Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

(Beifall FDP)

Wir sind der Auffassung, dass die Ukraine ein origi näres Recht hat, den Weg nach Europa, zur Europä ischen Gemeinschaft zu finden.

(Beifall FDP)

Wir sind aber auch weiterhin der Auffassung, und zwar in Anlehnung an das, was Hans-Dietrich Genscher für die deutsche Außen- und Europapolitik geleistet hat, dass Russland in das Europäische Haus gehört. Daran wollen wir festhalten, und dafür müssen wir alles unternehmen. Der Prozess einer Wiederannä herung kann auch Europa nur nützen.

(Beifall FDP, Abg. Tassis [AfD])

In Ihrem Antrag kommt die Bedeutung der Bünd nisverpflichtungen zum Ausdruck. Insoweit sind wir völlig d’accord. Die Liberalen stehen zur NATO, zur Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, und wären auch bereit – das sage ich im Hinblick auf das, was wir aus Washington von Trump hören –, ein bisschen mehr in das gemeinsame Säckel zu inves tieren. Was die Bündnisverpflichtungen angeht, so sind wir völlig d’accord.

Was die wirtschaftlichen Maßnahmen – Strafaktio nen – gegen Russland anbelangt, so hat sich auch nach drei Jahren nichts in die gewünschte Richtung bewegt. Der Gegner ist nicht, wenn man so will, in die Knie gezwungen worden. Er hat nicht die Hand in unsere Richtung ausgestreckt. Angesichts dessen muss man sich fragen, ob wirtschaftliche Sanktionen wirklich erfolgreich sein können. Denken Sie auch an das, was gegenüber dem Iran lange praktiziert worden ist! Man kann vielleicht auch zu der umge kehrten Auffassung kommen: Wenn wirtschaftlich kooperiert wird, wenn es gute wirtschaftliche Kontakte gibt, dann ist es denkbar, dass die wirtschaftlichen Kontaktpersonen in Russland im Sinne Ihres Antrags auf die Regierungspolitik dort einwirken.

Sie haben die Unterstützung der russischen Zivilgesell schaft angesprochen – völlig in Ordnung! Ihre Ziffer 5 werden wir voll unterstützen. Wir werden auch Ziffer 7 voll unterstützen, unter der eine stärke gemeinsame Sicherheitspolitik für Europa gefordert wird.

Zu den übrigen Punkten sind wir der Auffassung, dass Sie nicht weit genug gegriffen haben. Sie haben einen zu großen Bogen gespannt und erwecken damit den Eindruck, als ob wir, die Bremische Bürgerschaft, quasi das Kanzleramt und das Außenministerium zu sammen darstellten. Sie haben nicht beachtet, worauf es in einer Verständigungspolitik letztlich ankommt; das haben Sie alles nicht benannt. Sie haben nichts dazu gesagt, was über die G 8 erreicht werden kann. Sie haben nichts dazu gesagt, was über den NATORussland-Rat erreicht werden kann. Sie haben nichts zum OSZE-Prozess, der einmal sehr viel für Europa gebracht hat, gesagt. Sie haben nicht gesagt, dass auch in der Ukraine selbst die Verfassungsreform vor sich hin dümpelt.

(Abg. Strohmann [CDU]: Wir reden über Russland, nicht über die Ukraine!)

Sie haben nicht gesagt, wie man eine Stabilisierung der Ostukraine hinbekommen kann.

Es kommt darauf an, über die genannten Verstän digungsgremien – so will ich sie einmal nennen – zusätzlich etwas zu bewirken. Das alles fehlt uns in dem Antrag.

(Abg. Eckhoff [CDU]: Aber Herr Zenner, Sie hätten ja über vier Monate Zeit gehabt, um einen eigenen Antrag einzureichen!)

Deswegen sind wir der Auffassung, dass er in diesen Punkten zu kurz greift.

Wir beantragen getrennte Abstimmung. Wir unter stützen Ihre Ziffern 5 und 7; zu den übrigen plädieren wir für Ablehnung. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als Nächste hat das Wort die Ab geordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich vorweg beim Kollegen Gottschalk bedanken. Sie haben mir vieles vorweggenommen. Daher muss ich es nicht noch einmal sagen.

