Protokoll der Sitzung vom 09.02.2010

Ein zusätzliches Konzept ist deshalb nicht nötig; denn wir haben ein Konzept. Es gibt ein Konzept. Nötig ist aber vielmehr - Sie haben mich vorhin zitiert, und das stimmt auch -, die neuen Wohnformen besser bekannt zu machen. Die Fachstelle für ambulant betreute Wohnformen hält hierzu ein breites Angebot vor. Mit Informationsveranstaltungen vor Ort, Workshops und Praxisseminaren wird versucht, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch die Verbraucherzentrale Bayern und die Koordinierungsstelle "Wohnen zu Hause" informieren über die neuen Möglichkeiten. Diese Informationskampagnen - hier gebe ich Ihnen durchaus recht, Herr Dr. Fahn - müssen noch verstärkt werden.

Neues braucht allerdings auch einen gewissen Vorlauf, bis es in der Breite ankommt. Nachdem das Programm erst seit Juli 2008 läuft, muss man ihm zugestehen,

dass es dauert, bis sich die neuen Wohnformen etablieren. Das Programm durchführen müssen nämlich die Kommunen, die Wohlfahrtsverbände und die freien Träger. Die kann man aber nicht zwingen, das zu tun. Außerdem muss sich eine Nachfrage dafür entwickeln. An der Anschubfinanzierung liegt es sicher nicht; denn dafür sind genügend Mittel eingestellt, und die Träger, die die Förderung bisher in Anspruch genommen haben, betrachten die Förderung als ausreichend. Eine Verdoppelung, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern, ist deshalb nicht nötig. Die CSU-Fraktion lehnt den Antrag aus den genannten Gründen ab, jedoch nicht aus taktischen Überlegungen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Nächste Rednerin ist Frau Weikert. Ihr folgt Frau Ackermann. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ihre letzte Äußerung, Frau Dettenhöfer, hat mich überrascht. Wenn man nämlich das Protokoll des sozialpolitischen Ausschusses nachliest, zeigt sich: Wir haben eine inhaltlich-sachliche Diskussion geführt. Wir alle waren parteiübergreifend der Meinung, die ambulanten Wohnformen für ältere Menschen, wie sie von den Freien Wählern in diesem Antrag gefordert werden, sind eine gute Alternative zu den stationären Pflegeeinrichtungen.

(Petra Dettenhöfer (CSU): Das hab ich doch gesagt!)

Es ist eine Alternative, die sich viele Menschen in Bayern wünschen. Wir alle kennen das vor Ort: In den Kommunen schließen sich ältere Menschen zusammen, um für sich selbst eine Wohnform zu finden. Ich verstehe deshalb nicht, warum Sie diesen Antrag aus inhaltlichen Gründen ablehnen.

Im sozialpolitischen Ausschuss haben Sie Ihre Ablehnung mit haushaltspolitischen Überlegungen begründet. Sie haben gesagt, dafür würden Sie im Haushalt jetzt kein Geld sehen. Das war der von Ihnen genannte Grund. Dann haben Sie noch eine Replik auf die Steuergelder gemacht.

(Zuruf der Abgeordneten Petra Dettenhöfer (CSU))

- Ich habe das Protokoll hier vorliegen, Frau Dettenhöfer.

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich möchte Sie an dieser Stelle auch daran erinnern, dass Sie im Sparhaushalt 2004 für Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen viel Geld gestrichen haben. Die Wohlfahrtsverbände, auf die Sie gerade hingewiesen haben, klagen

vor Ort immer wieder, sie hätten für den Ausbau der stationären Einrichtungen zu wenig Geld zur Verfügung. Ich will hier keine Argumente gegeneinander ausspielen, ich will nur darauf hinweisen, dass dieses Problem von den Wohlfahrtsverbänden immer wieder geäußert wird. Gerade durch die Form der ambulant betreuten Wohnformen könnte der eine oder andere Euro durchaus eingespart werden. Für uns ist das allerdings nicht vorrangig ein Grund, sich diesem Antrag anzuschließen. Für uns handelt es sich hier um eine Wohnform, die den Menschen mehr Eigenständigkeit gibt, damit sie sich länger in ihren eigenen vier Wänden betreuen lassen können, im Zusammenschluss mit anderen. So ist das vor Ort geplant, so wird es auch vor Ort finanziert.

