Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf der Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich werde Ihnen das beweisen, Herr Tittmann! Ich komme gleich dazu. Sie schreiben in Ihrem Antrag, den Sie uns hier vorgelegt haben, die Bürgerschaft solle, ich darf zitieren: „diese Art von Ritualmord ablehnen“.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Genauso ist es!)

„Ritualmord“ ist genau das Brand- und das Hasswort, mit dem seit 800 Jahren so viele blutige Pogrome hier in Europa ausgelöst worden sind. Es war nämlich der absurde Vorwurf des „Ritualmords“, Juden würden aus religiösen Gründen zu ihrem Fest Pessach Christenkinder töten, schlachten und das Blut unter ihr Brot Matze mischen, und mit diesem tödlichen Hasswort belegen Sie eine Form des Tötens von Schlachttieren, das in langer Tradition von gläubigen Juden und vielen gläubigen Muslimen in Befolgung religiöser Gebote, so wie sie sie verstehen, ausgeübt wird. Herr Tittmann, das erinnert nicht an Bilder und Artikel im „Stürmer“? Das ist reinste antisemitische Propaganda, die, wie damals die Nazis, sich die Sorgen, die Diskussionen von Tierschützern entstellend zunutze machen will. Da beißt die Maus keinen Faden ab, das ist genau das Gleiche, und das belegen Sie in Ihrem Antrag, da können Sie noch so viel von Tierschutz reden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Genau diese martialische Schilderung, die Bilder, die Sie vorführen, in der Tat, das sind schreckliche

Bilder. Was meinen Sie, was für schreckliche Bilder ich und jeder andere Ihnen hier zeigen könnten vom ganz normalen Schlachten in jedem deutschen Schlachthof, wenn wir uns nicht – und ich glaube, da gibt es keinen Konsens – insgesamt von dem Verzehr von Tieren verabschieden wollen! Es gibt ja Leute, die mit guten Gründen und selbst dafür stehen, dass wir das machen, aber wir tun das nicht.

Ich kann Ihnen über jedes Schlachten, über jedes Töten von Tieren solche Bilder zeigen und schon gar über das Töten von Tieren beim Jagen! Ich habe noch nie gehört, dass Sie und Ihre Vorgänger gegen das Jagen und das Töten der Tiere dabei irgendwie Stellung genommen hätten. Ich kann Ihnen das sowohl zeigen als auch vorführen. Es ist nicht angenehm, es ist nicht schön. Wir müssen aber, glaube ich, gemeinsam in einer Abwägung versuchen, das Leid, das den Tieren dabei in der Tat zugefügt wird, und darüber kann man gar nicht hinwegreden, so gering wie möglich zu machen.

Da kann man erst einmal sagen, die Wissenschaft wird von beiden Seiten in Anspruch genommen. Diejenigen, die das Schächten für eine legitime Methode halten, nehmen dafür in Anspruch, dass der durch gut ausgebildete Schlachter rituell vollzogene einmalige Schnitt zu einer raschen Bewusstlosigkeit des Tieres führt. Das kann man, und das haben die Tierschützer immer getan, bezweifeln. Beide Seiten führen wissenschaftliche Ergebnisse ins Feld. Ich gestehe, dass ich durchaus Verständnis für die Haltung habe, die sagt, bewiesen, dass das ganz bewusstlos macht, ist es nicht. Ich habe viel Verständnis für die Argumente der Tierschützer, aber es ist eine Abwägungsfrage.

Das ist der große Vorteil dieses Beschlusses, dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dass es diese Abwägung in vernünftiger und verantwortlicher Weise vornimmt. Ich darf aus dem Beschluss zitieren: „Er hat das Ziel, den Grundrechtsschutz gläubiger Muslime und Juden zu wahren, ohne damit die Grundsätze und Verpflichtungen eines ethisch begründeten Tierschutzes aufzugeben“, unter anderem – und das ist ganz entscheidend! – dadurch, dass der vorhandene graue Markt an Schlachtereien aufgehoben wird, dass das legalisiert wird, was nämlich Folgen für die Ausbildung und für die Bedingungen hat, in denen das alles vor sich geht, und dass durch weitere behördliche Auflagen alles dafür getan wird, dass den zu schlachtenden Tieren eben alle vermeidbaren Schmerzen und Leiden erspart werden.

Das Gericht hat auch nahe gelegt, dass in der Tat eine neue Erwägung passieren müsste, wenn der Tierschutz im Grundgesetz stünde. Ich weiß nicht, wie das dann ausgeht. Keiner soll sich den Illusionen hingeben zu sagen, damit wäre das Ergebnis klar. Das ist genauso wie in unserer Landesverfassung. Wie das Ergebnis dann aussieht, ist ganz offen. Ich bin aber auch nach wie vor dafür, und die

Berliner Koalitionsfraktionen haben in der Tat bereits lange vor der DVU einen Antrag in den Bundestag eingebracht, das ins Grundgesetz zu schreiben. Darauf bezog sich auch meine Kritik an Ihnen, dass Sie mit Sachen kamen, die längst eingebracht waren. Ich hoffe nach wie vor sehr, dass im Bundestag auch eine Zweidrittelmehrheit dafür zustande kommt.

