Protokoll der Sitzung vom 13.07.2011

(Zurufe von der CSU: Oh, oh!)

Wir nehmen die Vorbehalte der kommunalen Spitzenverbände hinsichtlich der befürchteten Mehrkosten deshalb sehr ernst. Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Sachaufwand nicht in die alleinige finanzielle Verantwortung der Kommunen gestellt werden darf. Wir fordern deshalb, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes diese Neuerungen dahin gehend zu überprüfen, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Mehrkosten für die kommunalen Haushalte entstanden sind. Wenn dies der Fall ist, muss ein Ausgleich durch den Freistaat Bayern geleistet werden. Das haben wir mit einem eigenen Dringlichkeitsantrag bereits unterstrichen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Meine Damen und Herren, ich habe wiederholt betont, dass wir uns bei der Umsetzung der Inklusion die notwendige Zeit nehmen müssen. Das heißt aber nicht, dass wir nun ohne feste Zeitvorgabe beliebig lange bei dem nun Erreichten verharren dürfen. Den ersten Schritten müssen zügig weitere folgen. Wir brauchen einen verbindlichen Zeitplan, nach dem wir die nächsten Schritte umsetzen, einen Zeitplan, anhand dessen wir die tatsächlichen Fortschritte überprüfen können.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt anführen: Wir brauchen auch eine Evaluation dieses Prozesses. Denn es geht nicht nur um die Geschwindigkeit, mit der die Inklusion umgesetzt wird, sondern auch und vor allem um die Qualität der Umsetzung.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, der Bayerische Landtag, haben uns auf den Weg gemacht. Jetzt gilt es, diesen Weg konsequent zu gehen. Lassen Sie uns mutig in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten vorangehen, um die bestmögliche Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen in Bayern zu einem Leuchtturmprojekt für Deutschland werden zu lassen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und des Ab- geordneten Georg Eisenreich (CSU))

Danke schön, Herr Kollege Felbinger. Als Nächster hat Kollege Thomas Gehring von den GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich an dieser Stelle für die Zusammenarbeit in dieser Arbeitsgruppe bedanken. Sie war sehr vertrauensvoll und um gemeinsame Lösungen bemüht. Sie war auch davon geprägt, voneinander zu lernen und die Einstellungen und Sichtweisen der anderen kennenzulernen. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeitern, Frau Götz und Herrn Weigl vom Kultusministerium, bedanken, denn wir haben voneinander gelernt, dass Parlamentarier und Ministerialbeamte durchaus auch unterschiedlich ticken und voneinander lernen können. Ich hoffe, dass dieser Lernprozess auch im Kultusministerium noch über die Abteilungen hinausgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Kollege Eisenreich hat von einer Sternstunde des Parlaments gesprochen. Ich möchte diese Stunden der gemeinsamen Arbeit nicht missen. Ob dieser Gesetzentwurf heute eine Sternstunde der Inklusion wird, hängt davon ab, wie dieses Gesetz gelebt wird und ob es als Chance verstanden wird, etwas zu verändern, und nicht als Möglichkeit, etwas langsam laufen zu lassen. Es hängt auch sehr davon ab, wie die Umsetzung in der Verwaltung geschieht, und es hängt auch von den nächsten Schritten ab, denn ein Weg braucht mehr als einen Schritt. Ein Weg wird erst zum Weg, wenn weitere Schritte folgen.

Das Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit - dies ist bereits angesprochen worden - ist der Artikel 30 b. Ich möchte kurz wiederholen: Inklusion als Aufgabe aller Schulen ist eine Verpflichtung der Schulen, aber natürlich auch eine Verpflichtung der Politik, Schulen in den Stand zu versetzen, diese Aufgabe erfüllen zu können.

Das sind die weiteren Forderungen, auf die ich später eingehen werde.

Das Elternwahlrecht ist sehr weit gefasst. Dies ist wiederum eine Aufforderung an die Politik, diesem Elternwahlrecht zum Durchbruch zu verhelfen. Eltern dürfen nicht mehr wie bisher vor Ort als Bittsteller für die Beschulung ihrer Kinder mit Förderbedarf auftreten müssen, sondern sie müssen an den Schulen willkommen sein, wenn sie mit ihren Kindern diese Schule wählen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Wichtig ist Absatz 2 des Artikels 30 b, in dem deutlich gemacht wird, dass die Schule vor Ort der Weg der

Inklusion ist, und das wird der Regelfall sein müssen. Wir haben die Möglichkeit der Schulen mit Profil "Inklusion" vor allem deshalb geschaffen, weil wir einen Weg brauchen, um pädagogische Unterstützung an die Regelschulen zu bringen. Dort ein Unterstützungssystem aufzubauen, ist an diesen Profilschulen erforderlich. Die Profilschulen müssen zügig ausgebaut werden.