Das Ministerium erklärt, diese Wohnformen würden gefördert. Das Ministerium hat im Ausschuss erklärt, bislang seien nur 15 Anträge gestellt worden. Angesichts dessen stellt sich Frage, warum das so ist. Das Ministerium wollte uns noch Zahlen nachliefern, das war auch ausdrücklicher Wunsch der Freien Wähler. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass es im Flächenland Bayern insgesamt nur 15 Anträge gegeben hat.

Was die Öffentlichkeitsarbeit anbelangt, so kann man nicht nur darauf hinweisen, dass auf der Internetseite des Sozialministeriums Handlungsanweisungen gegeben werden.

(Zuruf der Abgeordneten Petra Dettenhöfer (CSU))

- Ich weiß nicht, Frau Kollegin Dettenhöfer. Es gibt zwar Computerkurse für ältere Menschen, aber der Zugang zum Internet ist noch nicht so weit verbreitet, dass wirklich jedem bayerischen Haushalt ein Internetanschluss zur Verfügung steht. Ich denke auch an die vorhergehende Diskussion: Manchmal ist die Leitung für das Internet noch gar nicht vorhanden. Da kann man dann auch nicht die Internetseite abrufen.

(Beifall des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Wir teilen die Auffassung der Freien Wähler, dass man hier etwas tun kann. Ich gebe meinem Vorredner in diesem Punkt vollkommen recht. Es geht darum, die Öffentlichkeitsarbeit und die Möglichkeiten zu verbessern und diese Wohnformen anschaulicher zu machen und besser auszustatten, damit die notwendigen Hilfeleistungen für die Menschen, die sich für diese Wohnformen entscheiden, auch vorhanden sind. Dafür benötigen wir eine vorausschauende Sozialpolitik, die sich auf die veränderten Wünsche einer immer älter werdenden Generation einrichtet. Nach unserer Überzeugung muss das Sozialministerium deshalb tätig werden. Wir werden diesem Antrag der Freien Wähler deshalb zu

stimmen, wie wir das auch im sozialpolitischen Ausschuss getan haben.

(Beifall bei der SPD und den Freien Wählern)

Ich darf bekannt geben, dass die CSU-Fraktion für diesen Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat.

(Lachen bei der SPD, den Freien Wähler und den GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Ackermann. Ihr folgt Frau Kollegin Meyer. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob sich die namentliche Abstimmung sachlich zugunsten der CSU auswirken wird. Es ist doch offensichtlich mehr eine Disziplinierungsmaßnahme, weil die meisten CSUKolleginnen und -Kollegen hier die Diskussion über Ihre Altersvorsorge verpassen. Wie auch immer, es ist Ihre Entscheidung.

Wir sprechen über die ambulant betreuten Wohngemeinschaften, die das Angebot der Pflegeversorgung in diesem Land hervorragend verbessern. In Bayern gilt das aber noch viel zu wenig. Bayern ist in Bezug auf ambulant betreute Wohngemeinschaften noch ein Entwicklungsland. Woran liegt das? - In Bayern wird deutlich zu wenig dafür getan, dass sich diese betreuten Wohnformen entwickeln können. Die gewährte Finanzierung ist auf 40.000 Euro gedeckelt. Das ist zu wenig und müsste angehoben werden. Das ist aber nicht das Grundproblem. Das Grundproblem besteht darin, dass bei der Investitions- und Baukostenförderung überhaupt nichts gegeben wird. Das ist eine Altlast aus dem Jahr 2004, als die Investitionskostenförderung komplett gestrichen wurde. Dadurch haben viele Unternehmungen, die gerne eine betreute Wohngemeinschaft eröffnen würden, Probleme mit dem Ankauf geeigneter Immobilien. Das ist sehr schade.

