Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes, Drucksache 19/1732, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU, BIW, Abgeordneter Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordneter Schäfer [LKR], Abge- ordnete Wendland [parteilos])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt das Gesetz in erster Lesung ab.

Damit unterbleibt gemäß § 35 Satz 2 der Geschäftsordnung jede weitere Lesung.

Nun treten wir in die verspätete Mittagspause ein. Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns um 15.00 Uhr wiedertreffen.

(Unterbrechung der Sitzung 13.28 Uhr)

Vizepräsident Imhoff eröffnet die Sitzung wieder um 15.00 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Eingangs möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Tagesordnungspunkt fünf und der Tagesordnungspunkt 19 für diese Sitzung ausgesetzt werden. Wir setzen in der Tagesordnung fort und kommen zum Tagesordnungspunkt 74 außerhalb der Tagesordnung.

Menschenleben retten ist kein Verbrechen! Antrag (Entschließung) der Fraktionen DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 24. August 2018 (Drucksache 19/1792)

Wir verbinden hiermit:

Seenotrettung als Bestandteil des Völkerrechts gewährleisten – Fluchtursachen und Schleusungskriminalität auf europäischer Ebene bekämpfen! Antrag (Entschließung) der Fraktion der CDU vom 28. August 2018 (Drucksache 19/1795)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir blicken zurück auf eine lange und tragische Geschichte der Grenzabschottung Europas. Wir beklagen seit dem Jahr 1990 über 25 000 Todesopfer, allein dieses Jahr hat die Grenzabschottung Europas laut Angaben der NGO borderline-europe Menschenrechte ohne Grenzen e. V.

mindestens 1 500 Menschenleben gekostet.

Menschen in Europa wollen das nicht hinnehmen und engagieren sich in der zivilen Seenotrettung. Ich finde, das ist gut so, und das verdient unser aller Respekt, –

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Menschen, die sich engagieren, privat mit ihrem eigenen Kapital, mit Schiffen, die Spenden sammeln, die Öffentlichkeitsarbeit machen gegen diese tödliche Grenzabschottung, sie werden kriminalisiert. Hier haben wir eine lange Geschichte der Kriminalisierung, die bereits 2004 anfing. Das ist kein neues Problem, sondern das ist schon 2004 mit der spektakulären Festnahme der Cap Anamur und der Anklage von Elias Bierdel durch die italienische Regierung entstanden.

Diese Geschichte wird weitergeschrieben von Regierungen Europas. Wir haben die Aquarius der NGO SOS MEDITERRANEE Deutschland e. V., an der auch Bremerinnen und Bremer beteiligt sind, die im Juni einen tagelangen Streit um das Rettungsschiff Aquarius hatten, der Italien und Malta eine Woche lang die Einfahrt mit 629 Geflüchteten an Bord verweigerten.

Wir haben die Geschichte des Mission Lifeline e. V., dessen Schiff Lifeline von Italien die Einfahrt mit 234 Geretteten nicht genehmigt wurde und Malta den Kapitän Claus-Peter Reisch anklagt hat und immer noch anklagt. Er darf Malta nicht verlassen. Er ist zwar auf freien Fuß gesetzt gegen eine Kaution von 100 000 Euro, aber er ist weiter konfrontiert mit einer Anklage durch die maltesische Justiz.

Wir haben die Alexander Mærsk, ein Containerschiff, das Geflüchtete gerettet hat, also seiner Pflicht nach dem internationalen Seerecht, Menschen in Seenot zu retten, gefolgt ist, dies als die gesetzlich vorgesehene Pflicht vollzogen hat und der Italien das Anlegen in einem italienischen Hafen verweigert hat. Das heißt, hier wird nicht nur privates Engagement verhindert. Es wird auch verhindert, dass zum Beispiel Containerschiffe das internationale Seerecht befolgen. Sie werden abgeschreckt, weil ihnen damit signalisiert wird: Wenn ihr Menschen rettet, wenn ihr eure Pflicht vollzieht, wenn ihr das tut, was das internationale Seerecht vorsieht, dann werden wir euch nicht in unsere Häfen lassen. Dann habt ihr Kosten, und ihr habt das Problem der Irrfahrt und der Geflüchteten, diese irgendwo in einem Hafen anlanden zu lassen.

Wir hatten die Sea-Watch 3, die in Malta festgesetzt wurde und unter niederländischer Flagge fährt, und wir haben viele weitere, zum Beispiel das Schiff der Organisation Jugend rettet e. V., deren Schiff IUVENTA 14 000 Geflüchtete aus der Seenot gerettet hat. Das Schiff ist nach wie vor in einem

italienischen Hafen festgesetzt und darf nicht wieder auslaufen.

Wir haben die libysche Küstenwache, die auf ein spanisches Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms geschossen hat und das ohne Konsequenzen seitens der EU, die nach wie vor der libyschen Küstenwache – –. Man muss eigentlich sagen, das sind paramilitärische Milizen, denen auch kriminelle Handlungen vorgeworfen werden die dokumentiert sind in Videos von Geflüchteten, denen Sklavenhandel vorgeworfen wird.

Es gibt Berichte aus Lagern von diesen Milizen, nach denen es sogar Erschießungen geben soll. Es gibt Vergewaltigungen, es gibt unmenschliche Bedingungen in den Lagern. Diese Milizen haben sogar auf NGO-Schiffe geschossen, und die EU zieht keinerlei Konsequenzen daraus. Sie gibt den libyschen Milizen nach wie vor 50 Millionen Dollar.

