Protokoll der Sitzung vom 14.07.2011

Momentan ist es schlicht und einfach so, dass bei der Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung keine Spielräume vorhanden sind. Die machen alle Verluste. Eine Senkung der Beiträge wäre nur für die Rentenversicherung möglich. Kraft Gesetzes sind jedoch schon Kürzungen vorgesehen. Ihrem Antrag können wir, obwohl er in vielen Teilen unseren Zielen entspricht, nicht zustimmen. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Der nächste Redner ist Herr Hallitzky.

Hohes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstmord ist nicht strafbar. In Deutschland führt der Versuch jedoch in der Regel zu umfassenden therapeutischen Bemühungen. Liebe Freundinnen und Freunde von der FDP, bitte sehen Sie meine Bemerkungen zu Ihrem in geradezu selbstzerstörerischer Sucht vorgebeteten SteuersenkungsMantra nicht nur als Information darüber, dass Ihr fiskalisches Wunschdenken an der finanzpolitischen und finanziellen Wirklichkeit dieses Staates zerschellt, sondern auch als liebevoll-fürsorglichen Versuch, meine Parlamentskollegen der FDP von der Sucht ihrer Chefideologen zu therapieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Sucht ist selbstzerstörerisch. Mittlerweile müssten Sie das auch selbst erkennen können. Fragen Sie doch einfach beim Kollegen Huber nach, der laut "Abendzeitung" von Ihrer Neverending-Story dermaßen genervt ist, dass es ihn auf die Palme gebracht hat. Offensichtlich sitzt er heute noch ganz verschreckt oben.

Werfen Sie einfach mal einen fröhlichen und gelassenen Blick auf die Wahlumfragen. Nehmen Sie zur Kenntnis, was die Bevölkerung von der Realitätstauglichkeit Ihrer Steuersenkungsversprechen hält - nämlich nichts. Warum wollen die Bürgerinnen und Bürger denn Ihre Steuergeschenke nicht? Sie wollen sie nicht, weil die Menschen im Lande wissen, dass es Danaergeschenke sind, FDP-Trojaner, deren Annahme ihre eigene Zukunft zerstörte.

Bund, Länder und Kommunen haben einen Schuldenstand von rund 2 Billionen Euro; das sind rund 25.000 Euro pro Person, von der Wiege bis zur Bahre. Hinzu kommt eine gewaltige implizite Verschuldung. Ich nenne nur das Problem der Pensionsansprüche von Beamtinnen und Beamten. Entgegen der fast schon verzweifelten Warnungen des ORH verzichten Sie wie jedes Jahr auf Erhaltungsinvestitionen in die bestehende Infrastruktur Bayerns. In den meisten Bundesländern, in Ihren Kommunen und im Bund wachsen die Schulden weiter. Allein im Bund wachsen die Schulden im kommenden Jahr um rund 30 Milliarden Euro - wohlgemerkt bei brummender Konjunktur, in einer Phase, in der die Schulden eigentlich verringert werden müssten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diese finanzielle Lage kennen die Bürgerinnen und Bürger. Deswegen fragen sie sich, bevor sie Ihre vergifteten FDP-Geschenke annehmen, völlig zu Recht: Wer soll denn die Bildungs- und Integrationsaufgaben in Bayern finanzieren? Wer soll denn die Energiewende in den Kommunen bezahlen? Wer soll denn die Infra

strukturen erhalten oder gar jene neu schaffen, die vor Ort originellerweise gerade von der FDP ständig populistisch gefordert werden? Wer soll die hohen Milliardenrisiken abdecken? Ich rede nicht von der Rückführung der Schulden wegen der BayernLB, die Sie auch immer fordern. Wie sollen die hohen Milliardenrisiken abgedeckt werden, die in den öffentlichen Haushalten durch den EU-Rettungsschirm entstanden sind?

Von der Palme herunter - ich grüße Sie, Herr Huber.

Wie soll die ökologische und soziale Balance in Deutschland gewahrt werden? Wie soll dies alles möglich sein, wenn Sie dem Staat das notwendige Geld wegnehmen?

