Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bayern: vielfältig und weltoffen! Kein Missbrauch religiöser Symbole durch die Partei CSU und Staatsregierung! (Drs. 17/21876)

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darf ich Frau Kollegin Schulze das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Martin Luther soll auf dem Reichstag von Worms gesagt haben: "Hier stehe ich und kann nicht anders." Er tat dies wohl aus tiefster innerer Überzeugung und war bereit, die Konsequenzen zu tragen, so fatal sie auch waren.

Die CSU-Regierung hat am Dienstag beschlossen, dass künftig im Eingangsbereich jedes Dienstgebäudes des Freistaats ein Kreuz hängen muss. Sie hoffen, dass Ihnen das bei der Landtagswahl mehr Stimmen bringt. Ihr Motto heißt also: Hier stehen wir, aber vielleicht auch dort, wenn es opportun ist. Anstelle einer tiefen inneren Überzeugung entdecke ich bei Ihnen nur kaltes Kalkül. Sie sagen in Ihrer Begründung: Das Kreuz sei ein Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns. Das finde ich, ehrlich gesagt, eine sehr wundersame Ansicht. Ich weiß nicht, an welcher Schule Sie waren. Aber ich habe im Religionsunterricht gelernt: Das Kreuz ist das Symbol des gekreuzigten und auferstandenen Jesus und als solches das zentrale Symbol des Christentums.

(Beifall bei den GRÜNEN – Thomas Kreuzer (CSU): Ja, richtig!)

Dort steht das Kreuz für die Hoffnung auf Erlösung, bei Ihnen steht das Kreuz für die Hoffnung auf Mehrheiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich finde, dass Sie mit dieser berechnenden und populistischen Haltung nicht nur den Geist unserer Verfassung verletzen, sondern Sie spalten auch die Gesellschaft, säen Unfrieden und missbrauchen ein Symbol des Glaubens.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Bayern ist die Rechts- und Gesellschaftsordnung durch viele Einflüsse geprägt. Religionen spielen ebenso wie Atheistinnen und Agnostiker eine wichtige Rolle. An wen ich glaube oder ob ich überhaupt glaube, das ist eine zutiefst persönliche Entscheidung. Das alles hat viel mit innerer Überzeugung zu tun.

Diese innere Überzeugung lässt sich nicht verordnen, nicht einmal von einer CSU-Regierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus gutem Grund garantiert die Verfassung die Glaubensfreiheit ebenso wie die Freiheit, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Dieses Recht garantiert uns persönliche Freiheit und schafft gesellschaftlichen Frieden. Niemand muss sich offenbaren. Niemandem wird die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft abgesprochen, weil der Glaube vermeintlich nicht stimmt. Diesen Konsens wollen Sie nun aufkündigen. Sie wollen, dass der Staat seine weltanschauliche Neutralität aufgibt und das Christentum sichtbar über andere Überzeugungen stellt. Ihre Botschaft an alle, die keiner christlichen Kirche angehören, lautet: So richtig gehört die Person irgendwie nicht dazu. Damit spaltet man die Gesellschaft. Sie säen als CSU Unruhe und Unfrieden. Plötzlich muss man anfangen, sich für seinen Glauben zu rechtfertigen.

Ehrlich gesagt, der andere Hammer ist, dass jetzt die Botschaft an alle, die einer christlichen Kirche angehören, wie folgt lautet: Das Kreuz ist nicht mehr nur ein Symbol eures Glaubens, sondern auch ein politisches Symbol, ob es euch gefällt oder nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Sie sprechen davon, dass die Anordnung ein Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Gesellschaft und Rechtsordnung sein solle. Ich sage Ihnen: Diese Anordnung ist genau das Gegenteil; denn Sie fördern nicht Zusammenhalt und Toleranz, sondern schaffen Zwietracht und grenzen aus. Wenn Sie gegen den Werteverfall in unserer Gesellschaft etwas tun wollen, dann unterlassen Sie diesen gefährlichen Unsinn; denn damit signalisieren Sie: Es geht nicht um Werte, die für alle gelten, sondern es geht um "wir gegen die". Es geht einzig und allein um den Wahlkampf der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, man muss es ertragen können, dass andere anders sind, und zwar ohne den Versuch, sie so zu machen, wie man selbst ist oder wie man sie gerne hätte. Das ist das Wesen eines modernen aufgeklärten Staates. Leben und leben lassen heißt dieser Grundsatz. Wir sind damit immer gut gefahren.

Kolleginnen und Kollegen, ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Versuch für die CSU-Regierung zum Bumerang wird. Die große Mehrheit der Menschen will eben nicht, dass Religion für politische

Ziele missbraucht wird. Ich appelliere hier auch an die Kirchen: Lassen Sie es nicht zu, dass das Symbol Ihres Glaubens für parteitaktische Zwecke missbraucht wird!

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie es nicht zu, dass es verstaatlicht und zu einem politischen Wandschmuck degradiert wird. Ich fordere die CSU-Regierung auf: Hören Sie auf, Unfrieden in die Gesellschaft zu tragen.

