Für die beiden zuerst genannten Dringlichkeitsanträge ist jeweils namentliche Abstimmung beantragt. Über den Dringlichkeitsantrag der Regierungsfraktionen wird
im gewöhnlichen Verfahren abgestimmt. Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und bitte Frau Kollegin Weikert ans Pult.
verehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen drei Anträge zum gleichen Thema vor. Es geht um die Zukunft der Arbeitsgemeinschaften, Jobcenter und Optionskommunen. Weiter geht es um die Betreuung und Vermittlung von fast sieben Millionen Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Außerdem geht es um die Beschäftigten in den Arbeitsgemeinschaften und Jobcentern. Es steht also eine Menge auf dem Spiel, Kolleginnen und Kollegen.
Der Dringlichkeitsantrag der SPD soll heute ein wenig Bewegung in die leider festgefahrene Debatte bringen. Ich fordere Sie alle auf, heute unserem Antrag zuzustimmen und das eine oder andere Parteiengezänk hintanzustellen.
Ich bitte Sie, Vernunft walten zu lassen und sachlich richtig zu entscheiden, wie es sich die Betroffenen, die in den Arbeitsgemeinschaften und bei den Optionskommunen arbeiten und wirklich etwas von der Sache verstehen, wünschen.
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie daran erinnern, die SPD im Bayerischen Landtag ist nicht die einzige Gruppierung, die Bewegung in die Sache bringen will. Beim Surfen im Internet habe ich gerade festgestellt, dass in der Bremischen Bürgerschaft am 18. März ein gemeinsamer Antrag vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, von der Sozialdemokratischen Partei und der CDU eingebracht wurde mit dem Ziel, genau den Kompromiss umzusetzen, der unter Federführung von Arbeitsminister Olaf Scholz, Kurt Beck und Jürgen Rüttgers, zustande gekommen ist. Das bisherige Scheitern bzw. das Nichtzustandekommen des Kompromisses ist ein beispielloser Akt politischen Versagens.
Dieses politische Versagen hat einen ganz konkreten Namen, und der Name lautet: CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Es gibt noch die Möglichkeit, das zu korrigieren. Der Bundestag wird am 27. September dieses Jahres neu gewählt. Auch wenn Herr Westerwelle durch Zwischentöne den Eindruck erweckt, die Legislaturperiode sei vorzeitig beendet: Die Wahl ist am 27. September, und seine Hausaufgaben hat der Bundestag, gerade was dieses Thema betrifft, noch nicht erledigt. Es handelt sich um eine unerledigte Aufgabe, und es besteht die Verpflichtung, hier für Klarheit zu sorgen.
Ich kann Ihnen - ich habe nur wenig Zeit - eine kurze Chronologie dessen, was passiert ist, leider nicht ersparen. Sie wissen alle, es gab im Dezember 2007 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Arbeitsgemeinschaften verfassungswidrig sind und eine Korrektur durch den Gesetzgeber erfolgen muss. In der Folge gab es einige Diskussionen; das ist völlig klar. Man hat nach dem besten Weg gesucht und im Juli 2007 - ich bitte Sie zuzuhören; es ist wirklich furchtbar unruhig hier, wenn ich das einmal bemerken darf gab es einen einstimmigen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz - ich betone: einstimmig -, das Grundgesetz zu ändern, um die Arbeit der Arbeitsgemeinschaften und die Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosen aus einer Hand zu gewährleisten. Also einstimmiger Beschluss im Juli 2007.
Man hat damals erkannt, dass die Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen eine Dienstherrenfähigkeit brauchen. Wenn man es einfacher ausdrücken will: Sie brauchen schlicht und einfach einen Chef, der vor Ort steuert und führt, der Personalhoheit besitzt und der genau die Instrumente, die Arbeitsweise und den Service vor Ort ausgestaltet. Das war der Hintergrund. Die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften - das haben Sie sicher alle mitverfolgt - und in den Optionskommunen war nicht von Anfang an konfliktfrei; das ist selbstverständlich. Im Grunde kam man aus zwei unterschiedlichen Aufgabenfeldern - man könnte es auch Kulturen nennen - in den Arbeitsgemeinschaften zusammen: Diejenigen, die von den Kommunen kamen und eher die "Defizite" der Menschen gesehen haben, und diejenigen aus der Arbeitsvermittlung, die der Meinung waren, die Betroffenen müssten sofort einen Job annehmen und dürften keinen verweigern. Es gab also zwei unterschiedliche Ansätze. Man hat sich aber zusammengerauft, und die Arbeit funktioniert hervorragend. Das wird ihnen von allen Seiten bestätigt. Das, was jetzt droht, dass die Organisation wieder auseinandergerissen wird, ist ein arbeitsmarktpolitischer Rückschritt in die Steinzeit.
