Protokoll der Sitzung vom 20.02.2002

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die vorliegende Mitteilung des Senats zur Verkehrssicherheit im Lande Bremen ist nicht wirklich aufregend, deshalb aber noch lange nicht langweilig, denn sie behandelt, das hat Herr Knäpper schon angedeutet, einen wichtigen Schwerpunkt der Sicherheitspolitik, der in der politischen Debatte meist nur dann eine Rolle spielt, wenn etwas Schlimmes passiert ist oder wenn etwas schief läuft. Ich werde es ähnlich wie Herr Knäpper machen, dass ich als Innenpolitiker mich hauptsächlich diesem Thema nähere. Dass die verkehrsbaulichen Maßnahmen mindestens genauso viel Gewicht haben, wird dann vielleicht deutlich werden, wenn Frau Krusche geredet hat. Vielleicht können wir so das Thema regierungs- und koalitionsübergreifend richtig rund machen.

Meine Damen und Herren, die Mitteilung des Senats gibt deutlich darüber Auskunft, dass die gemeinsame Politik der großen Koalition die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass in Bremerhaven und in Bremen Verkehrssicherheitspolitik für die Menschen und nicht für Autos umgesetzt werden kann.

Dass das nicht überall so ist, das wissen vor allen Dingen diejenigen, die aufmerksam gewisse Zeitungen wie „Die Welt“ in Bremen lesen. Die CDU ist ja in einer anderen Hansestadt in einer anderen Koalition, die dort gerade dabei ist, die doch auch in Deutschland berüchtigte Stresemannstraße wieder zurück zu einem Todesstreifen für kleine Kinder zu machen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir machen hier eine andere Politik in Bremen.

Im Kampf gegen die Hauptunfallgefahr darf nicht nachgelassen werden. Das betrifft vor allem die überhöhte und nicht angepasste Geschwindigkeit sowie Alkohol und Drogen am Steuer. Da fällt als Erstes auf, dass der Senat keine Fallzahlen über Alkoholkontrollen hat, da diese nicht statistisch erfasst werden. Das ist eigentlich nicht zu fassen. Seit Jahren reden wir in der Deputation von ergebnisorientierter Steuerung, und dann gibt es diese wesentlichen Zahlen als Grundlage von Entscheidungsprozessen nicht. Erst eine bundesweite Untersuchung veranlasst Bremen, Zahlen für April bis August 2001 zu erheben, die belegen, dass Alkoholkontrollen Sinn machen. Das bedeutet offensichtlich, dass seit August 2001 wieder keine Zahlen erhoben werden.

Wenn man jetzt eine Schwerpunktaktion machen würde, zum Beispiel Jugendliche und Alkohol am Steuer, hätten wir wieder kein Vergleichsmaterial. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, die Zahlen werden nicht erhoben, weil hier die Bremerhavener Polizei im Verhältnis wesentlich besser abschneidet als die in Bremen. Unsere Bremerhavener Kollegen glauben das bestimmt.

Meine Damen und Herren, der Senat stellt auf Seite sieben fest, dass eine deutliche Erhöhung des Überwachungsdrucks und die damit verbundene höhere Entdeckungswahrscheinlichkeit die Verkehrsteilnehmer zu rechtskonformerem Verhalten veranlasst. Diese Erkenntnis gilt ebenfalls und besonders für die Unfallursache Geschwindigkeitsüberschreitung. Auf den ersten Blick scheint diese Erkenntnis aber auch vor allem in Bremerhaven Früchte zu tragen, denn die Zahl der gemessenen Fahrzeuge übersteigt im Verhältnis die Bremer Zahlen deutlich. Geradezu dramatisch wird der Unterschied bei der Zahl der festgestellten Überschreitungen. Obwohl in Bremen, man muss fast sagen nur, 150 000 Fahrzeuge mehr gemessen wurden, ist die Zahl der festgestellten Überschreitungen in Bremerhaven sogar höher. Das ist ein Missverhältnis, das der Senat nur unzulänglich aufklärt.

Mir ist dabei schon klar, auch das wird angesprochen in der Antwort des Senats, dass in Bremen das Konzept geändert wurde. Statt auf die zeitverzögerte Reue mittels Bußgeldbescheid zu setzen, setzen die Bremer auf qualifizierte Kontrollerlebnisse, füh

ren also Anhaltekontrollen durch, mit denen Schnellund Falschfahrer unmittelbar von der Polizei angehalten und, ich zitiere, „zur Rede gestellt werden“. Es ist zu hoffen, dass das Kontrollerlebnis auch vom Autofahrer als qualifiziert angesehen wird, denn billig ist es nicht für das Ressort. Der Senator wird uns sicher noch deutlich machen, wie er die im Vergleich mit Bremerhaven dann deutlich zu erwartenden Einnahmeunterschiede ausgleichen wird.

