Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Das wäre dann aber eine wirtschaftspolitische De batte, die ich an dieser Stelle vielleicht auch einmal mit Spaß führen würde. Sozialpolitisch kommt es im – –. Ach so!

Ich habe nicht geklingelt. Fahren Sie fort.

Irgendetwas hat geklingelt.

Das war der Kollege Dr. Buhlert.

Okay, dann kann ich also noch weiterreden. Herr Buhlert hat jetzt fertig geklingelt.

(Heiterkeit)

Für mich ist ganz entscheidend und ein wichtiges Instrumentarium, bevor man über weitere Maßnah men nachdenkt: Wie bekommen wir das mit der Teilhabe besser hin?

Zu dem zweiten Punkt – Bildung und Kita – hätte ich auch eine ganze Menge zu sagen. Das macht aber mein geschätzter Kollege, der für den Bildungsbe reich zuständig ist.

(Abg. Güngör [SPD]: Da kannst du gern jetzt an knüpfen!)

Wenn ich das noch sagen darf: Ich glaube, dass der Satz: „Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg“ ein

schöner Satz ist. Er ist schmissig und hört sich gut an. Aber wenn wir in Familien mit gewalttätigen oder drogenabhängigen Eltern gehen, wo die Kinder nur noch ums Überleben kämpfen, da passt der Schlüssel schon mal gar nicht.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Da brauchen wir wohl Ganz tagsschulen!)

Diese Kinder haben ganz andere Probleme. Wenn sie morgens aufwachen und ihre Mutter grün und blau geschlagen in der Küche sitzen sehen, dann kommen sie nicht auf die Idee, dass die erste Priorität Deutschlernen ist.

Deshalb brauchen wir in den Bereichen Familienhilfe, um präventiv tätig zu werden. Die Familienhilfe – das ist ein ganz großes Problem für mich – ist gerade in der aktuellen Situation der Schwierigkeiten im Jugendamt eben nicht prioritär. Prioritär wird im Moment diskutiert, das Kindeswohl zu sichern. Das ist auch richtig und nötig, aber wenn man bei den Maßnahmen, die helfen können, dass Familien ihre Kinder vernünftig erziehen, nicht in Gang kommt, dies verstärkt in den Blick zu nehmen, dann wird es mit der Prävention statt Reparatur nicht wirklich gelingen.

Es gibt viele Maßnahmen, bei denen man immer so tut, als sei der Staat im Kern verantwortlich. Nein, im Kern sind die Eltern verantwortlich, und wenn diese es nicht hinbekommen, kommt die Verantwortung des Staates – aber auch nur dann. Ich möchte gern, dass wir in der sozialpolitischen Tätigkeit zunehmend in den Bereich der Prävention kommen, das heißt, den Eltern zu helfen, so gut es geht. 600 Kinder im letzten Jahr in Obhut nehmen – mich erschüttert die Zahl, ich finde sie dramatisch, einmal abgesehen von den ganzen Schwierigkeiten, die diese 600 Kinder auf dem Weg in ihr Leben haben. Dabei ist doch schon absehbar, dass das die nächste Generation derjenigen ist, über die die Parlamentarier in einigen Jahren wieder diskutieren können. Das ahnt man zumindest. Das ist ein riesiges Problem in dieser Stadt, und ich finde, wir sollten bei aller Diskussion, ob man noch mehr oder etwas anders machen kann, massiv auf die Wirkung der Maßnahmen rekurrieren. Es kommt darauf an, dass das, was wir tun, am Ende des Tages dazu führt, dass es den Menschen auch real besser geht.

Ein letzter Satz noch: Wenn man sagt, dass der Be reich der Hilfen für die Ausländer ein Jobmotor ist, dann kehrt man etwas um. Das ist, wie ich finde, nicht richtig. Es kann nicht sein, dass die Tätigkeit im sozialen Bereich auf einmal das Ziel des sozialen Engagements ist.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Das ist für mich überhaupt nicht richtig. Das Ziel muss sein, dass denjenigen, die in dieser Gesellschaft nicht

zurechtkommen, so geholfen wird, dass sie eine Ar beit aufnehmen können, ein normales Leben führen und vernünftige Perspektiven entwickeln können.

