Protokoll der Sitzung vom 27.09.2001

Der politische Hintergrund, nicht der verfahrensmäßige Hintergrund, und das kann man an diesem vorgelegten Bericht sehr gut sehen, ist in Wirklichkeit der, dass sich die Koalitionsfraktionen nach wie vor nicht darauf verständigen können, in welchen Bereichen der Bildungspolitik sie künftig mehr Geld ausgeben wollen, wofür sie mehr Geld einsetzen wollen und welche Bedeutung die Einstellung neuer Lehrer und anderen Personals in den Schulen in Zukunft für die Weiterentwicklung der Bremer Schulen hat. Diese Entscheidung ist vertagt worden.

(Vizepräsident D r. K u h n übernimmt den Vorsitz.)

Deshalb ist der Bericht, den Sie uns heute als Aktionsprogramm gegen Lehrermangel vorlegen, eigentlich nur ein Bericht über wenige Dinge, die Sie im letzten Jahr bei der Personaleinstellung getan haben, und kein Bericht über die Perspektiven, die die Lehrerausbildung und die Lehrereinstellung in Bremen in den nächsten Jahren haben werden. Genau das, was wir verlangt haben, haben Sie leider nicht getan, außer dass Sie den Titel übernommen haben.

Ich will kurz sagen, was Sie getan haben, damit das hier nicht im Dunkeln bleibt, dass wir bestreiten, dass etwas geschehen ist. Sie haben die Zahl ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

der Ausbildungsplätze am Landesinstitut für Schule, also die Plätze für Referendare, erhöht. Das hatten wir gefordert, das ist so passiert. Das ist in Ordnung, und da hat es auch keinen Dissens gegeben. Sie haben auch den Einstellungskorridor für neue Lehrer erhöht. Auch das haben wir damals gefordert, und das ist in Ordnung. Allerdings hat sich sehr schnell herausgestellt, dass auch die Erhöhung des Einstellungskorridors erstens dazu geführt hat, dass wir zu Beginn dieses Schuljahrs, es ist ja mittlerweile ein neues Schuljahr, rund 60 Lehrerstellen weniger haben als im vorigen Schuljahr, so hat uns das der Senator berichtet.

Zweitens sind die Schulen hinten und vorn nicht klargekommen mit der Zahl der Lehrer, und deshalb ist die so genannte Lehrerfeuerwehr – das sind Lehrer, die außerhalb des Lehrereinstellungskontingents über eine privatrechtliche Organisation beschäftigt werden – von der Feuerwehr zur Ersatzbank geworden und wie ein ordentlicher Ersatzspieler beim Fußball, Herr Senator, um einmal Ihr Bild aufzugreifen, eingewechselt worden und musste nun die Aufgaben von vollwertigen Lehrern praktisch auf Dauer als Klassenlehrer oder auch in anderen Funktionen übernehmen.

Das hat etwas damit zu tun, dass die Zahlen, die Sie angegeben haben, zwar planerisch korrekt sind, Sie haben uns ja bestätigt, was wir gesagt haben, dass rund 30 Prozent aller Lehrer in den nächsten Jahren im Land Bremen ausscheiden werden, nicht mehr zu Verfügung stehen, und das bei stagnierenden Schülerzahlen, die sinken also nicht in dem gleichen Umfang. Ich bitte um Entschuldigung, dass in unserem Antrag steht, bei steigenden Schülerzahlen. Das war ein technischer Fehler. Es muss heißen, bei stagnierenden Schülerzahlen. Gleichzeitig ist es aber in der Realität der Schule so, dass zum Beispiel zu Beginn dieses Schuljahres wesentlich mehr Lehrer verschwunden sind.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wohin?)

Die einen sind auf Dauer krank. Das war vielleicht nicht vorhersehbar, das passiert aber bei dem hohen Altersdurchschnitt der Lehrer eben offensichtlich noch häufiger als angenommen. Andere sind doch vorzeitig in Pension gegangen, und die Dritten sind in Altersteilzeit gegangen und stehen nun nicht mehr so ohne weiteres für die Schule zur Verfügung. Das ist so!

