Protokoll der Sitzung vom 18.06.2014

Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen aufnehmen

Antrag der Fraktion der CDU vom 15. Januar 2013 (Drucksache 18/725)

(Abg. Ts c h ö p e [SPD]: Müssen Dicke raus?)

Das müssen Sie entscheiden, Sie sind – –. Nicht Sie persönlich, Herr Tschöpe, Entschuldigung!

(Heiterkeit)

Wir verbinden hiermit:

Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen aufnehmen

Bericht der staatlichen Deputation für Gesundheit vom 23. April 2014 (Drucksache 18/1363)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Härtl.

Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion der CDU „Kampf gegen Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen aufnehmen“ vom 15. Januar 2013, Drucksache 18/725, ist von der Bürgerschaft (Landtag) in ihrer 38. Sitzung am 14. März 2013 zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Gesundheit überwiesen worden. Diese Deputation legt mit der DrucksachenNummer 18/1363 ihren Bericht dazu vor.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bensch, Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Präsident hat den Hintergrund eben zu Recht genannt. Es gab vor über einem Jahr einen Antrag der CDU-Fraktion zu diesem Thema und dann eine Überweisung an die Deputation. Ich habe es damals schon gesagt, das ist eine Beerdigung erster Klasse, und ich kann Ihnen ganz deutlich sagen, es war ein jämmerlicher Vorgang, wie man damit umgegangen ist.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten, dass ich Anfang des Jahres an den Gesundheitssenator schreiben und ihn daran erinnern musste, sich darum zu kümmern, weil sich bis dahin keiner darum gekümmert und es weder einen Bericht noch eine Diskussion in der Deputation gegeben hatte. Das zeigt, dass das Gesundheitsressort dieses Thema von Anfang an nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit angegangen ist, und das kann und will die CDU nicht gutheißen.

(Beifall bei der CDU)

Es nützt dann auch nichts, wenn man einen netten Brief bekommt, die Glaubwürdigkeit mag ein jeder selbst beurteilen. Ich halte es für absolut schäbig, so mit Parlamentariern umzugehen, die hier Anträge im Hohen Haus verabschieden und diese dann an das Gesundheitsressort zur Bearbeitung geben.

Nun aber zur Sache! In dem Bericht der Deputation für Gesundheit stehen ein paar gute Dinge. In Bremen wird schon viel getan, was Prävention und Begleitung angeht, und es wird auch viel getan, was die Therapie angeht. Unserer Meinung nach fehlt aber ein ganzheitliches Konzept, deswegen steht auch in unserer Überschrift „Kampf aufnehmen“, weil es nur mit ein paar pflichtgemäßen Übungen nicht getan ist. Wer selbst große Kinder hat, die sich in Bewerbungssituationen befinden – anonymisierte Bewerbungs

verfahren hin oder her, wir sprechen hier nicht von einem leichten Übergewicht, sondern Fettleibigkeit, Adipositas, das ist schon etwas ganz anderes! –, der weiß, wie schwer es Kinder und Jugendliche haben, die vor einer Lebensentscheidung stehen, wie zum Beispiel vor einer Bewerbung, und deswegen ist es unsere Pflicht, alles dafür zu tun, dass für diese Menschen, die Betroffenen Chancengleichheit hergestellt wird, und das heißt, man muss den Kampf gegen Fettleibigkeit im frühen Kindesalter aufnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen halten wir auch an unserem Antrag fest.

Wir wollen ein ganzheitliches, ein richtig großes Schwerpunktgebiet hierzu machen, Sie wollen das angeblich nicht. Sie werden nachher eine Beschlussempfehlung hören, dass der Antrag der CDU abgelehnt wird, und dort heißt es dann vonseiten der Deputation, die Empfehlungen des Antrags der Fraktion der CDU seien durch bestehende Aktionen bereits umgesetzt oder die Aktionen, die vorgeschlagenen Maßnahmen der CDU erschienen nicht umsetzbar.

