Ich würde es sehr begrüßen, wenn in der nächsten Deputationssitzung, in der wir auch das Thema der Passlosigkeit abräumen wollen, auch dieser Erlass beschlossen wird. Der wesentliche Unterschied zu früher ist, dass wir nun sagen, nicht mehr acht Jahre, sondern maximal drei Jahre. Wie gesagt, das geltende Recht setzt uns da deutliche Grenzen. Ich glaube aber, dass dies in der Tat schon einmal ein großer Schritt nach vorn wäre. Es sind fünf Jahre weniger als sonst, sodass jemand auch dann wirklich mit 18 Jahren die Staatsbürgerschaft erreichen kann, und das wäre schon ein großer Fortschritt.
Das allein reicht noch nicht ganz aus, weil es natürlich eine weitere Hürde gibt, die heißt, dass man in der Lage sein muss, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Wir nehmen wieder den Fall
des Fünfzehnjährigen! Ich glaube, es ist maßlos, dies zu fordern, deswegen muss es ausreichen, wenn wir in diesem Erlass sagen, wir müssen eine positive Prognose ermöglichen, das heißt, wenn jemand es geschafft hat, die Schule zu absolvieren, einen vernünftigen Abschluss mitzubringen, und dann, wie gesagt, auch die Perspektive hat, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, dann muss das erst einmal reichen, und es darf keine weitere Hürde sein, um dieses Thema zu beenden. Also, wie gesagt, wir sind daran, und ich hoffe, dass wir noch im Juli diesen neuen Erlass in Kraft setzen können.
Letzter Punkt! Dass unser Staatsbürgerschaftsrecht nicht mehr zeitgemäß ist, ist, glaube ich, inzwischen auch bei der Union angekommen. Dieses Thema, diese Optionspflicht, dass wir diejenigen, die hier geboren sind, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben – das gibt es ja nun auch –, mit 18 Jahren dann zwingen, sich zwischen ihrer Familie und der deutschen Staatsbürgerschaft zu entscheiden, muss beseitigt werden. Ich hoffe, dass die Mehrheiten im Bundesrat so nach und nach wachsen. Wir haben ja schon drei Initiativen gestartet, und irgendwann, da bin ich sicher, haben wir auch einen Punkt, an dem diese Optionspflicht ersatzlos gestrichen wird.
Dass es sich hier um eine reine Ideologie handelt, sieht man ja auch, wenn man sich die Verhältnisse in den anderen Bundesländern anschaut. Inzwischen ist es so, dass 53 Prozent aller in der Bundesrepublik Eingebürgerten die doppelte Staatsangehörigkeit besitzen.
Das zeigt im Grunde genommen, wie sich hier Realität und Gesetzeslage völlig auseinanderentwickelt haben. Bisher war es so, dass man nur ausnahmsweise akzeptiert hat, dass man noch eine Staatsbürgerschaft eines anderen Landes hatte.
Inzwischen ist es die Regel geworden, und es hängt einfach mit den Problemen zusammen, die wir auch gestern diskutiert haben. Versuchen Sie einmal, sich in Nigeria aus Ihrer Staatsbürgerschaft entlassen zu lassen! Selbst in der Ukraine schaffen Sie das kaum oder nur unter ganz erschwerten Umständen. Sie müssen dahin reisen und einiges investieren. Das ist alles nicht mehr zeitgemäß, und deswegen denke ich auch, wir werden spätestens bei der nächsten Wahl dafür sorgen, dass auch dieser letzte Rest der Vergangenheit fällt. – Danke sehr!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Gemäß Paragraf 51 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung lasse ich zunächst über den Änderungsantrag, Drucksache 18/436, der Fraktion DIE LINKE abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/436 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! interjection: (Dafür DIE LINKE)
Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Änderungsantrag ab. Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/414 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! Ich bitte um die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu. (Einstimmig)
Alphabetisierung im Land Bremen Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 13. März 2012 (Drucksache 18/294)
Erwachsene Menschen beim Lesen und Schreiben lernen mehr unterstützen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der CDU vom 6. Juni 2012 (Neufassung der Drucksache 18/449 vom 5. Juni 2012) (Drucksache 18/453)
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass es bei dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/453 in dem Absatz 1 Satz 1 statt „erwerbstätigen Deutschen“ „erwerbsfähigen Deutschen“ heißen muss.
Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie darauf verzichten wollen, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ungefähr 70 000 Bremerinnen und Bremer können nicht richtig lesen und schreiben. Das ist das Ergebnis, zu dem das Statistische Landesamt Bremen nach einer Studie der Universität Hamburg kommt.
