Protokoll der Sitzung vom 06.04.2011

Deutlichkeit zurückweisen! Die Schuldenbremse ist natürlich demokratisch beschlossen worden, daran gibt es überhaupt gar keine Zweifel. Sie wurde auch ins Grundgesetz genommen, das ist auch keine Frage, aber es ist doch keine Frage, dass man das dennoch kritisieren und auch sagen kann, irgendwann, wenn es die entsprechenden Mehrheiten gibt, werden wir das wieder ändern. Es ist unsere Aufgabe und unsere Sicht, dies zu ändern.

(Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen])

Doch, das sagen wir! Ich sage, wir haben ganz deutlich gesagt, wir kritisieren die Schuldenbremse. Wir sind der Meinung, dass viele Sachen daran unrealistisch sind. Wir glauben, dass der eingeschlagene Weg mit der Konsolidierung, wie er jetzt verabredet ist, möglicherweise einfach scheitert! Das, finde ich, ist eine Position, die man durchaus haben kann, darüber muss nicht immer gespottet werden.

Ich denke auch, Herr Böhrnsen hat das am Rande erwähnt, wer über die Schuldenbremse reden möchte, der sollte in der Tat zuerst über Steuergerechtigkeit reden. Wenn man einmal bedenkt, wenn wir heute noch die Steuersätze für Reiche und Konzerne der Kohl-Ära hätten, dann verfügte der Sozialstaat – da gibt es unterschiedliche Berechnungen – aber pro Jahr über mindestens zwischen 80 und 100 Milliarden Euro mehr an Einnahmen. Das sind Einnahmen, die dann durch Rot-Grün, durch Herrn Schröder und durch Herrn Fischer, im Grunde genommen weggekürzt worden sind. Natürlich, nachdem man diese Einnahmen nicht mehr hat, bekommt man mit der Zeit einen armen Staat. Dieser arme Staat macht dann Schulden, wenn er trotzdem noch sozialstaatliche Aufgaben, weil sie gesetzliche Aufgaben sind, erfüllen will. Da braucht man sich in der Tat nicht besonders zu wundern.

Ich sage auch, natürlich kommt dann auch noch die Weltwirtschaftskrise dazu, oder ich will im Detail einmal die Bankenrettung nennen. Laut Deutscher Bundesbank beträgt die Erhöhung der Verschuldung des Staatshaushalts immerhin 89 Milliarden Euro für die Bankenrettung. Das ist nicht wenig, um es einmal deutlich zu sagen, und auch darüber muss man sich unterhalten. Deshalb sage ich auch in aller Deutlichkeit, wer über diese Schuldenbremse reden will, der sollte über Steuergerechtigkeit reden. Es ist ja nicht so, dass Steuergerechtigkeit in dieses Grundgesetz mit hineingeschrieben worden wäre. Das wird hier immer so behauptet, aber das ist doch nicht der Fall. Wenn das der Fall wäre, würden wir als DIE LINKE sagen, prima, das ist eine gute Sache, aber es ist eine Absichtserklärung, die im Grunde genommen zu nichts führt, außer wir schaffen andere politische Verhältnisse in diesem Land, und wir wollen es auch offensiv angehen. Dann sind wir dabei, da machen wir gern mit.

Deshalb fordern wir ganz deutlich nicht nur keine Mehrbelastung der Länder und Kommunen, sondern wir fordern in der Tat eine offensive Steuerpolitik. Banken, Reiche und Konzerne müssen endlich wieder zahlen. Das muss geändert werden. Das erwarte ich auch als eine offensive Position von SPD und Bündnis 90/Die Grünen!