Ich will hier bestimmt nicht einem rein fiskalischen Ansatz von Verkehrspolitik, im Volksmund auch Abzocke genannt, das Wort reden. Oberste Priorität hat für uns auch die Verkehrssicherheit, aber die Fragen nach den übrigen Folgen müssen doch auch gestellt werden. Wenn wie in Bremerhaven Einnahmen von der Polizei billigend in Kauf genommen werden, so werden offensichtlich in Bremen Einnahmeausfälle billigend in Kauf genommen, und das vor dem Hintergrund ehrgeiziger ausgabenrelevanter Pläne. Ich nenne nur das Bürger-Service-Centrum Mitte.

Im Übrigen ist nicht nur das neue Kontrollkonzept Grund für veränderte Zahlen. Eine weitere Ursache zeigt ein Blick auf Seite vier der Antwort. Dort heißt es: „Ursächlich für den Rückgang der gemessenen Fahrzeuge im Jahr 2001 ist der altersbedingte Ausfall von zwei Überwachungsgeräten Anfang 2001.“ Das erinnert mich ein bisschen an den netten Spruch: „Die ostfriesische Landesbibliothek musste schließen, jemand hat das Buch gestohlen.“

(Heiterkeit)

Richtig peinlich, meine Damen und Herren, finde ich, dass es in der Innendeputation an dieser Stelle übrigens noch weiter ging. In einem Klammerzusatz folgte die Erklärung: „Aus haushaltsrechtlichen Gründen konnte erst im Juni 2001 lediglich ein Gerät ersetzt werden.“ Das, obwohl der Senator für Inneres findet, dass Kontrollen das probate Mittel zu mehr Verkehrssicherheit sind! Diese Erkenntnis ist uns dann ja auch in der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft erspart geblieben.

Meine Damen und Herren, an anderer Stelle macht uns der Senator sehr neugierig durch eher nebulöse Formulierungen. Auf Seite sieben heißt es: „Eine erhebliche Steigerung des Überwachungsdrucks soll durch Bündelung der Aufgabenverantwortung und durch bereits im konkreten Planungsstadium befindliche organisatorische Maßnahmen erreicht werden. Aufgabenkompetenz und Verantwortung für die Steigerung der Verkehrssicherheit sollen konzentriert werden.“

Herr Senator, was heißt das? Soll es künftig ein Amt für Verkehrsicherheit geben, ein Verkehrskommissariat? Sollen kommunale verwaltungspolizeiliche und staatliche vollzugspolizeiliche Aufgaben zusammengeführt werden? Soll die Bußgeldstelle eigene Überwachungskameras bekommen mit einem

Außendienst, der die Filme auswechselt? Soll der Verkehrsunfalldienst dezentralisiert werden? Wollen Sie Ihren alten Berliner Plan der Übertragung von Verkehrsüberwachungsaufgaben an Private auch in Bremen versuchen nach dem Motto, es gibt einen Richter in Berlin, aber der kann ja nicht überall sein?

Das sind Fragen über Fragen und keine Antworten! Das überrascht uns, denn immerhin hat die CDU, also die Fraktion des Senators, diese zeitlich unbefristete Große Anfrage gestellt. Man hätte doch erwarten können, dass das Ressort auf solch wesentliche Fragen Antworten hat und keine Nebelkerzen zünden muss!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich befürchte, dass meine Zeit abläuft.

(Heiterkeit)

Es ist, wie Sie wissen, unser aller Schicksal, das auf uns zukommt.

Ich möchte deshalb aber an dieser Stelle doch die Zeit nutzen, um hier noch einmal eine deutliche Lanze für Radfahrer zu brechen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Irgendwie habe ich den Eindruck, es wird vermutet, Radfahrer seien nur Grüne und Sozis, und die von der CDU haben alle einen Stern davor. Ich kann aus den Zahlen und Anmerkungen des Senats diese krassen Vorurteile, die aus der Bewertung dieser Anfrage kommen, nicht herauslesen. Es ist völlig eindeutig, Täter im Verkehrsunfallgeschehen sind Autofahrer. Radfahrer und Fußgänger sind vor allen Dingen die Opfer. Das gilt in Bremen sogar in Einbahnstraßen mit gegenläufigem Radfahrverkehr. Es ist sehr zu hoffen, dass die verstellte Sicht der CDU, Frau Schreyer wird uns gleich noch einmal deutlich machen, wie verstellt sie ist, die ein wenig an den Wetterbericht mit seiner gefühlten Temperatur erinnert, nicht die Fachleute in den Behörden verunsichert.

