Protokoll der Sitzung vom 15.12.2010

Jetzt Frau Kollegin Meyer. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wesentlichen Punkte wurden bereits von meinen Vorrednern angesprochen. Wir haben über diesen Antrag im Ausschuss intensiv diskutiert und haben ihn heute zur namentlichen Abstimmung.

Ich gestehe, dass die Situation der Unterkunft in der Calmbergstraße in Augsburg äußerst schwierig ist. Das ist unbestritten. Ich habe vorhin extra noch einmal mit dem Regierungspräsidenten telefoniert. Auch er vertritt die Auffassung, dass hier dringend Abhilfe geschaffen werden muss. Das gilt auch für die zweite Unterkunft, in der 300 Asylbewerber untergebracht sind. Diese befindet sich in einem noch schlechteren Zustand. Man bemüht sich wirklich händeringend darum, Alternativstandorte und -lösungen zu finden. Man kann aber einem Antrag, mit dem die Schließung der Gemeinschaftsunterkunft spätestens im Jahr 2011 gefordert wird, nicht zustimmen, solange es keine Alternative gibt. Natürlich wünschen wir uns, dass für diese Probleme schnell Abhilfe geschaffen und eine Verbesserung der Situation erreicht wird.

Zum letzten Spiegelstrich, mit dem die Umstellung der Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge auf Bargeld gefordert wird, habe ich mich schon mehrfach geäußert. Es ist bekannt, dass wir von der FDP das Sachleistungsprinzip nicht als Lösung ansehen und Verbesserungen erreichen wollen. Wir haben dieses Thema deshalb auf Bundesebene in den Koalitionsvertrag eingebracht. Momentan wird eine Evaluation durchgeführt. Wir hoffen, dass eine Lösung in unserem Sinne gefunden wird und Änderungen vorgenommen werden. Solange das nicht der Fall ist, werden wir diesem dritten Punkt des Antrags nicht zustimmen.

Ich bitte dafür um Verständnis. Ich möchte deutlich machen, dass wir die Brisanz des Antrags nicht verkennen. Ohne eine Alternative können wir diesem Antrag jedoch nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wie Herr Kollege Meyer schon ausgeführt hat, kommen wir jetzt zu den Abstimmungen. Wir werden vorab über den Punkt 3 des Antrags abstimmen. Dann wird eine namentliche Abstimmung über die Punkte 1 und 2 erfolgen. Im Anschluss daran wird ein Kollege von der SPD eine Erklärung zur Abstimmung abgeben.

Ich lasse zunächst über den Punkt 3 abstimmen, mit dem die Umstellung der Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge auf Bargeld gefordert wird. Wer diesem Punkt zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der SPD, der Freien Wähler und Frau Kollegin Dr. Pauli. Damit ist der Punkt 3 abgelehnt.

Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung. Die Helfer sind unterwegs und stellen die Urnen auf. Sie befinden sich an den gewohnten Stellen. Ich rufe die Punkte 1 und 2 des Antrags auf Drucksache 16/5604 zur namentlichen Abstimmung auf. Für die Abstimmung stehen fünf Minuten zur Verfügung. Ich weise darauf hin, dass danach gleich die Abstimmung zum Antrag auf Drucksache 16/5986 stattfinden wird. -

(Namentliche Abstimmung von 16.23 bis 16.28 Uhr)

Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist geschlossen. Bitte nehmen Sie die Plätze wieder ein. Die Stimmkarten werden außerhalb des Saales ausgezählt und das Ergebnis wird so schnell wie möglich bekanntgegeben.

Ich erteile Herrn Güller zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 133 Absatz 2 der Geschäftsordnung das Wort.

Kolleginnen und Kollegen! Um Missverständnissen vorzubeugen, darf ich für die SPD-Fraktion noch einmal erklären, dass unser Ja zu diesem Antrag die Stadt Augsburg, ihren CSU-Oberbürgermeister, ihren CSU-Sozialreferenten und die gesamte Verwaltung nicht aus dem Obligo entlassen soll. Frau Kollegin Weikert hat ausführlich dargestellt, dass die Situation in der Calmbergstraße und die in der Neusäßer Straße dringend behoben werden müs

sen. Es ist sinnvoll, die Unterkunft in der Calmbergstraße innerhalb des Jahres 2011 zu schließen.

Wir erwarten aber von der CSU in der Stadt Augsburg, dass sie nicht nur einer Resolution der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN zustimmt, sondern dass sie endlich handelt. Der Oberbürgermeister und der Sozialreferent der Stadt Augsburg - beide Mitglieder Ihrer christlich-sozialen Partei - und alle Verantwortungsträger der Stadt Augsburg sind weiterhin aufgefordert, an der Lösung dieser Probleme mitzuarbeiten. Deshalb sagt die SPD Ja zur Schließung im Jahr 2011, obwohl uns klar ist, dass dies nur möglich ist, wenn die Stadt Augsburg und die CSU nicht nur unseren Resolutionen zustimmen, sondern auch handeln.