Wer dieses Thema wirklich zu einem politischen Schwerpunktthema macht, der würde es an sich reißen, der würde sagen, jawohl, ein ganzheitliches Konzept muss her. Rot-Grün will das nicht, die CDU will das, das ist eine klare Abgrenzung. Ich bitte Sie also noch einmal darum, unserem umfassenderen Antrag zuzustimmen und der Beschlussempfehlung nachher nicht zu folgen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede dritte Person zwischen 15 und 17 Jahren in Bremen ist übergewichtig, da müssen die Alarmglocken läuten. Essstörungen sind unter Jugendlichen weit verbreitet, das ist ein echtes Problem. Magersucht, Bulimie und die sogenannte Adipositas, also Fettsucht, sind Krankheitsbilder. Es ist wichtig zu betonen, dass es da nicht um Zügellosigkeit geht, sondern um ernst zu nehmende Erkrankungen.

Ich möchte aber auch betonen, dass nicht jedes Übergewicht gleich Krankheit bedeutet. In der Gesellschaft herrschen starke Normvorstellungen, die von der Werbeindustrie gefördert werden. Menschen, deren äußere Form wie auch immer von den Schönheitsidealen abweicht, erleben häufig Diskriminierung. Gerade Jugendliche, das hat auch mein Vorredner gesagt, setzt das stark unter Druck. Aus unserer Sicht brauchen wir daher mehr Toleranz gegenüber Andersartigkeit.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Ob junge Menschen sich dagegen entscheiden, Geschlechtertypen zu entsprechen, ob sie dick oder dünn, hell oder dunkel sind, das alles sollte keine Rolle spielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben hier schon oft über die zunehmenden Aufgaben des Bildungssystems gesprochen, die Toleranz zu fördern ist eine davon. Im Bericht der Gesundheitsdeputation wird dieser Bereich komplett ausgeklammert. Es geht dort nur um den medizinischen Bereich, aber wir hätten uns gewünscht, dass dort auch etwas zur Förderung der Toleranz steht. Natürlich ist aber auch der präventionsmedizinische Bereich wichtig, besonders wenn Essstörungen krankhaft werden und soziale Benachteiligungen zementieren.

Essstörungen gehen teilweise einher mit psychischen Problemen, oft kann man sie aber auch auf ein Umfeld zurückführen, in dem gesunde Ernährung Mangelware ist. An diesem Punkt kommen wir zur sozialen Frage. In armen Stadtteilen ist die Kindergesundheit deutlich schlechter, das betrifft besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien, Kinder aus armen Familien oder Kinder mit Migrationshintergrund. Die Lebenserwartung in den benachteiligten Bremer Stadtteilen liegt bis zu acht Jahren unter der in anderen Stadtteilen. Der Anteil übergewichtiger Kinder ist nach dem Armutsbericht vom Jahr 2009 in benachteiligten Stadtteilen mit 13,6 Prozent fast doppelt so hoch wie in privilegierten Gegenden Bremens, Tendenz steigend. In privilegierten Stadtteilen hingegen sinkt die Zahl übergewichtiger Kinder, und das hat der Senat in seinem Armuts- und Reichtumsbericht auch festgestellt. Gesundheit ist also auch eine Geldfrage.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Nein!)

Wohlhabenderen Bremer Familien gelingt es offenbar besser, Übergewicht anzugehen. Umso mehr müssen gerade benachteiligte Familien dabei unterstützt werden, die Gesundheit ihrer Kinder zu fördern.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Armuts- und Reichtumsbericht wird daher auch vorgeschlagen, gesundheitsfördernde Maßnahmen lebenswelt- und alltagsnah durchzuführen. Diese Maßnahmen sollten nach Ansicht des Senats bereits in der Kindheit ansetzen und dezentral und sozialraumorientiert angelegt sein, also unter Einbeziehung von Kitas und Schulen.

In Bezug auf die Sozialraumvernetzung sind die Antworten der Gesundheitsdeputation mager. Im Hinblick auf die Fokussierung auf Lebenswerte wird auf ein Präventionsgesetz des Bundes verwiesen, das irgendwann kommen soll. In der letzten Legislaturperiode ist dieses Vorhaben am Bundesrat geschei

tert. Ob es dieses Mal besser funktioniert, bleibt abzuwarten. Wenn mehre Mittel für Krankheitsprävention zur Verfügung gestellt würden, wäre das ja schon einmal gut. Damit die Sozialraumvernetzung dann aber auch funktioniert, müssen eben auch in Kitas, Schulen und im Gesundheitssystem Zeitkontingente zur Verfügung stehen. Dann wird der Senat gefragt sein.

