Insofern ist die immer wieder gern gebrachte Situation 2002 völlig unsinnig und hilft nicht weiter. Ich will mit Ihnen keine Schuldvorwürfe austauschen, sondern ich möchte eine Problemlösung herbeiführen. Herr Kollege Kaufmann, das ist wesentlich mehr, als Sie offenbar sich vorzustellen in der Lage sind.
Wenn Sie sich die Hessische Verfassung ansehen, dann finden Sie dort zwei Kriterien. Eines sind die werbenden Ausgaben. Es gibt ein zweites Kriterium, das nach dem Staatsgerichtshofsurteil alternativ dazu steht.Das ist eines der Probleme. Die werbenden Ausgaben sind in alle Richtungen interpretationsfähig, das ist dehnbar, das ist überhaupt nichts Klares. Es geht weniger um Bürgerhäuser, die wir mit Landesmitteln ohnehin relativ selten bauen, sondern es geht z. B. um Finanzinvestitionen. Wenn es noch nicht einmal gelingt, Abschreibungen abzusetzen, also Kapitalverzehr herauszurechnen, wie wollen Sie dann zwischen guten und schlechten Investitionen unterscheiden? Nein, das ist keine Lösung.
Auch der Primärsaldo ist nach meiner festen Überzeugung ungeeignet; denn ich kann das Problem schnell lösen: Ich muss mehr Schulden aufnehmen, dann ist er positiv. Dann gebe ich weniger für die Zinsen aus, aber mehr für anderes. Das ist ebenfalls kein Kriterium.
Deshalb brauchen wir eine ganz klare Begrenzung auf Schulden, die maximal gemacht werden können. Nur wenn man sich an etwas messen kann, kann man feststellen, wie gut man ist. Dann kann man das Ziel erreichen, weniger Schulden aufzunehmen und irgendwann einmal gar keine mehr zu haben.
Herr von Hunnius, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bei einer Kurzintervention beträgt sie nur zwei Minuten.
Herr Kollege, Sie verfahren nach dem Motto: Ich halte mir die Augen zu, damit mir kein Sand in den Kopf rinnt, wenn ich den Kopf in den Sand stecke. Sie verdrängen die Wirklichkeit, schieben es hier auf eine parteipolitische Debatte ab, um die es nicht geht. Schade drum, Sie haben dabei verloren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege von Hunnius,ich habe mich bewusst bemüht,deutlich zu machen, dass das Problem in der Tat richtig angesprochen ist. Sie werden uns nachsehen, dass wir Ihren Lösungsvorschlag, nämlich die Maastricht-Kriterien umzusetzen, für falsch halten. Ich denke, das habe ich auch begründet.
Wenn jetzt plötzlich jemand, der jahrelang die Verschuldung mitgemacht hat, sich hier zum Ritter der edlen Finanzwirtschaft stilisieren will, dann begrüße ich das außerordentlich. Ich habe Ihnen nur angeraten, das neunte Kapitel der Apostelgeschichte nachzulesen – über die kommende Osterzeit ist dazu auch Gelegenheit –, um zu prüfen, ob die Wandlung wirklich eine echte ist. Denn nur dann, wenn wir mit echten Finanzwirtschaftlern, die an nachhaltiger Finanzwirtschaft für das Land und die Kommunen interessiert sind, arbeiten, kommen wir zu einer Lösung.
Natürlich kann es bei der Handhabung der Kriterien der Verfassung nicht bleiben, wie es bisher geschehen ist. Das habe ich auch gesagt. Wir werden uns möglicherweise noch über Definitionen unterhalten und sie verklaren müssen.Aber der Weg, den Sie gehen wollen, wenn Sie sagen, für was Sie das Geld pumpen, ist völlig unwichtig, wenn es nur nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsproduktes sind, ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kaufmann. – Jetzt hat in regulärer Redezeit von 15 Minuten Herr Williges für die CDU-Fraktion das Wort.
