Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Nur eine kleine Minderheit muss Leistungen aus den Sozialkassen beziehen, und davon wiederum macht dies eine kleine, winzige Minderheit, ohne dazu berechtigt zu sein. Ich bin unserem Senat dafür dankbar, dass er einmal ganz klar sagt, die Situation in Bremen – und das möchte ich auch in Richtung CDU sagen – sei mit anderen Städten wie Dortmund und Duisburg nicht vergleichbar, aber wir sollten genauso wenig mit dem Finger dorthin zeigen, denn auch in Bremen gibt es Mietwucher. Auch hier gibt es illegale Beschäftigungsverhältnisse, und es gibt auch in Bremen Menschen, die die Notlage dieser Menschen ausnutzen und davon profitieren. Darauf müssen wir uns konzentrieren und Abhilfe schaffen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte noch einmal den Bericht des Senats loben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass in dem Bericht die Einwanderer erst einmal als Neubürgerinnen und Neubürger bezeichnet werden, ich habe mich aber auch über die klare Aussage gefreut, dass wir es uns nicht leisten können, die Potenziale der Zuwanderer einfach brachliegen zu lassen.

Der Senatsbericht stellt konkret fest, dass es eine Gruppe von Einwanderern gibt, die in ihren Herkunftsländern schon seit Langem struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind, und diese Minderhei

ten werden auch nicht ausreichend geschützt, das sind die Roma, um die es auch in Ihrem Antrag geht, Frau Grönert. Die Roma bilden die größte Minderheit in Europa. Sie leben meistens in Armut, haben vielfach keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung, aber auch zu Bildungssystemen, und auch keinen angemessenen Wohnraum. Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit gehören zur Lebensrealität dieser Menschen. Angesichts dieser Situation spricht der Senat in seinem Bericht von nachvollziehbaren Motivationsgründen, das ist völlig richtig, und ich möchte hinzufügen, dass diese Auswanderer eine Chance für ein besseres Leben suchen, und das ist auch nachvollziehbar.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir können nicht einfach sagen, dass das uns nichts angeht, wie viele Politiker es aus Kreisen der CDU sowohl in Bremen, aber auch im Bundestag und in anderen Bundesländern sagen, es ist nämlich ein europäisches Thema. Es ist richtig, das Problem der Roma ist eine europäische Herausforderung, und es geht hier nicht um den Wahlkampf, Frau Grönert.

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Es ist ein europäisches Thema, und in drei Tagen wählen wir alle, und ich denke, dieses Problem können wir nicht einfach nur den Roma überlassen, sondern es gehört auch zur europäischen Gesellschaft.

Ich möchte noch ein paar Sätze zum Antrag der CDU sagen, bevor ich mich dann noch einmal melde. Ich stelle häufig eine ziemlich starke Diskrepanz fest zwischen unseren Diskussionen in der Bürgerschaft und dem, was die Bundespartei anstrebt, liebe Abgeordnete der CDU. In diesen Tagen hört man zum Beispiel, dass Ihr Innensenator plant, Entschuldigung, Ihr Innenminister plant, die gesetzliche Regelung der problematischen Abschiebepraxis zu verändern und zu verankern.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Welcher In- nensenator? Den stellen Sie doch!)