Die Tierschutzverbände haben nach wie vor eine prinzipiell andere Haltung. Sie respektieren jedoch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts und sagen, es ist gut, dass endlich durch weitere Zusatzbestimmungen wenigstens alles getan wird, dass in allen Formen des Schlachtens den Tieren so wenig Leid wie möglich zugefügt wird. Die Richter haben dafür gesorgt, dass Gleichheit herrscht, und sie haben auch hervorgehoben, dass allen, die hier bei uns in Deutschland leben, seien es Christen, Juden oder Muslime, das Recht zugestanden werden muss, religiöse Auffassungen auch bei solchen Dingen in Anschlag zu bringen. Insofern halte ich dieses Urteil, wie auch immer die Diskussion weitergeht, für einen Beitrag für den sozialen Frieden, der gleichzeitig auch die Belange eines recht verstandenen Tierschutzes durchaus berücksichtigt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Kuhn, Ihnen spreche ich hier jedes moralische Recht ab, sich überhaupt zum Thema Tierschutz zu äußern. Sie und Ihre Fraktion waren es doch, die alle, aber auch alle Anträge, die die Deutsche Volksunion hier zum Thema Tierschutz eingebracht hat, abgelehnt haben. Also kommen Sie jetzt nicht hier nach vorn und halten mit einem weinerlichen Gesicht solche Büttenreden!

Meine Damen und Herren, meiner Meinung nach haben unsere Verfassungsrichter wahrscheinlich keine Achtung vor der Kreatur,

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Und Sie keine Achtung vor der Verfassung!)

denn sonst hätten sie nicht ein solch beschämendes Urteil gesprochen. Das sage ich in aller Deutlichkeit: Dieses Urteil wirft tiefe Schatten auf unsere Rechtsprechung. Was meinen Sie, was bei einer Volksbefragung herausgekommen wäre? Da bin ich einmal gespannt.

Für die Deutsche Volksunion ist es unerträglich, dass diese Art von Tierquälerei auch noch offiziell von höchster Stelle abgesegnet worden ist. Dieses Urteil ist ein Skandal sondergleichen. Ich frage mich, in welchem Jahrhundert, in welchem Land wir ei

gentlich leben, wo so eine Schande möglich ist! Die Deutsche Volksunion wird sich jedenfalls auch weiterhin rigoros gegen jegliche Tierquälerei und uneingeschränkt für den Tierschutz einsetzen. Ich bin mir darüber hinaus ziemlich sicher, dass sich alle Tierfreunde vehement gegen diese Tierquälerei zur Wehr setzen werden und Ihnen, den Altparteien, bei der nächsten Wahl in Bremen und Bremerhaven für Ihre unredliche Politik die verdiente Quittung geben werden.

Eines dürfte sogar Ihnen klar sein, dass dieses Urteil zum Schächten die weitere Integration von Ausländern in Deutschland deutlich erschweren wird. Weil das Urteil bei jedem Menschen einer Hochkultur tiefe Verachtung hervorrufen muss, kann ein solches Steinzeiturteil niemals, aber auch niemals im Namen des Volkes ergangen sein. Es erging wohl eher im Namen eines fatalen Integrationswahns, der das Ziel verfolgt, sich nahezu kompromisslos fremden Religionen anzupassen und unterzuordnen.

Meine Damen und Herren, die Ethik des Tierschutzes bleibt mit dem Schächten auf der Strecke. Meine Toleranz für den unwürdigen Umgang mit den armen Kreaturen findet dort ihre Grenze, wo ihnen unnötiges Leid und unmenschliche Qualen zugefügt werden. Lassen Sie es nicht zu, dass der Koran offensichtlich über deutschem Recht steht! Ich finde, es ist eine bodenlose Frechheit und Anmaßung, wenn ich letzte Woche im „Weser-Report“ die Aussage eines türkischen Gastarbeiters lesen muss, der da sagt, das Schächten sei damals im Dritten Reich von den Nazis verboten worden, also müsse wahrscheinlich auf Grundlage dieser Tatsache das Schächten jetzt in Deutschland wieder eingeführt werden. Das kann es ja wohl nicht sein!

Ich bin es einfach Leid und habe es satt, wie viele Millionen andere Deutsche auch, mich immer und immer wieder bis in alle Ewigkeit von hier lebenden Gastarbeitern, von Ausländern, mit solch anmaßenden Vorwürfen andauernd erpressen zu lassen. Das habe ich nicht nötig, und das deutsche Volk hat das nicht nötig, und schon gar nicht von Personen, die einer Nation angehören, die die Armenier auf das Grausamste und Schrecklichste niedergemetzelt haben, meine Damen und Herren.