Der Antrag der CDU enthält zwar gute Vorschläge, zielt aber einseitig auf Fettleibigkeit ab und vernachlässigt gesellschaftliche Diskriminierungsmuster. Daher werden wir uns enthalten. Auch den Bericht der Gesundheitsdeputation können wir so nicht unterstützen, auch dazu werden wir uns enthalten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben es gehört, Kinder werden immer dicker, Erwachsene im Übrigen auch. Kinder werden schon immer früher immer dicker. Das Robert Koch-Institut hat ermittelt, dass inzwischen 15 von 100 Kindern stark übergewichtig sind. Herr Tuncel hat darauf hingewiesen, Kinder aus sozial schwächeren Familien und Migrationsfamilien sind deutlich häufiger betroffen.

Medizinisch ist klar, dass starkes Übergewicht die Gesundheit gefährdet, ein bisschen rundlich zu sein schadet zum Glück nicht. Die körperliche Gesundheit leidet, schon Kinder bekommen heute die sogenannte Altersdiabetes, die früher nur in hohem Alter vorgekommen ist, also die Zuckerkrankheit, die durch Übergewicht ausgelöst wird. Gelenkprobleme und vieles mehr gab es bei Kindern in diesem Ausmaß früher nicht. Dicke Kinder werden häufig dicke Erwachsene, die besonders anfällig sind für andere Erkrankungen wie Bluthochdruck und so weiter.

Übergewicht gefährdet aber nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Gesundheit. Das liegt vor allem daran, dass übergewichtige Kinder häufig gehänselt werden, sich dann sozial isoliert fühlen, zurückziehen und zum Trost essen, das ist ein Teufelskreis.

Herr Tuncel hat schon darauf hingewiesen, dass auch gesellschaftliche Normen höchst problematisch sind, und ich denke, ich darf für uns alle sprechen, wenn ich sage, Schlankheitswahn, der immer weiter zunimmt, und jede Diskriminierung lehnen wir ab, selbstverständlich auch Diskriminierung wegen eines äußeres Kriteriums wie Fettleibigkeit.

(Beifall)

Mein Kollege Herr Saffe hat mir einen wunderschönen Aufkleber mitgebracht: Freiheit für die Vielfalt! Den Aufkleber fand ich auch für diese Debatte sehr schön. Danke dafür!

Das Thema ist hoch relevant, wir haben es auch in der Sitzung der Gesundheitsdeputation so diskutiert. Es war in keiner Weise so, Herr Bensch, wie Sie den Anschein haben erwecken wollen, dass es keine Einigkeit darin gab, dass es ein relevantes Thema ist. Die Frage, die wir uns gestellt haben, war nur, wie wir dieses Problem angehen und ob es sinnvoll ist, wie von der CDU gefordert, weitere Konzepte zu fordern in einem Bundesland, in dem es bereits viele sehr gute Angebote für übergewichtige Kinder gibt, wie Sie auch dem Bericht der Deputation entnehmen können.

Alle bremischen Kliniken haben Adipositasprogramme, alle Kinderklinken haben Adipositasprogramme, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte engagiert sich gemeinsam mit zahlreichen Sportvereinen für mehr Bewegung für Kinder und Jugendliche. Es gibt den Verein für essgestörte Kinder, es gibt immer mehr Bewegungskitas. Ein Dank auch an unsere Sozialsenatorin! Es gibt ganz tolle neue Projekte, in denen Kita-Angehörige gemeinsam mit Kleingärtnern Gemüse säen, ernten und essen, das sind auch Präventionsprogramme gegen Übergewicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Warum nur werden Kinder dann immer dicker? Trotz allen Engagements und aller Programme werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene immer dicker, und das obwohl wir doch wissen, was hilft: Bewegung, gute Ernährung, Kreativität und Lebensfreude! Wenn ich einmal auf Erfahrungswissen zurückgreifen darf, seitdem ich in der Politik bin, wundere ich mich, wie eng so manches Kleid werden kann.

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: So viel Frust?)