Dieser Gesetzentwurf ist eine Korrektur des bisherigen bayerischen Weges, der auf Inklusion durch Kooperation gesetzt hat, weil wir nun die inklusive Regelschule auf den Weg bringen werden. Wie gesagt, die Umsetzung ist die andere Seite, und wir erleben bereits jetzt, dass diese Aufbruchstimmung in der Kommunikation bis in die Schulen und Schulverwaltungen hinein, die wir - zumindest in dieser Arbeitsgruppe - gespürt haben, nicht verloren geht. Ich denke, dort müssen wir sehr deutliche Signale setzen, auch in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium, damit der Geist dieses Gesetzes auch wirklich verstanden wird.

Zu den weiteren Schritten müssen wir über Geld und Lehrerstunden sprechen, denn es ist klar, dass diese 200 Stellen im Haushalt nur ein erster Anfang sind. Es sollen sehr schnell mehr Lehrerstellen für Inklusion und sonderpädagogische Unterstützung an den Regelschulen geschaffen werden, um Inklusion zu ermöglichen.

Mein Kollege Felbinger hat die Petition angesprochen, die wir in der letzten Woche im Schulausschuss behandelt haben. Dabei ging es darum, dass eine Lehrerstelle notwendig wäre, um zwei Klassen weiterhin klein zu halten, und dies hätte genügt, um zwei Schülerinnen und Schülern mit einem spezifischen Förderbedarf ein gutes Unterrichtsklima zu geben.

Die Antwort lautete damals, es gebe überhaupt keine Stellen für Inklusion. Das kann nicht sein. Wir brauchen einen Stundenpool, der für Inklusionsmaßnahmen von Regelschullehrern geleistet werden kann, und wir müssen das sehr schnell voranbringen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD - Zuruf: So ist es!)

Deshalb, denke ich, wird die heutige Zustimmung des Landtags zu diesem Gesetz, von der ich ausgehe und auf die ich baue, natürlich sehr schnell Folgen für die Haushaltspolitik des Landtags in der Umsetzung dieser Politik haben. Ich persönlich meine, dass wir uns spätestens beim Nachtragshaushalt wieder zusammenfinden und entsprechende neue, zusätzliche Stellen beschließen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Schritte sind die Lehreraus- und -fortbildung. Wir haben vor einem Jahr einen gemeinsamen Antrag eingebracht, dass ein Konzept zur Lehrerausbildung vorgelegt werden muss, wie die Inklusion verankert wird. Wir haben seitdem nichts Nennenswertes mehr gesehen. Es geht in erster Linie nicht um Geld, sondern darum, dass die Hochschulen, die Wissenschaftsminister und das Kultusministerium in Gang kommen und etwas bewegen. Hier ist dringend etwas zu tun, denn wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir die Lehrerinnen und Lehrer nicht in die Lage versetzen können, mit der Inklusion umzugehen, sowohl in der Lehreraus- als auch in der -fortbildung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen eine unabhängige Beratung vor Ort schaffen. Das ist notwendig. Außerdem müssen wir das Thema der Schulbegleiter angehen. Dabei geht es um Kostenverteilung innerhalb der kommunalen Familie, und dabei möchte ich nochmals auf das Thema Konnexität eingehen, um den Streit, der um dieses Thema bei diesem Gesetzentwurf vom Zaun gebrochen wird.

Wenn ich heute in der "Süddeutschen Zeitung" lese, dass von prominenter Seite gesagt wird, wer Inklusion bestelle, dürfe sie auch bezahlen, so muss ich sagen: Diese Bemerkung ist unzutreffend, sie ist nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Hier geht es um die Verwirklichung von Menschenrechten. Das ist nichts, was irgendjemand bestellt und dann auch zahlen muss, sondern es ist ein Auftrag an die Politik, an alle politischen Ebenen, dieses Thema umzusetzen und dies verantwortlich tun zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Wenn der Aufzug für den Rollstuhl im Zusammenhang mit diesem Gesetz genannt wird, muss man sagen: Er hat mit diesem Gesetz nichts zu tun. Seit 2003 haben wir das Behindertengleichstellungsgesetz. Danach ist es heute bereits gesetzliche Auflage, und wir sprechen hier über die Sünden der Vergangenheit, die nicht behoben worden sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Diese Sünden sind natürlich auch Sünden des Landes, das keine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen vorsieht. Deswegen werden wir im Zuge der Inklusion als Land in die Verantwortung gehen müssen, um die Kommunen angemessen finanziell ausstatten zu können, um die Ausgaben der