Große Sorgen, meine Damen und Herren, muss die hohe Unfallbeteiligung von Kindern in Bremen bereiten. Hier hat Polizeipräsident Mordhorst in der Innendeputation bereits angekündigt, dass er es als sein persönliches Anliegen begreift, an dieser Stelle einen besonderen Schwerpunkt seiner Arbeit zu setzen. Die volle Unterstützung der SPD-Fraktion ist dabei sicher, ebenso die der Landesverkehrswacht, die zusammen mit der BrePark und anderen nachahmenswerte Aktionen gestartet hat, im Übrigen auch für andere Firmen nachahmenswert.

Beitragen kann und wird die Schule! Sie unternimmt jetzt einiges, unsere hervorragend laufenden

verlässlichen Grundschulen und die in Zukunft noch von der SPD ja auch hervorragend eingeführten Ganztagsangebote werden sicher auch dazu beitragen, hier zusätzliche Akzente zu setzen.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Dabei muss, das wissen wir, eine neue Qualität erreicht werden, denn der Senat sagt, dass verkehrserzieherische Maßnahmen speziell bei älteren Kindern ihre Wirkung nicht entfalten konnten. Das darf nicht einfach hingenommen werden, sondern es muss gefragt werden, ob verkehrserzieherische Maßnahmen das alleinige Mittel zur Senkung der Unfallzahlen sein können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage mit der Drucksachen-Nummer 15/920, Verkehrssicherheit im Lande Bremen stärken, ist eine wichtige und richtige Anfrage, denn im täglichen Straßenverkehr wird seitens der Verkehrsteilnehmer immer weniger Rücksicht genommen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlicher Art, zum Beispiel Aggression, Zeitnot, Stress, Hektik, Unerfahrenheit, falsches Fahrverhalten sowie Drogen- oder auch Alkoholmissbrauch. Dadurch sind insbesondere unsere älteren Menschen und Kinder täglich lebensbedrohlichen Gefahren und Situationen ausgesetzt. Darum ist es dringend erforderlich, dass schnellstens effektive Maßnahmen eingeleitet werden, um die Sicherheit gerade für unsere älteren Menschen und Kinder im Straßenverkehr zu erhöhen.

Meine Damen und Herren, leider ist im Land Bremen die Anzahl der verunglückten und verletzten Kinder im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ hoch, viel zu hoch. Das heißt, wir müssen die Hauptursachen wie zum Beispiel überhöhte Geschwindigkeit und Alkoholmissbrauch noch intensiver, noch effektiver bekämpfen als bisher. Darum ist es sehr zu begrüßen, dass seit Februar 2001 die technische Verkehrsüberwachung an Verkehrsunfallbrennpunkten intensiviert wurde. Da sind wir ja schon einmal auf dem richtigen Weg. Darüber hinaus aber sollten verstärkt Geschwindigkeitskontrollen vor Schulen und Kindergärten durchgeführt werden.

Das sage ich gerade als verantwortungsbewusster Bremerhavener Abgeordneter: Die schon lange geplante Unfallkommission in Bremerhaven sollte endlich auch eingerichtet werden, damit sie schnellstens Vorschläge und geeignete Maßnahmen erarbeiten kann, wie durch welche Maßnahmen in Bremerhaven die Häufigkeit von Verkehrsunfällen an be

stimmten Brennpunkten effektiv reduziert werden kann. Eine solche Unfallkommission ist nämlich schon längst überfällig.

Meine Damen und Herren, ich muss es hier leider so deutlich sagen: Häufige Verursacher von Verkehrsunfällen sind auch disziplinlose Fahrradfahrer und Fußgänger. Gerade hier in Bremen erlebe ich es häufiger, dass Fahrradfahrer grobe Fehler beim Abbiegen und beim Einfahren in den fließenden Verkehr begehen oder dass sie das Rotlicht und die Vorfahrt missachten, gegenläufige Radfahrwege benutzen, oder sie verstoßen gegen das Rechtsfahrgebot und so weiter. Ich habe noch nie so viele Fußgänger erlebt, die so gewissenlos, frech und abgebrüht bei roter Ampel über die Straße gehen wie hier in der Stadt Bremen. Das habe ich in der Häufigkeit und Abgebrühtheit noch in keiner anderen Stadt erlebt wie hier in Bremen, und das auch noch im Beisein von kleinen Kindern!