Gleichzeitig diskutieren aber Sie in Bremen eine Initiative, die meiner Ansicht nach durchaus mit dem Inhalt Ihres Antrags auch eine Perspektive für eine lange Integration zeigt. Deshalb möchte ich sagen, hier sehe ich Anknüpfungspunkte, die es auch zu unserem Antrag gibt. Ich denke aber, unser Antrag geht weiter, und wir ergänzen die bisherige Bremer Politik. In einem nächsten Beitrag werde ich noch etwas näher darauf eingehen. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Tuchel, Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Zuwanderung aus Osteuropa steht derzeit im Fokus der politischen Debatte und der medialen Aufmerksamkeit. In diesem Kontext wird vor allem die sogenannte Armutszuwanderung thematisiert. Dabei handelt es sich um Menschen, die aufgrund ihrer prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage im Hinblick auf die Gruppe der Roma-Familien auch mit Vertreibungsdruck nach Deutschland kommen, verbunden mit der Hoffnung, ihre Lebenssituation zu verbessern. Die aktuelle Debatte um die Armutszuwanderung verkennt dabei die Tatsache – und teilweise geschieht dies im Zuge des politischen Missbrauchs des Themas mit voller Absicht, was wir gerade heute durch die Einstellung der CDU auch festgestellt haben –, dass die überwiegende Zahl der zugewanderten Unionsbürgerinnen und -bürger gut ausgebildet und motiviert ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Heute diskutieren wir den Senatsbericht, das Konzept, die Maßnahmen zur Aufnahme und Integration von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien im Land Bremen. Es stimmt – ich stimme der CDU hierbei vollkommen zu –, dass wir uns schon vor einem Jahr auf den Weg gemacht haben und uns dieses Thema wichtig ist. Wir begleiten dieses Thema sachlich und nicht demagogisch, wie die CDU es macht.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich möchte mich für den vorliegenden Bericht und das Ergebnis bei der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe bedanken. Das vorliegende Konzept ist umfassend, beinhaltet viele Facetten, trägt zu der Versachlichung der Diskussion über Zuwanderung aus Osteuropa bei, bricht Tabus und macht auf die spezifische Problemlage vor Ort aufmerksam. Ich bin froh, dass keine ethnisch orientierte Herangehensweise in den Vordergrund gestellt wird.

Der Bericht thematisiert Herausforderungen, offene Fragestellungen und die ersten Lösungsansätze für eine Zuwanderung von Personen, die unter schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen sowohl in ihrem Herkunftsland als auch in Deutschland leben. Die in Rede stehenden Zugewanderten machen von ihrem Freizügigkeitsrecht innerhalb der EU Gebrauch, das Recht auf Freizügigkeit ist ein wesentliches Freiheitsrecht innerhalb der EU.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Viele gut qualifizierte Menschen aus Rumänien und Bulgarien sind zu uns nach Deutschland gekommen,

haben sich auf dem Arbeitsmarkt etablieren können, sind willkommen bei uns, und es gelingt ihnen die Integration in die Gesellschaft. Andere benötigen hingegen mehr Beratung, mehr Ressourcen, mehr Unterstützung. Wenn es gelingt, Zugewanderte in Bildung und Arbeit zu integrieren, können sie langfristig einen entscheidenden Beitrag für Deutschland leisten. Dafür müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen.

Es ist sehr wichtig, dass offenen Fragen wie die rechtlichen Grundlagen beziehungsweise der Zugang zu existierenden Leistungen, Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, Zugang zu Bildungs- und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche und der Zugang zu Wohnraum geklärt werden. Genau mit diesem Ziel, Frau Grönert, haben wir den Antrag „Bremen bekennt sich zur europäischen Freizügigkeit und fördert die Integration der neuen EU-Bürger und EU-Bürgerinnen aus Osteuropa“ eingebracht.

(Beifall bei der SPD)

Die Fraktion der SPD setzt sich für die weitere Verbesserung der Integration von bulgarischen und rumänischen Zuwanderinnen und Zuwanderern ein. Mit unserem koalitionären Antrag ergänzen wir die Maßnahmen, die im vorgelegten Senatsbericht geplant sind, es geht dabei um konkrete Schritte sowohl auf der landesrechtlichen als auch auf der bundespolitischen Ebene. Dieser Antrag ist unterstützenswert. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Herr Dr. Korol, Gruppe der BIW.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir von BÜRGER IN WUT bewerten den Bericht des Senats über das Konzept und die Maßnahmen zur Aufnahme und Integration von armen EUBürgerinnen und EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien im Land Bremen überwiegend positiv. Das mag einige von Ihnen erstaunen, ich nenne Ihnen den Grund.