Nie gehabt, Herr Schmitt. – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr von Hunnius, Sie haben uns zu Beginn Ihrer Rede zu einer sachlichen Diskussion über Ihren Vorschlag eingeladen. Diese Einladung zur sachlichen Diskussion nehmen wir gerne an und unterscheiden uns dabei insbesondere vom Kollegen Kaufmann,
der 60 % des Bruttoredeinhalts mit Beschimpfungen der FDP und Worthülsen verbraucht hat. Wie wir in den letzten Jahren festgestellt haben, hat er von Rede zu Rede einen Zuwachs von 3 % Worthülsen.Das liegt deutlich über jedem Maastricht-Kriterium.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Wachstumsraten hätten Sie gerne, Herr Kollege!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr von Hunnius, ich kann es Ihnen allerdings nicht ersparen, auf das einzugehen, was Sie zum Kollegen Milde sagten. Wenn man wie Sie in den Mittelpunkt der eigenen politischen Tätigkeit das Anprangern der Verschuldung stellt – das haben Sie in den vergangenen Jahren getan, Herr von
Hunnius –, dann muss man damit rechnen, dass der finanzpolitische Sprecher der für den Haushalt mitverantwortlichen Mehrheitsfraktion entsprechend reagiert und mit aller Deutlichkeit darauf hinweist, dass im abgelaufenen Haushaltsjahr 2005 Verfassungsgrenzen – in welcher Interpretationsform auch immer – eingehalten worden sind. Nicht mehr und nicht weniger hat Herr Milde mit seiner Presseerklärung getan.
Aber eines gilt für Herrn Milde wie für die gesamte CDUFraktion hier im Hause: Wir sind bereit, sachlich über Ihren Vorschlag zu diskutieren. Damit möchte ich jetzt beginnen.
Herr von Hunnius, es gibt einige Kritikpunkte, die Sie am bestehenden System der Verfassungsgrenze äußern, und einige Vorteile,die Sie für die Anwendung der MaastrichtKriterien aufzeigen. Zu einigen Anmerkungen teilen wir Ihre Meinung, andere Anmerkungen beurteilen wir kritisch. Ein zu weit gefasster Investitionsbegriff ist auch aus unserer Sicht nicht gegeben. Gleiches gilt für die von Ihnen unterstellte unklare Krediterlaubnis bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Dazu werde ich aber später noch einiges sagen.
Die fehlende Verpflichtung, Schulden abzutragen, ist ebenso ein Mangel des bisherigen Systems wie die Tatsache, dass die Schulden der sozialen Sicherungssysteme nicht in die Berechnung einbezogen werden.
Zu der Frage, ob man die maximale Schuldenhöhe am Bruttoinlandsprodukt und nicht an der Höhe der Investitionen festmachen sollte, habe ich eine ähnliche Position, wie sie Herr Kaufmann in den restlichen 40 % seiner Rede vertreten hat, dass es nämlich hoch problematisch ist.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seien Sie vorsichtig, sonst wird wieder über Schwarz-Grün geredet! 40 % Übereinstimmung sind kritisch!)
Aber auch dazu möchte ich später noch kommen. Zunächst ist festzustellen, dass die Einhaltung der Maastricht-Kriterien die Stabilität der gemeinsamen Währung auf europäischer Ebene sichern sollte.
Das ist der Ursprung der Maastricht-Kriterien. Zur Wahrheit gehört auch, dass Länder, die die Befürchtung hatten, andere Länder würden die Kriterien nicht einhalten oder nicht solide wirtschaften, einige Jahre später selbst als erste auf der Anklagebank saßen. Daraufhin ist folgender Effekt eingetreten. Eine rot-grüne Bundesregierung hat Druck auf Brüssel ausgeübt, die Maastricht-Kriterien nicht so eng anzulegen, wie Deutschland ursprünglich vorgeschlagen hat.
Der Fall Griechenland – Herr von Hunnius, wir sollten uns das genau anschauen – macht natürlich deutlich, dass Maastricht-Kriterien kein Allheilmittel sind. Wir haben feststellen müssen, dass es auch auf europäischer Ebene Möglichkeiten gibt, sie zu umgehen. Die Vermutung liegt nahe, dass es gegenwärtig in einigen Ländern durchaus noch der Fall ist.
Deshalb ist klar: Die Maastricht-Kriterien sind in erster Linie Mechanismen zur europäischen Währungskontrolle. Sie sind für deutsche Landes- und Kommunalhaushalte als Instrument zur Bewertung und deren Disziplinierung deshalb nur bedingt geeignet.
