Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Zweitens: Wie viele Menschen befinden sich aktuell in Sicherungsverwahrung im Land Bremen?

Drittens: Verfügt der Senat über ein Konzept zur zukünftigen Gestaltung der Sicherungsverwahrung im Land Bremen, das den Anforderungen aus der Entscheidung des EGMR gerecht wird und gleichzeitig die Sicherheit der bremischen Bürgerinnen und Bürger bestmöglich gewährleistet?

Die Anfrage wird beantwortet von Herrn Senator Günthner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Sicherungsverwahrung wird in der Justizvollzugsanstalt des Landes Bremen nicht vollstreckt. Auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung wird die Sicherungsverwahrung in niedersächsischen Einrichtungen nach den dortigen gesetzlichen Bestimmungen vollzogen.

Über die Konsequenzen der Entscheidung des EGMR findet ein ständiger Austausch zwischen dem Bund und den Ländern statt. Die Justizministerinnen und Justizminister werden auf ihrer Frühjahrskonferenz am 23. und 24. Juni 2010 das weitere Vorgehen erörtern.

Daneben hat im Februar 2010 unter Begleitung Bremens eine Arbeitsgruppe zu dem Thema „Qualitätssicherung und Mindeststandards für den Vollzug der Sicherungsverwahrung“ ihre Arbeit aufgenommen. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Zu Frage 2: Im Land Bremen befindet sich aktuell niemand in Sicherungsverwahrung. Für die Staatsanwaltschaft Bremen befinden sich zurzeit vier männliche Personen in Sicherungsverwahrung, davon drei in Niedersachsen und eine in Bayern. Gegen weitere vier Personen wurde von bremischen Gerichten Sicherungsverwahrung verhängt. Diese Personen befinden sich aber noch nicht im Vollzug der Sicherungsverwahrung, da zurzeit noch Freiheitsstrafen vollstreckt werden.

In einem weiteren Fall wurde nach der Verbüßung einer in Bremen verhängten Freiheitsstrafe ein Teil der anschließenden Sicherungsverwahrung vollstreckt. Die Vollstreckung dieser Sicherungsverwahrung wurde unterbrochen, nachdem ein niedersächsisches Gericht den Betroffenen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt hatte. Zurzeit wird die Freiheitsstrafe aus dem niedersächsischen Urteil vollstreckt.

In nur drei der aufgezählten Fälle liegt der Tatzeitpunkt vor dem nach der Rechtsprechung des EGMR relevanten Stichtag, 31. Januar 1998. In einem dieser Fälle hat die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung noch nicht begonnen. In den beiden anderen Fällen wird die nach der Rechtsprechung des EGMR entscheidende 10-Jahres-Frist erst im Jahr 2015 beziehungsweise 2020 erreicht sein. Folglich ist mit Entlassungen wegen der Rechtsprechung des EGMR erst 2015 beziehungsweise 2020 zu rechnen.

Im Übrigen teilen die Länder sich gegenseitig mit, an welchen Personen für eine auswärtige Staatsanwaltschaft eine Sicherungsverwahrung vollzogen wird. Dieser Austausch ist noch nicht abgeschlossen.

Zu Frage 3: Der Senat beteiligt sich an den Überlegungen zu gesetzgeberischen Konsequenzen aus der Entscheidung des EGMR.

Von den für Bremen aktuell Sicherungsverwahrten wird sich der erste erst 2015 zehn Jahre in Sicherungsverwahrung befunden haben. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht für die für Bremen Sicherungsverwahrten noch die Möglichkeit, die Bedingungen der Verwahrung den Anforderungen des EGMR anzunähern. Wenn eine weitere Sicherungsverwahrung nach der Rechtsprechung unzulässig ist, wird es insbesondere darauf ankommen, mit der jeweils zuständigen Vollzugseinrichtung eine möglichst optimale Entlassungsvorbereitung anzustreben.

