Protokoll der Sitzung vom 23.10.2014

Der Bundesrat hat bereits im Jahr 2012 einen Vorstoß gemacht. Wir fordern die Bundesregierung auf, nun endlich zu handeln, die Zeit drängt! Die Blockadehaltung der Bundesregierung muss endlich ein Ende haben! Im Sinne der Betroffenen lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten! – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Kollegin Häsler.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wie muss sich ein Mensch fühlen, der sein Leben lang wegen seiner sexuellen Identität stigmatisiert, ausgegrenzt, kriminalisiert, ja sogar deswegen verurteilt worden ist? Viele von uns können sich kaum vorstellen, wie schrecklich es sich anfühlen muss, vom Staat und von der Gesellschaft dafür bestraft zu werden, dass man einen gleichgeschlechtlichen Menschen liebt.

Vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots des Grundgesetzes treten wir mit Vehemenz gegen jegliche Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung homosexueller Menschen und für ihre Gleichstellung in der Gesellschaft ein!

(Beifall)

Nicht umsonst wurde der berüchtigte Paragraf 175 StGB Ende der Sechzigerjahre entschärft und Mitte der Neunzigerjahre endlich abgeschafft. Nicht umsonst hat der Bundestag im Jahr 2000 durch eine Resolution sein tiefes Bedauern über die Verfolgung von

Homosexuellen in beiden deutschen Staaten ausgedrückt. Nicht umsonst wurden zwei Jahre später die nationalsozialistischen Unrechtsurteile in dieser Frage aufgehoben und den vor dem Jahr 1945 verurteilten Männern ein Zugang auf Entschädigung für das erlittene Unrecht eingeräumt.

Im Gegensatz zu den Urteilen nach dem Jahr 1945 sind diese Urteile in einer totalitären Diktatur entstanden. Dieser historische und eben auch systemische Unterschied ermöglichte es dem Bundestag, die Aufhebung der Urteile vor dem Jahr 1945 zu erreichen. Bezüglich der Urteile nach dem Jahr 1945 sehen wir jedoch der Problematik entgegen, dass diese im Rahmen unseres heutigen Rechtsstaats gefällt worden sind. Mit dieser Tatsache sind seitens der CDU verfassungsrechtliche Bedenken verbunden, die Herr Tschöpe zum Teil auch schon angemerkt hat.

Zum einen steht der Aufhebung der Urteile nach dem Jahr 1945 das Gewaltenteilungsprinzip unserer Verfassung und die damit verbundene Unabhängigkeit der Judikative entgegen, die unabdingbar zum selbigen Rechtsstaat gehört. Zum anderen macht das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit die rückwirkende Aufhebung von Urteilen, die innerhalb des deutschen Rechtstaats – also nach dem Jahr 1945 – gefällt worden sind, nahezu unmöglich.

Recht ist an dieser Stelle leider nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Die Abschaffung eines Tatbestandes würde unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes dazu führen, dass auch andere Urteile entsprechend zu behandeln sind. Damit wird die Frage aufgeworfen, wie Verurteilte anderer früherer Tatbestände beziehungsweise früherer Straftaten mit einem anderen Strafrahmen nach einer solchen Aufhebung behandelt werden müssten. Wie geht man dementsprechend in Zukunft mit anderen gestrichenen Straftatbeständen um? Entsteht aus der Aufhebung einer bestimmten Urteilsgruppe somit ein automatischer Anspruch anderer Urteilsgruppen, ebenso behandelt zu werden?

Insbesondere aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen ist es uns nicht möglich, dem Antrag der Regierungskoalition in dieser Form zuzustimmen, zumal wir die Kompetenz, endgültig über diese Frage zu entscheiden, eben beim Bundestag verortet sehen.

Die Regierungskoalition weist in ihrem Antrag darauf hin, dass die Reaktion der Bundesregierung auf den Bundesratsbeschluss und die damit verbundene Prüfung zur Aufhebung der Urteile noch aussteht. Wir als Teil des Bremer Parlaments wollen uns aufgrund der vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht anmaßen, diese Prüfung vorwegzunehmen. Wir sehen die Bundesregierung nicht nur in der Verantwortung, auf den Bundesratsbeschluss zu reagieren, das ist völlig richtig, wir wollen die Kompetenz der Prüfung beziehungsweise die endgültige Einschätzung über die verfassungsrechtliche Lage auch auf Bundesebene belassen, anstatt diese hier in Bremen vorzunehmen.

Dennoch erkennen wir, und das ist hier zweifelsohne der Fall, die Notwendigkeit des politischen Handelns hinsichtlich der Antragsthematik an und sind auch froh darüber, dass dieses Thema hier in der Bürgerschaft debattiert wird, sodass wir uns dazu entschlossen haben, einen eigenen Antrag einzubringen. Die CDU-Fraktion sieht es ebenso als geboten an, sich als Parlament bei den aufgrund von Paragraf 175 StGB verurteilen Menschen für das erlittene Unrecht zu entschuldigen und sein Bedauern für die Verfolgung von Homosexuellen bis zum Ende Sechzigerjahre durch die Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Fassung von Paragraf 175 StGB auszudrücken.