Das fragen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Sie kommen zu einem klaren Ergebnis: Für Steuergeschenke ist kein Geld da - nicht ein Cent, liebe FDP. Deshalb werden die GRÜNEN auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger handeln und selbstverständlich Ihren Dringlichkeitsantrag ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hinter dem, was Sie, die Wirklichkeit verhüllend, Steuervereinfachung nennen, stecken in Wirklichkeit eben nicht nur Steuervereinfachungsgedanken wie die durchaus sinnvolle Bereitstellung eines vorausgefüllten Steuererklärungsentwurfes, sondern auch Steuererleichterungen, die nicht gegenfinanziert sind. Das Problem ist nicht - das will ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen -, dass manches von den Spiegelstrich-Kaskaden, die die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorlegt, per se sinnvoll ist. Natürlich gibt es auch darüber hinaus noch einen erheblichen Diskussionsbedarf. Angesprochen wurde bereits die kalte Progression im sogenannten Mittelstandsbauch oder die hohen Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sozialabgaben.

Das elementare Problem, das Sie aber ständig ignorieren, ist, dass all diese schönen Maßnahmen zu Mindereinnahmen des Staates führen, für die nirgendwo auch nur ein winziges Spielräumchen besteht. Wer auf der einen Seite Steuererleichterungen beschließen will, der muss auf der anderen Seite bei Besserverdienenden, beim Vermögen, bei Erbschaften, bei Schenkungen oder wo auch immer - darüber können wir uns unterhalten - eine Gegenfinanzierung bieten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer sich einer Gegenfinanzierung verweigert, sei es aus Klientelgründen, sei es aus ideologischen Gründen, sei es aus einer beschränkten Einsicht - das lassen wir jetzt dahingestellt sein -, wird von den Menschen in diesem Land mit Recht abgestraft. In der Begründung Ihres Antrags versuchen Sie dieses elementare Problem notdürftig zu kaschieren, indem sie behaupten - ich finde es jetzt nicht genau; die Begründung lautet ungefähr so -, dass auf der einen Seite zwar eine deutliche Verringerung der Gesamtbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Folge wäre, dies auf der anderen Seite aber alles nur begrenzte und verkraftbare Haushaltswirkung hätte. Wenn man sich aber ansieht, was tatsächlich gefordert wird, stellt man fest, dass die Haushaltswirkung bei weit über 300 Millionen Euro liegt. Das ist eine ganze Stange Geld. Wenn Sie die 80 Euro Arbeitnehmerpauschbetragerhöhung umrechnen, kommen Sie auf zwei Euro im Monat. Zwei Euro im Monat, ist da die, wie Sie es genannt haben, deutliche Verringerung der Gesamtbelastung? Mit Ihrer Begründung machen Sie sich auch noch lächerlich.

Lieber Kollege Klein, Sie sind eigentlich ein politisches Talent. Sie sollten dieses Talent nicht vergeuden, indem Sie immer nur die eine Rolle spielen, die von den Menschen in diesem Land mit Recht als unredlich und billig bewertet wird. Merken Sie sich bitte: Erstens. Es ist kein Cent da, auf den der Staat verzichten kann. Zweitens. Stellen Sie deshalb nie mehr einen Steuersenkungsantrag ohne Gegenfinanzierung. Drittens. Lassen Sie die Hände von Anträgen über - Graf von und zu Lerchenfeld hat es wunderbar formuliert - "Much ado about nothing", die also viel Lärm um nichts machen. Lassen Sie sich in diesem Sinne, damit diese marginal relevanten Anträge nicht auch zu einer Marginalisierung Ihrer selbst führen, endlich von uns therapieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Sie haben schon bemerkt, dass sich Herr Klein zu einer Zwischenbemerkung gemeldet hat. Bitte schön, Herr Kollege Klein.

Herr Kollege Hallitzky, vielen Dank für die therapeutischen Empfehlungen. Ich will aber eines festhalten, damit wir nicht über verschiedene Sachen sprechen: Wir reden hier über nicht eingeplante Steuermehreinnahmen, die wir den Bürgerinnen und Bürgern zum Teil zurückgeben möchten. Ich möchte aus der Debatte eines festhalten: Es gibt auf der anderen Seite dieses Hauses keinen, der die kalte Progression bekämpfen will. Dies wird dazu führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am

Ende des Jahres real weniger in der Tasche haben als am Anfang des Jahres. Das haben Sie mit ihrer Blockade-Politik im Bundesrat und auch in diesem Haus zu verantworten. Das möchte ich hier festhalten.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Hallitzky.