Sollten Sicherungsverwahrte nach Bremen entlassen werden, besteht über die Führungsaufsicht die Möglichkeit, diese Personen therapeutisch zu begleiten, in gewissem Umfang zu überwachen und damit zu einem straffreien Verhalten anzuhalten. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen und enge Abstimmung zwischen den Beteiligten sieht das HEADS-Konzept des Senators für Inneres und Sport, für Justiz und Verfassung und der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vor. Nach diesem Konzept wird verfahren werden.

Hinsichtlich der zukünftigen vollzuglichen Gestaltung der Sicherungsverwahrung ist eine Abstimmung mit Niedersachsen angestrebt. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Winther, Sie haben eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, Sie haben die Maßnahmen angesprochen, die getroffen werden können und müssen, wenn denn jemand aus der Sicherungsverwahrung nach Bremen zurückkommt. Können Sie mir bitte sagen, wie aufwendig die polizeiliche Überwachung ist und mit welchen Kosten bei diesen Maßnahmen von Therapie bis Überwachung, die da zur Debatte stehen, zu rechnen ist?

Bitte, Herr Senator!

Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Das kann ich Ihnen aber gern nachreichen lassen. interjection: (Abg. Frau W i n t h e r [CDU]: Das wäre nett!)

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Sie haben auch die Justizministerkonferenz in der nächsten Woche angesprochen. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gibt es nun einige Unsicherheiten, was die Regeln für die Sicherungsverwahrung angeht. Bisher ist nicht zu sehen, dass Frau LeutheusserSchnarrenberger in Berlin zur Klärung dieser Regelung beiträgt oder zur Änderung des Gesetzes. Wird sich Bremen in der Justizministerkonferenz und im Bund dafür einsetzen, dass hier klare Regeln von der Justizministerin erarbeitet werden?

Bitte, Herr Senator!

Ein klares Ja! Unser Interesse ist, dass hier kein Zustand entsteht, in dem nicht völlig klar ist, was mit Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Recht in Sicherungsverwahrung gebracht worden sind, geschieht. Insofern unterstützen wir alle Bemühungen, die dazu beitragen, das Recht der Sicherungsverwahrung bald gesetzlich neu zu regeln.

Ich will aber in dem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass sich bislang die Gerichte in Deutschland das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch sehr differenziert anschauen und an der einen oder anderen Stelle darauf hinweisen, dass das Urteil nicht zwangsläufig zu einer sofortigen Freilassung von Menschen führen muss, die unter dieses Urteil fallen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu inzwischen auch entsprechend geurteilt. Am 19. Mai 2010 hat es die sofortige Entlassung eines Sicherungsverwahrten, der sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berufen hat, abgelehnt. Dabei lässt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erkennen, dass das Gericht die verfassungsrechtliche Frage für offen hält und die Möglichkeit ins Auge fasst, dass das geltende Recht verfassungswidrig ist, aber für eine Übergangszeit mit der Folge fortdauern könnte, dass Verurteilte zumindest vorläufig in Sicherungsverwahrung verbleiben könnten. Da ist natürlich dann der Gesetzgeber entsprechend in der Pflicht, Regelungen zu schaffen.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Würde Bremen im Ernstfall von dieser Übergangsregelung Gebrauch machen?

Bitte, Herr Senator!

Ich habe Ihnen ja vorgetragen, dass die Fälle, die Bremen betreffen, im Jahr 2015 beziehungsweise im Jahr 2020 und dann erst fortlaufend eintreten würden. Ich habe die Hoffnung und glaube, es ist auch dringend notwendig, dass wir nicht bis 2015 warten, bis wir Regelungen treffen.

Herr Timke, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, seit zehn Jahren setzt das Bundesland Hessen erfolgreich die elektronische Fußfessel ein. Hält der Senat die Einführung dieser elektronischen Fußfessel im Land Bremen als einen weiteren Baustein zur Überwachung von gefährlichen Straftätern, die nach der Entscheidung des EGMR aus der Haft entlassen worden sind, für geboten?

Bitte, Herr Senator!