Nach dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 20. Mai 2014 stellt sich der Senat den neuen Fragen der Aufnahme und Integration, die sich durch den Zuzug von bulgarischen und rumänischen Familien nach Deutschland und eben auch nach Bremen aufwerfen. Der Bericht legt bei aller Schönfärberei hier und da erschreckende Fakten offen, die sonst gern unter den Teppich gekehrt werden, obwohl sie für viele Bürgerinnen und Bürger im Alltag längst sichtbar sind. Die meisten Bremer Medien schwiegen Probleme mit der Armutszu

wanderung aus Osteuropa bislang weitgehend tot. Das wird nach diesem Bericht nicht mehr möglich sein.

Frau Kollegin Mohammadzadeh hat eben zu Recht darauf hingewiesen, dass am 1. Januar 2007 die zunächst beschränkte Personenfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren in der Europäischen Union in Kraft trat. Seitdem hat sich die Zahl der im Land Bremen lebenden Bürger aus diesen EU-Staaten verfünfzehnfacht, wir hörten die Zahl, 6 000 Menschen sind es jetzt. Mit dem Wegfall der Freizügigkeitsbeschränkung für rumänische und bulgarische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit dem 1. Januar 2014 dürfte sich die Zahl der Zuwanderinnen und Zuwanderer aus diesen Mitgliedsstaaten erhöhen. Wie das Haushaltsnotlageland Bremen mit seinen Städten Bremen und Bremerhaven die damit verbundenen Herausforderungen integrativ und finanziell bewältigen will, bleibt uns von BÜRGER IN WUT jedenfalls ein Rätsel.

Der erwähnte Antrag der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD listet Hilfsforderungen an den Bund, an die Regierungen der Herkunftsländer, an Brüssel und an die Krankenkassen auf. Diese Forderungen sind mehr als berechtigt, aber Bremen hat kaum Einfluss auf den Erfolg. Der Senat gibt an keiner Stelle seiner immerhin 37 Seiten umfassenden Mitteilung eine Auskunft über die Kosten, die für die Bremer Gebietskörperschaften infolge der Armutszuwanderung bislang angefallen sind. Ebenso fehlt eine Prognose, mit welchen finanziellen Belastungen für die Zukunft zu rechnen ist, etwa für die Sozialleistungen, die Gesundheitsfürsorge oder die notwendigen Mehrinvestitionen in das Bildungssystem. Wir BÜRGER IN WUT bitten darum, diese Zahlen nachzureichen.

Auf Seite fünf seines Berichts erläutert der Senat, dass EU-Bürger im Rahmen der Personenfreizügigkeit in den ersten drei Monaten ein bedingungsloses Aufenthaltsrecht genießen. Weiter heißt es, ich zitiere: „Auch darüber hinaus ist ein erlaubter Aufenthalt anzunehmen, solange nicht das Entfallen des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde bestandskräftig festgestellt wurde.“

Zweck dieser Regelung ist es, die Inanspruchnahme des deutschen Sozialstaats durch Armutszuwanderer zu verhindern. In wie vielen Fällen die Ausländerbehörden im Lande Bremen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, ist dem Bericht des Senats nicht zu entnehmen. Dabei räumt der Senat ein, dass nicht alle Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien über den eigentlich erforderlichen Krankenversicherungsschutz verfügen. Stattdessen wird ausführlich darüber referiert, was man alles tun könnte, um auch EU-Zuwanderer ohne Krankenversicherung in Bremen medizinisch zu versorgen. Das erfolgt bekanntlich bisweilen durch private Initiativen,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das sind halt Menschen!)

was für diese Stadt spricht, grundsätzlich aber durch das Sozialressort und zulasten des bremischen Haushalts.

Offen bleibt auch die Frage, wie viele nicht erwerbstätige EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien, die sich im Land Bremen niedergelassen haben, über die erforderlichen Existenzmittel verfügen, um nach Ablauf der 3-Monats-Frist ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Angeblich führt das Land Bremen, das sonst jede Schraube erfasst, darüber keine Statistik, so zumindest lautete die Antwort von Innensenator Mäurer auf eine Anfrage von BÜRGER IN WUT im März 2012.

