Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

Die Große Koalition unter Führung Ihrer Partei, sehr geehrte Damen und Herren der CDU, ist bereits 2006 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf hingewiesen worden, dass die bestehenden Rechtsbehelfe gegen eine überlange Verfahrensdauer nicht ausreichend sind.

(Abg. Frau P i o n t k o w s k i [CDU]: Das habe ich selbst gesagt!)

Dennoch hat es weitere fünf Jahre gedauert, um hier Abhilfe zu schaffen. Das Gesetz ist jetzt vor zwei Wochen in Kraft getreten.

Was ich sehr merkwürdig finde, ist, dass Sie in der Einleitung Ihres Antrags Ihre eigene Bundesregie––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

rung kritisieren. Ich nehme einmal Bezug auf die Einleitung der CDU, dort schreiben Sie selbst: „Die erste Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgte im Jahr 2006. Da der Rechtsschutz in Deutschland trotz zahlreicher weiterer EGMR-Urteile nicht verbessert wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein sogenanntes Piloturteil gegen Deutschland erlassen und eine Frist bis Dezember 2011 zur Schließung der Rechtsschutzlücke gesetzt.“ Ich danke Ihnen, dass Sie in Ihrem Antrag Ihre Bundesregierung – Ihre Partei – genauso kritisieren und schlecht finden, wie ich es tue!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt, dass nicht nur das Recht auf Rechtsschutz gemäß Artikel 6 der Menschenrechtskonvention ein Menschenrecht ist, sondern auch das Recht auf effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutz. Der Staat hat daher für ein solch effektives Rechtssystem zu sorgen. Dabei soll meiner Meinung nach nicht verkannt werden, dass das in der Regel in ganz Deutschland, aber auch in Bremen eigentlich sehr gut gelingt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Verfahren sich über viele Jahre hinziehen, ohne dass ein nachvollziehbarer Grund für diese Verfahrensdauer ersichtlich ist, verlieren natürlich die Betroffenen das Vertrauen in den Rechtsstaat. Erlauben Sie mir aber bitte diese Anmerkung: Für den Rechtsuchenden ist es übrigens kein nachvollziehbarer Grund, dass sein Verfahren liegenbleiben muss, Frau Piontkowski, weil das Personal der Rechtspflege im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage von Ihnen wertvolle Stunden in die Erstellung einer Statistik investieren muss, deren abverlangte Detailliertheit von äußerst fragwürdigem Nutzen ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Welchen Gewinn Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, daraus ziehen, dass Ihnen nun bekannt ist, wie viele Eintragungen oder Löschungen im Güterrechtsregister oder im Partnerschaftsregister im Jahr 2008 vorgenommen wurden, erschließt sich mir beim besten Willen nicht!

Die Frage ist nun, wie sich dieses Menschenrecht effektiv gewährleisten lässt. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Kosten, die aufgrund eventuell geschuldeter Entschädigungszahlungen dem bremischen Haushalt entstehen können, so wie Sie es in Ihrem Antrag fordern. Es geht auch um ein System, das den Rechtsanspruch auf effektiven Rechtsschutz sichert. Hierzu halten wir es gemeinsam mit der Rechtspflege für erforderlich, dass eine Verfügung

zur Überwachung von Altfällen abgestimmt wird. Ich denke, eine solche Abstimmung ist wichtig, denn nur so wird sie auch verlässlich von den Betroffenen akzeptiert und umgesetzt. Mit dieser Verfügung könnte ein System eingerichtet werden, das so weit wie möglich verhindern soll, dass Verletzungen nach Artikel 6 der Menschenrechtskonvention geschützten Menschenrechts überhaupt eintreten.

Ich möchte aber auch noch darauf hinweisen, Frau Piontkowski – das sollten Sie wissen, Sie waren ja auch in dem Bereich tätig –, dass auch jetzt schon Berichtspflichten in verschiedenen Gerichten existieren, wenn es überlange Verfahren gibt.

Erlauben Sie mir aber auch den Hinweis, dass das in Kraft getretene Gesetz nicht nur Entschädigungszahlungen vorsieht, Frau Piontkowski, sondern im strafrechtlichen Bereich auch ein Mittel des Strafrechts und des Strafverfahrenswerkes benutzt werden kann bei überlangen Verfahren, zum Beispiel die Einstellung und die Berücksichtung bei der Strafzumessung und eben nicht gleich Entschädigungszahlungen! In Ihrem Antrag klammern Sie das meiner Meinung nach in Gänze aus.