Mit der Wiederaufnahme der Wohngemeinschaft in das Pflegewohn- und Qualitätsgesetz wurden zusätzliche Hürden geschaffen und zusätzliche Probleme aufgetürmt, z. B. durch unnötige Überregulierungen. Ambulant betreute Wohngemeinschaften haben jetzt mit Brandschutzauflagen und Bauauflagen zu kämpfen, die ihre Entstehung behindern, wenn nicht sogar verhindern. Es wäre wichtig, den Brandschutz bei Wohngemeinschaften bis zu einer bestimmten Personenzahl wie bei privaten Wohneinheiten zu behandeln. Außerdem ist es wichtig, einen wirksamen Bestandsschutz und ausreichende Übergangsfristen für bestehende Einrichtungen zu gewährleisten.

Die Übernahme der Betreuungskosten ist ein weiteres Problem. So lehnen zum Beispiel bei einer für Demenzkranke wichtigen Rundumbetreuung die überörtlichen Sozialhilfeträger oftmals die Kostenübernahme ab. Darüber hinaus weisen die Bezirke ihre Mitarbeiter an, nicht in Richtung betreute Wohngemeinschaften zu beraten. Vor diesem Hintergrund brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Nachfrage nach betreuten Wohngemeinschaften so gering ist. Es ist geradezu kontraproduktiv, was hier geschieht.

Die CSU will den flächendeckenden Ausbau von Wohngemeinschaften den Kommunen, den Wohlfahrtsverbänden und den freien Trägern überlassen und hält ein Konzept auf Landesebene für überflüssig. Angesichts der drohenden Pflegekatastrophe ist das beschämend. Wichtig wäre es, ein Programm zur Förderung der Investitionskosten aufzulegen, eine kulante Regelung hinsichtlich Brandschutz- und Bauauflagen zu treffen und die Übernahme der notwendigen Pflege- und Betreuungskosten sicherzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei der Anhörung zum Pflegegesetz hat Ministerin Haderthauer gesagt: Wir wollen alternative Wohnformen entfesseln, nicht behindern. - Bei allem Respekt, Entfesselung habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Das Staatsministerium fördert 15 Wohngemeinschaften - Respekt, und zwar flächendeckend in ganz Bayern. Ich glaube, dabei wird selbst dem unbedarftesten Zuhörer klar, dass noch ein gewaltiger Handlungsbedarf besteht. Ich glaube, wir sind schon jetzt zu spät dran; denn die demografische Entwicklung wird das Nichthandeln massiv bestrafen, und uns wird irgendwann eine Pflegekatastrophe überrollen, von der wir uns jetzt noch keine Vorstellungen machen können. Die Staatsregierung wäre also gut beraten, möglichst schnell ein Konzept aufzulegen und helfend und unterstützend einzugreifen, wenn ausreichend Wohngemeinschaften gegründet werden sollen. Wir werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt kommt Frau Abgeordnete Brigitte Meyer und anschließend für die Staatsregierung Herr Sackmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher richtig: Man braucht keine Umfragen oder Statistiken zu bemühen, um festzustellen, dass es der Wunsch der allermeisten Menschen ist, möglichst lange in eigenen Räumen leben und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wer sich mit Großeltern oder mit Eltern über dieses Thema unterhält oder sich selbst, wie ich das schon getan habe, Gedanken darüber macht, wird spü

ren, dass die Angst, einem System ausgeliefert zu sein, den Wunsch nach einer gewissen Geborgenheit übermächtig erscheinen lässt. Die durch das neue Pflegewohn- und Qualitätsgesetz geschaffene Möglichkeit der ambulanten betreuten Wohngemeinschaften ist ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung, nämlich in die Richtung überschaubarer Geborgenheit, wenn man zu Hause in den eigenen Räumen nicht mehr sein kann.

