Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Soweit zur Realität, meine sehr verehrten Damen und Herren! ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Wir vom Bündnis 90/Die Grünen wollen nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Rechte für Jugendliche. Dafür haben wir auch einen Antrag gestellt, den ich jetzt auch weiter erläutern will. Ich werde jetzt nicht im Detail auf alle Forderungen eingehen, die in der Bürgerschaftsdrucksache stehen, weil wir auch eine schriftliche Stellungnahme abgegeben haben, in der man auch wesentliche Standpunkte unserer Fraktion noch einmal wiederfinden kann. Ich möchte mich zentral zum einen auf das Thema Wahlalter 16 und zum anderen auf das Thema Beteiligungsrechte und dann die Rolle, die dort eine Bremer Jugendenquete spielen könnte, beschränken. Wir teilen den Wunsch von „Jugend im Parlament“ nach einer Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Das war, als ich vor zwei Jahren Bürgerschaftsabgeordnete geworden bin, meine zweite Rede, die ich hier halten musste. Das Thema hat mich also auch beschäftigt. Herr Eckhoff, jetzt laufen Sie leider weg, ich wollte Ihnen gerade sagen, ich habe meine Meinung nicht geändert. Sie haben ja damals zu mir gesagt, vielleicht ändern Sie noch Ihre Meinung im Laufe der Zeit. Ich habe meine Meinung nicht geändert, ich bin nach wie vor der Meinung, dass das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt werden soll.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau S t r i e z e l [CDU]: Das kann ja noch kommen!)

Ja, es kann noch kommen, Frau Striezel! Nicht, weil wir glauben, dann gäbe es von allein eine gigantische Wahlbeteiligung, nein, die Herabsetzung des Wahlalters ist eine Aufforderung an alle Parlamentarier, Frau Striezel, an Sie, an Herrn Pietrzok, an Herrn Böhrnsen, an Frau Linnert und auch an Herrn Rohmeyer, sich mit den Interessen der Jugendlichen zu beschäftigen, mit ihnen Hand in Hand zu arbeiten und nicht über die Köpfe hinweg einfach Beschlüsse zu fassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist ein Weg, bei dem das Wahlalter 16 hilft. Experten und auch viele Jugendliche selbst fordern die Herabsetzung des Wahlalters. Es gab die Anhörung von Professor Hurrelmann, der das auch wieder bestätigt hat. Ich selbst habe eine große Veranstaltung mit Arthur Fischer, dem Mitautor der ShellJugendstudie, gemacht, und auch er hat gesagt, dass er die Herabsetzung des Wahlalters für wichtig hält. Er hat das auch ganz ausführlich diskutiert. Es gibt viele gute Argumente. Jugendliche fällen viel früher wichtige Entscheidungen. Das unterscheidet sich auch deutlich von der Jugend einiger Mitparlamentarier hier. Man soll sehr früh über seinen Beruf entscheiden, man entscheidet sich für eine Beziehung zu einer Person, man entscheidet sich für

eine Religion, man kann mit 14 Jahren ein Girokonto einrichten. Wir haben hier all diese Argumente gehört. Wenn sechzehnjährige minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden, dann fragt auch niemand, ob sie 18 Jahre alt sind, dann schweigen SPD und CDU. Dort haben Jugendliche dann gleiche Pflichten, aber keine Rechte wie deutsche Jugendliche. Das hier nur einmal am Rande!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Insbesondere seit Anfang der neunziger Jahre gibt es viele Gesetze, die die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorsehen. Rechtliche Grundlagen dafür sind die UN-Kinderrechtskonvention, das Baugesetzbuch und das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das SGB VIII, das von Städten und Gemeinden fordert, Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen, also eine altersgerechte und angemessene Beteiligung. Wissenschaftliche Untersuchungen sowie Erfahrungen in Praxisprojekten zeigen, dass Kinder schon in jungem Alter mit entsprechenden Methoden gute Kompetenzen besitzen, ihre vielfältigen Erfahrungen einzubringen, zum Beispiel bei der Gestaltung von Spielflächen und Spielplätzen. Wir haben zum Beispiel das Robinsöhnchen im Viertel, dort wurden auch Kinder an diesem Planungsprozess beteiligt. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, der Sportgarten und so weiter. Die Bereitschaft zu politischem Engagement ist bei Jugendlichen groß, wenn sie konkrete Möglichkeiten erhalten, ihr Lebensumfeld mitzugestalten. Allerdings brauchen die Jugendlichen dafür, und das hat Herr Pietrzok gesagt, die konkrete Unterstützung und Begleitung durch Verantwortliche aus Gesellschaft und Politik, damit sie sinnvoll ihre Ideen einbringen können und nicht die Lust an der Beteiligung verlieren. Es muss also auch etwas dabei herauskommen, wenn sie ihre Ideen eingebracht haben. Deshalb habe ich diese Jugendenquete angeregt. Herr Pietrzok, ich hätte das auch ohne Ihre Koalitionsvereinbarung gemacht. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg und Hamburg haben mit großem Erfolg solche Enquetekommissionen eingerichtet. In Baden-Württemberg wurde mit dem Titel „Arbeit, Jugend, Zukunft“ eine parlamentarische Enquetekommission mit großen Anhörungen und einem umfassenden Reader eingerichtet. Meine Damen und Herren, es ist zwar viel Papier dabei herausgekommen, aber alle Beschlüsse und Ergebnisse der Anhörung sind in die parlamentarische Beratung eingeflossen. Es gibt dort auch einige Erfolge zu verzeichnen. Ich würde in Bremen gern an die Erfahrungen aus anderen Bundesländern anknüpfen. Auch Bremen braucht so eine Jugendenquete!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wie Sie sehen, hat die große Koalition wieder selbst einen Antrag eingebracht, obwohl wir eigentlich das Gleiche wollen. Das ist das beliebte Verfahren, das hier angewandt wird. Ich dachte, der Jugendhilfeausschuss wird selbstverständlich beteiligt. Das ist für mich schon eine Basisvoraussetzung bei dieser ganzen Sache. Wir tragen den Antrag der großen Koalition mit und wissen auch, dass Sie unseren Antrag wahrscheinlich wieder ablehnen werden. Das ist ja naturgemäß in diesem Haus so.

