Die CDU hat einen Antrag vorgelegt, mit dem sie glaubt, die Antwort schon gefunden zu haben. Die Grundposition – das ist die wesentliche Stoßrichtung; so verstehe ich den Antrag jedenfalls – ist ein Plädoyer für eine Politik der Stärke gegenüber Russland, für eine Politik der entschlossenen militärischen Abschre ckung und Einhegung, für eine Politik des Drucks, für eine Politik, die auch den politischen Wandel in Russland fördern will. In diesem Sinne spricht sich die CDU für die entschlossene Fortsetzung der wirt schaftlichen Sanktionen aus. Die CDU plädiert für die Unterstützung regimekritischer Kräfte in Russland, begrüßt uneingeschränkt die Verlegung von NATOBataillonen in die baltischen Staaten und nach Polen und spricht sich im letzten Teil des Antrags für die Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO aus. Die Frage ist, ob uns eine solche politische Strategie tatsächlich mehr Sicherheit bringt und ob sie die richtige Antwort auf Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte ist.
Die Antwort hängt im Wesentlichen davon ab, von welcher Prämisse wir ausgehen. Die CDU – Herr Eckhoff hat es genau benannt – geht von der kla ren Prämisse aus: Russland betreibt eine aggressive Expansionspolitik des russischen Nationalismus, der unter Putin die gewaltsame Wiederherstellung Russlands in den Grenzen der früheren Sowjetunion anstrebt.
Im Lichte dieser Prämisse erscheint es durchaus kon sequent – Herr Eckhoff sieht auch überzeugt davon aus –, dass man in dieser Weise dem expansiven Aggressor mit aller Entschlossenheit entgegentreten sollte, um ihn abzuschrecken, um ihn zu entmutigen.
Herr Strohmann, ein Politiker sollte sich immer auch fragen, wie der politische Gegner denkt, und sich viel leicht ein Stück weit in ihn einfühlen. Wenn man sich mit dem Thema genauer befasst, wird man feststellen, dass es in Russland eine Stimmung gibt, die von der Auffassung geprägt ist, dass alle Bemühungen, nach 1991 einen angemessenen Platz in diesem neuen Europa zu finden, mehr oder weniger enttäuscht oder – aus russischer Sicht – sabotiert worden seien. Es ist die Wahrnehmung, dass der Westen alle Bemühungen Russlands nicht nur sabotiert habe, sondern dass die NATO unter Führung der USA alle damals gegebenen Versprechungen – und seien sie nur mündlicher Art gewesen –, die NATO nicht nach Osten auszudehnen, nachhaltig gebrochen habe. In Russland herrscht das Gefühl vor – wenn man die Reden der Führungsper sönlichkeiten liest –, dass der Westen erneut, wie im 18., im 19. und im 20. Jahrhundert, eine Politik der militärischen Einhegung betreibe mit dem Ziel, auch in Russland einen Regimechange herbeizuführen.
Dies alles wird wahrgenommen vor dem Hintergrund bestimmter historischer Erfahrungen und Sensibi litäten; das sollten gerade wir in diesem Kreis wis sen. Diese Erfahrungen basieren auf Ereignissen, die gerade einmal ein Menschenalter zurückliegen. Es begann mit dem Unternehmen „Barbarossa“, dem Überfall auf die damalige Sowjetunion durch Deutschland. Darauf folgte der – in Russland immer noch so wahrgenommene – Große Vaterländische Krieg, der die damalige Sowjetunion 27 Millionen Menschenleben kostete. Das sind die Hintergründe.
Nun kann man natürlich bei uns sagen, das alles seien falsche Wahrnehmungen, falsche Interpretationen, unbegründete Besorgnisse, da wir, der Westen, es doch in allen Belangen eigentlich nur gut meinen. Nur, diese Wahrnehmung ist in Russland nicht da. Es sollte deshalb klar sein, dass Russland sich aufgrund dieser anderen Wahrnehmung durch die Maßnahmen, die auch Herr Eckhoff alle stützt, eben nicht entmutigt, sondern nur noch mehr als bisher bedroht fühlen wird.
Wir sehen es bereits an den ersten Maßnahmen. Auf die Verlegung der Bataillone wird mit der Verlegung von russischen Soldaten an die Westgrenze geant wortet. Auf die konventionelle Aufrüstung reagiert Russland ebenfalls. Auf mehr Manöver gibt es mehr Manöver. Vor allen Dingen setzt Russland auf seine nukleare Stärke; darin ist es dem europäischen Bereich bei Weitem überlegen. Dieses Arsenal wird nicht auf Riga oder auf die Hauptstadt Litauens gerichtet sein, sondern es wird vor allen Dingen auf Mitteleuropa zielen, und das sollten wir wissen.