Geschätzter Herr Kollege Klein, ich habe das Gefühl - das ist bei Therapien aber oft so -, dass es bei Ihnen eine Langzeittherapie sein muss. Die Steuermehreinnahmen werden dazu führen, dass die Verluste bzw. Defizite im Bundeshaushalt von 40 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro sinken. Das sind aber Verluste; es sind Verluste in einer Situation, es ist ein weiterer Schuldenaufbau in einer Situation, in der die Wirtschaft brummt, in der wir die letzte Krise abarbeiten und für die nächste Krise Geld zurücklegen müssten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In dieser Situation ist das, was Sie sagen, nicht wirklichkeitstauglich. Wenn Sie jetzt in der Defizitlage weitere Defizite provozieren - das ist nicht zu statisch, wie Herr Fahrenschon immer ganz gerne sagt -, werden Sie als Ergebnis haben - das folgt aus der Geschichte und aus der Erfahrung im Umgang mit Defiziten -, dass die finanzielle Lage von Bund, Ländern und Kommunen in Ihrer Schuld immer dramatischer wird. Da gehen wir nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Im Rahmen der Aussprache erteile ich jetzt Herrn Staatsminister Fahrenschon das Wort. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Herr Präsident, ein herzliches Grüß Gott und guten Morgen, verehrte Damen und Herren, liebe Kollegen! Herr Pointner, ich will mich zunächst ganz herzlich für Ihre sehr nüchterne, aber zutreffende Einlassung bedanken, weil Sie mir die Hoffnung gibt, dass wir uns gemeinsam mit der Fraktion der FREIEN WÄHLER heute noch einmal ganz ruhig den Vorgängen im aktuellen Gesetzgebungsverfahren zum Steuervereinfachungsgesetz 2011 widmen können und zu einer guten Beschlusslage kommen. Ich gebe ehrlich zu: Mir sind die 13 Vorschläge, die die Länderfinanzminister fraktions- und parteiübergreifend im letzten Jahr erarbeitet haben, wichtig, weil wir, lieber Herr Halbleib, immer darum ringen, wie wir mit dem Personal und Potenzial in unserer Steuerverwaltung Verbesserungen in diese Bereiche bringen können, damit

wir - daran haben Sie und ich, SPD, FDP, CSU, FREIE WÄHLER und auch die GRÜNEN Interesse mit einer effizienten Steuerverwaltung zu guten Ergebnissen kommen. Deshalb, lieber Herr Halbleib, will ich an der Stelle sagen: Ich operiere auf der Basis von gemeinsam gefundenen Vorschlägen der Länderfinanzminister, erarbeitet mit Ihrem Kollegen Kühl unter Einbeziehung, lieber Herr Hallitzky, von Frau Kollegin Linnert, Bremen. Ich muss sagen: Ich bin über die Abstimmung am letzten Freitag enttäuscht.

Ich glaube auch nicht, dass es Sinn macht, die Diskussion hinter großen blumigen Generaldebatten zu verstecken. Herr Halbleib, wenn wir eine steuerpolitische Generaldebatte führen würden, müsste ich feststellen, dass sich die SPD-Landtagsfraktion nicht an die Beschlüsse des eigenen Parteitags hält. In Ihrem Antrag fehlt die Forderung nach einer Vermögensteuer - sie fehlt. Entweder sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit, oder Sie wollen mit Ihrem Antrag dem SPD-Landesvorsitzenden schaden, weil Sie seine eigene Initiative nicht übernehmen.

(Beifall bei der CSU)

Es kann aber auch sein - das wäre das Interessanteste -, dass Sie gegen die Einführung der Vermögensteuer sind. Dann würden Sie von mir hier Applaus erhalten, weil das der richtige Ansatz ist, lieber Herr Halbleib.

