Ein letzter Punkt: Ich finde es äußerst ärgerlich, wenn das Parlament bzw. ein von ihm eingesetzter Ausschuss Punkte aufzeigt, aufzeichnet und klar benennt, dann aber der Eindruck entsteht – zumindest kann mir dieser Eindruck in dieser Debatte nicht genommen werden –, dass der Senat nur Teile dieses Programms wirklich auf seine To-do-Liste setzt. Der Zeitpunkt dafür, To-do-Listen zu schreiben, ist eigentlich schon längst überschritten.
Wir müssen jetzt in die reale Umsetzung kommen, und dafür müssen im Zweifelsfall auch die finanzi ellen Rahmenbedingungen durch dieses Parlament und im Rahmen der Haushaltsberatungen gesetzt werden. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Güldner und Herr Möhle, ich finde es gut und schön, dass Sie feststellen, dass man Maßnahmen auch prüfen muss. Das ist eine Aufgabe, die man erledigen muss. Aber das ist doch eine Aufgabe, die laufend erledigt werden sollte, und zwar schon immer. Sie tun jetzt so, als hätten Sie diese Thematik gerade erst für sich entdeckt.
Die ganze Zeit, in der wir im Armutsausschuss gear beitet haben, hätten Sie schon einmal darauf kommen können. Also, ich meine, besser spät als nie, aber nachvollziehen kann ich das nicht.
Wir müssen in Bremen Armutskreisläufe durchbre chen. Das gelingt am allerbesten dort, wo man Kindern frühzeitig gute Chancen gibt. In Bremen wachsen bereits 30 Prozent der Kinder mit stark reduzierten Chancen auf. Verpasste Chancen sind auch für immer verpasst und später meist nicht wieder wettzumachen. Wie und wo sollen diese Kinder zum Beispiel ihre Feinmotorik entwickeln, stillsitzen oder vernünftig sprechen lernen, wenn sie keinen Kindergartenplatz bekommen oder es keine ausreichende Sprachförde rung gibt? Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer Kindern mit verschiedenen Problemlagen weiterhelfen, wenn sie allein vor einer riesigen Klasse stehen? Wie sollen Eltern einer Arbeit nachgehen, wenn sie nicht wissen, wo sie ihre Kinder gut unterbringen können?
Es geht längst nicht mehr nur um Plätze, es geht mehr denn je um Qualität. Immer mehr Kinder müssen massiv darin unterstützt werden – das hat Herr Möh le auch schon angedeutet –, überhaupt erst einmal Grundfertigkeiten zu lernen. Viele Kinder, aber auch ihre Eltern brauchen heute mehr denn je passgenaue Unterstützung. DIE LINKE greift dieses Thema mit ihrem Antrag nochmals auf, dem wir deshalb auch zustimmen werden.
Nach Beschluss des Armutsausschusses sollte es aber doch noch weitere Maßnahmen geben. Für allein erziehende Frauen wurde ein gezieltes Programm in Aussicht gestellt, durch das besonders auch jene, die noch überhaupt keine Berufsausbildung haben, gefördert werden sollen. Von Qualifizierungstrep pen hat unser Bürgermeister in seiner Antrittsrede gesprochen, aber davon gibt es noch nicht einmal eine Stufe, muss ich feststellen.
Die deprimierende Antwort des Senats eineinhalb Jahre später ist jedenfalls nur: Eine Erweiterung der Angebote für diese Gruppe wird geprüft. – Das An gebot an gebundenen Ganztagsschulen, besonders in benachteiligten Gebieten, sollte ausgebaut werden.
Die Antwort heute: Statt der vier zugesagten Schulen wurde eine umgebaut. – Auch eine engere Verzah nung von kommunalen Maßnahmen im Bereich Arbeit mit der Jobagentur und der Bundesanstalt für Arbeit sollte stattfinden. Stand heute: Der Wirtschaftssenator steht in engem inhaltlichem Austausch mit diesen Institutionen – was immer das heißen soll. Es sollten Plätze in der Kindertagesbetreuung in benachteiligten Quartieren ausgebaut werden. Heute, wenn ich schon nicht sagen möchte, tränen mir die Augen, sage ich, brennen mir die Augen, wenn ich nur an das Thema Kinderbetreuung denke.