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesem Grund glaube ich, in manchen Diskussionen, auch wenn es jetzt Realität ist, ist die Schuldenbremse immer nur ein vorgeschriebenes Thema. Im Wesentlichen geht es doch um die Auseinandersetzung, um den Sozialstaat, denn wenn dieser Konsolidierungspfad, wie er heute hier im Parlament beschlossen wird, und wir alle sagen, dann müssen in Bremen bis zum Jahre 2020 100 bis 120 Millionen Euro pro Jahr gekürzt, gespart oder wie immer man es nennen will, ich würde es kürzen nennen, gekürzt werden, und ich frage mich allen Ernstes: Was bleibt denn von einem Sozialstaat in Bremen noch übrig, wenn Frau Linnert und Herr Böhrnsen mit ihren Kürzungen am Ende fertig sind? Das frage ich wirklich ernsthaft. Das hat mit Schwarzmalerei nichts zu tun, sondern das ist eine ernsthafte Frage. Was glauben sie denn? Wie viele Polizisten werden wir dann noch haben? Wie viel Feuerwehr werden wir dann noch haben? Wie viele Kliniken werden wir noch haben? Wie viele Kitas werden wir noch haben? Im Grunde genommen weiß doch jeder, welche Unsummen an Einsparungen da vorgenommen werden müssen, und niemand hat einen Plan dafür, wie man damit tatsächlich noch ein solidarisches, soziales Gemeinwesen aufrechterhalten will, das ist doch die eigentliche Frage, und das ist die Frage des Sozialstaats!

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist mir auch klar, dass es Polizisten, Feuerwehr, Kindergärten und so weiter geben wird, aber die werden privatisiert sein, da wird der Zugang nur für die offen sein, die Geld dafür haben. Auch das ist ein übliches Problem, das immer wieder kommt, weil wir nicht in einer egalitären Gesellschaft leben! Wir leben in einer gespaltenen Klassengesellschaft!

Ich will aber trotzdem versuchen, weil mich das so geärgert hat, Ihnen einmal kurz sechs Beispiele für Bereiche zu nennen, in denen die Schuldenbremse dazu führt, dass entweder direkt gekürzt wird oder einfach durch fehlende Mittel. Punkt eins, öffentlicher Dienst: Es wird von Frau Linnert und von allen klar gesagt, 950 VK sollen bis 2020 gestrichen werden. Das ist eine klare Ansage. Dazu sage ich, seit Jahrzehnten haben wir im öffentlichen Dienst PEP- und Sparquoten, die Luft für die Kolleginnen und Kollegen wird immer dünner, die Arbeitsbelastung wird immer größer. Man kann darüber vielleicht noch hinweggehen und sagen, gut, ihr müsst zufrieden sein,

ihr habt einen Job! Man muss doch aber einmal sagen, das ist solch eine Verschlechterung des Gemeinwesens, es geht doch schon längst nicht mehr um Bürgernähe, sondern es geht einfach nur um Schließen und Abschalten von bestimmten Angeboten, die der Sozialstaat noch hatte nach diesen zehn Jahren Konsolidierung.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch alles nicht wahr, was Sie da sagen!)

Das ist wahr!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist totaler Blödsinn!)

Nein, das ist nicht wahr! Sie sagen selbst, 950 Vollzeitkräfte wollen Sie streichen. Was ist daran falsch? Was ist daran falsch, wenn ich das behaupte? Haben diese 950 Vollzeitkräfte, diese mindestens 950 Kolleginnen und Kollegen die ganze Zeit nur Kaffee getrunken oder Däumchen gedreht? Das, finde ich, ist wirklich eine bösartige Unterstellung von Ihnen.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Die kommt aber nur von Ihnen!)

Ich fahre fort.

Punkt Nummer zwei: Die Nullrunde für Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII und der Erziehungshilfe nach SGB VIII, Herr Rupp hat das erwähnt, und es wurde doch in der Sozialdeputation ganz deutlich gesagt, wir wissen alle, wir haben den Befund, dass die Mengen steigen werden, also, die Bedürfnisse sind da, und es wurde jetzt mit den Trägern vereinbart, dass es eine Nullrunde geben soll, obwohl in den Papieren der Sozialdeputation deutlich steht – ich könnte es hier zitieren, aber das schenke ich mir, weil ich dann hier mit ganzen Ordnern antreten müsste – und immer wieder gesagt wird, ja, es gibt, oder es wird Steigerungen geben, sie bräuchten auch mehr Geld, und dann einigt man sich auf eine Nullrunde, und eine Nullrunde ist eine Kürzung. Ich weiß nicht, wer dem widersprechen soll, da wird die Inflation nicht einmal ausgeglichen. Das ist und bleibt eine Kürzung.

Dann sage ich Ihnen noch einmal: Ich finde auch das besonders perfide, wenn Sie so eine Nullrunde und diese Kürzungen bei diesen Einrichtungen machen, denn wen betrifft das denn? Das sind die körperlich und geistig Behinderten, das sind die Süchtigen, und das sind die Jugendlichen. Bei den Schwächsten fangen Sie an zu kürzen. Das ist der erste Schritt, wo diese Schuldenbremse wirkt.