(Beifall bei der SPD)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Antrag der Abgeordneten Angelika Weikert, Christa Steiger, Diana Stachowitz u. a. (SPD) Konsequenzen aus dem Beschluss des Landtags "Bayerische Asyl- und Asylsozialpolitik zukunftsorientiert und familiengerecht weiterentwickeln" (Drs. 16/5986)

Im Einvernehmen mit allen Fraktionen wird auf die Aussprache verzichtet. Wir kommen deswegen gleich zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Soziales, Familie und Arbeit empfiehlt auf Drucksache 16/6630 Zustimmung mit der Maßgabe, dass die Worte "spätestens im Dezember 2010" durch die Worte "spätestens in der ersten Ausschusssitzung im Januar 2011" ersetzt werden.

Wer dem Antrag mit dieser Änderung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Angelika Weikert (SPD): Das war einstimmig, also Hände hoch!)

Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Alle Fraktionen und Frau Kollegin Dr. Pauli haben diesem Antrag zugestimmt. Er ist damit so beschlossen.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung die

Tagesordnungspunkte 27 und 28 auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Angelika Weikert, Christa Steiger u. a. und Fraktion (SPD)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen: Für eine Förderung der Teilhabe von Kindern! (Drs. 16/6401)

und

Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Thomas Mütze, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII: Bedarfsgerechte und die sozio-kulturelle Teilhabe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sichernde Regelsätze festlegen! (Drs. 16/5996)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion. Kollegin Weikert darf ich für die SPD zur Begründung ans Mikrofon bitten. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieses Tages kommen wir noch zu einem ganz wichtigen Thema, das uns hier in Bayern und die gesamte Bundesrepublik außerordentlich bewegen sollte. Es geht um die Neuregelung des SGB II, eines Gesetzes, das bereits seit einem Jahr in der Diskussion ist. Inzwischen gibt es Vorlagen, die am Freitag, also übermorgen, im Bundesrat zur abschließenden Abstimmung stehen werden. Wenn die Partei des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ihre Zusagen einhält, dann wird es am Freitag zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Zustimmung geben. Der Gesetzentwurf geht dann in den Vermittlungsausschuss. Es gibt also eine Denkpause. Es ist vielleicht an der Zeit, um innezuhalten und zu überlegen, ob man hier tatsächlich das Richtige beschließen will.

Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat ein ganzes Bündel von Kritik an diesem Gesetzespaket. Die SPD auf Bundesebene wird über ihre Ländervertretungen ihre Kritik am Freitag im Bundesrat deutlich machen. Die SPD wird ihre Zustimmung am Freitag verweigern. Sie sagt aber gleichzeitig, dass sie an einer schnellen, konstruktiven Lösung interessiert ist. Uns geht es keineswegs um eine Verweigerungshaltung. Um einem Argument zu begegnen, das Sie vielleicht gleich bringen werden, nämlich dass wir den Leistungsempfängern die fünf Euro vorenthalten wollen, sage ich gleich: Diese fünf Euro könnten ruhig ausbezahlt werden, weil es garantiert nicht weniger als fünf Euro werden.

Einer unserer ersten Kritikpunkte ist es, dass die neuen Regelsätze in einem nicht transparenten, methodisch nicht einwandfreien Verfahren errechnet wurden. So hat man nur die letzten 20 % der unteren Einkommensgruppen als Bezugsquelle verwendet, sodass sich Armut wohl wieder aus Armut finanzieren

soll. Die neuen Regelsätze werden vor keinem Verfassungsgericht standhalten. Es gibt namhafte Sozialrichter, die schon jetzt sagen, je tiefer man in die Details des Gesetzes einsteigt, desto größer werden die Zweifel.

Alle Wohlfahrtsverbände in Deutschland reden von einem Regelsatz, der über 400 Euro liegen muss, damit das Existenzminimum in der Bundesrepublik menschenwürdig ist.

Der nächste für uns maßgebliche Kritikpunkt betrifft das Teilhabepaket und die Bildungsleistungen. Mir ist völlig unverständlich, dass sich der bayerische Kultusminister, der die Hoheit über die Bildung in seinem Land hat, zu diesem Thema überhaupt noch nicht geäußert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Keiner wird bezweifeln, dass Bildung der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe ist und dass gute Bildung ein Mittel ist, damit Kinder, deren Eltern Leistungsbezieher sind, langfristig aus dem Leistungsbezug herauskommen.

Das Problem soll jetzt so gelöst werden, dass ein Lehrer feststellt, ein Kind habe Förderbedarf, und das an die ARGE weitergemeldet wird. Die ARGE soll dann einen Gutschein für Nachhilfe verteilen. Kolleginnen und Kollegen, so ein Unsinn! Schule ist Aufgabe des Freistaates Bayern, und die Förderung von Kindern ist Aufgabe des Freistaates Bayern. Wenn ein Kind Probleme hat, dann muss es Förderunterricht erhalten. Es muss eine individuelle Förderung in unseren Schulen geben und keine Finanzierung von privaten Nachhilfeinstituten.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit ist begrenzt. Deshalb will ich am Schluss nur noch zwei Punkte ansprechen, die uns extrem wichtig sind. Der eine Punkt ist das Thema Mindestlohn. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung werden die Zuverdienstgrenzen für Leistungsempfänger angehoben. Das halten wir ohne die gleichzeitige Vereinbarung eines gesetzlichen Mindestlohns für völlig unverantwortlich. Der Staat subventioniert damit Löhne, die eigentlich von Unternehmern zu zahlen wären. Hochrechnungen von Fachinstituten zeigen, dass Sie vier Milliarden im Jahr einsparen könnten, wenn Sie sich endlich für einen gesetzlichen Mindestlohn entscheiden würden.

