Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

Der Bund und der Freistaat Bayern fördern die Umsetzung des Pilotprojektes fahrerloser Betrieb mit insgesamt 170 Millionen DM; der Freistaat Bayern ist daran mit 128 Millionen DM beteiligt.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Zusatzfrage: Herr Wörner.

Herr Minister, kann man davon ausgehen, dass diese Fördermittel in den nächsten Jahren in derselben Höhe weiterfließen, und wird darüber nachgedacht, diese Mittel in Zentren zu bündeln, um damit die Schlagkraft der bayerischen Industrie zu erhöhen und Arbeitsplätze zu sichern?

Es wird darauf ankommen, welche Projekte im Nahverkehr notwendig und sinnvoll sind. Es wird auch darauf ankommen, welcher Konzeptrahmen von der Bahn AG vorgelegt wird. Uns kommt es natürlich darauf an, dass wir durch solche Entwicklungs- und Forschungsvorhaben die Industriekompetenz in Bayern stabilisieren, sichern und voranbringen.

Ich will ein Beispiel bringen, wenn es sich auch nicht um die Firma handelt, die am meisten Geld braucht. Da die Bahn AG in Nürnberg das Ausbesserungswerk nicht halten kann – über die Ursachen will ich hier weiter nicht reden; im Übrigen, Herr Kollege Scholz, hat das Gespräch, das Bundeskanzler Schröder im Februar angekündigt hatte, noch immer nicht stattgefunden; der Bund drückt sich – wollen wir natürlich die Kompetenz für Verkehrstechnik dort stärken. Es kommt aber immer darauf an, welche Einzelentscheidungen dazu beitragen können, hier entsprechende Impulse zu geben, und es

kommt auch darauf an, welche konkreten Vorschläge zu Verbesserung der Situation gemacht werden. Das sind einerseits die Anforderungen, die wir stellen, und andererseits diejenigen, die vonseiten der Bahn kommen.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Zusatzfrage: Herr Dr. Scholz.

Herr Staatsminister, im Rahmen des Forschungsprojekts Schienenverkehrstechnik hatten Sie vor etwa drei Jahren vorgeschlagen, ein Institut für Verkehrstechnik im Raum Nürnberg einzurichten. Ich frage Sie, inwieweit die Überlegungen heute noch gelten; denn bisher ist nichts geschehen. Verbunden damit ist die Frage, inwieweit an der Universität Erlangen-Nürnberg solche schienenverkehrstechnikbezogenen Studiengänge eingeführt werden müssten.

Dazu zweierlei. Erstens ist die Einrichtung neuer Institute primär Angelegenheit der Hochschulen selbst. Man kann ihnen das nicht einfach aufs Auge drücken.

Zweitens ist es in der Regel auch eine Frage der Bündelung der vorhandenen Kompetenzen; denn die Grundkompetenzen für die Techniken, die man insgesamt braucht – Elektrotechnik, Elektronik, Materialwissenschaften, Maschinenbau usw. –, sind vorhanden. Die Überlegung ist nun, ob man ein Studienangebot macht, in dem man diese Kompetenzen bündelt. Es wird auch vom Bedarf der Fahrzeughersteller und der Bahn AG selbst abhängen.

(Zuruf von der SPD)

Entschuldigung, das kann und will ich gar nicht definieren, und zwar deshalb nicht, weil wir keine Ausbildungsgänge vorgeben können, von denen diejenigen, die solche ausgebildeten Mitarbeiter brauchen, sagen, das würde ihnen so nicht gefallen. Es sind zum einen die Hersteller und zum andern die Erwerber und die Bahn AG selbst, die die inhaltlichen Vorgaben liefern müssten. Die aber sagen uns Folgendes: Was uns an Qualifizierung im Ausbildungs-, Forschungs- und Entwicklungspotenzial geboten wird, ist nicht zu beanstanden.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Gibt es noch eine Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die Fragestunde ist ausgeschöpft.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 17

Regierungserklärung

der Staatsministerin für Unterricht und Kultus zum Thema

„PISA-E – Bestätigung und Ansporn

Bayerische Bildungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir in die Beratungen noch folgende drei Dringlichkeitsanträge einbeziehen:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler, Kellner, Münzel, Schopper, Sprinkart, Tausendfreund und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weiterführung von Schulsozialarbeit sicherstellen (Drucksache 14/10055)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Schultz, Pfaffmann, Wahnschaffe, Marianne Schieder und anderer und Fraktion (SPD)

Mehr Bildungschancen in Bayerns Kindertageseinrichtungen (Drucksache 14/10056)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Bernhard, Siegfried Schneider, Nöth und Fraktion (CSU)

Die Chancen des föderativen Bildungssystems nutzen (Drucksache 14/10057)

Das nur, damit wir wissen, worüber wir heute zu verhandeln haben. Jetzt haben Sie das Wort, Frau Ministerin.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder greift vehement die Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik und damit die verfassungsmäßige föderale Ordnung der Bundesrepublik an.

(Frau Radermacher (SPD): So ein Schmarrn! – Wahnschaffe (SPD): Das ist schon der erste falsche Satz! – Frau Radermacher (SPD): Es kommen noch mehr!)