Ebenso geht es mir, wenn ich an all die nicht ein gelösten Versprechen im Wohnungsbau denke. Die durchgängige Sprachförderung auf dem gesamten Bildungsweg sollte ausgebaut werden. Stand heute: Es wird auf ein Konzept aus 2013 verwiesen, in dem aber die Kindergärten gar nicht vorkommen. – Je mehr Kinder aber quasi chancenlos aufwachsen, desto höher wird später der Anteil derer sein, die erneut auf Sozialleistungen angewiesen sind. Da nützt dann selbst eine florierende Wirtschaft nichts mehr, wenn Kinder ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung dastehen und die Jobs nicht besetzen können.
Doch auch bereits langzeitarbeitslose Menschen soll ten schneller zurück in den Arbeitsmarkt finden oder wenigstens einer sinnvollen, geregelten Beschäftigung nachgehen können. Mit dem Landesprogramm wollte der Senat Perspektiven für 500 Langzeitarbeitslose schaffen, doch durch offensichtlich unzureichende Verständigung mit den entsprechenden Akteuren gibt es bislang kaum Plätze, und das Programm droht zu floppen.
(Abg. Frau Böschen [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Alle Plätze in Bremerhaven sind besetzt! Sehen Sie sich die Zahlen doch mal an!)
Wunderbar! In Bremen sieht das, glaube ich, noch ein wenig anders aus, und ich halte den Bereich Bre men für ein Trauerspiel. Herzlichen Glückwunsch an Bremerhaven!
Die CDU-Fraktion fordert heute mit ihrem Antrag, die fraktionsübergreifenden Maßnahmen des Armutsaus schusses zunächst in den entsprechenden Deputati onen und Ausschüssen zu bearbeiten. Unter den 88 Vorschlägen sind auch solche, die in der Umsetzung kaum Geld kosten. Das ist so, Herr Janßen. Es gibt auch andere, die teurer sind, natürlich. Aber die, die kaum Geld kosten, sollten auf jeden Fall sofort und zuerst umgesetzt werden. Durch Aktivitäten zumin dest in diesen Bereichen in den letzten eineinhalb Jahren hätte man uns doch zeigen können, dass der gute Wille da ist. Fehlende Gelder können jedenfalls nicht der Grund für das Untätigsein gewesen sein.
Schlussendlich wollen wir, dass im Sommer 2017 ein überarbeiteter Bericht vorgelegt wird, der ein Zeit- und Maßnahmenkonzept und einen Zuständigkeitsplan enthält. Ja, vor Kurzem stand im „Weser-Kurier“:
„Bremen produziert Dynastien ungebildeter Armer, klagt aber über die unverhältnismäßig hohen Sozi alausgaben des Stadtstaats.“
Es wäre grundfalsch, sich lediglich dem Erträglich machen von Armut zu verschreiben. Das erklärte Ziel muss weiterhin Armutsbekämpfung und Prävention von Armut sein.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich zur Kommen tierung der Anträge der Opposition komme, noch zwei Punkte ansprechen.
Der eine ist – das verfolgt uns in der politischen Debatte in den letzten Monaten in Bremen sehr und ist für mich ein richtiges Ärgernis -: Wenn politische Maß nahmen schweren Herzens und mit viel Widerstand getroffen werden, die genau die Thematik, über die wir gerade sprechen, zum Ziel haben, nämlich die Prävention und Bekämpfung von Armut, dann muss man zu denen, wenn man heute so spricht, auch ste hen. Die Kita-Beitragsordnung stellt 56 Prozent aller Eltern, nämlich alle, die Transfereinkommen haben, alle, die niedrige oder niedrigere Einkommen haben, komplett von Kita-Beiträgen frei.
