Protokoll der Sitzung vom 26.01.2000

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich darf eine Gruppe von jungen Sozialdemokraten aus dem Ortsteil Burg-Grambke ganz herzlich willkommen heißen.

(Beifall)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Henkel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Geschätzte Kollegin Hoch, Sie haben ja Einiges ansatzweise sehr richtig beschrieben, zum Beispiel bezogen auf die psychosozialen Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Betriebskultur und so weiter. Da muss man aber auch eines klarstellen: Ich wundere mich da manchmal bei den Grünen. Einerseits sind Sie in vielen Bereichen eher liberal und setzen auch auf die Verantwortung des Einzelnen, und jetzt, wenn ich Sie richtig verstan

den habe, in diesen Fragen, bei denen in erster Linie wirklich im Unternehmen, in den Betrieben die Beteiligten gefragt sind, und das sind gleichermaßen die Unternehmensleitungen, die Sicherheitsbeauftragten und auch die Vertretung der Beschäftigten, Betriebsräte, da wollen Sie sozusagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sonst korrigieren Sie mich, dass der Senat das übernimmt.

Das kann es nicht sein, und das wird auch nie funktionieren. So werden Sie nie auf Unternehmenskultur Einfluss nehmen. Ich sage Ihnen, da ist heute jeder Unternehmensberater schon wesentlich weiter, weil Sie bei jedem Führungsseminar genau auf diese Dinge hingewiesen werden und weil die Unternehmensleitungen verstärkt bemüht sind, dies auch ihren Führungskräften beizubringen, dass die Hauptproduktivkraft im Unternehmen immer die menschliche Arbeitskraft ist und dass es darum geht, mit dieser sehr sorgfältig umzugehen. Da sind wir ein paar Jahre weiter.

Da kommt der Segen nicht vom Staat. Das ist ein Irrglaube. Es wundert mich wirklich, dass dies nun ausgerechnet von den Grünen so kommt, oder ich muss Sie gründlich missverstanden haben.

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ein bisschen!)

Ich sage einmal, insofern kann der Landesarbeitskreis auch nur der Transmissionsriemen sein, mit dem man diese wichtigen Botschaften weitertransportiert und der genau auf den ganzheitlichen Ansatz, den Sie ja zu Recht genannt haben, eingeht und das nicht mechanistisch betrachtet und glaubt, man hätte es hier mit monokausalen Zusammenhängen zu tun. So werden Sie das Problem, wenn es ein Problem ist, nicht lösen, aber ich behaupte einmal, die Entwicklung, man muss einfach einen Blick in die Statistik werfen, bei den Berufskrankheiten und insbesondere bei den Arbeitsunfällen ist doch eine ganz andere. Es ist eben nicht dieses Schreckensszenario, was am Anfang Frau Ziegert aufgestellt hat, und Sie haben am Ende in dieselbe Kerbe gehauen. Es stimmt einfach nicht. — Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist anscheinend doch ein schwieriges Thema. Ich habe ja gesagt, es ist nicht gerade gewöhnlich, dass wir hier in der Bürgerschaft darüber debattieren. Die Beiträge des Kollegen Henkel haben bei mir den Eindruck hervorgerufen, viel_______

) Von der Rednerin nicht überprüft.

leicht habe ich es aber auch nicht richtig verstanden, dass wir noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten haben über die Intentionen, die Absichten, die mit dem neuen Arbeitsschutzgesetz verfolgt werden und insbesondere bei den Menschen, die noch sehr stark in den alten und eingefahrenen Strukturen des herkömmlichen Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit verhaftet sind.

