soll. Meinem Büro wurde die Auskunft erteilt, dass man sich vorstellt, dass die Kommunen einspringen. Das ist typisch für Ihre Politik. Der Innenmi

nister beklagt in einer Pressemitteilung vom 5. März, die ich bereits zitiert habe, dass das Bundeszuwanderungsgesetz zu erheblichen Kosten bei der Integration führen würde, die dann auf die ohnehin belasteten Kommunen abgewälzt würden. Selbst, im eigenen Haus, hat man aber keinerlei Skrupel, die Kosten auf die Kommunen abzuwälzen und zu sagen, wir erhöhen unseren Finanzierungsanteil nicht entsprechend dem des Bundes, sondern die Kommunen sollen einspringen. Das nenne ich eine wirklich verlogene Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich denke aber auch, dass an diesem Beispiel deutlich wird, unser gesamtes Sozialwesen muss sich auf Migration einstellen. Langfristig brauchen wir die interkulturelle Öffnung der gesamten sozialen Dienste. Deshalb haben wir in unserem Integrationsgesetzentwurf vorgeschlagen, dass die interkulturelle Kompetenz, die Zweisprachigkeit, zu fördern ist. Ein Türkisch und Deutsch sprechender Sozialarbeiter bzw. eine Türkisch und Deutsch sprechende Sozialarbeiterin in einer Einrichtung der Jugendhilfe ist doch eine wertvolle Unterstützung. Ich verweise auch auf unsere Forderung, den öffentlichen Dienst für Migranten zu öffnen. Die verstärkte Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Dienst, zum Beispiel bei den Jugendämtern oder den Gesundheitsämtern, wäre eine große Entlastung bzw. eine wertvolle Hilfe bei der Arbeit, die dort gemacht wird.

Die Forderungen in unserem Gesetzentwurf waren nicht dazu gedacht, irgendwelche Gruppen zu bevorzugen, wie es uns Herr Dr. Merkl und andere unterstellen, sondern es geht darum, die Kompetenzen dieser Menschen bei der Bewältigung von Problemen mit heranzuziehen.

Ich denke, dass die langjährige Erfahrung mit der Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände im Bereich der Migration wichtig und für die Entwicklung geeigneter Konzepte unverzichtbar ist.

Zum Schluss möchte ich Sie dringend bitten, unserem Antrag und auch dem der SPD-Fraktion zuzustimmen. Damit wird sichergestellt, dass wir die notwendige Sozialberatung für Migranten in Bayern erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich gebe zwischendurch die Ergebnisse der vorhergehenden namentlichen Abstimmungen bekannt. Zum Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion betreffend „Erhalt der Mütter/Väter-Kind-Kuren“, Drucksache 14/9226, haben 100 Abgeordnete mit Ja gestimmt, 60 mit Nein, Stimmenthaltungen gab es 3. Der Dringlichkeitsantrag ist angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Zum Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion betreffend „Fortbestand der Mutter-Kind-Kuren und Mütterkuren sichern“, Drucksache 14/9227, gab es 55 Ja-Stimmen,

100 Nein-Stimmen und 7 Stimmenthaltungen. Der Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 4)

Zum Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN betreffend „Erhalt der MutterKind-Kuren und der Mütterkuren“, Drucksache 14/9246, gab es 60 Ja-Stimmen, 99 Nein-Stimmen und keine Stimmenthaltungen. Der Dringlichkeitsantrag ist abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 5)

Jetzt fahren wir in der Aussprache fort. Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Hirschmann das Wort.

Herr Präsident, Kollegen und Kolleginnen! Eigentlich könnten wir die Diskussion, die wir heute Morgen im Zusammenhang mit Kindern und Armut geführt haben, hier nahtlos fortsetzen. Ich sage das deshalb, weil in Bayern viele Migranten und Migrantinnen stärker von Armut betroffen sind, als wir Einheimische. Das belegen die Statistiken und die Sozialberichte. Der Anteil der Migranten und Migrantinnen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland liegt einschließlich der deutschen Spätaussiedler bei circa 10%. Die Tendenz ist steigend.