Das Dilemma ist größer als geplant, und das hat letztlich zu dem geführt, was ich gesagt habe, dass Notmaßnahmen ergriffen werden mussten, wobei auch klar ist, dass diese Notmaßnahmen schon deutlich zeigen, wie weit das Problem des Lehrermangels fortgeschritten ist. Es war nicht mehr möglich, alle Stellen für Berufsschullehrer zu besetzen, es war nicht mehr möglich, alle Stellen für Sonderschulleh

rer mit wirklich einschlägig qualifizierten Sonderschullehrern zu besetzen. Es war sogar notwendig, über diese Lehrerfeuerwehr Personen zu beschäftigen, die keine Lehrerausbildung haben, und sogar Personen, die nicht die Qualifikation für einen Fachunterricht vorweisen konnten, nur, um dringende Probleme zu lösen.

Das ist alles unbestritten und zeigt, dass die Lage mindestens so ernst ist, wie wir vor einem Jahr gesagt haben, und dass es bedauerlich ist, das ist jetzt höflich formuliert, eigentlich muss ich als Oppositionspolitiker sagen, dass es eigentlich ein Versagen der Regierung ist, hierfür nicht politisch Vorsorge getroffen zu haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben auch die anderen Punkte unseres Antrags, den wir Ihnen damals vorgelegt haben, nur rudimentär abgearbeitet. Es ist zwar heute möglich, dass Menschen ohne Lehramtsstudium eine Referendarausbildung am LIS machen, das ist nach langen Mühen, vielen rechtlichen Bedenken durchgesetzt worden, aber das entspricht nicht den Notwendigkeiten.

Schauen Sie nach Niedersachsen, was Niedersachsen macht! Niedersachsen erlaubt jetzt eine Kurzausbildung von einem Jahr für Leute, die keine Lehrerausbildung haben, Niedersachsen versucht auch das Modell, dass sie gleichzeitig in Schulen auch praktisch qualifiziert werden, und sorgt so dafür, dass relativ schnell Lehrer, die auch pädagogisch mittlerweile qualifiziert sind, für Schulen zur Verfügung stehen. Ich rate Bremen dringend an, ein solches Programm ebenfalls nicht nur zu überlegen, sondern auch durchzuführen. Ich glaube, Sie werden noch nicht einmal mehr bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ernsthaftem Widerstand begegnen.

Ebenso dringend ist es nötig, Qualifikationen insbesondere für die Bereiche der Sonderschulen und der Berufsschulen vorzunehmen. Wenn mir der Schulleiter einer der größten Berufsschulen in Bremen sagt, ich stelle doch heute lieber Lehrmeister ein, als dass ich wieder den allerletzten Berufsschullehrer suche, der dann in letzter Sekunde wieder abspringt, weil er in Nordrhein-Westfalen noch ein paar Mark mehr bekommt, davon haben meine Schüler doch mehr, dann sagt das genug über den Markt, wie er sich da entwickelt. Wir brauchen also auch dort neue Initiativen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben vorgeschlagen, ausländische Lehrer insbesondere aus dem EU-Bereich für den Fremdsprachenunterricht, weil ja Ihre Unterlagen, die Sie vorgelegt haben, deutlich ergeben, dass Englisch und Spanisch absolute Mangelfächer sind, in der

Sekundarstufe I und in der Sekundarstufe II einzustellen. Gut, Sie haben einmal ein bisschen herumgefragt, und im Einzelfall passiert es. Aber eine systematische Kampagne im Ausland, bei der Bremen vielleicht einmal vorn sein könnte im Bundesgebiet, hat es nicht gegeben.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Schade!)

Ich glaube, Native Speaker könnten unseren Schulen, vor allen Dingen, wenn sie ausgebildete Lehrer sind, mehr helfen als in Kurzkursen fortgebildete Englischlehrer, die jetzt in der Grundschule Englisch unterrichten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will auf den ganzen Katalog jetzt nicht weiter eingehen. Sie haben den Antrag vorliegen. Wir haben den Antrag aufrechterhalten mit Ausnahme der Punkte, die sich erledigt haben, und wir haben noch einen Punkt eingeführt aus der Lehre aus der Situation des Schuljahresbeginns. Ich habe gesagt, es werden im Moment Lehrer über einen privaten Verein beschäftigt. Ursprünglich waren sie nur für Krankenreserve als Feuerwehr gedacht. Mittlerweile sind sie richtige Lehrer. Das ist allerdings anders als bei Ersatzspielern im Fußball. Sie bekommen nämlich die gleiche Prämie, wenn sie gewonnen haben, wie die Spieler, die schon immer dabei sind.

