Meine Damen und Herren, da der Senat um Behandlung und um Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung gebeten hat und interfraktionell dies beschlossen wurde, lasse ich darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Lesung durchführen wollen.
Wer das Gesetz zur Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes und der Bremischen Hafenordnung, Drucksache 18/153, in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe hier einen Artikel aus dem „Weser-Kurier“ vom 6. Mai 2011 mitgebracht: „Kläger müssen jahrelang auf das Urteil warten“. Anlass für diese traurige Mitteilung des „Weser-Kurier“ war die Vorlage des Geschäftsberichts des Verwaltungsgerichts Bremen, und das, was dort in der Zeitung stand, war beileibe kein Einzelfall.
In diesem Jahr sind Ende August die versammelten Gerichtspräsidenten und sogar die Generalstaatsanwältin an die Presse gegangen und haben sich über überlange Gerichtsverfahren beschwert. 21 Monate dauert es in der Regel beim Verwaltungsgericht, so war in dem Bericht zu lesen, bis ein Verfahren abgeschlossen ist. Das ist noch freundlich gerechnet, wenn man die Verfahren abzieht, die sich nicht zuletzt aufgrund der langen Verfahrensdauer von selbst erledigen. Wo das Gericht ein Urteil spricht, dauert es im Schnitt mehr als zwei Jahre, bis es zum Abschluss des Verfahrens kommt, lange, viel zu lange, wenn man überlegt, was für die Betroffenen dabei auf dem Spiel steht.
Ob das nun die Zulässigkeit von Affenversuchen betrifft, Lkw-Fahrverbote, die Zulassung von privaten Grundschulen, all das sind Sachen, die die Mensachen unmittelbar betreffen. Allein die Anzahl der Klagen um Hochschulzulassungen ist von 2009 auf 2010 um fast ein Drittel angestiegen. Die Prozesse
werden immer aufwendiger, Richter und Staatsanwälte denken nicht mehr in einzelnen Aktenordnern, sondern in gesamten Umzugskartons. Auch die Richter am Landgericht Bremen haben mit hohen Verfahrensbeständen und langen Verfahrensdauern zu kämpfen. Dreimal hintereinander belegte das Landgericht in Bremen in Zivilsachen bei den nicht abgeschlossenen Verfahren einen traurigen letzten Platz. Das sagt jedenfalls das Bund-Länder-Ranking. Das liegt keinesfalls am Arbeitseinsatz der Richter, sie arbeiten nämlich deutlich mehr ab als der Bundesdurchschnitt und haben auch 2009 bundesweit sogar die Spitze beim Vergleich der Landgerichte in Zivilsachen erreicht. Wenn die versammelten Gerichtspräsidenten und die Generalstaatsanwältin sich an die Presse wenden und die Funktionsfähigkeit der Justiz infrage stellen, dann ist unseres Erachtens auch für die Politik höchste Zeit zum Handeln!
Schreiben, in denen es heißt, dass die Gerichte wegen Arbeitsüberlastung alsbald nicht in der Sache entscheiden, sind keine Seltenheit. Ich darf aus einem Schreiben, das ein Rechtsanwalt bekommen hat, zitieren: „Bei diesem Verfahren gibt es seit längerer Zeit einen erheblichen Bearbeitungsrückstand, der durch das zur Verfügung stehende Personal leider nicht mehr in angemessener Zeit abgebaut werden kann. Die Anträge werden jeweils nacheinander in der Reihenfolge der Vorlage bearbeitet.“ Dann wird weiter darauf hingewiesen, dass man von Sachstandsanfragen absehen sollte, weil jedes Mal, wenn die Sachstandanfrage kommt, das Verfahren wieder im Stapel nach unten rutscht und dann noch später bearbeitet wird. Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden rechtsuchenden Bürger. Es gibt weitere traurige Beispiele, zum Beispiel in sozialgerichtlichen Verfahren, wo 2002 eine Klage erhoben wurde und 2011 der Kostenfestsetzungsbeschluss immer noch nicht da ist. Oder das traurige Problem um einen Spezialrollstuhl, als die Kläger vier Jahre lang warten mussten, bis eine Entscheidung gefallen war. Kein Wunder, dass manche Rechtsanwälte schon von Rechtverweigerung sprechen! Noch heftiger ist es bei Strafverfahren. Wenn bei einem sexuellen Missbrauch erst drei Jahre später verhandelt wird oder wenn Menschenhandelsverfahren selbst nach sieben Jahren noch nicht verhandelt werden, dann muss man in der Tat die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Justiz stellen.