Der Antrag der CDU-Fraktion wirft schwierigen Fra gen auf. Ich werde hier keine feste Lösungsstrategie anbieten. Das kann wohl niemand hier; das sieht man ja an der Situation. Die Fragen betreffen vor allem die Ausrichtung, den Weg, der einzuschlagen ist.

Kollege Eckhoff, ich dachte, es gehe um Russland und nicht um die Sowjetunion – aber gut!

(Abg. Eckhoff [CDU]: Da fragen Sie einmal Putin! Hören Sie sich einmal die Nationalhymne an!)

Vorweg möchte ich eines festlhalten: Ja, Putin begeht Menschenrechtsverletzungen. Die Bilder vom völlig zerstörten Aleppo haben sich in unsere Netzhäute eingebrannt. Sie haben die Situation ja beschrie ben. Dort wurde vor der Waffenruhe von Massakern berichtet, von versperrten Fluchtkorridoren für die Zivilbevölkerung und vom letzten Krankenhaus, das auch noch zerstört wurde. Das alles geschah mit aktiver oder passiver Unterstützung Russlands. Auch der Krieg in der Ukraine ist noch nicht beigelegt, er kommt bloß weniger in unseren Nachrichten vor. Der Abschuss der MH-17 vor zwei Jahren war die letzte große Berichterstattung wert. Bei der Annexion der Krim muss man das Kind tatsächlich beim Namen nennen: Das war völkerrechtswidrig.

Trotzdem muss auch in diesem Haus die vorsichtige Feststellung gestattet sein: Auch wenn die Referenden auf der Krim, im Donbass, in Luhansk oder Donezk nicht demokratischen Standards entsprachen, so hätte vermutlich auch bei einer sauberen Abstimmung die Mehrheit der dortigen Bevölkerung für die Unabhän gigkeit beziehungsweise den Anschluss an Russland gestimmt. Trotzdem – ich wiederhole es –: Die mili tärische Annexion der Krim war völkerrechtswidrig.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Mein Gott! – Abg. Bolayela [SPD]: Echt?)

Auch die Politik Russlands in Richtung Moldau oder Georgien ist äußerst schwierig; Sie haben das in Ih rem Antrag erwähnt. Die Abspaltung der Provinzen Abchasiens oder Südossetiens unter militärischem Einfluss wurde einmal „die wandernden Grenzen“ genannt. Die große Frage aber, die hinter all dem steht – auch Herr Gottschalk hat sie aufgeworfen –, lautet: Wohin geht die Reise? Die Menschen in den baltischen und den mittelosteuropäischen Ländern haben Angst. Ob die Bedrohung aber abnimmt, wenn dort auf beiden Seiten Truppen stehen, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen])

Gleichzeitig haben viele Menschen hier Angst vor einem Kalten Krieg 2.0; denn die NATO macht mit beim Säbelrasseln – und das ist auch die Perspekti ve, die der Antrag aufzeigt. Früher hätte man diese Agenda als „Strategie der Spannung“ bezeichnet. Aufrüstung, Sanktionen, geopolitische Isolierung – so kann man die Zielsetzung, die hier verfolgt wird, zu sammenfassen. Ich halte diese Ausrichtung für falsch.

(Beifall DIE LINKE)

Es geht mir ausdrücklich nicht darum – das möchte ich festhalten –, die russische Außen- und Militärpo litik schönzureden. Das ist sie nicht. Zu einem Streit

gehören aber immer zwei, und an der Polarisierung war der sogenannte Westen ja nicht unbeteiligt.

(Beifall DIE LINKE)

Europa hat auch nationalistische Kräfte und Bestre bungen während der Proteste gegen Janukowitsch mindestens geduldet. Auf dem Euromajdan standen EU-Abgeordnete Seite an Seite mit ukrainischen Faschisten, der Swoboda und den nationalistischen Paramilitärs des Rechten Sektors. Der EU-Botschafter in der Ukraine sah 2013 in der Swoboda einen „gleich wertigen Partner für Gespräche mit der EU“. Dass die Ukraine zwischen EU-Annäherung und Ostbindung zerrissen wird, war absehbar und wurde letztlich in Kauf genommen.