Noch im September 2010 ging Frau Senatorin Jürgens-Pieper in einer Rede hier in der Bürgerschaft davon aus, dass es in Bremen circa 35 000 Menschen gibt, die nicht richtig lesen und schreiben können. Das Ziel der UN-Weltalphabetisierungsdekade, die Zahl der Analphabeten bis zum Jahr 2012 zu halbieren, hat sich nach dieser Studie für Deutschland ins Gegenteil verkehrt. Die offizielle Zahl der betroffenen Menschen hat sich nicht nur für Bremen verdoppelt, und ich glaube nicht, dass die Zahlen sich nach unten korrigieren lassen. Frau Senatorin Jürgens-Pieper hat damals in ihrer Rede auch gesagt, dass wir – ich zitiere – „nur durch solche Veranstaltungen, wie wir sie heute haben, sagen können: Traut euch, wir haben Angebote, wir können euch helfen!“ Das stimmt jedoch nur bedingt, denn leider hören ja nicht alle Menschen mit Schreibund Leseproblemen unseren Bürgerschaftsdebatten zu, wobei mündliche Werbung für Menschen mit Schreib- und Leseproblemen auf jeden Fall ein gutes Mittel ist, um sie zu erreichen. Vielleicht wäre ein Radiospot eine gute Idee, so wie er auch in der Nationalen Strategie für Alphabetisierung vorgeschlagen wird! Über 1 000 Bremerinnen und Bremer besuchten im letzten Jahr einen Kurs, um ihre Schreib- und Lesekenntnisse zu verbessern. Das waren immerhin 1 000 Menschen, die beschlossen hatten, sich in ihrer Not helfen zu lassen. Jeder Entschluss, einen Kurs zu besuchen, ist ein Gewinn, zuerst für die Betroffenen ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Menschen, die ständig sagen, dass sie ihre Brille vergessen haben, oder sich andere Ausreden einfallen lassen, um nicht aufzufallen oder erkannt zu werden, haben einen Schatten auf ihrem Alltag, der ihre Lebensfreude dämpft. Manche dieser Menschen müssen aber nur nett und sensibel ermuntert werden, ihre Schreib- und Leseschwierigkeiten anzugehen. Wer offiziell gesagt bekommt, Klasse, dass du dich auf den Weg machst und so offensiv mit deinen Problemen umgehst, ist eher bereit, den Schritt in einen Kurs zu wagen.
Es reicht aber nicht aus, wie heute hier einmal wieder darauf aufmerksam zu machen, obwohl das schon ein recht gutes Signal ist. Mehr dafür zu werben und ein noch strategischeres Herangehen an das Thema würde sicherlich noch mehr Menschen im Land Bremen ermuntern, einen Kurs zu besuchen. Doch genau darin liegt eines der größten Probleme: Da die Einrichtungen wegen der finanziellen Lage keine zusätzlichen Kurse anbieten können, wird auch nicht offensiv geworben.
Nun können wir der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage ja trotzdem entnehmen, dass in Bremen einiges getan wird, aber eben am Ende nur so viel, dass die Spitze des Eisbergs ein wenig abgetragen werden kann. Mit 1 000 Kursplätzen jährlich kann sich jeder selbst ausrechnen, wie viele Jahre es dauern würde, um alle 70 000 Betroffenen zu unterrichten, wenn sie es denn wollten.
Am Ende ist es jedenfalls auch wieder Bremen, das zuzahlt, wenn die Betroffenen ihr Versteckspiel weiterspielen, denn nicht wenige dieser Menschen laufen Gefahr, psychisch so zu leiden und sich so ausgegrenzt zu fühlen, dass sie krank und arbeitsunfähig werden. Gleichberechtigte Teilhabe am normalen Leben in einer Gesellschaft wie unserer ist ohne Schreib- und Lesekenntnisse einfach nicht möglich.
In Anbetracht der eigenen finanziellen Lage muss Bremen aber auch alle verfügbaren Fördermittel nutzen, wie zum Beispiel jene aus dem Europäischen Sozialfonds, die ab dem Jahr 2014 zum Thema Grundbildung bereitgestellt werden. Es beruhigt mich da nicht, dass Sie in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage schreiben, dass Sie die Mittel gegebenenfalls nutzen möchten. Bremen muss zielstrebig darauf hinarbeiten, schon ab Beginn des Jahres 2014 die zusätzlichen ESF-Mittel in voller Höhe einzusetzen.