Ich versuche, es noch einmal zu sagen, dass Arbeits- und Gesundheitsschutz heute wesentlich mehr sein sollen, als bisher eben Arbeitsschutz und -sicherheit und auch die Feststellung von Berufskrankheiten gewesen sind. Es geht nicht mehr darum, Arbeitsunfälle zu vermeiden und Berufskrankheiten festzustellen, sondern es geht darum, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass nach Möglichkeit von vornherein Gesundheitsgefahren ausgeschlossen werden. Dabei beschränkt es sich eben nicht auf das Spektrum dessen, was wir herkömmlich unter Berufskrankheiten verstehen, auch wenn ich zugebe, dass noch sehr viel herkömmliche, gerade was die Rückengeschichten und so weiter angeht, Schädigungen vorliegen, sondern es geht eben darum, in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt neue Gefährdungen zu erkennen und zu vermeiden. Dies ist häufig ja auch nicht so schwer und geht, ohne da sehr dirigistisch auf die Firmen einzuwirken, es geht eben durch Beratung.

Von daher ist mein Vorschlag, meine Bitte oder Anregung — warum soll denn in Bremen nicht gehen, was in anderen Ländern und Regionen auch möglich ist —, nämlich ein solches Netzwerk zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ins Leben zu rufen. Wir haben doch hier in Bremen nicht weniger Kompetenzen in diesem Bereich. Außer den herkömmlich auch im Landesarbeitskreis vertretenen Berufsgenossenschaften und so weiter haben wir hier doch Arbeitsmediziner, an der Universität Arbeitswissenschaftler und sehr viele Engagierte im Gesundheitsbereich. Ich bin fest davon überzeugt, dass es auch hier in Bremen möglich ist, eine solche Initiative ins Leben zu rufen, die dann eben gerade die Betriebe und Beteiligten darin unterstützt, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Ich weiß auch gar nicht, warum wir uns hier darauf kaprizieren oder uns darüber streiten sollen, ob Landesarbeitskreis oder nicht. Ich halte daran fest, dass der Landesarbeitskreis, so wie im Augenblick seine Aufgabenstellung und Arbeitsweise ist und wie er zusammengesetzt ist, dieser neuen Aufgabenstellung nicht mehr gerecht wird. Das heißt nicht, dass er in der Vergangenheit schlechte Arbeit geleistet hat, das heißt auch nicht, dass er nicht weiterhin auf dem Gebiet des herkömmlichen Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit gute Arbeit leisten kann. Was wir aber brauchen, ist mehr als ein solcher Landesarbeitskreis, der einmal im Jahr den Bericht der Gewerbeaufsicht zur Kenntnis nimmt und der, was ja auch eine sehr gute und verdienstvolle Aktivität ist,

dann die Ausstellung zur Arbeitssicherheit in der Rathaushalle veranstaltet.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Henkel!

Frau Kollegin Ziegert, was hindert uns jetzt daran, im Landesarbeitskreis dann das zu ändern, was Sie meinen, was geändert werden muss?

Ich sage nicht, dass uns daran etwas hindert. Ich kann nur feststellen — Sie haben ja zu Recht gesagt, dass wir beide in diesem Landesarbeitskreis sind —, dass die Ansätze, die bisher dort gewesen sind, zu versanden drohen. Mein Appell richtet sich darauf, dass hier die Initiative ergriffen werden muss. Ich habe auch so ein bisschen den Eindruck, Sie haben Ihren Redetext auf die Anfrage hin und nicht auf das, was ich gesagt habe, ausgerichtet. Meiner Meinung nach kann sie nur die Senatorin ergreifen, ohne dass das staatlicher Dirigismus wäre, auch gerade in dieser Funktion der Vereinigung von Arbeits-, Gesundheits- und Sozialressort, um hier eine Verbreiterung und Verstetigung der Kooperation herbeizuführen. Ich finde auch nicht, dass wir hier zögerlich vorgehen müssen. Ich finde, wir haben die besten Voraussetzungen und Möglichkeiten. Es bedarf jetzt eigentlich nur entsprechender konsequenter Schritte. — Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der Schutz der Beschäftigten vor gesundheitlich negativen Auswirkungen am Arbeitsplatz nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit ist, sondern darüber hinaus auch wirtschaftlich Sinn macht. In Anbetracht der Herausforderungen, die an die Wirtschaft gestellt werden, reicht es eben nicht aus, nur mit Energie und Rohstoffen sparsam umzugehen, es ist vielmehr ebenso wichtig, alles zu tun, um die menschliche Arbeitskraft zu schützen. Arbeitsbedingte Erkrankungen können Ursache für Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall sein, schlimmstenfalls bei Auftreten einer Berufskrankheit lösen sie Rentenzahlungen aus und im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorzeitige Rentenzahlungen. Nicht zuletzt ergeben sich erhebliche Belastungen für die Krankenkassen. Auf diese Weise wird die