Mein letzter Satz ist: Ja, es gibt auch für mich er kennbare Defizite. Ich glaube: Ja, wir müssen besser werden. Und ich glaube: Ja, wir haben noch eine ganze Menge vor uns, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir das Problem hier eines Tages vielleicht überhaupt nicht mehr erörtern müssen, weil es sich nicht mehr so stellt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, meine Damen und Herren! Es ist ja schön, dass wir bei der Debatte um Armut zu einem Punkt kommen, wo ich von den Rednern der Koalition höre, dass endlich etwas geändert werden muss, und zwar konkret. Das ist genau der Punkt, an dem wir sein müssen und an dem sich die Politik der Koalition, die Politik Bremens und all unser Handeln, auch das der Opposition, messen lassen müssen: Was können wir für die Menschen konkret erreichen? Insofern helfen auch weitere Berichtsbitten und der gleichen nicht weiter, denn ob ich jetzt weiß, dass 56 Prozent der Ein-Kind-Familien – also Ein-Erwachsenerein-Kind-Familien – von Armut bedroht sind oder ob sich an den Prozenten ein wenig geändert hat, ist, glaube ich, nicht so wichtig, wie dass ich weiß, dass möglichst vielen Einzelnen dadurch geholfen wird, dass konkret mehr Kindergartenplätze und mehr Ganztagsbetreuungsplätze geschaffen werden. Denn das Beste, um aus der Armut herauszukommen, ist beispielsweise, dass es eine Ganztagsbetreuung für ihre Kinder gibt und damit eine Chance auf Arbeit, weil diese Arbeitsmöglichkeit die Möglichkeit gibt, aus der Armut herauszukommen.

(Beifall FDP)

Genau solche Dinge müssen wir angehen, und genau das ist es, womit wir Armutsgefährdung bekämpfen können. Es ist richtig: Wir müssen über Wirksamkeit sprechen und Teilhabemöglichkeiten für jene schaffen, die sonst nicht teilhaben können. Ich bin nicht dabei, zu sagen: Bildung ist vielleicht für einige nicht der Schlüssel. – Bildung ist auch für sie der Schlüssel, wenn wir die anderen Probleme in den Familien abgestellt haben.

(Zuruf Abg. Möhle [SPD])

Für manche, die solche Probleme haben – dazu komme ich noch –, ist die Ganztagsschule, die Ganztagsbe treuung, genau die Hilfe, um sie lange genug aus den

Familien herauszuholen, sodass sie manche Sache abgefedert bekommen und sie überhaupt ertragen können. Insofern gilt auch dort: Wir müssen sehen, wie wir Möglichkeiten zum Ausbau von Ganztag weiter ausreizen können, um gerade in diesen Fällen Hilfen zu schaffen und sozial Schwache abzuholen, damit ihnen geholfen wird und sie die Chance haben, sich durch Bildung in der Gesellschaft einzubringen!

(Beifall FDP)

Natürlich weiß ich, dass es schwierig ist, für alle Ar beitsplätze zu bieten. Auf der anderen Seite weiß ich genauso, dass wir eine Arbeitslosenquote haben, die weit höher ist als in anderen Kommunen, und man muss sich fragen, was strukturell bedingt ist und wo man Strukturwandel in Bremen nicht so bewältigt hat. Ich möchte überhaupt nicht über Ursachen sprechen, sondern über die Frage: Wenn er nicht bewältigt ist, wie können wir ihn endlich bewältigen?

Es gibt andere Kommunen, in denen Menschen noch reicher sind und wo es trotzdem weniger Arbeitslo sigkeit gibt, mehr Teilhabemöglichkeit und weniger Armut. Das heißt also, mit richtiger Wirtschaftspolitik, mit richtiger Politik, die Arbeitsplätze schafft, kann man vielleicht das eine oder andere auch erreichen. Das hängt manchmal auch von den Entwicklungen der Unternehmen ab, die dort jeweils tätig sind, aber auch davon, welche Möglichkeiten für diese Unter nehmen möglich gemacht wurden und welche eben nicht. Bremen rühmt sich seiner Industrie. Allerdings muss man auch sehr genau hinschauen, wie sich die einzelnen Industriezweige entwickeln. Wenn ich mir die Nahrungs- und Genussmittelindustrie anschaue, muss ich sagen, dass wir dort ein Problem haben und sehen müssen, wie wir wieder mehr Arbeitsplätze schaffen oder die vorhandenen Arbeitsplätze halten können.

Der zweite Arbeitsmarkt ist angesprochen worden. Das ist eine ganz wichtige Geschichte, dass wir dort auch weiterkommen. Dann allerdings müssen wir auch weiter darüber sprechen, was wir heute Morgen debattiert haben: dass Mittel, die beim Jobcenter vorhanden sind und vom Bund gegeben werden, dann auch genutzt und ausgenutzt werden, weil das natürlich Chancen bringt. Da müssen wir herange hen, da das eine Wirksamkeit ist, die wir sogar mit fremdem Geld erhöhen können. Insofern müssen wir dort weiter tätig bleiben und am Ende schauen, wie wir mehr Arbeitsplätze schaffen.