(Tobias Reiß (CSU): Das machen doch die GRÜNEN!)

Hören Sie auf, religiöse Symbole für Ihre taktischen Zwecke zu nutzen. Hören Sie auf, gegen das Neutralitätsgebot zu verstoßen. Nehmen Sie Ihren Beschluss endlich wieder zurück!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Kommen Sie bitte noch einmal an das Rednerpult zurück für eine Zwischenbemerkung. – Herr Kollege Freller, bitte.

Frau Kollegin, ich hätte gerne eine Antwort auf den Text, den ich jetzt vorlese. Ich möchte dazu Ihre Meinung hören. Es ist ein Text von Kardinal Wetter zum Thema Kreuz. Er war der Vorgänger von Kardinal Marx. Ich zitiere wörtlich:

Ein Staat lebt nicht losgelöst von seinem Volk und dessen Geschichte. Er ist gewachsen und geformt aus vielfältigen Erfahrungen. Deshalb ist es auch für den Staat selbst legitim, Herkunft und geschichtliche Wurzeln nicht zu leugnen, sondern die in seiner Geschichte gewachsenen Zeichen und Symbole darzustellen und den Menschen zu zeigen.

Maßstab ist dabei das Wohl aller Bürger. Staatliches Handeln wird dort unzulässig, wo Einzelnen Schaden droht. Das Anbringen eines Kreuzes beschädigt niemand, verletzt niemand in seinem Lebensrecht und in seiner persönlichen Freiheit und auch nicht in seiner Freiheit zur Religionslosigkeit.

Ich möchte eine Antwort von Ihnen zu diesem Text von Herrn Kardinal Wetter.

(Beifall bei der CSU)

Das mache ich sehr gerne. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass man Werte wie Nächstenliebe, die Bewahrung der Schöpfung und Ähnliches lebt und nicht nur per Kreuz an

Behördenwände nagelt. Das ist doch die entscheidende Frage.

(Unruhe bei der CSU)

Aus gutem Grund gibt es ein Neutralitätsgebot des Staates. Ich finde es perfide, dass sie, die CSU, ein religiöses Symbol für politische Zwecke missbrauchen. Das ist das große Problem. Das sage nicht nur ich, sondern das sagen auch viele Menschen, die in der Kirche aktiv sind. Das sagen Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich deutlich gegen Ihren Vorschlag ausgesprochen haben. Das sollte Ihnen eindeutig zu denken geben.

(Beifall bei den GRÜNEN – Karl Freller (CSU): Das ist doch keine Antwort!)

Frau Kollegin Gottstein, Sie hatten auch eine Zwischenbemerkung angemeldet. – Frau Kollegin Schulze, bitte bleiben Sie am Mikrofon – Frau Kollegin, bitte schön.

Liebe Frau Kollegin Schulze, Sie stimmen sicher mit mir überein, dass das Zitat von Kardinal Wetter gerade das Gegenteil von dem aussagt, was derzeit passiert. Er bezieht sich auf die Würde des Kreuzes, und er sieht das Kreuz sehr wohl als religiöses Symbol. Ich glaube, darum geht es in der Debatte aber gar nicht: um das Aufhängen eines religiösen Symbols. Ich glaube vielmehr, es geht um das Aufhängen eines Folklorestückes. Das ist doch das Beschämende.

(Unruhe bei der CSU)

So wurde es zitiert. Es ist wortwörtlich nachzulesen, dass es kein religiöses Beispiel ist. Das Kreuz ist sehr viel mehr. Deshalb sind derzeit auch so viele Christen in Aufruhr.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gottstein. Ich hatte es in meiner Rede klar formuliert: Das Perfide daran ist, dass die CSU selbst sagt, das Kreuz wäre ein kulturelles Symbol. Damit tritt sie vielen Menschen, die das Kreuz als Symbol ihres Glaubens im Herzen tragen, auf die Füße. Deswegen sind auch viele Christinnen und Christen zu Recht sauer und stehen auf und sagen: Ganz ehrlich, das hat mit Christlichkeit nichts zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf)

– Ich kann nach der Geschäftsordnung keine Zwischenbemerkung mehr zulassen. Jetzt hat Herr Kollege Blume für die CSU das Wort. – Ich darf noch bekannt geben, dass die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung beantragt hat. – Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Brief des Paulus an die Korinther heißt es:

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

"Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden" – Liebe Frau Kollegin Schulze, wenn Paulus gewusst hätte, was Sie heute hier für eine Rede halten, hätte er wahrscheinlich nicht nur von einer Torheit, sondern von der größten anzunehmenden Dummheit gesprochen.

(Beifall bei der CSU – Florian Ritter (SPD): Sind Sie jetzt zuständig für die Definition von Glaubensfragen! – Thomas Gehring (GRÜNE): Blasphemie!)

Ihr Antrag ist heuchlerisch. Er ist heuchlerisch, weil Sie vorgeben, die christlichen Kirchen schützen zu wollen vor einem Staat, der sich anmaßen würde, das Kreuz zu usurpieren.

(Allgemeine Unruhe)