Die Migranten, die von den Wohlfahrtsverbänden beraten und betreut werden, sind ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und deren Familienangehörige. Dazu gehören deutsche Aussiedler und Spätaussiedler sowie Bürgerkriegsflüchtlinge – mittlerweile auch afghanische Flüchtlinge, insbesondere junge Menschen & und Menschen, die aufgrund von sonstigen Katastrophen oder extremen wirtschaftlichen Notsituationen bei uns leben. Ich denke, diese Leute werden bei uns bleiben.

Die Wohlfahrtsverbände – ich nenne insbesondere die Arbeiterwohlfahrt – leisten wichtige Arbeit für die Integration. Sie machen deutlich – ich binde Kollegin Inge Hecht mit ein –, wie wichtig diese soziale Arbeit ist. Wir können nicht auf der einen Seite, wie das hier im Hohen Haus in vielen Ausschüssen sehr oft der Fall ist, kritisieren, die Menschen seien nicht integrationsbereit. Diese Behauptung stelle ich persönlich infrage. Die Bereitschaft dazu ist da. Es gibt aber Schwierigkeiten, sich in unsere Kultur einzufügen. Um diese Schwierigkeiten zu beseitigen beziehungsweise zu reduzieren, ist es wichtig, dass diese Dienste der Wohlfahrtsverbände, insbesondere der Arbeiterwohlfahrt, für ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und ihre Familien erhalten bleiben.

In unserem Dringlichkeitsantrag, dem ich Sie bitte, zuzustimmen, wie auch in dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, wird gefordert, den Finanzierungsanteil für die Arbeit dieser von mir schon erwähnten Beratungsstellen für ehemals angeworbene ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und deren Familien – ich wiederhole mich – von derzeit 30% auf 50% zu erhöhen, und damit dem Bundesdurch

schnitt anzugleichen. Damit wird ermöglicht, die wichtige Funktion der Beratungsstellen aufrecht zu erhalten.

Ich kann sehr schwer nachvollziehen, dass die Bayerische Staatsregierung fast gebetsmühlenartig auf diese Situation hingewiesen werden muss, obwohl in Sonntagsreden immer wieder davon gesprochen wird, dass wir den Menschen helfen müssen, sich zu integrieren. Wenn es darum geht, dafür die finanziellen Mittel bereitzustellen, dann werden die gegebenen Versprechen nicht eingelöst.

Verehrte Frau Staatsministerin, diese Art der Politik halte ich für inhuman. Die Arbeit, die diese Beratungsstellen leisten, dient dazu, die oft vorhandenen Missverständnisse, abzubauen, die die Integration der Zuwanderer erschweren. Sie stellen das immer wieder infrage und sind nicht bereit, die Mittel für diese notwendige Arbeit bereitzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht können Sie sich dazu durchringen, diese Gelder zu mobilisieren. Sie würden damit klar machen, das auch Ihnen die Integration am Herzen liegt, wie Sie es immer wieder betonen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Ettengruber hat um das Wort gebeten.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Dringlichkeitsanträgen der SPDFraktion und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN geht es um nichts anderes als um den Erhalt der muttersprachlichen Beratungsstellen bei den Wohlfahrtsverbänden. In der Diskussion wird dies immer vermischt. Ich möchte mich auf diesen Gegenstand beschränken.

Es geht wiederum um Anträge, die gestellt werden, weil sich der Bund aus seiner bisherigen Förderung zurückzieht, was er gerne macht.

(Frau Radermacher (SPD): Das stimmt nicht! – Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundesrechnungshof fordert das!)

Kommen Sie mir nicht mit dem Bundesrechnungshof. Wenn der Bund eine Aufgabe erfüllen will, dann findet er Mittel und Wege, sie zu erfüllen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))