Dann gibt es natürlich auch konkrete Situationen, in denen wir tätig werden müssen. Wir haben zum Beispiel auch bei Alleinerziehenden Situationen wie die, dass Väter oder Mütter keine Unterhaltsleistungen zahlen. Auch das ist ein Problem, wodurch Armut entsteht, weil diese Menschen ihre Familie nicht so versorgen können, wie es erforderlich ist. Insofern muss hier gehandelt werden, und wir müssen das,

was der Bund an neuen Unterhaltsregelungen schafft, schnellstmöglich umsetzen, damit dort entsprechend gehandelt werden kann, sprich: damit die Menschen und ihre Familien das Geld bekommen.

Wir brauchen also eine Verzahnung der Maßnahmen. Wir brauchen eine bessere Bildung, wir brauchen mehr Arbeitsplätze, und die Politik muss darauf ausgerich tet werden, dass sie erfolgreicher wird. Wenn dazu Projekte wie die Weiterentwicklung des Jugendamtes helfen, um das Ganze effektiv zu machen, ist das genau richtig, denn dann kommen wir endlich dahin, dass wir nicht über Armut reden, sondern endlich Butter bei die Fische kommt. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Janßen.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe noch einige Punkte, insbesondere einen, der mich eben aufgeregt hat. Ich bin ja sonst immer ganz ruhig – meistens.

(Heiterkeit)

Herr Möhle, wir haben eben über Alleinerziehende gesprochen und über die Frage, wo möglicherweise die Verantwortung für Erziehung und auch für Mög lichkeiten liegt, dass sich ein Kind entfalten kann. In diesem Zusammenhang nannten Sie Gewalttätigkeit, Drogenproblematik und sagten, man müsse helfen, dass Kinder vernünftig erzogen werden. – Ehrlich gesagt, finde ich es vollkommen unzulässig, diesen Sachzusammenhang so darzustellen. Wir sprechen von 56 Prozent der Alleinerziehenden in Armut, und hier solche Zusammenhänge aufzumachen, finde ich vollkommen unzulässig.

(Beifall DIE LINKE)

Wir wissen, dass Armutsbekämpfung ihre Zeit braucht. Selbst wenn Sie morgen das Geld zur Verfügung stellen und gleichzeitig alle Maßnahmen umsetzen würden, würde es immer noch dauern, bis diese Maßnahmen greifen und Menschen Wege aus der Armut finden würden. Aber genau dieses Wissen verpflichtet uns doch dazu, eher heute als morgen damit zu beginnen, diese Maßnahmen umzusetzen. Wir erwarten nicht, dass die Maßnahmen umgesetzt werden und wir in zwei Jahren einen Bericht mit einer Zahl von nur noch 30 Prozent von Alleinerziehenden in Armut haben werden. Aber wir erwarten, dass mit der Umsetzung dieser Maßnahmen eine Möglichkeit geschaffen wird, diesen Teufelskreis von Armut lang fristig zu durchbrechen und Perspektiven zu entwi ckeln, dass Kindern die Möglichkeit eröffnet wird,

nicht die gleichen Armutskarrieren durchlaufen zu müssen wie ihre Eltern, und genau deshalb müssen wir heute handeln.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt einen entscheidenden Punkt, an dem wir uns mit Sicherheit auch deutlich von der CDU unterschei den werden: Wir sind der festen Überzeugung – –.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nur einen?)

Nicht nur einen, aber es gibt einen, den ich jetzt noch mal ganz deutlich voranstellen möchte: Armutsbe kämpfung kostet Geld. Wir gehen nicht davon aus, dass wir Armutsbekämpfung nur dadurch gewähr leisten können, dass wir etwas in der Verwaltungsor ganisation verbessern, das eine oder andere Konzept besser abstimmen und ein wenig besser miteinander kommunizieren.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das kann man auch!)

Wir werden dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Das heißt nicht, dass die anderen Maßnahmen nicht richtig sind und nicht den Vorschlägen entsprechend umgesetzt werden müssen. Aber wir werden nicht darum herumkommen, mehr Personal zur Verfügung zu stellen, mehr Betreuungsangebote zu gewähr leisten und die Unterstützungsstrukturen vor Ort auszubauen. Deshalb werden wir auch Ihrem Antrag nicht folgen können, sondern unsere Vorschläge und unseren Antrag aufrechterhalten und hoffen, hier Zustimmung zu finden.

(Beifall DIE LINKE)

Ein letzter Punkt: Ich finde es äußerst ärgerlich, wenn das Parlament bzw. ein von ihm eingesetzter Ausschuss Punkte aufzeigt, aufzeichnet und klar benennt, dann aber der Eindruck entsteht – zumindest kann mir dieser Eindruck in dieser Debatte nicht genommen werden –, dass der Senat nur Teile dieses Programms wirklich auf seine To-do-Liste setzt. Der Zeitpunkt dafür, To-do-Listen zu schreiben, ist eigentlich schon längst überschritten.