Diese NGOs füllen eine Lücke, die die staatliche Seenotrettung nicht füllen kann. Wir haben seit 2015 die Seenotrettungsmission „Sophia“. Sie ist aber in erster Linie keine Seenotrettungsmission. Sie ist eine Mission zur Verhinderung von Menschenhandel, so ist die offizielle Aufgabe. Diese Mission „Sophia“ wurde aber auch zurückgefahren, sie hat zwischendurch pausiert, und die italienische Regierung verweigert sogar den Schiffen dieser offiziellen Mission der EU das Anlegen in den eigenen Häfen.

Wir hatten letzte Woche dieses Drama um das Schiff Diciotti, das ist ein Schiff der italienischen Küstenwache im Rahmen der Seenot-Rettungsmission „Sophia“. Selbst diesem eigenen Schiff hat Italien die Einfahrt verweigert und nicht zugelassen, das die 177 Geflüchteten an Bord das italienische Land betreten.

Es gibt jetzt eine Anklage der italienischen Justiz, die ich sehr interessant finde. Es gibt eine Anklage wegen Freiheitsberaubung. Ich finde, diese Anklage ist durchaus berechtigt, und ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt. Das ist aus meiner Sicht nicht nur Freiheitsberaubung, es ist auch die Verhinderung und Kriminalisierung sogar staatlicher EU-Missionen zur Rettung von Menschenleben. Das ist nicht hinnehmbar, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE)

Dazu muss man aber auch sagen, der italienische Innenminister Salvini von der Lega Nord ist jetzt eigentlich – –. Er hat durchaus auch durch die Wiederholung von faschistischen Slogans der Mussolini-Diktatur von sich reden gemacht. Er hat Migranten als Menschenfleisch bezeichnet. Und sein Partner, –

(Glocke)

sein Partner, Sebastian Kurz, hat von einem NGOWahnsinn gesprochen. Ich finde es richtig, dass wir hier sagen, dass wir eine Koalition der willigen Aufnahmestätte haben, dass Bremen sich bereit erklärt, die Überlebenden der Seepassage aufzunehmen. Das haben Köln, Bonn, Berlin und andere Städte bereits getan. Das ist ein wichtiges Signal, dass wir Richtung Berlin schicken: Dass wir bereit sind, die Überlebenden aufzunehmen und dass wir es nicht hinnehmen, dass die Seenotrettung kriminalisiert wird. – Dankeschön!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort die Abgeordnete Grönert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Satz unseres Bürgermeisters Dr. Carsten Sieling beginnen, den die Fraktion DIE LINKE und jetzt auch die Koalition in ihrem Antrag aufgreifen.

Anfang 2016 bei der Verabschiedung der Aquarius zu ihrer ersten Seenot-Rettungsaktion sagte er: „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen und gleichzeitig diejenigen schützen, die bereits auf der Flucht sind“. Die Antragsteller greifen diese Aussage zwar auf, machen aber nichts daraus. Sie konzentrieren sich nur auf die zweite Hälfte, wo steht, dass man denen helfen sollte, die bereits auf der Flucht sind. Dabei gerät ihnen der erste Teil völlig aus dem Blick.

Aber ist es sinnvoll und geboten, in der politischen Arbeit den Blick so zu verengen? Muss man nicht beides zusammen denken: Denen zu helfen, die bereits auf der Flucht sind und die Fluchtursachen, und ich füge noch hinzu, die Schleusungskriminalität, bei der Bereicherung auf dem Rücken der Flüchtlinge stattfindet, zu bekämpfen?

(Beifall CDU, FDP)

Dieser vorgelegte Antrag greift der Fraktion der CDU viel zu kurz, meine Damen und Herren. Ich

verstehe nicht, warum vor allem die Fraktion der SPD auf diesen Zug aufgesprungen ist. Mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE und der Koalition soll heute über zwei Forderungen abgestimmt werden. Zur ersten sage ich, es doch wohl selbstverständlich, dass auch wir Bremer uns zu unserer völkerrechtlichen und humanitären Pflicht zur Rettung von Menschen aus Seenot bekennen, jedenfalls immerhin noch mehrheitlich.

Schiffen mit Geretteten muss das Anlegen in einem sicheren Hafen ermöglicht werden. Sie dürfen, wie die Fraktion DIE LINKE richtigerweise fordert, nicht zu Unrecht kriminalisiert werden, auch nicht durch äußerst fragwürdige Unterstellungen. Aber nicht grundlos hat sich die Situation in Italien und umzu so zugespitzt. Darauf einzugehen, fehlt mir allerdings heute die Zeit.

Selbstverständlich wollen und werden wir auch in Bremen aus Seenot gerettete Menschen aufnehmen, sobald in Deutschland aufgenommene Flüchtlinge in die Bundesländer verteilt werden. Dagegen hat sich Bremen noch nie gestellt. Damit wäre jetzt der Antrag der Fraktion DIE LINKE schon abgearbeitet, aber es wäre eben angesichts der in den letzten Jahren entstandenen Dramatik einfach nicht angemessen, hier aufzuhören und in Zeiten, in denen wir die Menschen besser einen sollten, lediglich Strömungen von links nach rechts zu bedienen.