menschliche Arbeitskraft verteuert und gleichzeitig das Sozialversicherungssystem unnötig belastet. Dies nur zu der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, alle anderen Dinge sind hier ja auch schon ausgeführt worden!

Die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten war schon immer Aufgabe der Gewerbeaufsicht. Spätestens durch In-Kraft-Treten des Arbeitsschutzgesetzes wurde auch seitens des Gesetzgebers klargestellt, dass das nicht ausreichend ist. Die Beschäftigten unterliegen an ihren Arbeitsplätzen vielerlei Einflüssen, die aber keineswegs immer zu einem Unfall oder zu einer Berufskrankheit führen. Trotzdem sind diese Einflüsse vielfach geeignet, schleichend zu einer Leistungsminderung oder zu Krankheiten zu führen. Zu diesen Einflüssen gehören zum Beispiel Gestaltungsmängel in der Arbeitsumwelt, unzweckmäßige Arbeitsorganisation, nicht optimale oder gar falsche Benutzung von Werkzeugen, Hilfsmitteln und so weiter.

Der Konkurrenzdruck unter den Betrieben, aber auch finanzielle Probleme im Sozialversicherungssystem haben bewirkt, dass zunehmend Wissenschaftler, aber auch Praktiker Projekte zur Erkennung und Beseitigung von Schwachstellen in den Betrieben, die zu arbeitsbedingten Erkrankungen führen können, durchführen. Daneben gibt es zum Teil als Ergebnis der erwähnten Projekte Hilfsangebote, bei deren Inanspruchnahme Betriebe in die Lage versetzt werden können, Schwachstellen selbst zu erkennen und zu beseitigen. Auf diesem Gebiet ist in Zukunft noch viel zu tun, aber es ist auch schon sehr viel vorhanden.

Das Problem ist nur, dass in der Regel nur ein kleiner Kreis von Interessierten über die Projekte und ihre Ergebnisse informiert ist. Das Vorhaben, mit Hilfe eines Netzwerkes die Projekte zu erfassen, für Auskünfte zur Verfügung zu stehen und Ergebnisse an interessierte Kreise weiterzuleiten, ist deshalb unbedingt zu begrüßen. Wenn ein derartiges Netzwerk funktioniert, werden davon sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer profitieren. Längerfristig kann es sogar zu einer Entlastung der Gewerbeaufsicht führen, der dann mehr Zeit bliebe, sich zum Beispiel der Marktkontrolle bei technischen Arbeitsmitteln zu widmen. Die für ein solches Netzwerk erforderlichen Aufwendungen kann jedoch nicht allein der Staat tragen. Auch Kammern, Verbände, Krankenkassen und Unfallversicherungsträger müssen sich daran beteiligen, indem sie aktiv das Anliegen unterstützen und als Multiplikator wirken, indem sie Kontakte zu ihren Mitgliedern nutzen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich versuche jetzt einmal eine Kompromisslinie zwischen dem, was hier an Redebeiträgen gesagt worden ist, zu finden. Aus meiner Sicht ist der Landesarbeitskreis für Arbeitssicherheit zunächst grund