(Beifall bei der CSU)

Wo sind Ihre steuerpolitischen Vorschläge? Der Antrag, den Sie jetzt nachgezogen haben, kann es nicht sein; er ist das Papier nicht wert, auf dem wir ihn leider haben verteilen müssen.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb zu den Fakten. Das Steuervereinfachungsgesetz, lieber Herr Hallitzky, setzt sich mit einem Steuervolumen von 585 Millionen Euro auseinander. Mit der Frage nach weiteren Konsolidierungsbemühungen hat dies nichts zu tun. Das hat vor allen Dingen etwas damit zu tun, dass die Länderfinanzminister 13 ganz konkrete Vorschläge gemacht haben. Dann hat die Koalition in Berlin aus CSU, CDU und FDP diese fachlichen Vorschläge übernommen und ist sogar so weit gegangen als Bundesregierung zu sagen: Weil wir an einer Verbesserung im Steuerverwaltungsverfahren interessiert sind, übernimmt der Bund die kompletten Kosten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das wäre ein Schritt nach vorne gewesen, zugegeben kleinteilig. Der Bund würde fast 600 Millionen Euro Steuerausfälle pro Jahr übernehmen, und wir kommen in unserem Steuerrecht weiter. Wer nicht zustimmt, sind SPD und GRÜNE. Das ist

ein bitterer Schlag, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir werden an dieser Stelle Ross und Reiter nennen. Es ist schon gesagt worden: Das trägt schon ein wenig den Anstrich, dass sich wieder eine Politik aufbaut, die wir schon kennen. Das war Blockade Marke Lafontaine. Ich kann dazu nur sagen: So stellen wir uns kluge, auf die Zukunft gerichtete Steuerpolitik nicht vor. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie zu diesem alten und am Ende verheerenden Instrumentenkasten greifen. Er gehört nicht zur Politik von heute.

(Beifall bei der CSU - Zuruf von der SPD: Das sind doch alles alte Kamellen!)

- Nein, das ist ganz konkret. Der Arbeitnehmerpauschbetrag wird nur maßvoll erhöht. Das ist aber ein richtiger und wichtiger Einstieg; denn wenn wir der Zettelwirtschaft gemeinsam den Kampf ansagen wollen, brauchen wir höhere Pauschalen. Deshalb sage ich Ihnen hier und heute: Hohe Pauschalen sind der einzige Weg. Machen Sie mit oder machen Sie nicht mit. Erklären Sie sich heute und lassen Sie Ihre Spielereien.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Als Beispiel die Anlage Kind: Alle, die schon einmal die drei Seiten der "Anlage Kind" ausgefüllt haben, wissen, was da alles abgefragt wird. Wir können das einmal durchdeklinieren. Wenn wir uns nicht zu höheren Pauschalen durchringen, müssen wir über drei Seiten hinweg auf die Berücksichtigung des volljährigen Kindes unter Berücksichtigung von sieben unterschiedlichen Einkunftsarten eingehen. Wir müssen abfragen, ob die Kinder im Berücksichtigungszeitraum sind oder ob es auswärtige Unterbringungen gibt. Wir müssen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abfragen, wir müssen die Übertragung des Kinderfreibetrags abfragen, wir müssen den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende abfragen, wir müssen den Freibetrag für den Sonderbedarf bei der Ausbildung eines Kindes abfragen, wir müssen das Schulgeld abfragen und wir müssen die Übertragung der Behinderten- und Hinterbliebenen-Pauschbeträge abfragen.

(Alexander König (CSU): Herr Minister, das ist das Ergebnis des Gerechtigkeitsplans!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im deutschen Steuerrecht muss zu viel abgefragt werden. Wir brauchen mehr Pauschalen und müssen uns auch trauen, Dinge wieder herauszunehmen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Dr. Wengert, wir können uns auch über die Wirtschaftspolitik unterhalten. Das Steuervereinfachungsgesetz 2011 brachte für das Hochtechnikland Deutschland den Vorschlag, elektronische Rechnungen der Papierrechnung umsatzsteuerlich gleichzustellen. Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir endlich in der Steuerverwaltung mit elektronischen Rechnungen so umgehen wie mit Papierrechnungen? Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, dass Sie hier nicht mitgehen, ist ein falsches Signal. Sie sollten sich Ihre Abstimmung an dieser Stelle gut überlegen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)