Sie zerschlagen damit den Grundgedanken des Förderns - ich meine das sehr ernst - mit einem bunten Strauß an arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, die man genau vor Ort, wenn man die betroffenen Menschen vor sich sieht, am besten einsetzen kann. Sie zerschlagen damit diese Hilfe aus einer Hand.
Kurz zur Chronologie: Es waren nicht nur die Minister, sondern es waren auch alle Ministerpräsidenten, die letztlich diesem Vorschlag zugestimmt haben. Dann hat es den Auftrag der Bundeskanzlerin an den Arbeitsminister gegeben, zusammen mit den Ministerpräsidenten Kurt Beck und Jürgen Rüttgers, den Gesetzentwurf vorzubereiten. Dann hat die CDU/CSU-Fraktion plötzlich aus heiterem Himmel ohne Ankündigung diesen Vorschlag abgelehnt. Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, bitte nehmen Sie innerparteilich Einfluss auf Ihre Kollegen und versuchen Sie, sie zurückzuholen.
Jetzt - ich muss es im Zeitraffer machen, denn ich habe nicht mehr viel Zeit -, Frau Haderthauer, zu Ihrer Initiative, die Sie in einer Presseerklärung am 20. März angekündigt haben, und dem heute vorgelegten Antrag der CSU und der FDP: Sie machen dabei einen entscheidenden Fehler. Sie reden immer über Kooperation. Ich muss Ihnen sagen: Das ist nicht der Punkt. Es geht um die gemeinsame Trägerschaft vor Ort bei den Arbeitsgemeinschaften. Das und nur das ist der strittige Punkt. Diese gemeinsame Trägerschaft wird nur durch eine Grundgesetzänderung möglich. Keiner der am Prozess Beteiligten macht so ohne Weiteres eine Grundgesetzänderung. Man hat diese Entscheidung abgewogen und will diese durchführen, weil es wirklich sein muss. Wenn Sie genau diesen Weg nicht mitgehen, zerschlagen Sie die Arbeitsgemeinschaften vor Ort, und die Optionskommunen sind ungesichert.
Ich darf - meine Zeit ist zu Ende - vielleicht zwei oder drei Gedanken anschließen. Ich wurde von einem Vertreter der Freien Wähler gebeten, da sie unter Umständen Zustimmung signalisiert haben - - Völlig klar ist, dass durch den jetzt gefunden Kompromiss die Optionskommunen abgesichert werden sollen, und zwar zum einen die 69 Kommunen, die im Gesetz stehen. Zum anderen ergibt sich die Möglichkeit - Arbeitsminister Olaf Scholz hat uns das in einem Gespräch anlässlich eines Besuchs versichert; ich bin überzeugt, dass es daran nicht scheitert -, dass vielleicht noch die eine oder andere Kommune optieren könnte. Das ist nicht der Punkt, das steht dem Ganzen nicht im Wege. Der Kern ist: Zerschlagen Sie nicht die Arbeitsgemeinschaften, sorgen Sie für eine gemeinsame Trägerschaft! Die Initiative Ihrer Ministerin und Ihr Antrag sind kalter Kaffee.
Sie gehen damit hinter den Stand der Diskussion vom Juli 2007 zurück. Bewegen Sie sich! Wir bitten Sie darum und appellieren an Sie im Interesse der Menschen, die vor Ort Hilfe suchen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Weikert. Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Scharfenberg von den GRÜNEN das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sowohl der SPD-Dringlichkeitsantrag als auch der Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN "Jobcenter retten! - Das Prinzip Hilfe aus einer Hand darf nicht sterben" sagen etwas über eine brutale Wirklichkeit zulasten der Schwachen der Gesellschaft aus, nämlich, dass auf Bundesebene ein menschenfeindliches Strategiespiel von der CDU/CSU gegen den Regierungskoalitionspartner stattfindet. Das geht zulasten der Schwachen, das ist nicht christlich, das nicht sozial, das ist einfach nur brutal.
Dass einige unionsgeführte Länder nun auch noch mitmachen, obwohl alle 16 Bundesländer, vor allem die CSU aus Bayern, zuerst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am bestehenden System der ARGEn festhalten wollten, überrascht mich.
Wir fordern alle Fraktionen, vornehmlich die CSU auf, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Mischverwaltung zwischen dem Bund, nämlich der Bundesagentur für Arbeit, und den Kommunen mit den Jobcentern bzw. Zentren für Arbeit und Grundsicherung, genannt ZAGs, in eine Grundgesetzänderung zu fassen.