Damit es hier ein für alle Mal klar ist, ich sage es in aller Deutlichkeit: Es steht doch jedem Ausländer, jedem Gastarbeiter frei, wenn es ihm in Deutschland nicht gefällt, wenn ihm unsere deutschen Gesetze nicht gefallen und wenn er sich nicht an deutsche Gesetze halten möchte, Deutschland von heute auf morgen zu verlassen. So einfach ist das!

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Wir spre- chen über das Verfassungsgerichtsurteil!)

Das wäre auch im Interesse der hier anständig lebenden Ausländer.

Meine Damen und Herren, die Deutsche Volksunion wird jedenfalls demokratisch rigoros dafür kämpfen,

(Zuruf von der SPD: Wie wäre es einmal mit dem deutschen Verfassungsgericht?)

dass Deutsche in Deutschland durch Ihre Politik nicht zu Menschen zweiter oder dritter Klasse gemacht werden.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Tittmann, DVU, mit der Drucksachen-Nummer 15/1044 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU und Bündnis 90/ Die Grünen)

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Entschließungsantrag ab. Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14.45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung 13.08 Uhr)

Vizepräsident Dr. Kuhn eröffnet die Sitzung wieder um 14.47 Uhr.

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft interjection: (Landtag) ist wieder eröffnet.

Härtefallkommission einrichten

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 12. Februar 2002 (Drucksache 15/1060)

Als Vertreter des Senats Herr Senator Dr. Böse, ihm beigeordnet Staatsrat Dr. vom Bruch.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst kurz schildern, worum es bei unserem Antrag, der Ihnen heute hier in der Bürgerschaft vorliegt, Härtefallkommission einrichten, geht!

Es geht darum, dass im Ausländerrecht, und darum handelt es sich ja letztendlich hier, Ermessensspielräume sind, die Ausländerbehörden in den Kommunen und Kreisen unterschiedliche Möglichkeiten der Entscheidung in bestimmten Fällen, zum Beispiel in Fragen von Aufenthaltsgewährung, Aufenthaltsbeendigung und ähnlichen Dingen, einräumen. Es geht also um diese Ermessensspielräume und um Entscheidungsmöglichkeiten von Behörden, die unterschiedlich ausfallen können, aber jeweils trotzdem rechtmäßig und gesetzmäßig bleiben.

Es geht auch, und das ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt der Begründung für eine solche Kommission, um humanitäre Aspekte, zum Beispiel wenn Migranten oder Migrantinnen sich hier langjährig straffrei aufgehalten haben, eine Ausbildung möglicherweise noch beenden oder sich aber hier über lange Jahre sehr gut integriert haben und auch eine gute Integrationsprognose vorliegt.

Worum es nicht geht bei Fällen, die möglicherweise vor einer solchen Kommission landen: Es ist kein Gnadenakt im Ausländerrecht, und es ist auch kein Aushebeln des Ausländergesetzes oder gar des Rechtsstaates. Hier haben wir in der Tat einige sehr merkwürdige Interpretationen und Stellungnahmen gehört, zum einen im Ausländerausschuss dieses Parlaments von einem Mitarbeiter des Senators für Inneres, Kultur und Sport, der meinte, eine solche Härtefallkommission als rechtsfreien Raum bezeichnen zu müssen, was sehr merkwürdig ist. Er unterstellt quasi, dass es in vier Bundesländern aktuell, und jetzt kommt das Saarland mit absoluter Mehrheit der CDU noch dazu, also in fünf Landesregierungen ganz offensichtlich einen rechtsfreien Raum in diesem Bereich gibt. Ich werde Herrn Müller aus dem Saarland gleich noch zitieren, dann kommen wir darauf zurück, und Sie werden sehen, was es damit auf sich hat. Das ist schon sehr abenteuerlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber auch der Vorsitzende der Jungen Union in Bremen, Kollege Rohmeyer, hat sich dazu in der „taz“ vom 10. Januar 2002 geäußert. Dort hat er zum Punkt Härtefallkommission gesagt – und zwar bezogen auf den Koalitionspartner SPD in diesem Fall, der das ja auch befürwortet –, man wolle das Ausländerrecht unterhöhlen, und die SPD stelle mit dem Vorschlag für eine Härtefallkommission den Rechtsstaat in Frage.

Herr Rohmeyer, nun habe ich Sie hier schätzen gelernt als einen Abgeordneten, der sehr merkwürdige Ansichten zur Bildungspolitik hat. Insofern sind ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Sie hier bekannt. Dass Sie aber in Ihrer Funktion als Vorsitzender der Jungen Union einen derartigen Unfug erzählen und das noch in die Presse geben, dass durch eine vollkommen rechtsstaatlich eingerichtete, beschlossene und von allen getragene Härtefallkommission der Rechtsstaat in Frage gestellt würde, das hätte ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht zugetraut!