Ich glaube deshalb, dass wir in einer Situation sind, in der wir erneut in eine Rüstungsspirale hineinzu geraten drohen. Wir brauchen ein Stoppsignal, Ge genmaßnahmen, deeskalierende Maßnahmen. Das heißt für uns, wir müssen verstärkte Anstrengungen für einen Dialog, für deeskalierende Maßnahmen, für Vertrauensbildung unternehmen. Das ist das Gebot der Stunde.
Lassen Sie mich den letzten Satz sagen! Bremen hat gerade zu Russland immer ein besonderes Verhältnis gehabt. Ich glaube, es wäre richtig, wenn von uns gerade in Hinsicht auf Dialog und Kooperation Sig nale ausgehen würden.
Dazu kann ich diesem Antrag der CDU nichts ent nehmen. Ich glaube, er hat die falsche Stoßrichtung. Deshalb werden wir ihn nicht mittragen. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, so sachlich wie möglich durch die Debatte zu kommen, obwohl mir das gerade als in Ostdeutschland und damit im Einzugsbereich der ehemaligen Sowjetunion mit all ihren Repressio nen und Gewaltformen aufgewachsener Frau nicht besonders leichtfällt. Das muss ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen.
Bei allen Forderungen nach Dialog – der natürlich wichtig ist, auch mit dem Präsidenten Russlands – braucht man aber doch einen klaren, ungetrübten und unromantisierenden Blick auf die derzeitige Führung Russlands.
Ich teile sowohl den Antrag der CDU als auch die Rede von Herrn Eckhoff in weiten Teilen. Dies gilt auch für meine Fraktion, die übrigens nicht ohne Grund auch die Begrifflichkeit „Bündnis 90“ in ihrem Namen trägt. Wir stehen in einer besonderen Tra dition, nämlich in der Tradition derjenigen, die ihre Einschätzungen nicht nur auf irgendwelche Reden von irgendwelchen Präsidenten Russlands stützen, sondern die eigene – andere – Erfahrungen mit den heutigen Protagonisten Russlands gesammelt haben. Leider knüpft die derzeitige russische Regierung an die damalige Zeit an.
Deswegen sage ich für mich und meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, ganz klar: Solange die Be dingungen von Minsk nicht erfüllt sind, sehen wir keinerlei Anhaltspunkte, auch nur ansatzweise über eine Lockerung oder Aussetzung von wirtschaftlichen Sanktionen nachzudenken. Im Gegenteil, sie sind immer noch richtig. Sie waren richtig, und sie werden, so wie sich Russland derzeit gebärdet, wahrscheinlich noch lange notwendig sein.
In der Tradition von Bündnis 90 sage ich auch: Un ser ungetrübter Blick auf den aktuellen Präsidenten Russlands, vor allem auch auf seine Biografie, lässt uns natürlich mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn solidarisch sein. Nach der Krim, nach der Ostukraine und zuletzt nach dem, was wir in Syrien beobachtet haben – es wäre eine andere Debatte geworden, wenn wir sie im Dezember geführt hätten –, müssen wir zweifelslos zur Kenntnis nehmen, dass Herr Putin vor territorialen Grenzen keinerlei Res pekt hat. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass er, um seine Interessen durchzusetzen, vor dem Einsatz der brutalsten Machtmittel nicht zurückschreckt. Daher nehmen ich persönlich und meine Fraktion das Schutzbedürfnis unserer Nachbarn sehr ernst.
Der Beschlusspunkt zur Stärkung der zivilgesell schaftlichen Kräfte in Russland ist im Vergleich zu den anderen Beschlusspunkten aus meiner Sicht ein bisschen schwach ausgefallen, lieber Herr Eckhoff.
Dazu hätte ich mir eine stärkere Formulierung ge wünscht, vor allem weil wir in einer Situation sind,
in der wir – auch in der öffentlichen Debatte – sehr viel mehr Bemühungen darauf verwenden müssen, genau zu unterscheiden, nämlich zwischen deutlicher Kritik an der aktuellen russischen Regierung und einer genauso intensiven, verbal gesendeten Unterstützung der demokratischen Kräfte in Russland. Letztere halten trotz größter Bedrohung und massiver Repres sionen an der Idee einer freiheitlichen und liberalen Demokratie auch für Russland fest. Es kann auch in Russland funktionieren, es ist nicht sehr viel anders.
Wir befinden uns im Jahr des Bundestagswahlkamp fes. Der wichtigste Beschlusspunkt, bezogen auf dieses Jahr, ist wohl – das hätte ich vor drei Monaten vielleicht noch nicht so gesehen -, Mittel und Wege gegen die Desinformationskampagnen der russi schen Regierung zu finden. Das ist noch freundlich ausgedrückt. Eine im vergangenen Jahr eigens dafür eingerichtete Taskforce der Europäischen Kommission hat dargelegt, wie intensiv und breit die Bemühungen der russischen Geheimdienste, womöglich auch der russischen Regierung selbst, sind, europäische Ge sellschaften mit „Fake-News“ – neuerdings sprechen wir von „alternativen Fakten“ – zu fluten.