(Abg. Frau S t r i e z e l [CDU]: Das ha- ben wir doch begründet!)

Ja, Sie haben es auch begründet, aber ich sage Ihnen auch, Frau Striezel, große Koalitionen sind kein Motor für Jugendinteressen in diesem Land!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre wird aber auch, ich gebrauche noch einmal das Bild meines Kollegen Dr. Güldner, zum Spielball im Gemenge von SPD und CDU. Was herauskommen wird, ist bestenfalls, wir haben einen Vorgeschmack bekommen, nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Herabsetzung des Wahlalters nur für Beiräte ist eine halbherzige Auseinandersetzung mit dem Anliegen von Jugendlichen, es ist ein Schritt, aber es ist halbherzig.

Meine Damen und Herren, auch unter Sanierungsbedingungen und in einer Haushaltsnotlage, ich bin überzeugt, hier im Parlament gibt es eine Mehrheit für die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Liebe SPD, wenn es Ihnen ernst ist mit der Stärkung der Rechte der Jugendlichen, dann tun Sie etwas dafür! Folgen Sie dem Beispiel der SPD in Berlin, auch dort gibt es eine große Koalition! Zeigen Sie nicht nur Ihre äußere Größe, beweisen Sie endlich einmal Ihre innere Größe und stimmen auch wie Ihre Kollegen in der SPD in Berlin getrennt von der CDU ab, wenn es der Sache zugute kommt! Das ist in Berlin möglich, warum ist es dann in Bremen nicht möglich? Ich verstehe das nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zurufe von der SPD)

Herr Pietrzok, wenn es nur noch Sachzwänge gibt, da sagt mein Lieblingsautor Wolfgang Neuss, dann kann man gleich all die Politiker abschaffen. Es ist richtig, Politik ist nicht alternativlos. Es gibt Geld, da kann man Schwerpunkte setzen. Da kann man einen Schwerpunkt im Jugendhaushalt setzen.

(Zuruf des Abg. K l e e n [SPD])

Man kann einen Schwerpunkt in anderen Bereichen setzen, so wie Sie das machen, Herr Kleen, regen Sie sich nicht auf!

(Abg. K l e e n [SPD]: Ich rege mich nicht auf!)

Ich sage Ihnen nur, es gibt viele Möglichkeiten, Politik zu gestalten, und so wie Herr Pietrzok Politik hier dargestellt hat, ist sie wirklich langweilig und alternativlos.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Überhaupt nicht!)

Ich weiß, dass Sie das nicht überzeugt, Frau Hövelmann!

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Die ist auch schwer zu überzeugen!)

Wir stehen für die Herabsetzung des Wahlalters und würden das auch gern mit der SPD machen, auch wenn ich ein bisschen sauer bin auf die SPD.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Och!)

Herr Rohmeyer, Sie können sich das ja auch noch einmal überlegen, ob Sie hier wirklich weiterhin der Bremser sein und es sich hier bequem machen wollen! – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Hövelmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei Resolutionen wurden von „Jugend im Parlament“ zum Bereich Bildung und Schule verabschiedet, von sehr fachkundigen jungen Menschen diskutiert, auch sehr kontrovers diskutiert. Diejenigen von Ihnen, die dabei waren, haben gesehen, dass das gesamte Spektrum sehr differenziert dargestellt worden ist.