Zudem möchten wir betonen, dass wir sämtliche Initiativen – in der Hinsicht schließen wir uns ebenso dem Antragstext der Regierungskoalition an – zur historischen Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen und des späteren Umgangs mit den Opfern begrüßen. Dadurch erreichen wir vor allem eine symbolische Rehabilitierung der Betroffenen, die das wichtigste Ziel der Politik und Gesellschaft sein muss.

Anstelle der für uns problematischen formalen oder juristischen Rehabilitierung der betroffenen Homosexuellen fordern wir hingegen das Recht auf Entschädigung in Form eines Entschädigungsfonds für die Opfer, der beispielsweise mit bundesstaatlichen Mitteln bei der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die sich auch sehr diesem Thema widmet, angesiedelt werden könnte.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das muss ja kein Widerspruch sein!)

Auch wenn Beträge die seelischen Verletzungen selbstverständlich nicht heilen können, kann dadurch neben der symbolischen Rehabilitierung ein weiteres wichtiges Zeichen, ähnlich wie bei den ehemaligen Heimkindern, gesetzt werden. Somit stellt in unseren Augen die Einführung eines Entschädigungsfonds abschließend ein geeignetes Mittel dar, das problemlos auf Landesebene beschlossen werden kann, und deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag heute zuzustimmen, um gemeinsam ein deutliches Zeichen gegen die ehemalige Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland und die heutige Verfolgung von Homosexuellen in anderen Ländern der Welt zu setzen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Kollege Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg sagen, DIE LINKE ist der Meinung, dass der Umgang einer Gesellschaft mit dem sexu

ellen Selbstbestimmungsrecht geradezu ein Gradmesser für die Reife einer Gesellschaft ist.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir denken daher auch, dass die Zurückdrängung der Diskriminierung von Homosexuellen in der Zeit nach der Aufhebung der Paragrafen 175 und 175 a StGB, also im Jahr 1994, tatsächlich ein ganzes Stück vorangekommen ist – ich erinnere nur an die Debatten, die wir in diesem Haus zum Beispiel über die eingetragene Partnerschaften und Ähnliches geführt haben –, wir sind ein Stück vorangekommen!

Heute geht es aber um immer noch bestehendes Unrecht, und wir sind in dieser Hinsicht, im Gegensatz zur CDU ganz deutlich der Meinung, dass es kein juristisches Problem ist,

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Doch!)

das wir hier behandeln müssen. Wenn man es als ein juristisches Problem behandelt, dann ist es natürlich sicherlich richtig, dann kann man sozusagen auf die Rechtssicherheit des Artikels 20 Grundgesetz kommen und danach sagen, dass es aber schwierig würde und Rechtsfolgen für andere Verfahren haben könne, aber wir denken, dass das hier nicht der richtige Ansatzpunkt ist.

Für DIE LINKE sind die Verurteilungen von immerhin über 50 000 Männern – Herr Tschöpe hat es erwähnt – nach den Paragrafen 175 und 175 a StGB in erster Linie Menschenrechtsverletzungen.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das wurde auch in Europa festgestellt, und deshalb sind wir der Meinung, dass diese Menschenrechtsverletzungen eigentlich nur durch eine Rehabilitation, und das heißt in dem Moment eine vollständige Aufhebung der Urteile, gelindert werden können; gelindert wohlgemerkt, denn wir denken, den Männern, die teilweise ihren Beruf und ihre Beschäftigung verloren haben, die über Jahre sozial stigmatisiert und an den Rand gedrängt worden sind, geht es sicherlich auch um Entschädigungen – ja, das ist sicherlich gerechtfertigt –, aber ich glaube, es geht ihnen in erster Linie darum, ganz persönlich durch die Aufhebung der Urteile eine Wiederherstellung ihrer Integrität zu erreichen, ein Stück Rückgabe ihres Lebens, was wahrscheinlich nicht möglich ist, aber immerhin doch symbolisch. Solange sie immer noch als vorbestraft und verurteilt gelten, ist das nicht möglich, und deswegen ist für uns ganz klar, wir brauchen eine tatsächliche Aufhebung der Urteile, um so die Opfer zu unterstützen!