Spätestens seit Freitag wissen wir auch, dass die russische Regierung und der russische Präsident mit dieser Strategie nicht mehr allein sind. Für uns, für Europa, für die Demokraten, für die Liberalen in Eu ropa bedeutet dies, wir haben es nun auf zwei Seiten mit skrupellosen, in Teilen vulgären Machtmenschen zu tun, die Europa wahlweise für verweichlicht und schwach halten und uns auf der anderen Seite alle als „Faschisten“ denunzieren und beschimpfen. Höchste Zeit also für uns in Europa, einen klaren – da wiederhole ich mich gern –, einen ungetrübten und unverklärten Blick auf die Strategien und Taktiken russischer Machtpolitik jenseits von parlamentarischen Aushandlungsprozessen zu entwickeln!
Im vergangenen Sommer habe ich zu einem sehr geschätzten Diskussionspartner noch gesagt: Ach, jetzt hör‘ mal auf! Ich habe keine Angst vor Putin. – Angst habe ich immer noch nicht; mir sind solche Typen aus langen Jahren wohlbekannt. Man muss aber davor warnen, sie zu verharmlosen, sie nicht ernst zu nehmen, ihre Gefühle über rationale Politik zu stellen, ihre Wahrnehmungen über unsere Wahr nehmungen zu stellen.
Im öffentlichen Diskurs, das bedauere ich sehr, haben wir es mit zwei Fronten zu tun. Die einen befinden sich sehr nahe an Verschwörungstheorien. Das ist in der Tat schwierig, aber man muss schon bei den rich tigen Fakten bleiben. Die anderen machen Russland in gewisser Weise zu einem Opfer – zu einem Opfer des Westens, übrigens auch zu einem Opfer von sich
selbst. Da wird mir in der öffentlichen Debatte immer wieder ganz schwummerig. Ich kann nur dazu aufrufen, dass alle sich noch einmal mit der Geschichte und der Erinnerungspolitik ausein andersetzen. Dann wird deutlich, in welcher Tradition die aktuelle Politik der russischen Regierung steht. Das hat sehr viel mit Stalinismus und Kommunismus zu tun. Gerade das Jahr 2017 bietet viele Anhaltspunkte, sich damit auseinanderzusetzen. Ich erinnere an die gelungene, informative Wanderausstellung zu dem Thema „100 Jahre Russische Revolution“. Jeder sollte wissen, was diese Revolution nicht nur über Russland, sondern auch über ganz Europa gebracht hat. Zum perspektivischen Umgang mit der russischen Regierung gibt es europaweit und – das war ja heute zu hören – auch innerhalb der Koalition unterschied liche Einschätzungen darüber, welche Strategien förderlicher beziehungsweise zielführender sind.
Ein allerletzter Satz! – Wir werden dem vorliegenden Antrag deswegen an dieser Stelle nicht zustimmen. Aber für mich und meine Fraktion ist eines ganz deutlich: Sowohl Herr Putin als auch Mister Trump verstehen ausschließlich unmissverständliche und deutliche Signale. – Herzlichen Dank!
(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU – Abg. Bensch [CDU]: Das hätte Helmut Schmidt genauso gesagt! Ganz ehrlich, deshalb habe ich mich damals mit Politik beschäftigt! Warum ist der so hart geblieben?)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich die Überschrift des Antrags gelesen habe – darin ist von „Völker- und Men schenrechtsverletzungen“ die Rede –, habe ich einen personalen Bezug vermutet. Der Antrag und das, was Herr Kollege Eckhoff ausgeführt hat, gehen natür lich weit darüber hinaus: Er spannt den Bogen zur russischen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungspolitik und versucht, dies auch noch global und historisch einzuordnen. Wir haben es, was Europa anbelangt, durchaus mit einer russischen Politik zu tun, die man imperial nen nen kann. Ich würde sie nicht bei Stalin festmachen, sondern noch ein paar Jahrzehnte zurückgehen; ich sehe sie auch zaristisch. Es ist völlig eindeutig, dass die Annexion der Krim ein völkerrechtswidriger Akt war und zu verurteilen ist.
Die Frage ist allerdings: Was kann man als Europäer, was kann die Europäische Gemeinschaft, was kann die Weltgemeinschaft, was kann der Internationale
Gerichtshof bewirken? Drei Jahre sind ins Land gegan gen; ich kann in dieser Sache bisher nichts erkennen.
Das Zweite, was wir in der Ukraine erleben, sind Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen, die russisch infiltriert sind. Wir haben in den letz ten Jahren einen Demokratisierungsprozess in der Ukraine erlebt. Wir Liberale sind stolz darauf, dass der damalige Außenminister Guido Westerwelle am Majdan oder auf dem Majdan beteiligt gewesen ist und diese Bewegung unterstützt hat.