Das ist eine Maßnahme, die genau in den Plan der Prävention und Bekämpfung von Armut passt. Wenn man dann sagt: „Aber das ist ja ungerecht, weil die da oben dann ein bisschen mehr zahlen müssen, damit unter dem Strich die Einnahmen wieder her auskommen“, oder wenn man sagt: „Nein, wir wollen aber gerne sowohl als auch: dass die Reichen nichts zahlen und die Armen auch nicht“, dann verkennt das, dass politische Entscheidungen zugunsten der Bekämpfung von Armut konkret getroffen werden müssen, und das war zum Beispiel eine ganz konkrete Entscheidung der Koalition zugunsten der Thematik hier, nämlich dass es Eltern erleichtert wird, bis weit über die Mitte – das zeigt die Zahl 56 – des Einkom mensspektrums hinaus ihre Kinder kostenfrei in den Kindergarten schicken zu können. Das muss, wenn man heute hier über Armut spricht, auch anerkannt werden.
Natürlich kann man immer sagen, dass es, wenn für alle alles frei wäre, am schönsten wäre. Vor allem
für uns Koalitionsabgeordnete wäre das Leben am allerschönsten, wenn wir verkünden könnten, dass für alle alles frei ist. Das wäre ein wunderbarer Zustand.
Wenn das aber nicht so ist, dann ist die Entscheidung dafür, die Armen zu entlasten und die Reichen zu belasten, eine, die eigentlich in Ihrem Sinne sein müsste, hatte ich immer gedacht – unter dieser Vo raussetzung.
Ein zweiter Punkt, den ich gern ansprechen wollte, ist die Entscheidung zu den Ganztagsschulen. Es gibt natürlich in Stadtteilen, in denen sehr viel mehr Menschen wohnen und beide Elternteile berufstätig sind, durchaus nennenswerten Widerstand gegen die Entscheidung, zehn neue Ganztagsschulen vor allem an der Frage des Sozialindikators festzumachen. Auch das ist eine bewusste politische Entscheidung zur Bekämpfung und Prävention von Armut. Auch diese ist nicht unumstritten, sie wird bekämpft, dazu muss man auch stehen, und diese beiden Beispiele zeigen – –.
(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ich war im Beirat Schwachhausen, habe euren Koalitionsbeschluss verteidigt! Da wackelt keiner, muss man auch sagen!)
Da wackelt gar keiner, sondern der Beschluss ist in unserer Fraktion einstimmig ergangen, dass wir die Auswahl der Ganztagsschulen nach diesen Kriterien treffen. Ich bin sehr froh, wenn es uns gelingt, auch für die anderen Stadtteile noch Lösungen zu finden. Selbstverständlich ist es gut, wenn wir auch in den anderen Stadtteilen, in denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die uns auch ein sehr wichtiges Anliegen ist, erschwert ist, noch Lösungen finden. Aber wenn wir zunächst die Mittel für den Ausbau der Ganztagsschulen auf die Stadtteile konzentrieren, die unter dem Gesichtspunkt der Armutsprävention und Armutsbekämpfung vorrangig sind, dann ist das eine politische, konkrete Maßnahme und durchaus keine einfache, die beschlossen worden ist, um das Ziel, das hier formuliert wird, zu erreichen. Das muss man an dieser Stelle noch einmal festhalten.
Beitrag mehr zahlen müssen und dies ein Beitrag Bremens zur Armutsbekämpfung wäre. Können Sie sagen, warum 56 Prozent der Eltern keine Beiträge mehr zahlen? Nach meinem Kenntnisstand wurde das vom Sozialgericht festgelegt, dass man das so einrichten muss.
(Abg. Güngör [SPD]: Wollen Sie eine Frage stellen oder eine beantworten? – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch trotzdem eine Bekämpfung der Armut!)
Frau Grönert, nach dem Urteil des Gerichts wären wir mit durchaus weniger sozusagen durchgekommen. Wir haben eine sehr großzügige Auslegung in Richtung auf Entlastungen Armer und Ärmerer und niedrigerer Einkommen vorgenommen, und es war eine bewusste politische Entscheidung, darüber hinauszugehen. Sie können mir glauben, dass diese beiden Beispiele, die ich genannt habe, in beiden Koalitionsparteien durchaus auch umstritten sind, und ich führe sie hier an, weil ich sagen will: Es geht nicht um ewige Run den, ewige Papiere und Stapel von guten Wünschen, sondern um politische Entscheidungen. Das ist meine Botschaft, die ich hier anbringen möchte.