Herr Abgeordneter, mein Interesse als Justizsenator – und das ist auch die Haltung des Senats – ist es, dass wir eine sichere Unterbringung der Verurteilten darstellen können, damit Rückfall und neue Straftaten verhindert werden können. Ich will im Zusammenhang mit der elektronischen Fußfessel darauf hinweisen, dass die elektronische Überwachung technisch teilweise fehlerhaft ist und dass sie der sicheren Unterbringung an der Stelle nicht gerecht wird. Insofern ist von uns in der Vergangenheit die Überwachung durch eine elektronische Fußfessel beispielsweise im Rahmen von Bewährungsauflagen eher kritisch gesehen worden.

Gleichwohl sollte nach unserer Auffassung geprüft werden, ob es sinnvoll ist, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine elektronische Überwachung von Aufenthaltsgeboten oder -verboten im Rahmen der Führungsaufsicht zu schaffen. Dabei ist einerseits der verfassungsrechtlich gebotene Ausgleich zwischen dem Schutzanspruch der Allgemeinheit und dem Freiheitsrecht des ehemaligen Straftäters zu beachten. Sie sehen also, eine durchaus differenzierte Antwort auf Ihre Frage!

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Es gibt auch die Möglichkeit der Verlängerung der Führungsaufsicht für solche Delinquenten, diese ist aber derzeit befristet. Wird sich der Senat dafür einsetzen, dass diese Führungsaufsicht zukünftig unbefristet ist?

Bitte, Herr Senator!

Wir werden uns für alles einsetzen, was dazu beiträgt, die Probleme, die im Rahmen dieses Urteils entstanden sind, zu lösen.

Herr Timke, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, halten Sie die elektronische Fußfessel für eine geeignete Maßnahme, um präventiv Straftaten zu verhindern?

Bitte, Herr Senator!

Nein, das ist sie eindeutig nicht. Sie wissen zwar, wo sich derjenige aufhält, wenn denn fehlerfrei übertragen wird. Sie können damit aber natürlich nicht Einfluss auf das nehmen, was er unter Umständen tut. Insofern ist es wichtig, dass wir, bevor wir Leute auf Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die Freiheit entlassen müssen, zum einen uns sehr genau anschauen, für welche Straftaten sie verurteilt worden sind und was notwendig ist, um sie zum anderen davon abzuhalten, wieder straffällig zu werden.

Herr Timke, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, kennen Sie die Zahlen aus Hessen nach diesem zehnjährigen Versuch, dass nur zehn Prozent der Personen, die eine Fußfessel getragen haben, gegen Auflagen verstoßen haben? Ist Ihnen diese Zahl bekannt, und wenn ja, wie bewerten Sie diese Zahl?

Bitte, Herr Senator!

Herr Timke, die Zahl ist mir nicht bekannt. Ich kann aber gern noch einmal darauf hinweisen, dass mein Interesse ist – und das ist das Interesse des Gesamtsenats –, dass wir aus dem Urteil entsprechende Konsequenzen ziehen und dass wir uns dabei nicht nur mit vermeintlich populären Maßnahmen beschäftigen, sondern dass wir uns mit Maßnahmen beschäftigen und Lösungen finden, um Menschen, die aus bestimmten Gründen in den vergangenen Jahren sicherungsverwahrt worden sind, möglichst auch weiter sicherungsverwahren zu können, wenn dafür die rechtlichen Voraussetzungen entsprechend geschaffen worden sind. Ich glaube, dass die Lösung dafür nicht darin bestehen wird, denen Fußfesseln um die Füße zu binden.

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Die zehnte Anfrage steht unter dem Betreff „Konsequenzen aus den ersten Ergebnissen der Studie zu Gewalt gegen Polizeibeamte“. Die Anfrage ist un

terzeichnet von den Abgeordneten Frau Marken, Ehmke, Tschöpe und Fraktion der SPD.

Bitte, Frau Kollegin Marken!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Was sind die ersten Ergebnisse der Polizeibefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V., KFN?