sätzlich geeignet, diese Aufgabe, Knüpfung eines Netzwerkes, wahrzunehmen, denn es sind schon fast alle der an einer solchen Initiative zu beteiligenden Organisationen Mitglieder dieses Gremiums. Wir müssen und können die Arbeit dieses Arbeitskreises weiterentwickeln, noch Mitglieder aus dem Bereich zum Beispiel der Kassen und der Berufsgenossenschaften werben und zum Beispiel über Ad-hocArbeitsgruppen Aufgaben neu definieren und ein neues Selbstverständnis entwickeln, denn ich glaube, ein neues Selbstverständnis unter allen Beteiligten ist erforderlich, um auch zu neuen Strukturen zu kommen. Über neue Strukturen kommen wir dann an ein funktionierendes Netzwerk im Sinne des zuvor Ausgeführten.

Ein Netzwerk ist aus meiner Sicht nicht durch Anordnung zu knüpfen, sondern bedarf, wenn es wirklich eng sein soll, auch der konstruktiven Mitarbeit aller Beteiligten und zuvor, das hat auch die Debatte erbracht, auch einiger Überzeugungsarbeit. Ich bin Vorsitzende dieses Landesarbeitskreises und will in dem Sinne, wie es hier eingefordert worden ist, gern initiativ werden, im Landesarbeitskreis noch einmal die Debatte zu führen, ob eine solche Veränderung der Strukturen mit den Beteiligten, die am Tisch sind, und möglichst noch anderen dabei möglich ist. — Danke schön!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Aussprache geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD Kenntnis.

Meine Damen und Herren, bevor wir zum Tagesordnungspunkt zehn kommen, darf ich auf der Tribüne eine Gruppe ausländischer Studentinnen und Studenten begrüßen. — Herzlich willkommen!

(Beifall)

Innovation in Gesundheit und Pflege

Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der CDU vom 3. Dezember 1999 (Drucksache 15/133)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 18. Januar 2000

(Drucksache 15/177)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Senatorin Adolf, ihr beigeordnet Staatsrat Dr. Hoppensack.

Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen. Ich glaube, Frau Senatorin Adolf nimmt davon Abstand. Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen. Ich gehe davon aus, dass dies der Fall ist. Die Aussprache ist eröffnet. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Günthner.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Es gibt 30.000 Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich im Land Bremen, das sind etwa zehn bis 15 Prozent der bremischen Arbeitsplätze insgesamt. Damit liegen wir aber immer noch bundesweit hinter dem Trend. Diesen Trend gilt es aufzuholen, und dazu dient auch die Initiative, die wir gestartet haben für Innovation in Gesundheit und Pflege. Meine Damen und Herren, immer mehr Gesundheits- und Pflegedienstleistungen werden von Menschen nachgefragt. Das hat auch damit zu tun, dass die demographische Entwicklung dazu führt, dass immer mehr Menschen immer älter werden und entsprechende Bedürfnisse haben. Diesen Bedürfnissen müssen wir entgegenkommen. Hinzu kommt, dass der Wellnessfaktor eine große Rolle spielt, dass sich Menschen Gedanken darüber machen, wie sie gesund und gut leben können, und diese Dienstleistungen dann nachfragen. Das Ziel unserer Initiative ist es zum einen, Beschäftigung durch die Weiterentwicklung der Dienstleistungsorientierung zu sichern, und das heißt vor allem die Steigerung der Attraktivität des Dienstleistungssektors für die Nutzerinnen und Nutzer.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt ist der Bereich der Forschung. Das bedeutet Entwicklung, Erprobung und Vermarktung neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, aber hier auch die Zusammenarbeit von Universität und Krankenhäusern. Der dritte Punkt, und das ist ein besonders wichtiger, ist der Ausbau der Aus- und Weiterbildung, also insgesamt zusammenzufassen unter dem Stichwort Qualifizierung, damit wir auch irgendwann davon wegkommen, dass bestimmte Berufe im Gesundheits- und Pflegebereich als reine Frauenarbeitsplätze stigmatisiert werden und einen eher negativen Touch bekommen. Da gilt es noch einiges zu leisten.