(Glocke)

Wir sprachen in diesem Hohen Haus in den vergangenen Monaten immer wieder über die ansteigende Kriminalitätsentwicklung im Land Bremen. Die Zahl der Straftaten, die bei uns lebende rumänische und bulgarische Staatsbürger verübten, verdreifachte sich innerhalb von vier Jahren.

(Glocke – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Dafür, dass15-Mal so viele ge- kommen sind!)

Es hält sich in Grenzen und ist positiv zu bewerten. Genau das ist auch unser Ziel, eine möglichst positive Entwicklung.

Herr Dr. Korol, Ihre Redezeit ist zu Ende!

Dann bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und hoffe auf die zweite Runde! – Danke schön!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ist ein hohes Gut. Umfragen des „Europabarometer“ – es enthält Meinungsumfragen der Europäischen Kommission – zeigen, dass die EU-Bürger mit einem Anteil von 56 Prozent die Freizügigkeit als größte Errungenschaft der EU ansehen, in Deutschland sind es sogar 66 Prozent. Doch diese Freizügigkeit galt bis vor Kurzem nicht für alle Menschen in der EU in gleicher Weise. Meine Kollegin Frau Dr. Mohammadzadeh hat es gesagt, seit nunmehr sieben Jahren gehören auch Rumänien und Bulgarien zur Europäischen Union, das sind sieben Jahre, in denen für die Bürgerinnen und Bürger dieser beiden Länder nicht die gleichen Rechte der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegolten haben wie für Angehörige anderer Länder.

Da es sich im europäischen Vergleich um zwei der ärmsten Länder handelt, machten einige reichere Nationen von einer Übergangsfrist dieser besagten sieben Jahre Gebrauch, Menschen aus Rumänien und Bulgarien den dauerhaften Aufenthalt als Arbeitnehmer in ihren Ländern zu erschweren, Deutschland gehörte dazu. Mit dem 1. Januar 2014 ist nun das Ende dieser Ungleichbehandlung gekommen, und in Deutschland gilt seither auch für Menschen aus Rumänien und Bulgarien das volle Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Mit dem nahenden Ende dieser Einschränkungsfrist nahmen, leider wenig überraschend, auch die Stimmen derer zu, die in Deutschland vor Armutszuwanderung und der Erschleichung von Sozialleistungen im großen Stil warnten. Das Zerrbild einer bedrohlichen Armutsmigration, wie es unter anderem, meine Damen und Herren von der CDU, Ihre Schwesterpartei, die CSU zeichnet, ist allerdings falsch. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft vom Januar 2014 sorgt die Migration aus diesen beiden Ländern zu einer Verbesserung des Fachkräfteanteils unter Arbeitnehmern. Unter dem Strich profitiert Deutschland von den Freizügigkeitsregelungen, insbesondere auch von dem Beitrag und den Steuerleistungen der eingewanderten Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Dies haben ebenfalls Studien ergeben.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für einen oftmals beklagten, jedoch nie belegten verbreiteten Missbrauch gibt es keine Anhaltspunkte, dabei will ich nicht verleugnen, dass es auch Menschen gibt, die nur aus purer Armut ihre Heimat verlassen, um in Deutschland und damit in einem der reichsten Länder der Welt eine bessere Zukunft für sich und ihre Familie zu suchen. Millionen von Deutschen haben im 19. und 20. Jahrhundert nichts anderes getan, als sie über Bremerhaven den Weg nach Amerika auf sich nahmen, um der Armut hierzulande zu entfliehen, und die USA waren zur damaligen Zeit nicht so reich, wie Deutschland es heutzutage ist. Niemand verlässt aus lauter Langeweile seine Heimat und lässt seine Freunde, sein vertrautes Umfeld, seine Wurzeln, seine Sprache und seine Kultur zurück, das macht niemand, meine Damen und Herren!