(Senator L e m k e : Aber das Grundge- halt ist geringer!)

Herr Senator Lemke, auch das Grundgehalt bei allen Ersatzspielern ist nicht geringer. Sie kennen ja das Rotationsprinzip, dass auch Spitzenspieler einmal auf der Bank sitzen. So ist das bei Bayern München und sogar manchmal bei Werder Bremen, wenn ich an Andreas Herzog denke und an sein Gehalt. Lassen wir das beiseite!

Tatsache ist auf jeden Fall, dass hier für gleiche Arbeit Klassenlehrer und Fachlehrer, die über den Verein eingestellt werden, weniger Geld bekommen als diejenigen, die sie fest einstellen. Ich finde, es gilt noch immer das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit in solchen Fällen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da muss Abhilfe geschaffen werden!

Andererseits kann diese Regelung, ich habe es schon gesagt, gar nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen genügen. Das ist ja ein Zufallsprinzip, wen der Verein noch auf dem Markt bekommt und noch einmal schnell für die Schule zur Verfügung stellen kann. Es löst unser Problem in Zukunft nicht mehr.

Deshalb bin ich dafür, und das schlagen wir Ihnen hier auch per Antrag vor, dass die Behörde sich, vielleicht im Zusammenhang mit diesem Verein oder auch noch mit anderen Trägern, ein Instrument schafft – wir haben es jetzt Agentur genannt, der Name dafür ist Schall und Rauch –, das tatsächlich nicht nur für Feuerwehrtätigkeiten wirbt, sondern außerhalb der klassischen Lehrerberufe, qualifiziert, denn wir brauchen auch Leute, die eine pädagogische Ausbildung haben.

Ich will nicht wieder das Beispiel Sport anführen, wir haben hier gestern lange über Sport geredet. Es gibt noch manche andere Bereiche, in denen solche Aktivitäten ergriffen werden können, bei denen es den Schulen auch gut tut, wenn qualifizierte Praktiker von außerhalb kommen. Es muss nicht auf einem Niedriglohnsektor sein, aber wir brauchen eine Institution, die direkt mit den Schulen die Bedürfnisse der einzelnen Schulen klären kann. Das geht weder über die Bürokratie des Senators für Bildung, damit haben wir alle Erfahrung, dass das lange Wege sind, noch über das Landesinstitut für Schule, das hinreichend beschäftigt ist mit der Regelausbildung von künftigen Lehramtsanwärtern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Deshalb empfehlen wir Ihnen ganz dringend, sich hier ein neues Instrument zuzulegen. Wichtig für uns ist bei diesem Instrument, dass es nicht einfach eine Vermittlungsagentur ist, sondern dass hier auch für die pädagogische Qualifikation von künftigen Lehrern, sei es, dass sie mit einer Teilzeitstelle arbeiten, dass sie für beschränkte Zeit arbeiten, in den Schulen geschaffen wird. Das wäre eine Innovation, die uns schnell helfen könnte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Meine Damen und Herren, als Letztes: Egal, wie Sie jetzt mit diesem Antrag umgehen, ist eines klar. Das Problem ist nicht aus der Welt, und das Problem der Zukunft ist jetzt nicht mehr einfach nur das Problem, Aktionsprogramme gegen Lehrermangel zu entwickeln, sondern zu sehen, wie wir jetzt welche jungen Menschen für den Lehrerberuf neu qualifizieren.

Wir haben das Problem des Fremdsprachenunterrichts. Das ist ein Problem. Wir haben die Anforderung einer modernen Methodik im naturwissenschaftlichen, mathematischen und technischen Unterricht, damit wir nicht wieder solche Beispiele haben, wie ich sie gestern genannt habe in der Diskussion über die gymnasiale Oberstufe. Wir haben vor allem das Problem der digitalen Spaltung. Das taucht hier nicht auf. Wir brauchen einen völlig an

deren Umgang und neue Qualifikationen für alle Lehrer und Lehrerinnen

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

im Umgang mit den neuen Technologien und mit den neuen Kommunikationstechnologien, weil diejenigen, die keinen hinreichenden Zugang dazu haben und mit den didaktischen Möglichkeiten dieses Mediums nicht vertraut sind, demnächst aus der Bildungslandschaft weit herausfallen und die Zahl derjenigen, die nicht hinreichend für die Zukunftsaufgaben qualifiziert sind, noch weiter erhöhen werden.