Die Attacken, die gegen die deutschen Länder kommen, sind ein Ablenkungsmanöver, das das Versagen der SPD in der Bildungspolitik vor der Öffentlichkeit verschleiern will. Ich erinnere noch einmal kurz an die Ergebnisse der Pisa-Länderstudie: Bayern – 510 Punkte, Platz 10, Deutschland insgesamt – 484 Punkte, Platz 26, Niedersachsen – 474 Punkte, Platz 34 und Bremen – 448 Punkte, gar Platz 42.

Das heißt, nach Pisa sind die bayerischen Schülerinnen und Schüler den niedersächsischen in der Lesekompetenz um ein Jahr voraus. Das gleiche gilt für Mathematik und die Naturwissenschaften. Das wusste der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel schon letztes Jahr, als er feststellte:

Wir haben Nachholbedarf und müssen zur Kenntnis nehmen, dass Schüler in Bayern und Baden-Württemberg besser ausgebildet werden als in Niedersachsen.

Statt sich um das schlechte Abschneiden der SPD-regierten Länder zu kümmern, handelt der Bundeskanzler

nach folgendem Motto: Erstens eigene Fehlleistungen ignorieren, zweitens den Besten angreifen und schlechtreden, drittens medienträchtig einen Kompetenzstreit vom Zaun brechen, um die Öffentlichkeit zu täuschen.

(Beifall bei der CSU)

Anscheinend ist bei Schröder völlig in Vergessenheit geraten, dass gerade unter seiner Regierungsverantwortung als Ministerpräsident die mit Pisa getesteten Jugendlichen aus Niedersachsen ihre Lesefähigkeit erworben bzw. eben nicht oder nicht ausreichend erworben haben.

Wenn er jetzt, wie angekündigt, die Bildung zur Chefsache macht – vielleicht genauso wie den Aufbau Ost –, ist Schlimmes zu erwarten.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Wieso ausgerechnet mit den Vorgaben derjenigen, die das Niveau auf den 26. Platz in der Welt abgesenkt haben, nun alles besser werden und Deutschland international auf einen Spitzenplatz kommen soll, bleibt völlig unerfindlich. Oder soll Bayern in etwa auf das Niveau des Schwellenlandes Mexiko heruntergedrückt werden, wie das in Bremen der Fall ist?

Der Föderalismus ist eben gerade nicht die Ursache für das schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich. Im Gegenteil: Der Föderalismus sichert den Wettbewerb, ohne den es für Deutschland bei Pisa noch viel düsterer ausgesehen hätte.

(Beifall bei der CSU)

Seit jeher waren in Deutschland die Territorien und später die Länder wesentlich für die Fragen der Bildung und Erziehung zuständig – mit Ausnahme der Zeiten totalitärer Herrschaft. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor vielen Jahren bestätigt, dass die Kultur- und Bildungspolitik den Kern der Eigenstaatlichkeit der Länder ausmacht, und wer diesen Kern angreift, der legt Hand an die Wurzeln des Föderalismus in Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Es sprechen aber vor allem qualitative Gründe für den Erhalt des Wettbewerbs und der dezentralen Strukturen. Föderal strukturierte Staaten wie etwa die Schweiz, Australien oder auch Kanada zeigen uns, dass Föderalismus erfolgreich und konstruktiv gestaltet werden kann.

In Deutschland hat der Föderalismus verhindert, dass alle Länder von der Gesamtschulgläubigkeit und den SPD-Parolen aus den Siebzigerjahren überrollt wurden. Die SPD verlangte in ihrem Bundestagswahlprogramm 1972, dass die Möglichkeiten des Bundes, die Einheitlichkeit des Bildungswesens in der Reform zu sichern, gestärkt werden müssten. Oberstes Ziel war die Zusammenführung der bisher getrennten Schularten, unter anderem durch Einführung der Orientierungsstufe für alle bis 1976 und durch schrittweise Verwirklichung der integrierten Gesamtschule. Als Lernziel nannte der nordrhein-westfälische Kultusminister Jürgen Girgensohn in

den Richtlinien für den Politikunterricht in seinem Land 1974 an erster Stelle die Fähigkeit zur Analyse von politischen und gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen, ihrer Macht und der von ihnen ausgeübten Zwänge. Das hieß, der Angriff auf den Staat wurde zum Unterrichtsinhalt. Die Jugendlichen sollten dann ihre Eltern bekehren, und waren diese nicht willig, so sollten sich die Kinder gegen die Eltern wenden. Das Ganze nannte man Emanzipation des Kindes von den Eltern.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt – auch wenn Sie jetzt noch so jammern und das nicht so gerne hören – „wunderbare“ Richtlinien zur Gesellschaftslehre, in denen steht, dass man nicht mehr vermitteln muss, weshalb die Institutionen von den Vätern und Müttern unseres Grundgesetzes eingerichtet worden sind, sondern dass ausschließlich falsche Entscheidungen dieser Institutionen kritisiert werden sollten.

Dabei war es klar, dass so elementare Dinge wie das Erlernen der Rechtschreibung als sekundär bezeichnet wurden. Die hessischen Rahmenrichtlinien für Deutsch in der Sekundarstufe I – Sie sollen das hier einmal im Original vernehmen – stellten 1972 fest:

Daraus folgt, dass die Überbewertung der Rechtschreibung in Schule und Öffentlichkeit korrigiert werden muss und dass die Schule die Beherrschung der Rechtschreibung nicht zum Kriterium für Eignungsbeurteilungen und Versetzungen machen darf.

(Glück (CSU): Hört! Hört!)