Protokoll der Sitzung vom 28.05.2009

(Beifall bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachen-Nummer 17/790 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür FDP)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen, DIE LINKE und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Verlängerung der Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge vor dem Hintergrund der Finanzkrise

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 20. Mai 2009 (Drucksache 17/791)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn ich in der Bürgerschaft über ein Thema nicht mehr gern sprechen mag, ist es das Dauerthema Duldung. Es beschäftigt uns schon seit Jahren, dennoch gestaltet sich die Minimierung der Kettenduldungen als ein sehr schwieriger Prozess. Die in der Vergangenheit eingerichtete Endlosschleife für geduldete Familien in tatsächliche Lebens- und Bleiberechtsperspektiven umzuwandeln ist unsere Aufgabe als Politiker und Politikerinnen, sofern wir wirklich im humanitären Sinne etwas ändern wollen.

Wie Sie aus der zurückliegenden Debatte wissen, sieht die Altfallregelung für geduldete Familien in Deutschland vor, dass sie bis Ende Dezember 2009 einen sogenannten Aufenthaltstitel auf Probe erhalten, verbunden mit der Zielsetzung, sich innerhalb dieser Zeit eine Arbeit suchen zu können. Diese Frist läuft nun genau im Jahr der weltweiten Finanzkrise aus. Der Nachweis einer Erwerbstätigkeit wird für die Betroffenen um ein Vielfaches schwerer. Wir wollen deshalb die Frist, bis zu der ein Arbeitsplatz nachgewiesen werden muss, verlängern und gleichzeitig die Standards, die zugrunde gelegt werden, auch erreichbar machen, denn wir wissen alle, wie schwer es ist, heutzutage Arbeit zu finden.

15 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten im Niedriglohnbereich, ein großer Teil davon sind Migranten. 38 Prozent der Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger haben eine Migrationsbiografie, 28 Prozent der Migrantenbevölkerung in Deutschland sind vom Armutsrisiko betroffen. Die Arbeitslosenquote bei Migranten ist mindestens doppelt so hoch wie bei der Gesamtbevölkerung. Diese Zahlen sagen uns, dass Migranten von der Finanzkrise besonders betroffen sind, und da auch zu erwarten ist, dass die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt, ist auch damit zu rechnen, dass viele Stellen insbesondere im Niedriglohnbereich wegfallen werden. Von dieser Entwicklung werden Migrantinnen und Migranten überproportional betroffen sein, es wird also weitaus schwerer fallen als bisher, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen oder zu bewahren.

Migrantinnen und Migranten sind aber auch eines der Herzstücke der urbanen Kultur und des lokalen Wirtschaftslebens in Bremen. Sie tragen zu dem kulturellen Gesamtbild unserer Stadt bei, auf das das weltoffene Bremen mit Recht so stolz ist. Sie tragen auch zur Versorgung und Lebensqualität aller Menschen in den Stadtteilen ganz wesentlich bei. Ich habe manchmal das Gefühl, dass diese Tatsache nur dann politische Wertschätzung erfährt, wenn es gar nicht mehr anders geht. Es ist an der Zeit, solche Entwick––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

lungen anzuerkennen und dem auch dann Rechnung zu tragen, wenn die Migrantinnen und Migranten Hilfe benötigen wie jetzt.

Für die Grünen war der Kampf um ein gerechtes Bleiberecht immer auch an sozialpolitische Erwägungen gekoppelt. Wir haben 2007 bereits gesagt, dass sich die Große Koalition der Bundesregierung einer Regelung rühmt, die im Kern unmenschlich ist. Die Auflage, bis Ende Dezember 2009 eine Arbeit gefunden zu haben, mit Ausnahme von Kranken, Alten und Kindern, heißt im schlimmsten Fall, abgeschoben zu werden. Unsere Kritik bewahrheitet sich jetzt, deshalb plädieren wir für ein Umdenken. Für nur Geduldete wird es immer problematisch sein, eine Erwerbstätigkeit zu finden, da sie von Arbeitgebern nicht gleichrangig behandelt werden. Die Gefahr der Ausbeutung am Arbeitsplatz ist hoch. Zudem ist die Erwartung, dieser Personenkreis könne mehrheitlich ein Einkommen realisieren, das den Lebensunterhalt sichert, unrealistisch. Menschlich konsequent sein heißt, das Aufenthaltsrecht muss langjährig Geduldeten zustehen, auch wenn sie nicht arbeiten können oder Arbeit finden können.