(Glocke)

Warum haben Sie geklingelt?

Weil Ihre Redezeit, Herr Kollege, weit überschritten ist.

Dann mache ich gerade noch den Abschluss. Es gibt noch mehrere Punkte, aber ich fand, die, die ich jetzt benannt habe, sind sehr deutlich. Wir werden in der Debatte der kommenden Tage noch einmal auf die Beamtinnen und Beamten zurückkommen, da ist ja Ähnliches, wo Sie deutlich kürzen wollen, ich weiß nicht, wie Sie das sonst nennen wollen.

(Glocke – Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Kürzen, was kürzen Sie denn? Im Oktober machen alle das Gleiche! Sie erzählen vielleicht einen Blödsinn!)

Ja, kürzen! Genauso bei den Krankenhäusern, auch das werden wir noch einmal bereden. – Danke sehr!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich auf der Besuchertribüne recht herzlich eine zehnte Klasse der Schule in der Vahr begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen! interjection: (Beifall)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erstens möchte ich meine Frage, die Herr Rupp nicht hören wollte, hier stellen und auch meine Antwort geben. Nach dieser nicht nur Kritik oder Absichtserklärung, man könnte das dann vielleicht auch später anders machen, wenn die Verhältnisse anders sind, nach dieser politischen Brandrede, die er dagegen gehalten hat, dass wir die Verwaltungsvereinbarung hier in Bremen unterschreiben, frage ich mich und frage ihn, wieso es denn in Berlin, wo die gleiche Verwaltungsvereinbarung unterschrieben wird, eigentlich möglich ist, die Unterschrift der LINKEN darunter zu setzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bei dieser Brandrede, die Sie hier gehalten haben, wieso machen Sie in Berlin das eine und treten hier so auf? Das müssen Sie mir dann irgendwann doch noch einmal erklären, und ich sage, Sie reden mit gespaltener Zunge, Herr Kollege, das muss ich hier wirklich einmal ganz klar sagen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Zweite, es ist ja interessant, dass die zweite Fraktion in der Linken auch noch einmal aufgetreten ist. Sie haben ja recht, dieser Senat, diese Koalition spart, und wir werden auch weitermachen mit dem Sparen. Die eine Seite des Hauses sieht das nicht. Wenn man die Augen aufmacht, kann man sehen, dass wir das tun.

(Abg. D r. M ö l l e n s t ä d t [FDP]: Ich habe extra noch einmal eine neue Brille auf- gesetzt, und ich sehe es immer noch nicht!)

Ja, Herr Dr. Möllenstädt, ich bin mir sicher, der Generationenwechsel wird bei Ihnen auch gelingen, und dann werden Sie da mehr Durchblick bekommen.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Die Windel- gruppe!)

Da frage ich mich auch immer, Herr Dr. Möllenstädt, wie es eigentlich ist, wenn man sich die Verschuldung im Bund ansieht, wo Sie ja maßgeblich innerhalb der Wirtschaftskrise mitregieren, war die Reaktion im Bund und den Ländern, in denen Sie mitregieren, etwa anders? Auch dieses Auftrumpfen hier, dass Sie meinen, wir könnten uns hier ganz und gar von der Tatsache der wirtschaftlichen Krise abkoppeln und gegen die Krise sparen, was wir einvernehmlich unter anderem mit dem Konjunkturprogramm nicht gemacht haben, ich verstehe es nicht.

Ich habe auch nicht verstanden, wieso die Bundesregierung das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das nachweislich einen dreistelligen Millionenbetrag an Steuermindereinnahmen gebracht hat, das Sie als Konjunkturprogramm verkauft haben, nicht nach der Konjunkturkrise, wenn es dann wieder hochgeht, wieder zurücknimmt. Wenn man etwas als Konjunkturbelebung macht, muss man das doch hinterher zurücknehmen. Ich verstehe auch nicht, wieso diese unglaubliche und unverschämte Minderung der Steuereinnahmen für die Hoteliers nicht endlich zurückgenommen worden ist. Das sind doch die Dinge, bei denen jeder sieht, dass Sie die Steuersenkungen auf Kosten der Menschen und für einige wenige machen, und das ist das, wo Sie im Bund genau das machen, was Sie hier beklagen, und da verstehe ich auch diese gespaltene Politik nicht.