Für die Täter bedeutet das nur eines, und zwar weniger Strafe. Auf Juristendeutsch heißt es dann Vollstreckungsabschlag. Auch das hat es in Bremen bereits gegeben.
Anderswo gibt es das selbstverständlich auch, aber auch in Bremen. Es sind Menschen und Schicksale, um die es hier geht. Zeugen erinnern sich häufig nach Jahren überhaupt nicht mehr an das, was ihnen widerfahren ist. Gerade für die Opfer bedeutet es, wenn sie nach Jahren wieder vor Gericht erscheinen müssen, häufig eine Retraumatisierung, das Opfer wird erneut zum Opfer. Das ist ein Umstand, den man nicht hinnehmen kann.
Deshalb finde ich es auch sehr gut, dass seitens der Bundesregierung die Initiative aufgegriffen wurde und jetzt zum 3. Dezember 2011 ein Gesetz gegen überlange Verfahren in Kraft getreten ist. Das Gesetz, so steht es auch in unserem Antrag, hat ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Verfahren muss man die Länge des Verfahrens rügen, und wenn dann nach sechs Monaten nichts passiert und das Gericht nicht vorangekommen ist, dann bedeutet das, dass ein Schadensersatzanspruch entsteht sowohl für immateriellen Schaden als auch für materiellen Schaden, für immateriellen Schaden in Höhe von 1 200 Euro pro Jahr, und das Ganze auch noch verschuldensunabhängig. Das ist ein Novum, und damit wird eine Rechtsschutzlücke in Deutschland geschlossen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte das schon seit Langem angemahnt. Deutschland ist seit 2006 schon diverse Male verurteilt worden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und 80 Prozent aller Verurteilungen beruhen auf überlangen Verfahrensdauern. Es sind Entschädigungen in Höhe von in etwa einer Million Euro gezahlt worden. Gerichtlicher Rechtsschutz ist – das ist das Wesen des Gesetzes – nur dann effektiv, wenn er nicht zu spät kommt. Das neue Gesetz sehe ich als Chance und als Herausforderung zugleich, als Chance für den Bürger und als Herausforderung für den Justizsenator, aber auch für die Gerichte. Die Gerichte können sich auf dieses neue Gesetz berufen und auch Ansprüche geltend machen.
Vom Justizsenator erwarte ich, dass er die Bedingungen schafft, dass die Gerichte in der Lage sind, die Verfahren schnell und zügig abzuarbeiten, dass die Ausstattung, die Geschäftsverteilung der Gerichte und die Organisation der Gerichte und der Staatsanwaltschaften so beschaffen sind, dass es den Richtern und Staatsanwälten ermöglicht wird, die Verfahren auch zügig zu beenden.
Solche Schreiben, die ich soeben zitiert habe, wird es in Zukunft nicht mehr geben können. Darauf kann sich kein Gericht mehr berufen, es sei denn, es entsteht eine Schadensersatzpflicht, und die würde den Haushalt letzen Endes noch viel mehr belasten.
Mein Appell an Sie, Herr Staatsrat Professor Stauch, ist: Schaffen Sie endlich die Bedingungen, dass Richter und Staatsanwälte schnell arbeiten können, denn nur schneller Rechtsschutz ist auch guter Rechtsschutz! – Danke!
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich fange einmal mit dem an, womit Sie Ihre Debatte gerade geschlossen haben. Es ist wahr, guter effektiver Rechtsschutz ist das, was zum Erfolg führt, und deswegen haben wir das auch in unserem Koalitionsvertrag stehen, also sind wir einer Meinung.