Meine Damen und Herren, bei solch falschen Vorbildern, bei solchen Erwachsenen braucht man sich über eine zunehmende Missachtung von Verkehrsvorschriften bei Kindern nicht zu wundern! Das ist aber auch ein gesellschaftliches Problem. Umso wichtiger und dringend erforderlicher ist es, dass eine intensive Verkehrserziehung und verstärkte Aufklärungsmaßnahmen schon im Kindergarten und in den Schulen effektiv durchgeführt werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also alle gemeinsam hier nicht unendliche Reden schwingen, sondern schnellstens auch effektive politische Maßnahmen ergreifen! Es geht hier um den Schutz unserer älteren Menschen und Kinder. Darum fordere ich Sie im Namen der Deutschen Volksunion umgehend auf, schnellstens hier diesbezügliche Anträge einzubringen, um endlich geeignete Maßnahmen zum Wohl und zum Schutz unserer Bürger schnellstens, ich betone schnellstens, umsetzen zu können! Die Deutsche Volksunion ist jedenfalls dazu bereit. – Ich danke Ihnen!

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Krusche.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich, dass an dieser Debatte zwei Mitglieder des Senats teilnehmen, weil ich der Auffassung bin, dass Sicherheit im Verkehr nicht nur eine Frage der Innenpolitik, sondern genauso der Verkehrspolitik und der Stadtentwicklungspolitik ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Diese Politik muss beim Menschen, bei der Technik, aber auch bei den Infrastrukturmaßnahmen zugleich ansetzen. Eines der wichtigsten Probleme ist sicher der Mensch, weil sein Verhalten am schwie

rigsten im positiven Sinne zu beeinflussen ist. Aus der Antwort des Senats geht hervor, insgesamt sei zu beobachten, dass bei allen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern die Akzeptanz, Verkehrsregeln zu beachten, sie einzuhalten, abnimmt. Das ist ein Problem, von dem wir glauben, dass es nur durch ein Bündel von Maßnahmen geändert werden kann. Dazu gehören Aufklärung, Prävention, gesetzliche Regelungen, Kontrollen und Sanktionen zusammen und nicht nur einzelne Maßnahmen, um zu einer größeren Verkehrssicherheit zu kommen. Dafür braucht man selbstverständlich Personal, man braucht technische Geräte, und es ist bestimmt nicht hinnehmbar, dass Verkehrsgeschwindigkeitsmessgeräte aus Altersschwäche ihren Geist aufgeben. Da muss dringend etwas geändert werden, meine Damen und Herren!

Wir haben hier schon einiges gehört. In vielen allgemeinen Einschätzungen kann ich vor allen Dingen meinem Vorredner Kleen folgen. Die Unterschiede in der Bewertung über Gründe von Verkehrsunsicherheit, von Verkehrsunfällen liegen dann auch in konkreten Einschätzungen, welche Maßnahmen geeignet sind, Menschen am besten davor zu schützen, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden.

Meine Damen und Herren, gerade da gibt es im Land Bremen noch eine Menge zu tun. Zentrale Aufgabe der Landespolitik muss es sein, die schwachen Verkehrsteilnehmer vor den starken zu schützen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Kinder und vor allem der wachsende Anteil älterer Menschen sind im Straßenverkehr besonders bedroht. Die meisten Verkehrsunfälle, und darauf hat Herr Kleen schon hingewiesen, entstehen immer noch durch überhöhte Geschwindigkeit von Autofahrern. Diese Unfälle sind auch fast immer die mit den schwerwiegendsten Folgen, Menschen haben eventuell ein Leben lang darunter zu leiden.

Geschwindigkeitsbegrenzung, Tempo-30-Zonen in Wohngebieten, das Heraushalten von Schwerlastverkehren aus Wohngebieten, fußgängerfreundliche Querungshilfen, insgesamt eine Stadtentwicklungspolitik, die es vielen Menschen möglich macht, ihre Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zu erledigen, das muss das Ziel einer Sicherheitspolitik in Bremen und Bremerhaven sein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)