Das sind alles Dinge, die wir neu angehen müssen, meine Damen und Herren. Ich plädiere dafür – das ist jetzt wirklich der letzte Satz –, dass wir uns ganz schnell an diese Aufgabe für die Zukunft heranmachen, denn es wird keine Schule geben, die mit Notmaßnahmen leben kann, sondern die Schulen und unsere Kinder brauchen nach wie vor junge und ältere Kolleginnen, die nicht nur fachlich, sondern auch pädagogisch auf die Aufgaben der Erziehung im einundzwanzigsten Jahrhundert vorbereitet sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, bevor wir auf die konkrete Debatte kommen, eine kurze Anmerkung zu, wie ich denke, einer der grundlegenden Voraussetzungen von zukunftsorientierter Bildungspolitik! Auch der Debattenbeitrag des Kollegen Mützelburg zeigte es immer wieder.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Der war gut!)

Er hat eine Anmerkung gemacht, die mich dann doch aufhorchen lässt, weil ich sie auch von der Kollegin Frau Hövelmann immer wieder höre. Es heißt: Mehr Geld gleich bessere Bildung!

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Haben Sie von mir noch nie gehört! Nachweisen!)

Meine Damen und Herren, dieser Satz in der Form ist falsch. So oder ähnlich, Frau Hövelmann! Auf jeden Fall: Mehr Geld bedeutet nicht gleich bessere Bildung. Bessere Bildung erreicht man auch durch einen effizienteren und besseren Einsatz dessen, was man in die Bildung investiert.

(Beifall bei der CDU)

Ich will konkret nur ein Beispiel ansprechen, weil wir es auch in der näheren Zukunft an anderer Stelle wieder diskutieren werden. Bei der derzeitig bekannt schwierigen Haushaltslage unseres Landes muss man es hinbekommen, das Geld, das wir einsetzen, effizient einzusetzen. Das heißt, Herr Senator Lemke, ich spreche Sie da ganz konkret an, es kann natürlich nicht sein, dass wir auch in Zukunft einzügige Systeme, in die wir mehr Manpower, mehr Lehrerstunden stecken müssen, immer weiter ohne irgendwelche Kritik fortführen. Hier wollen wir als CDU-Fraktion einen effizienteren Einsatz, eine Strukturumwandlung, denn dann, denke ich, kommt man auch mit dem bisher Investierten weiter und kann dort einen besseren Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer organisieren. Meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Grünen haben uns im November 2000 einen Antrag „Aktionsprogramm gegen Lehrermangel“ vorgelegt.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Vor zehn Monaten!)

Wir haben im November 2000 und im Juni 2001 darüber diskutiert, und heute diskutieren wir die Mitteilung des Senats, eine Mitteilung, aus der meines Erachtens hervorgeht, dass der Senat das Problem nicht nur erkannt hat, sondern dass der Senat auch schon gehandelt hat. Meine Damen und Herren, das, was der Senat getan hat, nenne ich Aktion, und wenn ich Ihnen Aktion sage, dann sage ich Ihnen auch gleich die Definition des Dudens, und der Duden definiert das Wort Aktion, mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich: „gezieltes Vorgehen, planvolle Unternehmung“. Was Sie wollen, scheint in meinen Augen mehr unter den Begriff Aktionismus zu fallen, und das wird definiert als „übertriebener Tätigkeitsdrang“. Ich werde Ihnen auch gleich die Gründe für meine Einschätzung geben, meine Damen und Herren. Vor dem Hintergrund der bremischen Haushaltslage müssen wir als Handelnde zur Kenntnis nehmen, dass die Grenzen unseres Tuns abgesteckt sind, und zwar haben wir als Ziel für das, was wir erreichen wollen, allerdings festgesteckt, dass wir die Unterrichtsversorgung abdecken wollen. Das, meine Damen und Herren, wird erreicht, und bis auf eine Meldung in den Medien zu Schuljahresbeginn, als es offenbar auch noch Probleme bei der entsprechenden Schuleinheit gab, ist der Unterrichtsbeginn 2001 geglückt. Von daher ist hier kein Chaos in Bremen entstanden, wie wir es aus früheren Zeiten noch kennen.