Unser gemeinsames politisches Ziel mit unserem Koalitionspartner ist es, im Gegensatz zu Ihnen, dass natürlich zügige Gerichtsverfahren gewährleistet werden und das in allen Bereichen, auch in den Bereichen, in denen es keine Entschädigungszahlungen gibt, denn für uns ist es wichtig, dass es um dieses Menschenrecht geht. Das haben Sie, glaube ich, noch nicht verstanden, denn in Ihrer Rede haben Sie immer nur auf Gerichte Bezug genommen. Es geht hier um ein Menschenrecht, um Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Das haben Sie völlig vergessen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie versuchen hier, dieses Podium auszunutzen, um Ihre populistischen und überlangen Verfahren einfach so in die Welt zu streuen, und das finde ich nicht richtig. Ich bitte um mehr Sachlichkeit!

(Zuruf der Abg. Frau P i o n t k o w s k i [CDU])

Wir werden auf jeden Fall Ihren Antrag ablehnen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es angesichts der fortgeschrittenen Zeit relativ kurz! Ich habe mir die Kleine Anfrage und die Antworten angeschaut, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ich kenne aus meiner beruflichen Tätigkeit selbst eine ganze Menge dieser überlangen Verfahren, aber überwiegend vor Verwaltungs- und Sozialgerichten. Ich muss ganz ehrlich sagen, das dringende Problem ist nicht, ob die Leute hinterher irgendwann eine Entschädigung einfordern können, sondern dass sie tatsächlich den effektiven Rechtsschutz erhalten, gerade in den sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Bei den Eilverfahren funktioniert es, da hat ja auch die Antwort auf die Kleine Anfrage nicht viel offengelassen, aber in den Hauptsacheverfahren hapert es doch.

Ich sehe jetzt den Sinn und Zweck Ihres Antrags nicht so ganz, da muss ich der SPD recht geben, es geht um den effektiven Rechtsschutz und nicht um die Frage der Entschädigung. Es geht meiner Meinung nach in einem Punkt auch ein bisschen verquer, Sie fordern an allen möglichen Stellen, dass die Verwaltung einsparen soll. Da kommt zwangsläufig auch oft die Frage auf, wie viel Bürgerservice da offenbleibt. Wenn Sie das jetzt ausgerechnet in dem Bereich nicht fordern, denn erforderliche strukturelle Mittel bedeuten im Prinzip auch, mehr Personal bereitzustellen, dann sollten Sie einmal grundsätzlich überlegen, warum sie das immer bei einigen Bereichen fordern und bei anderen nicht.

Kurz gesagt: Wir werden uns bei dem Antrag enthalten, weil wir überhaupt nicht sehen, dass er irgendwie zielführend ist, um tatsächlich überlange Verfahrensdauern abzuschaffen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Piontkowski.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Selbstverständlich geht es um Menschenrechte, und es geht um einen Justizgewährungsanspruch. Es geht um ein Gesetz, das auf Bundesebene erlassen worden ist, weil eine Verpflichtung seitens der Bundesregierung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht, der das immer wieder angemahnt hat.

(Abg. Frau D o g a n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Warum hat sie das nicht umgesetzt?)

Wir reden hier über etwas, das die Bundesregierung geschaffen hat. Seit zehn Jahren war dieses Gesetz im Köcher, und jetzt ist es endlich geschafft, und dann sollen wir es nicht schlechtreden, sondern wir sollten wirklich sagen, dass es eine wunderbare Sache ist.

(Beifall bei der CDU)

Denn das Gesetz hat – und das haben Sie, glaube ich, noch nicht verstanden – zwei verschiedene An

satzpunkte. Der erste Ansatzpunkt ist, dass seitens des Bürgers gerügt wird, dass das Verfahren zu lange dauert. Das soll das Gericht und im Nachhinein natürlich auch den Justizsenator und damit auch Herrn Staatsrat Professor Stauch antreiben, dass die Organisation der Gerichte und der Staatsanwaltschaften so beschaffen ist, dass das auch funktioniert. Das heißt, dass es tatsächlich möglich ist, das umzusetzen. Es geht dort um strukturelle Maßnahmen, und da kann man einiges machen.

Ich will Ihnen nur einige Probleme der letzten Jahre aufzeigen. Ein Problem war, dass es durch lange Krankheitsstände zu Verfahrensrückständen kam. Ich habe das mit der Kleinen Anfrage auch deswegen angefragt, weil es uns wichtig war, dass nicht immer nur der Justizsenator über die Zahlen verfügt. In der Vergangenheit war es nämlich so, er hat uns die Zahlen im richtigen Moment vorgehalten und gesagt, die Zahlen sagen das, und jene Zahlen sagen etwas anderes. Ich möchte aber die Zahlen komplett haben, damit ich auch mit diesen Zahlen argumentieren kann. Dieses Recht lasse ich mir auch nicht nehmen!