Der Wortbaustein „Leben“ hängt sprachgeschichtlich mit Bleibe zusammen, eine Bleibe haben heißt leben können. So gesehen heißt Bleiberecht eigentlich Lebensrecht. Setzen wir uns dafür ein, dass die Bleiberechtsregelung zu einer Lebensrechtregelung wird, mit der Betonung auf bleiben können! – Ich bedanke mich herzlich!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Krümpfer.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Im Land Bremen leben circa 2 500 Menschen mit dem Status geduldete Ausländer. Dieser Status hat zur Folge, dass diese Menschen keine Erwerbstätigkeit aufnehmen dürfen, um ihre Familien selbst ernähren zu können, dass ihre Kinder mit dem Wissen aufwachsen, dass sie, wenn sie die Schule abgeschlossen haben, keine Ausbildung machen dürfen, dass die gesamte Familie in ständiger Unsicherheit lebt, dass ihr Aufenthalt quasi jederzeit beendet werden kann, eben weil sie nur geduldet sind, obwohl sich dieser Status oft über viele Jahre hinzieht.

Dennoch sind die meisten Menschen darum bemüht, sich in diese unsere Gesellschaft zu integrieren. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn diese Menschen das Recht und die Möglichkeit bekommen, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu sichern. Aus diesem Grund hat der Bundesgesetzgeber mit der gesetzlichen Altfallregelung Ausländerinnen und Ausländern, die in Deutschland geduldet sind, die Möglichkeit gegeben, eine sogenannte Aufenthaltserlaub

nis auf Probe für zwei Jahre zu beantragen. Ziel war es, den Ausländerinnen und Ausländern die Möglichkeit einzuräumen, sich in diesem Zeitraum eine Arbeitsstelle zu suchen, um nicht mehr von Transferleistungen abhängig zu sein und sich in Deutschland, also auch in Bremen, eine Zukunft aufzubauen. Außerdem sollte jugendlichen Ausländerinnen und Ausländern ein Aufenthaltsrecht unabhängig vom Status der Eltern gegeben werden, um ihnen eine Schulund Ausbildung zu ermöglichen. Wir sehen darin eine große Chance für unsere Gesellschaft, da diese Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte ein zusätzliches Potenzial an qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern darstellen können, wenn wir ihnen die notwendigen Perspektiven dazu eröffnen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Mit unserer Konzeption zur Integration von Zuwanderern im Land Bremen haben wir gemeinsame Ziele für die Integrationspolitik im Land Bremen formuliert. Wir wollen diese Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben – und hierzu zählen auch die geduldeten Familien, wenn sie seit Jahren in Bremen leben –, dazu ermutigen, gemeinsam Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben zu übernehmen. Wir wollen die Chancen für unser Gemeinwesen durch neu Zugewanderte als Bereicherung nutzen und denjenigen helfen, die zunächst mit Eingewöhnungsschwierigkeiten zurechtkommen müssen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Integration dient auch dazu, dass neue gesellschaftliche Konfliktherde vermieden werden, denn die Vermeidung von Ausgrenzung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine friedliche Gesellschaft. In Bremen laufen hierzu bereits viele Projekte und Angebote, die es Ausländerinnen und Ausländern ermöglichen, Teil unserer Gesellschaft zu werden, unsere Sprache zu erlernen und ihnen die kulturelle Teilhabe zu eröffnen. Hierzu sind stellvertretend für eine Vielzahl von Angeboten die Angebote in WiN, in LOS-Projekten sowie niedrigschwellige Sprachangebote wie „Mama lernt deutsch“ zu nennen, und hierzu kann auch die sogenannte Altfallregelung beitragen, über die wir heute diskutieren.

Bei der Verabredung der Altfallregelung waren die Umstände jedoch andere als die, die wir heute vorfinden. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, in der wir uns nun befinden, ist vielen Arbeitssuchenden die Möglichkeit auf eine dauerhafte Beschäftigung verwehrt. Dies gilt insbesondere für die Geduldeten, und genau in dieser Zeit, zum Ende des Jahres, läuft nun die Frist aus, in der die geduldeten Ausländerinnen und Ausländer eine Erwerbstätigkeit fin

den sollen, um künftig ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern,

(Präsident W e b e r übernimmt wieder den Vorsitz.)