Es ist schon gesagt worden, dass es bei uns bisher zu wenige Möglichkeiten für diese Wohnform gibt. Das mag daran liegen, dass in der Öffentlichkeit zu wenig darüber gesprochen wird und dass zu wenig Aufklärung betrieben wird. In diesem Punkt gebe ich Ihnen völlig recht, und insofern sind wir uns hinsichtlich des Ziels auch einig.

Lieber Herr Fahn, Sie haben gefordert, wir sollten den Antrag noch einmal durchlesen. Weiter haben Sie gesagt, wer den Antrag ablehne, lehne auch das Konzept ab. Das möchte ich zurückweisen; denn Sie fordern in Ihrem Antrag zum Beispiel eine Erhöhung der Anschubfinanzierung und eine flächendeckende Einführung. Ich denke, wir brauchen verschiedene Möglichkeiten. Wir brauchen Wahlangebote und Wahlmöglichkeiten; denn natürlich wollen viele Menschen in solchen Wohngemeinschaften ihren Lebensabend verbringen, es gibt aber auch Menschen, die lieber in einem Heim leben wollen. Sie wollen lieber in Einzelzimmern oder sogar in Zweibettzimmern eines Heimes leben. Manch einer kann sich das vielleicht gar nicht vorstellen, trotzdem ist es Realität. Auch dafür brauchen wir entsprechende Angebote.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen ein breites Angebot an Wahlmöglichkeiten. Ich sehe es als Notwendigkeit an, mehr Öffentlichkeitsarbeit und mehr Aufklärung zu betreiben. Ihr Antrag aber fordert ganz konkret eine Verdoppelung der Anschubfinanzierung. Ob das der richtige und notwendige Weg ist, kann man im Moment vor dem Hintergrund der bestehenden Erkenntnisse noch nicht sagen. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen, und zwar nicht, weil wir inhaltlich anderer Meinung wären, sondern weil wir zunächst einmal sehen wollen, wie sich die Ergebnisse verändern, wenn eine bessere Information in der Öffentlichkeit vorhanden ist. Wir wollen sehen, wie die Modelle dann angenommen werden.

Frau Kollegin -

Ich bin gleich fertig.

Ich will Sie nicht unterbrechen.

Der Wunsch nach Entbürokratisierung wird von mir voll und ganz unterstützt, denn ich erinnere mich noch gut daran - als Alt-Achtundsechzigerin gehöre ich zu denen, die sich WGs gut vorstellen können -, in unserem Freundeskreis immer davon geträumt zu haben, in einer solchen WG, einer solchen Alterskommune zu leben. Wenn dies wegen zahlreicher Auflagen nicht möglich ist, halte ich das für den falschen Weg. Der Antrag als solcher kann in seiner Formulierung nicht unterstützt werden.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin, ich habe zwei Zwischenfragen und wollte Sie fragen, ob Sie diese zulassen.

Ja, am Ende meiner Rede.

Zuerst Frau Ackermann und dann Herr Fahn.

Frau Kollegin, ich frage Sie als Alt-Achtundsechzigerin und WG-Anhängerin: Stimmen Sie mir zu, dass gerade die WGs, die Wohngemeinschaften, durch das Pflegewohn- und Qualitätsgesetz behindert werden, weil darin Auflagen festgeschrieben sind, die von den meisten Wohngemeinschaften nicht erfüllt werden können? Würden Sie mir weiter zustimmen, dass es notwendig ist, dieses Gesetz in diesem Punkt zu ändern?

Ich stimme Ihnen in Teilen zu. Auch ich sehe es so, dass zum Teil bürokratische Hindernisse bestehen, die die Wohnform nicht gerade erleichtern.

Herr Dr. Fahn zu einer Zwischenbemerkung.

Wir wollen natürlich ebenfalls die Wahlmöglichkeiten haben. Aber Sie wissen doch, Frau Meyer, die ambulant betreuten Wohngemeinschaften haben eine Größe von maximal acht Personen. Ich habe eine Anfrage an das Ministerium gerichtet, wie viele solcher Wohngemeinschaften es gibt. Das Ministerium ist aber nicht in der Lage, mir eine konkrete Zahl zu nennen.