Es wird auch keine Zustimmung zu diesem Gesetzespaket geben, wenn gleichzeitig die Mittel für konkrete Arbeitsmarktpolitik eingefroren werden. Wir brauchen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, damit die Men

schen aus dem Leistungsbezug herauskommen, und keine Dauersubventionierung. Das wollen die Menschen, und das ist auch für unseren Staat das Beste.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darf ich nun Frau Kollegin Scharfenberg ans Mikrofon bitten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wird immer offenkundiger, dass die Bundesregierung bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze grobe handwerkliche Fehler gemacht hat. Die Diakonie beispielsweise hat schon vor drei Jahren gesagt, dass der Regelsatz bei vollständiger Anwendung des Statistikmodells bei 433 Euro liegen müsste. Meine Damen und Herren, damit hat sie recht gehabt. Auch wir GRÜNE haben vor drei Jahren gesagt, dass 420 Euro richtig wären; bei Berücksichtigung der Inflation müsste der Regelsatz bei 433 Euro liegen. Die Bundesregierung muss sich überlegen, ob sie in Zukunft wegen eklatanter Verstöße gegen das Statistikmodell mit ihrer Hartz-IVReform wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen und dort eine Niederlage kassieren will. Die Bayerische Staatsregierung sollte jedenfalls bei einem solchen Pfusch nicht mitmachen und am Freitag ihre Zustimmung verweigern. Das Saarland will sich der Stimme enthalten. Wir GRÜNE in der Bundestagsfraktion werden mit Nein stimmen und diese Reform nicht mittragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was heißt denn überhaupt "sozio-kulturelle Teilhabe"? Das ist für uns GRÜNE mehr als das Nötigste zum Überleben. Sind Sie etwa dagegen, dass in Wohnungen zu Weihnachten Christbäume stehen, dass zum Muttertag noch Blumen verschenkt werden und die Eltern im Sommer mit ihren Kindern ein Eis essen gehen können? Dagegen können Sie doch wohl nicht sein.

Gerade die Ableitung der Regelbedarfe von Kindern, die den entsprechenden Bestimmungen im Gesetzentwurf zugrunde gelegt werden, beruht auf einem problembehafteten Vorgehen. Es ist notwendig, für die Regelbedarfsbemessung eine aktuelle Grundlage zu schaffen und nicht plötzlich nur 15 % anstatt der üblichen 20 % der Haushalte zur Berechnung heranzuziehen. Dieser Prozentsatz an Referenzhaushalten wurde damals zugrunde gelegt. Das ist fehlerhaft, stümperhaft und wird ohnehin wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Meine Damen und Herren von der CSU, CDU und FDP, da werden Sie leer ausgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine Änderung des Gesetzentwurfs ist auch notwendig, damit das Mittagessen für bedürftige Kinder in Horten, in der öffentlich geförderten Kindertagespflege oder in anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vom Gesetz umfasst wird. Das ist nämlich bisher nicht der Fall. Meine Damen und Herren, das haben Sie einfach vergessen. Nach einhelliger Auffassung von Sachverständigen würde die Einführung der von Frau Ministerin von der Leyen gewünschten Chipkarte viel zu viel Mehrkosten in der Verwaltung verursachen. Kleine Anbieter können es sich nämlich gar nicht leisten, diese Chipkarten zu lesen. Wieder einmal handelt es sich um ein Instrument, das überhaupt nicht handhabbar ist. Meine Damen und Herren von der CSU, der CDU und der FDP, da liegen Sie wieder falsch. Überdenken Sie doch bitte vorher einmal, was Sie tun.

Die Regelung zur Bestimmung der angemessenen Kosten für Unterhalt, Unterkunft und Heizung durch Satzung führt zu sozialpolitisch unerwünschten Folgen. Sie birgt das Risiko, dass abweichend von der bisherigen Rechtslage Substandards gebildet werden und künftig das unterste Niveau Maßstab für die Festlegung der angemessenen Aufwendungen sein könnte. Wissen Sie, was das zur Folge hätte? - Eine Gettoisierung. Das wollen wir in den Kommunen wirklich nicht. Wir wollen, dass alle integriert sind, egal welche Einkünfte sie beziehen. Diese Gettoisierung hat es früher schon einmal gegeben. Die wollen wir nicht mehr. Wir waren schon einmal viel weiter als Sie, von der CSU, der CDU und der FDP.