mit der Folge, dass diese Familien wieder in den Status der Duldung zurückfallen. Zukünftig werden sie dann auch nicht die Möglichkeit haben, eine Arbeit aufzunehmen, und die Kinder werden wieder mit dem Gefühl zur Schule gehen, was soll ich mich bemühen, ich darf ohnehin nach der Schule keine Ausbildung machen. Das kann nicht unser Ziel sein, das würde die Arbeit, die wir Bremen bereits gemacht haben, um diese Familien besser als bisher zu integrieren, wieder zunichtemachen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Mit unserem Antrag fordern wir deshalb, dass die Fristen für die Bewerbung um eine Aufenthaltsgenehmigung auf Probe verlängert werden. In Bremen haben bereits 712 Personen eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der sogenannten Altfallregelung erhalten. 191 Anträge warten auf die Bearbeitung, entgegen der CDU auf Bundesebene glauben wir nicht, dass dieses Thema erst nach der Bundestagswahl im September behandelt werden darf. Bleibt die Regelung in der jetzigen Fassung bestehen, so werden alle Ausländerinnen und Ausländer mit einer Aufenthaltsgenehmigung auf Probe mit Auslaufen der Regelung in diesem Jahr zurück in den unsicheren Status der Duldung fallen, wenn sie in dieser Zeit keine dauerhafte Erwerbstätigkeit gefunden haben. Wir wollen daher, dass dieses humanitäre Projekt nicht auf die lange Bank geschoben wird und fordern die Bundesregierung auf, sofort, noch vor der Sommerpause, zu handeln.

Es ist in unser aller Interesse, dass wir die Voraussetzung für eine gelingende Integration der schon seit langem in Bremen lebenden Familien schaffen und nicht die Menschen wieder vor den Kopf stoßen. Ich bitte Sie daher, den Antrag zu unterstützen und damit den von der sogenannten Altfallregelung betroffenen Menschen in unserer Stadt eine realistische Chance zu geben! – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich auf der Besuchertribüne ganz herzlich Beschäftigte und Betriebsräte der Firma Karstadt Bremen begrüßen!

(Beifall)

Ich darf Ihnen ferner mitteilen, dass mittlerweile interfraktionell beschlossen und vereinbart worden ist, nach diesem Tagesordnungspunkt den Tagesordnungspunkt außerhalb der Tagesordnung, Arbeitsplätze bei Karstadt erhalten, Insolvenz verhindern, sowie die gestellten Änderungsanträge mit der Drucksachen-Nummer 17/806 und 17/807 aufzurufen.

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Woltemath.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP steht für Vielfalt und Integration, und die grundsätzliche Debatte zu diesem Problembereich haben wir auch schon längst geführt. Es geht in diesem Fall, und deshalb unterstützen wir auch den Antrag, darum, eine pragmatische Lösung zu finden und zu sagen, wir stecken im Moment in der Wirtschaftskrise, ist das, was wir als Ansatz bei unseren Überlegungen hatten, bis zum Ende dieses Jahres realisierbar oder ist es nicht realisierbar. Wir könnten uns auch vorstellen, die Frist nur um ein Jahr zu verlängern, aber diese Debatte brauchen wir nicht so weit auszudehnen. Deshalb unterstützen wir den Antrag, und wir sagen ganz einfach, damit die Möglichkeit geschaffen wird, dass es diese Möglichkeit eines Aufenthaltstitels auf Probe gibt, damit wir diese Integration ermöglichen können, so wie wir es ja grundsätzlich debattiert haben, uns einig waren und es beschlossen haben, dass wir jetzt ganz einfach hier vorangehen und Großzügigkeit obwalten lassen sollten.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, sonst wird es eine recht kleinliche Streiterei. Deshalb haben wir davon abgesehen zu sagen, wir sind jetzt nur für ein Jahr. Man kann sich das anschauen, es sind viele Menschen dabei, die sich hier auch wirklich integrieren wollen – das ist in der Debatte schon gesagt worden –, die hier bleiben wollen, deren Kinder hier geboren worden sind, die diesen aktiven Teil der Migranten bilden. Deshalb sollten wir den Schritt machen und vielleicht auch ein Stück weit über unseren eigenen Schatten springen und sagen: Jawohl, wir machen da mit!

Auf der anderen Seite muss uns natürlich auch ganz klar sein, und da will ich jetzt noch ein wenig Wasser in den Wein schütten: Es geht um Wahlkampf, und es geht natürlich noch einmal darum, dass wir hier an die Bundesregierung appellieren. Wir beschließen das hier ja nicht, sondern wir beschließen nur einen Appell, das macht sich nach außen gut und in Wahlkampfzeiten natürlich auch. Deshalb gestatten Sie mir, dass ich das auch unter diesem Fokus sehe. Trotzdem stehen wir dazu und werden den Antrag unterstützen. In diesem Sinn bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der FDP und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Dringlichkeitsantrag der Koalition beruht auf diffusen Annahmen, ist schlecht recherchiert und arbeitet im Wesentlichen mit Hinweisen wie „es scheint“, „ist zu erwarten“, „ist mit zu rechnen“. Daraus eine Bundesratsinitiative abzuleiten kommt für die CDU-Fraktion nicht infrage.

(Beifall bei der CDU)