Die Jugendlichen haben ganz klar festgestellt, dass in ihrer Wahrnehmung im politischen Alltag Bildung nicht den Stellenwert hat, der unseren Schulen eigentlich zustehen müsste. Sie beklagen fehlende Motivation und Kompetenz der Lehrkräfte, vor allem im Zukunftsbereich Informatik, Lehrermangel, schlechte Ausstattung der Schulen, den nicht ansprechenden baulichen Zustand, der nicht positiv auf die Lernatmosphäre wirkt, sie beklagen die Vernachlässigung der sozialen Aufgaben von Schulen und die mangelnde Vorbereitung auf Studium und Beruf.

Meine Damen und Herren, wer mit offenen Augen durch die beiden Städte Bremen und Bremerhaven geht, stellt unschwer fest, das hier nicht Klage um der Klage willen geführt worden ist. Es muss weiter an der Qualität unserer Bildungseinrichtung intensiv gearbeitet werden, obwohl unbestritten schon einiges erreicht worden ist. So konnte an vielen Schulen, und das sage ich Ihnen als Bildungspolitikerin sehr deutlich, endlich ein ansprechender baulicher Zustand hergestellt werden. Der größte Anteil der Stadtreparaturmittel ist in unsere Schulen geflossen, und das ist auch richtig.

(Beifall bei der SPD)

Zufrieden sein können und werden wir damit allerdings noch lange nicht. Sie, die jungen Menschen aus der Arbeitsgruppe Bildung, zeigen mit dem Finger zu Recht auf eine offensichtliche Schwachstelle. Allerdings haben wir bei der Ausstattung der Schulen einen großen Schritt nach vorn getan. Ich erinnere nur an das Schulmöbelprogramm. Endlich einmal Gestühl, das nicht schon 20 Jahre alt ist und auf dem sich schon einige Generationen einritzenderweise verewigt haben, und endlich einmal Gestühl, das auch der Körpergröße der Schülerinnen und Schüler gerade in der Grundschule angemessen ist! Alle Schulen, die zu Beginn des letzten Schuljahres hier einen Antrag gestellt haben, haben neue Schulmöbel bekommen. Ich möchte dies ausdrücklich betonen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Frau S t r i e - z e l [CDU]: Das ist auch eine Selbstver- ständlichkeit!)

Leider war das keine Selbstverständlichkeit, weil vorher die Mittel nicht da waren! Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit auch die Schulen ermuntern, die bisher keinen Antrag gestellt haben, aber diesen Missstand beklagen, Möbel zu ordern. Soviel hierzu!

Wir haben die naturwissenschaftlichen Sammlungen mit einem großen Schwung besser ausgestattet, und wir haben den Buchetat erhöht. Wir kennen doch alle diese Bilder mit den Büchern, in denen die deutsche Teilung noch nicht vollzogen ist,

(Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Es geht um die Vereinigung! – Abg. R o h - m e y e r [CDU]: Es gab noch Bücher mit dem Kaiserreich!)

und die Vereinigung erst recht nicht! Doch, Herr Oppermann, solche Bücher finden Sie in den Schulen auch! Lehrer haben so eine Neigung zum Jäger und Sammler, was man hat, hat man, was man bekommt,

weiß man nicht, und deshalb werden solche Dinge durchaus aufgehoben.

(Glocke)

Bitte, zu einer Zwischenfrage Frau Striezel!

Frau Hövelmann, ich finde das spannend, was Sie hier erzählen, aber haben Sie vergessen, wer die letzten 40 Jahre hier allein regiert hat und das alles verursacht hat?

(Beifall bei der CDU)

Verehrte Frau Striezel, ich glaube, nach sechs Jahren großer Koalition kann es nicht Ihr Ernst sein, diese Frage in so einer Schlichtheit zu stellen!

(Beifall bei der SPD)

Sie kennen die Situation in unserem Land, und wir haben ja gerade gemeinsam als große Koalition, Frau Striezel, liebe Kollegin, bei den letzten Haushaltsberatungen bewiesen, dass wir mit 20 Millionen DM zusätzlich die Computerausstattung in unseren Schulen verbessert haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. B ü r g e r [CDU])

Meine Damen und Herren, ich komme bei dieser Gelegenheit zu dem mit – vielleicht darf ich das so sagen, Herr Kollege Mützelburg – Allgemeinplätzen gewürzten Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen und setze mich damit kurz auseinander. Gerade im Vertrauen, Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition, und vor allem schaue ich hier zu meinen Koalitionspartnern von der CDU, auf unsere Handlungsfähigkeit im Bildungsbereich kann ich Ihnen sagen, liebe Kollegen von der Opposition, bei uns steht am Ende der Haushaltsberatungen eine Zahl, und an dieser Zahl werden Sie uns messen können.