Ich wollte aber eigentlich etwas zu den LINKEN sagen, Herr Dr. Möllenstädt hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es ihn auch noch gibt. Sie haben ja vollkommen recht, dass wir in den nächsten Jahren hier weiter staatliche Leistungen genau ansehen werden, dass wir auch zum Beispiel bei Ausführenden, wie jetzt den Trägern der Sozialhilfe, schauen werden, dass auch sie einen Sparbeitrag leisten. Wir werden auch bei den ausgegliederten Bereichen schauen, dass sie sparsamer wirtschaften müssen, das ist so.

Auch die Menschen, da bin ich ganz sicher, das habe ich auch immer gesagt, werden hier in der Stadt merken, dass die nächsten zehn Jahre anders sind als bisher. Wir werden erstens darauf achten, dass wir die Schwerpunkte richtig setzen, wir werden aber niemandem versprechen, dass sich nichts ändert, denn das zu versprechen wäre wirklich verantwortungslos, aber so tun, ich sage es noch einmal, als sei das hier – –.

Schauen Sie doch bitte einmal auch die wirklichen Verhältnisse an, wenn ich jetzt heute in der Zeitung lese, dass der Vertreter der GEW die Alimentation der Lehrer für nicht mehr verfassungsgemäß hält! In Niedersachsen wie in Bremen ist das Jahresgehalt eines Lehrers 57 500 Euro. Ganz im Ernst, wenn mir jemand erzählen will, dass dies keine verfassungsgemäße Alimentation mehr sei, dann finde ich, dass die Maßstäbe da nicht mehr stimmen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist der Hunger, von dem sie sprechen! Die Hungerjahre!)

Dann muss ich in der Lage sein, auch mit diesen Menschen darüber zu reden, dass sie gemeinsam mit uns darüber sprechen, wie Beiträge zur Haushaltssanierung gemacht werden.

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Das kommt aus den Stadtteilen!)

Wir werden von allen solche Dinge erwarten, ja, das verschweigen wir auch nicht, aber so zu tun, als wäre das ein Einschnitt in soziale Verhältnisse, das finde ich vollkommen falsch, Herr Kollege. Das malt ein Bild dieser Stadt, das nicht stimmt, und gehen Sie einmal durch die Stadt, das entspricht auch nicht den Realitäten! Also, wir verschweigen nicht das, was wir machen wollen, aber was Sie hier für Bremen an die Wand malen, aber in anderen Städten und Ländern tun, halten wir für verantwortungslos. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ja schon deutlich geworden, dass wir als FDP es nicht als Selbstzweck ansehen, dass hier Verwaltungsvereinbarungen geschlossen werden, sondern dass es um etwas Nachhaltiges geht, um nachhaltiges Wirtschaften mit Geldern der Bürger, die dem Staat anvertraut sind, damit der Staat damit Leistungen erbringen kann. Es geht darum, dass zukünftige Generationen, sprich meine und Ihre Kinder und Jugendliche, in Zukunft auch noch Gestaltungsmöglichkeiten haben und Zinsen nicht die Gestaltungsmöglichkeiten erdrosseln und

unmöglich machen. Deswegen sind Zinszahlungen zu reduzieren, und Zinszahlungen reduziert man am besten, indem man Schulden reduziert. Das wird nicht schnell gelingen, das wissen wir auch, das wird nur Schritt für Schritt gelingen, aber man darf sich durchaus mehr anstrengen, als es dieser Senat getan hat, und man kann das auch.

Sie haben ja noch einmal einen ordentlichen Schluck aus der Schuldenpulle genommen, der Nachtragshaushalt war senatsseitig konjunkturbedingt begründet, aber wenn man im Nachhinein einmal genauer hinschaut, stellt man fest, dass noch einmal eben 250 Millionen Euro aus alten Kreditermächtigungen für Finanztransaktionen, die notwendig waren, bewegt werden konnten. Man hätte also vielleicht auch alte Kreditermächtigungen zum Zweck der Minderung von Konjunkturproblemen nutzen können und nicht so handeln müssen, wie Sie gehandelt haben.