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Wir erkennen natürlich die Intention der CDU an, dass sie mit ihrem Entschädigungsfonds auch Gutes bewirken möchte, aber wir denken auf jeden Fall aus Sicht der Betroffenen, und ich glaube, darum geht es in erster Linie: Es geht um die Männer und das, was ihnen angetan wurde, und deshalb müssen die Urteile aufgehoben werden! – Danke!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Kollege Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Häsler, ich bin Ihnen ja noch schuldig zu sagen, wie wir uns in der Abstimmung verhalten werden. Wir werden Ihrem Antrag zustimmen, weil er in der Analyse, dass es sich hierbei um eine Menschenrechtsverletzung handelt, unserer sehr gleichkommt. Wir sind auch der Meinung, dass man auch einen Entschädigungsfonds einrichten kann. Ihr Antrag ist aber ein Minus zu unserem Antrag, weil er die Konsequenz nicht zieht. Wenn es eine Menschenrechtsverletzung ist – und davon bin ich felsenfest überzeugt, und der Bundestag hat das auch erklärt –, die darauf basiert, dass eine Mehrheit die eigenen Moralvorstellungen gegenüber einer Minderheit mit Mitteln des Strafrechts durchgesetzt hat, ist das ein derartiges eklatantes Sonderstrafrecht gewesen, und wenn sie mit den betroffenen Personen sprechen, erfahren Sie, dass es ihnen nicht darum geht, noch einmal ein paar Euro von diesem Staat zu bekommen, sondern es geht ihnen darum, dass sie reingewaschen werden wollen von dem Vorwurf, Straftäter zu sein.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich persönlich glaube, dass das rechtlich vertretbar ist, und ich kann Ihnen nur sagen: Unabhängig von diesem juristischen Streit finde ich, dass der deutsche Staat nach über 120 Jahren, die es diesen Paragrafen hier gegeben hat, irgendwann einmal den Mut haben und das Richtige tun muss, nämlich sich anständig gegenüber den Betroffenen zu verhalten! – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht noch einige kurze Anmerkungen! Liebe Frau Kollegin Häsler, ich glaube, was uns eint,

und das war schon im ersten Teil Ihrer Rede sehr deutlich, ist die Haltung, dass wir alle der Auffassung sind, dass diesen Menschen in der Zeit nach 1945 seitens unserer Bundesrepublik Unrecht geschehen ist. Sie haben aber dann auf die rechtlichen Problemlagen hingewiesen.

Ich möchte deutlich sagen, ich glaube, es muss ganz klar sein, dass eben nicht nur die Kompetenz auf Bundesebene bei den entsprechenden Behörden in dieser rechtlichen Fragestellung vorhanden ist, sondern wir auch anerkennen müssen, dass der Bundesrat mit einer deutlichen Mehrheit und damit auch mit den Kompetenzen diverser Landesjustizministerien diesen Beschluss gefasst hat. Insofern muss man zumindest anerkennen, dass es dazu unterschiedlich divergierende Haltungen gibt – dazu hat der Kollege Tschöpe eben auch nähere Ausführungen zu gemacht –, und wenn es die juristisch zulässige Möglichkeit gibt und eine Mehrheit der Justizministerien der Länder die Auffassung vertritt, dann sollte die Bundesrepublik Deutschland davon auch Gebrauch machen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Herr Kollege Tschöpe hat eben schon darauf hingewiesen, dass wir dem Antrag der CDU zustimmen, auch wenn ich deutlich darauf hinweisen möchte, dass ich ihn in einem Punkt inkonsequent finde: Natürlich kann man jemandem eine Entschädigung zusprechen, aber muss nicht, bevor man das macht, erst einmal die Anerkennung kommen, dass das, was dem Betroffenen widerfahren ist, falsch und ein Fehler war? Das muss man als Erstes aufheben, bevor wir überhaupt entschädigen können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Gerade darum geht es doch. Es geht doch gar nicht um Materielles. Wenn man sich mit den Betroffenen unterhält, dann geht es doch nicht darum, am Ende des Tages dafür eine Summe X zu bekommen, sondern es geht um den gefühlten Zustand, mit Räubern, Erpressern und Menschen, die Körperverletzungsdelikte begangen haben, auf eine Stufe gestellt zu werden und damit mit Straftätern. Auf dieser Stufe lassen wir die Menschen weiter stehen und das kann nicht die Haltung unseres Hauses sein!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir haben auch ganz bewusst bei den Formulierungen zum Schluss darauf geachtet, dass wir die Menschen um Entschuldigung bitten und uns nicht einfach entschuldigen. Das ist ein großer Unterschied.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diesen Menschen ist in der Bundesrepublik Deutschland enormes Unrecht wiederverfahren, und ob sie diese Entschuldigung vom Staat annehmen, ob sie sagen, ich schließe meinen Frieden damit, ist die individuelle Entscheidung eines jeden Einzelnen. Deswegen noch einmal das sehr deutliche Zeichen, dass dieses Parlament hier am heutigen Tage die Betroffenen um Entschuldigung bittet und sich weiterhin dafür einsetzt, dass das Unrecht, das ihnen widerverfahren ist, getilgt wird. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)