Diesen Antrag, den Sie jetzt hier vorgelegt und debattiert haben, halten wir im Ergebnis für unnötig. Deswegen können wir ihn auch ablehnen! Dieses von Ihnen angesprochene Gesetz ist uns bekannt, nur besteht das Verfahren aus zwei Schritten, zuerst wäre eine Rüge zu erteilen, und dann geht es erst um den Entschädigungsanspruch. In Ihrem Antrag wird sofort auf den Entschädigungsanspruch abgehoben, und ich denke, das wäre auch anders aufzufassen, wenn man erst einmal eine Rüge erteilen würde.
Andersherum: Sie haben jetzt gerade die Verfahrensdauer in Bremen in den dunkelsten Farben geschildert. Natürlich kann ich hier jetzt nicht sagen: Alles ist toll! Es gibt Probleme, das ist schon wahr, aber bei der Verfahrensdauer sind wir bei einer durchschnittlichen Länge. Gut sind zum Beispiel die Verfahren beim Amtsgericht in Zivil- und Strafsachen, was die Schöffensachen der Erwachsenen anbelangt. Es gibt auch negative Bilanzen, das sind beim Landgericht die Zivil- und Strafsachen, dort sind die Erfolge nicht allzu groß, aber mit diesem Petitum sind ja auch die Gerichtspräsidenten an das Ressort herangetreten. Wir haben insgesamt Gespräche geführt auf Ressortebene, dann sind wir als Partei natürlich auch mit ihnen im Gespräch, und das mündete darin, dass wir das vorhandene Personal nicht verringern dürfen, und das gilt insbesondere für den nichtrichterlichen Bereich.
Sie wollen jetzt mit diesem Gesetz, das Sie jetzt gerade angeführt haben, in erster Linie darauf einwirken, dass die Richter schneller werden. Sie haben soeben selbst gesagt, die Richter schaffen einiges. Um diesen Punkt geht es also gar nicht. Außer––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
dem kann ich es eigentlich nicht für wahr halten, dass Sie – Sie selbst waren in der Justiz tätig – mit einem solchen Druck arbeiten wollen, der darauf praktisch abzielt, dass die Beschäftigten sich gar nicht aus ihrer Berufung heraus beeilen, sondern sie sich nur unter dem Eindruck einer möglichen Entschädigungsverurteilung beeilen; das kann eigentlich nicht sein. Ich kann im Grunde nicht glauben, dass Sie so etwas meinen, aber das haben Sie beantragt, und das lehnen wir ab!
Wir denken, dass die Richter und alle, die in diesem Bereich tätig sind, sich doch so bemühen, die Verfahren voranzutreiben. Sie können auch nichts dafür, dass zum Beispiel bei umfangreichen Strafsachen dann noch die Haftsachen aus bestimmten Gründen vorangestellt werden müssen. Ich meine, dass wir diesen Antrag guten Gewissens ablehnen können.
Wir sind dabei, das insgesamt zu verändern, indem wir sagen, das Personal darf nicht abgebaut werden. Es besteht auch die Möglichkeit, in Einzelfällen Verfahrenscontrolling einzuführen. Man muss schauen, dass Dinge nicht länger liegen bleiben. Das darf in der Tat nicht sein! Ich halte es aber insbesondere vor dem Hintergrund einer guten Rechtspflege für nicht richtig, dass Sie jetzt nur auf Entschädigungen abheben und den Rechtsausschuss damit weiterhin bemühen. Sie schauen zweifelnd, ich sehe es aber trotzdem so, und wir werden das ablehnen! – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren war überfällig, das hat Frau Piontkowski soeben auch in ihrer Rede selbst gesagt.
Die Große Koalition unter Führung Ihrer Partei, sehr geehrte Damen und Herren der CDU, ist bereits 2006 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf hingewiesen worden, dass die bestehenden Rechtsbehelfe gegen eine überlange Verfahrensdauer nicht ausreichend sind.