(Beifall bei der CDU)

Es ist eine seltsame Art von Ihnen, nicht von Ihnen persönlich, aber von einigen Parteien, was ich in letzter Zeit hier als Beschneidung von Rechten der Gerichte erlebt habe, wo Gerichte kritisiert werden. Jetzt wird die CDU dafür kritisiert, dass sie von ihrem Recht Gebrauch macht, eine Kleine Anfrage zu stellen, also das finde ich schon ein starkes Stück!

(Beifall bei der CDU)

Sie haben offensichtlich auch noch nicht die Organisation von Gerichten und Staatsanwaltschaften verstanden, dass nicht die Richter oder die Staatsanwälte das beantwortet haben, sondern die Justizverwaltung, sie verfügt nämlich über die Listen. Die Listen, nämlich die sogenannte Berliner Tabelle, in der alles schön aufgelistet ist, liegen der Justizverwaltung vor. Man hätte sie im Prinzip nur kopieren müssen, dann hätte man die anderen Bundesländer, deren Daten man nicht haben will, herausnehmen können, und schon hätte man alles gehabt.

(Abg. Frau D o g a n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Dann kannten Sie ja die Antwort!)

Das wäre eine Sache von wenigen Stunden gewesen, dann muss man das jetzt nicht so aufbauen, dass wir die gesamte Gerichtsverwaltung lahmlegen, das ist völlig abwegig.

(Beifall bei der CDU)

Endlich haben wir einmal die Daten und können damit auch argumentieren. Wenn ich mir das durch

lese, vielleicht haben Sie sich es auch angeschaut, stelle ich fest, dass die Langzeiterkrankungen bei den Gerichten ganz enorm sind: Beim Amtsgericht Bremen waren 30 Mitarbeiter im Jahr 2011 langzeiterkrankt. Beim Verwaltungsgericht waren von 31,6 Mitarbeitern 18 langzeiterkrankt, beim Sozialgericht waren von 32 Mitarbeitern 16 langzeiterkrankt. Das muss man sich einmal zu Gemüte führen, was das für die Organisation der Gerichte bedeutet. Das meine ich damit, deswegen sind mir die Zahlen so wichtig!

(Abg. Frau D o g a n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das Thema hat etwas mit Menschen- rechten und Bürgerrechten zu tun, aber nicht mit dem, was Sie davon machen!)

Ja, natürlich! Das können Sie aber nicht machen, wenn die Richter krank sind und wenn die Bedingungen an den Gerichten das Problem sind, dass sich keine Verbesserungen ergeben. Man kann da einiges machen. Man hat viele Frauen, die in Mutterschutz und in Elternzeit gehen, das muss man auch einmal sehen. Seitens der Personalräte und der Frauenbeauftragten ist gefordert worden, dass man Springerstellen einrichtet, sodass es dann auch eine Vertretung gibt und die Verfahren erst gar nicht alt werden. All das ist aber nicht vorgenommen worden, und darüber, meine ich, muss der Justizsenator nachdenken und die entsprechenden Bedingungen schaffen.

Man kann über Kinderbetreuung nachdenken. Es hat Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft und bei den Gerichten gegeben, die seit Jahren daran gearbeitet haben, eine Kinderbetreuung einzurichten. Sie sind mittlerweile frustriert, und die Kinder sind aus dem Alter heraus, in dem sie noch in den Kindergarten gehen könnten. Sie haben sich bemüht, einen Betriebskindergarten, einen Justizkindergarten einzurichten. In dem Schreiben steht dann einfach: Sie können doch in den Kindergarten im Schnoor gehen. Soll ich Ihnen sagen, was das bedeutet und wie teuer dieser Kindergarten ist? Eine normale Geschäftstellenmitarbeiterin kann ihr Kind nicht dahin schicken. Sie müsste dann schon fast Gerichtspräsidentin sein.

(Beifall bei der CDU)

Das meine ich damit, wenn die Bedingungen geschaffen werden sollen, dass man dort tatsächlich vernünftig arbeiten kann. Das hat überhaupt nichts mit Druck zu tun, der hier aufgebaut werden soll, sondern mit einer Verpflichtung der Gerichte, in einer rechten Zeit auch Recht zu sprechen. Was nützt es dem Bürger, wenn er im Zweifel schon im Grab liegt, wenn er dann recht bekommt? – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.