Insgesamt erwarte ich, dass sich Bremen der Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung nicht nur auf dem Papier verpflichtet fühlt, sondern dass es dafür auch ein Bremer Konzept geben wird, anhand dessen man nachvollziehen kann, ob die Anstrengungen zur Alphabetisierung auch gesteigert werden. Wir haben dafür jetzt auch einen gemeinsamen und, wie ich finde, guten Antrag vorlie
Abschließend möchte ich noch einmal jeden Betroffenen und jede Betroffene ermutigen loszugehen und das Schreiben und Lesen zu lernen. Es ist bewundernswert und nie zu spät, wenn sich jemand auf den Weg macht. – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! 14,5 Prozent aller erwerbsfähigen Deutschen sind funktionale Analphabeten, das entspricht 7,5 Millionen Menschen. 4,4 Millionen von ihnen haben Deutsch als Muttersprache und 3,1 Millionen eine andere Muttersprache. Das geht aus einer Studie der Universität Hamburg im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervor. Es gibt keine Bremer Daten, sondern nur hochgerechnete Daten, nach denen es 60 700 Menschen sind. Davon sind 18 800 Analphabeten im engeren Sinne, also Menschen, die nur einzelne Wörter buchstabieren können. 60 700, das ist jede siebte Bremerin und Bremerhavenerin und jeder siebte Bremer und Bremerhavener. Das heißt, das Weserstadion wäre eineinhalbmal gefüllt, also sehr viele Menschen! Als ich die Studie gelesen habe, war ich sehr betroffen und habe auch mit dieser hohen Zahl in der Tat nicht gerechnet. Ich freue mich, dass in diesem Haus Einigkeit darüber besteht, dass es Handlungsbedarf gibt. Aus meiner Sicht ist lesen und schreiben können eine Grundvoraussetzung für Teilhabe an unserer Gesellschaft, für Chancen auf eine existenzsichernde Arbeit und eine wesentliche Voraussetzung für die Geschäftsfähigkeit, denn es kann und darf nicht sein, dass Menschen, die Verträge eingehen, diese nicht lesen können. interjection: (Beifall)
Die Scham, das Versteckspiel und sich nicht outen zu wollen sind ein großes Leid und Dilemma für die Betroffenen, und das macht es uns auch sehr schwer, Hilfe anzubieten, wenn man die Menschen nicht kennt. Aus der Großen Anfrage sind einige Antworten hervorgegangen, wie gehandelt werden muss. Wir haben zum Beispiel am Ende der letzten Legislaturperiode das Weiterbildungsgesetz novelliert, in dem zentral eine Weiterbildungskonzeption verankert ist, die alle drei Jahre fortgeschrieben werden soll, und ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
in dem ein deutlicher Schwerpunkt auf Grundbildung gesetzt worden ist. Damit wurden richtige und wichtige Weichen gestellt. Dieser Weg muss aus meiner Sicht in der Zukunft konsequent weiter beschritten werden.
Aus der Antwort des Senats geht auch hervor, dass die Ressorts Bildung, Finanzen und Kultur, der Magistrat Bremerhaven, die Agenturen für Arbeit, die Jobcenter und die Weiterbildungsträger eine Arbeitsgruppe gegründet haben. Das ist zu begrüßen. Aus meiner Sicht haben sie die wichtigsten Herausforderungen zu bewältigen, die da heißen: Wie bekommen wir überhaupt einen ausreichenden Kontakt zu den Betroffenen? Wie helfen wir ihnen, aus der Isolation herauszufinden? Hier noch einmal: Es geht darum, dass sie nicht allein sind, es ist jeder Siebte in Bremen und Bremerhaven. Wie unterbreiten wir angemessene Angebote? Deshalb unser Antrag!
Wir wollen bis Ende des Jahres ein abgestimmtes, ressortübergreifendes Konzept unter Beteiligung des Magistrats Bremerhaven, der Agenturen für Arbeit, der Jobcenter und der Weiterbildungsträger. Dabei sollen Maßnahmen und eine angemessene Finanzierung sichergestellt werden. Wir wollen, dass danach den entsprechenden Deputationen regelmäßig über den Stand der Umsetzung berichtet wird. Des Weiteren wollen wir, dass der Senat eine zielgruppengerechte Öffentlichkeitskampagne initiiert, die geeignet ist, diese Menschen auf dem Weg aus der Isolation zu unterstützen, und die sie auf die Weiterbildungsangebote aufmerksam macht.
Ich freue mich, dass dieses Anliegen in diesem Haus breit getragen wird, bedanke mich sehr dafür und möchte noch eine abschließende Bemerkung machen. Ich habe mich sehr über die sehr gute und sehr einfühlsame Berichterstattung einer großen Bremer Tageszeitung gefreut, und ich würde mir wünschen, wenn die Politik sich überhaupt etwas von den Medien wünschen darf – die Debatten hier werden ja auch von Rundfunk und Fernsehen übertragen –, dass das Thema verstärkt aufgegriffen und auf die Angebote zum Lesen- und Schreibenlernen verstärkt aufmerksam gemacht wird. Ich glaube, das würde diesem Anliegen sehr helfen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Alphabetisierung im Land Bremen ist eine wichtige Aufgabe, die in erster Linie von den Schulen unseres Landes wahrgenommen wird, aber, wie Untersuchungen der leo.-Studie aus dem Jahr 2010 zeigen, auch eine Aufgabe ist, der wir uns als Gesellschaft insgesamt stellen müssen.