Inklusion, die schon länger vorhanden sind, und diejenigen, die neu entstehen, schultern zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser gemeinsamen Arbeitsgruppe unsere Differenzen ausgespart, um einen Kompromiss zu finden. Wir haben Themen ausgespart wie zum Beispiel das Thema der verschiedenen Schulsysteme. Ich bin davon überzeugt, dass sich der Gedanke der Inklusion mit einem steigenden Übertrittsdruck in der 3. und 4. Klasse damit beißt, dass wir in einem Schulsystem künftig Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Schulen umsortieren. Wir müssen sehr bald noch einmal darüber reden, dass Inklusion eine Chance ist, Unterschiede der Menschen wahrzunehmen, sie produktiv zu nutzen und als pädagogische Chance für die individuelle Förderung zu sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb denke ich, dass wir das Thema Schulstruktur sehr bald wieder auf der Tagesordnung haben werden, und ich hoffe und wünsche mir, dass dieser Geist in der Arbeitsgruppe, die Art und Weise, wie wir über das Thema Inklusion gesprochen haben, vielleicht auch Vorbild sein könnte, in dieser Art und Weise über das Thema Schulstruktur zu sprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen! Inklusion beginnt in den Köpfen, sie braucht die Herzen. Inklusion braucht Erfahrungen. Wir wollen nun in den Profil- bzw. Inklusionsschulen Erfahrungsmöglichkeiten schaffen. Inklusion braucht aber politische Unterstützung, die verlässlich ist, und sie braucht die politische und natürlich ressourcenmäßige Unterstützung aus diesem Hause. Deshalb bitte ich um Ihre gemeinsame Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf mit der Verpflichtung, sich auch weiterhin als gesamtes Haus für dieses Thema einzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Gehring. - Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Renate Will das Wort. Bitte schön, Frau Will.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer schwer, noch etwas hinzuzufügen, wenn von den Vorrednern schon alles Wichtige gesagt wurde. Die gemeinsame Arbeitsgruppe aller Fraktionen war und ist etwas Besonderes. Ich freue mich sehr, dass wir zusammenbleiben und die Umsetzung des Gesetzes begleiten wollen. Wir haben

schon einen Termin vereinbart, um die Ergebnisse der Verbändeanhörung noch einmal zu analysieren und auf unserem Weg zum Ziel zu berücksichtigen. Wir haben die Beseitigung aller noch bestehenden Bedenken und Mängel - das Gesetz kann noch nicht vollständig sein - im Blick.

Auch ich möchte mich zu Beginn für die wunderbare, konstruktive Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe bedanken. Unsere Arbeit war geprägt vom Geist gegenseitigen Einvernehmens. Wir haben uns mit unterschiedlichen Positionen auseinandergesetzt und sind dennoch zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen. Das ist durchaus etwas Besonderes. Ich bin stolz, Mitglied dieser Arbeitsgruppe sein zu dürfen.

(Beifall des Abgeordneten Tobias Thalhammer (FDP))

Ich bedanke mich sowohl bei den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten als auch bei Frau Badura, Frau Götz, Herrn Schandor und Herrn Weigl für die Begleitung unserer Arbeit. Sie alle haben konstruktive Beiträge geleistet. Die Vertreter des Ministeriums wussten, dass da eine Gruppe ist, die noch weitergehen will. Wir haben voneinander und miteinander gelernt. So soll es sein.

Die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen löst bei den Beteiligten durchaus noch Ängste aus. Die Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, aber auch die Eltern von Kindern ohne Behinderung fragen, wie es jetzt an den Regelschulen weitergehen wird.

Umso erfreulicher ist es, dass es mittlerweile 37 Schulen mit dem Profil "Inklusion" gibt; das Kultusministerium hat die Genehmigung erteilt. Das Besondere ist, dass sich die gesamte Schulfamilie, Kommunen und Eltern, auf den Weg gemacht hat, diese Schulen als "Leuchttürme" zu errichten, die weit in das Land strahlen, um zu zeigen, wie es gehen kann. Mindestens ein Sonderpädagoge wird in das Lehrerkollegium voll eingebunden. Das Know-how der Sonderpädagogen ist nicht nur für die Kinder mit Behinderung bzw. Mehrfachbehinderung wichtig, sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer, die noch nicht entsprechend ausgebildet sind. Alle Beteiligten müssen für dieses wichtige Thema sensibilisiert werden.

Man sollte das alles nicht so tragisch sehen; denn einige Schulen haben Inklusion schon erprobt, wenn auch in reduzierter Form; Herr Eisenreich hat es angesprochen. Dafür, dass das möglich war, sei den Lehrerinnen und Lehrern dieser Schulen gedankt. Heute ist in diesem Zusammenhang vom Segeln und vom Langstreckenlauf gesprochen worden. Ich will