Wir fordern außerdem den Bayerischen Landtag auf, alle Abgeordneten sollten sich dafür einsetzen, dass die Staatsregierung die erforderliche Grundgesetzänderung über den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren einbringt.
Wenn ich den Antrag der CSU-Fraktion lese, dann stelle ich fest, dass Sie hehre Ziele haben, die Sie auch formulieren. Sie wissen, was Sie eigentlich tun müssten, tun es aber nicht. Sie sagen nicht, wie Sie die Vorgaben umsetzen wollen. Sie sagen nur, dass Sie das Ziel so sehen, Sie sagen - das steht so in Ihrem Antrag -, Sie sähen keine Aussicht auf eine erfolgreich abzuschließende Gesetzesberatung. Das erlebt man
selten in diesem Hohen Hause, dass Sie nicht wissen, wie es mit dieser Gesetzesberatung weitergeht. Sonst wissen Sie es doch auch, und sonst setzen Sie sich doch für Ihre Ziele ein. Warum denn jetzt nicht?
Ich sage Ihnen, warum Sie das nicht tun: Der Grund ist, dass Sie Olaf Scholz nicht den Erfolg gönnen - er hatte sich ja schon mit Beck und Rüttgers geeinigt -, dass es mit den ZAGs gehen könnte. Das gönnen Sie denen nicht. Die Sozialministerin Haderthauer hatte noch 2007 auf einer Sozialministerkonferenz zusammen mit den anderen Bundesländern einmütig signalisiert, dass die ARGEn wie gehabt weiterliefen. Dann besann sich Ministerin Haderthauer Weihnachten 2008 auf eine andere Sichtweise. Sie sagte, die ARGEN könnten so nicht weiterbestehen, obwohl sie vor einem Jahr etwas ganz anderes gesagt hatte.
Auch führte die Ministerin nicht aus, wie sie sich die Realität auf Landesebene vorstellt. Das ist das Problem. Wie sollen die ARGEn aussehen, Frau Ministerin? Sagen Sie es uns doch hier einmal. Wollen Sie allen Ernstes den Sachverstand der Kommunen und der Bundesagentur infrage stellen? Das läuft doch jetzt endlich und soll auch weiterlaufen. Im Jahr 2010 werden wir viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger haben. Dann muss das System laufen. Dann können wir nicht noch einmal von vorn anfangen, vielleicht sogar vier Jahre lang.
Ist Ihnen, Frau Haderthauer, eigentlich klar, was Sie mit dem unüberlegten, konzeptlosen Ausscheren aus dem Bestehenden zerstören, wenn Sie sich nicht überlegen, wie es 2011 weitergehen soll? Am 31. Dezember 2010 endet die Sache mit dem Jobcenter. Was ist dann? Das frage ich die CSU.
Ich sage Ihnen, was dann ist: Jede Kommune muss ihr kommunales Personal aus den Arbeitsgemeinschaften zurückziehen, die als Mischverwaltung mit Bundespersonal und kommunalem Personal funktionieren. Die Kommunen müssen langfristig überlegen, wie sie ihr Personal aus den Arbeitsagenturen wieder in die Verwaltung sinnvoll integrieren. Meine Damen und Herren, das ist so schnell nicht zu machen. Außerdem wollen wir es nicht.
Ich sage: Seien Sie eine CSU, also christlich-sozial und nicht schizophren und chaotisch. Sie müssen den Schwachen helfen, genau wie wir es tun. Und Sie müssen sich überlegen, ob Sie den Bürgermeistern und Landräten in Zukunft so viele Probleme bescheren wollen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab einen erheblichen Regelungsbedarf nach den Hartz-IV-Reformen, was die Ziele der Förderung und der Forderung bei den gleichberechtigten Komponenten Arbeitssuchender anlangt. Weiter betrifft das auch die Leistungsgewährung und die Beratung. Diese beiden Teile haben zu den Konstrukten der Arbeitsgemeinschaften und der optierenden Kommunen geführt.
Nach Anfangsschwierigkeiten, auf die Frau Kollegin Weikert zu Recht hingewiesen hat, haben wir zwischenzeitlich eine gut funktionierende Struktur erreicht. Diese bleibt unabhängig davon, wie politisch entschieden wird, auf alle Fälle bis zum 31. Dezember 2010 bestehen. Deswegen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine klare Perspektive. Es ist sichergestellt, dass bis dahin eine Regelung erreicht sein wird. Eine Perspektive ist also vorhanden.
Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil des Jahres 2007 hat es verschiedene Überlegungen gegeben. Zum Teil wurde an gesetzliche Regelungen gedacht. Es wurde an eine Änderung der Regelungen des SGB II und des SGB XII gedacht.