Es ist bemerkenswert, dass im Antrag der CDU nur im Vorbeigehen von den wenigen Resten einer ge meinsamen Sicherheitsarchitektur, die es noch gibt, die Rede ist. Dazu gehört auch die NATO-RusslandGrundakte von 1997, die eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in Polen, Lettland, Estland und Litauen ausschließt. Dieses Verbot wird jetzt künst lich umgangen, indem man diese Bataillone rotieren lässt. An der Strategie der Einkreisung ändert das aber grundsätzlich nichts.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Wer kreist denn da wen ein?)

Man dreht die Eskalationsspirale auf beiden Seiten weiter mit diesem militärischen Säbelrasseln.

Die entschlossene Fortsetzung der Sanktionen ist nichts anderes als das wirtschaftspolitische Pendant dazu. Ich werde trotzdem ausdrücklich nicht wie andere aus meiner Partei die Aufhebung aller Sank tionen fordern. Ich habe mir die Sanktionen einmal angeschaut. Es gibt zum Beispiel das Rüstungsex portverbot nach Russland. Ich halte das für richtig, wenn man sieht, was Russland mit militärischen Mitteln anstellt.

Wenn Sie aber Sanktionen gegen Russland wegen Völkerrechtsverstößen fordern, dann müssten Sie eigentlich auch Sanktionen gegen die Türkei ver hängen, dann müssten Sie Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien verbieten und die EU-Zusammenarbeit mit dem Sudan umgehend stoppen.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Dr. Müller [Bünd nis 90/Die Grünen]: Super Idee!)

Wo ist Ihre sogenannte westliche Wertegemeinschaft, wenn es um Migrationsabkommen mit dem Völker mörder im Sudan geht? Wo ist sie, wenn es um Deals mit Despoten wie Erdogan geht, der die Bevölkerung im eigenen Land unterdrückt? Sie hätten genug Gelegenheit gehabt, in Debatten dazu hier auch

Sanktionen zu fordern, haben es aber unterlassen, Kollege Eckhoff.

(Abg. Dr. Yazici [CDU]: Es reicht doch, wenn Sie das machen!)

Genau diese Unausgewogenheit ist es, die bei mir einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Abgesehen davon müssen sich alle Beteiligten natürlich fragen lassen, ob die bisherigen Maßnahmen eigentlich die gewünschte Wirkung entfaltet haben. Man kann wie bisher Runde um Runde an der Sanktionsschraube drehen; gebracht hat das aber seit 2014 nichts. In der Zwischenzeit schmieden Putin und Trump eine neue Allianz, und der EU sowie der CDU hier fällt nichts anderes ein als die entschlossene Fortsetzung der Sanktionen.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Haben Sie andere Ideen?)

Hier bin ich mir mit meiner Partei und auch mit den Demonstrantinnen und Demonstranten in Bremer haven einig: Es braucht eine Entspannungspolitik statt Säbelrasseln, es braucht einen Dialog statt des Weges in Richtung Kalter Krieg 2.0.

Aus den genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Bücking.

Herr Prä sident, meine Damen und Herren! In einer Situation, in der die Verhältnisse unübersichtlich sind – und das sind sie im Moment, insbesondere wenn man nach Westen blickt –, hat es Sinn, eher die langen Linien ins Auge zu fassen und sich mit tagesaktuel len Interpretationen ein Stück weit zurückzuhalten; denn nur in den langen Linien finden wir womöglich Antworten darauf, wie wir uns verhalten sollten.

Man kann feststellen, der Antrag der CDU bezieht sich auf die langen Linien. Er bezieht sich auf die segensreiche Wirkung der transatlantischen Alli anz, auf die seit 60 Jahren erprobte Kooperation mit Amerika und die Integration der Bundesrepublik in die NATO. Das sprechen wir Grünen nicht gern aus, aber das ist grundlegend gewesen für all die Jahre des Friedens, für Entwicklung deutscher Demokratie und Weltgeltung. Das ist so.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU)

Dieses Fundament und diese Kooperation sind in den Tagen, die wir gerade gemeinsam erleben, einem enormen Stresstest ausgesetzt. Wir sind gut beraten,