Ich komme auf die Null-Neuverschuldung zu sprechen, Herr Kollege von Hunnius. Ein hehres Ziel, das wir sicherlich anstreben sollten, aber auch Sie müssen einräumen: Null-Neuverschuldung ist durch die Anwendung der Maastricht-Kriterien nicht gewährleistet. Null-Neuverschuldung wäre durchaus auch durch Änderung der Verfassung im bestehenden System zu ermöglichen. NullNeuverschuldung ist keine Frage der Messtechnik oder der Systematik, sondern eine Frage des politischen Willens.
Bevor ich auf einige Ihrer Pro-Maastricht-Argumente detaillierter eingehen werde, möchte ich einige wenige zweifelnde Anmerkungen zu Ihren Rechnungsbeispielen machen und zwei Punkte herausgreifen. Herr von Hunnius, Sie sprechen zum einen von einer Nettoneuverschuldung im Jahre 2005 – Land und Kommunen zusammengenommen – von 3,67 Milliarden c. Mir ist schleierhaft, wie Sie auf diese Zahl kommen. Das Land hat eine Nettoneuverschuldung von 776 Millionen c. Die mir für die Kommunen bekannten Zahlen der Neuverschuldung liegen deutlich unter dem,was zwischen diesen beiden Summen noch fehlt. Die Vermutung liegt nahe, dass Sie die kumulierten Haushaltsdefizite der Kommunen komplett in das Jahr 2005 einbezogen haben. Sie werden uns sicherlich noch erklären, wie Sie zu dieser Rechnung kommen.
Zum anderen teilen wir nicht Ihre Auffassung bezüglich der Verschuldung des Bundes in Höhe von 65 % und der Länder in Höhe von 35 %.Nach unserer Auffassung greift diese Aufteilung allenfalls für Sanktionen der EU, die der Bund an die Länder weiterzugeben hat. Für die Ermittlung der tatsächlichen Verschuldungsgrenzen von Bund und Ländern wären die jeweiligen Volumina der Haushalte von Bedeutung. Das ist zumindest unsere Auffassung.
Wenn wir diese beiden Punkte zusammennehmen, kommen wir zu der Überzeugung, dass das Land Hessen nach den Maastricht-Kriterien – auch wenn die Kommunen mit eingerechnet werden – die Verschuldungsgrenze noch nicht erreicht hätte und damit die von Ihnen errechnete Verschuldungsgrenze zum jetzigen Zeitpunkt nicht überschritten wäre.
Ich komme jetzt zu dem, was Herr Kaufmann zu Recht angesprochen hat. Aus unserer Sicht ist die maximale Höhe der Verschuldung, wie es im Grundgesetz und in den Länderverfassungen vorgesehen ist, an die Investitionen und damit an die Zuwächse zum Anlagevermögen gekoppelt. Sie sprechen von Volksvermögen. Ich denke, der Begriff Staatsvermögen wäre besser. Diese Zuwächse im Anlagevermögen daran zu koppeln ist die sinnvollere und nachhaltigere Variante bei allen Mängeln, die das System hat. Das betrifft die Investitionen und die fehlende Berücksichtung von Abschreibungen. In diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Ich halte es aber für die nachhaltigere Variante, weil die andere Alternative, die Verschuldungsgrenze jahresbezogen am Bruttoinlandsprodukt und damit an der im Haushaltsjahr ermittelten Leistungsfähigkeit festzumachen, diese Barriere vollständig aufheben würde.
Ich möchte nun einen weiteren Aspekt eines Systemwechsels ansprechen. Die Länder – und Hessen gehört erfreulicherweise aufgrund der soliden Finanzpolitik der letzten Jahre nicht dazu –,
(Lachen bei der SPD – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein humorvoller Mensch! – Norbert Schmitt (SPD): Einen Scherz streut er immer wieder in seine Rede!)
die dieses Kriterium erreichen würden – zum einen die Gesamtverschuldung von maximal 60 % und zum anderen 3 % bei der Nettoneuverschuldung –, hätten in Krisenzeiten nicht mehr die gestalterischen Möglichkeiten, die sie derzeit haben und die sie notwendigerweise auch brauchen. Eine Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wäre nach der Auffassung, die Sie, Herr von Hunnius, darlegen, nicht mehr möglich, und es gäbe keinerlei begründete Ausnahmen von der Regelung. Auch ein antizyklisches Investitionsverhalten würde unter den neuen Regeln sehr schwierig. Die Erfüllung der originären Aufgaben in Krisenzeiten würde sehr problematisch, wenn eine solche Grenzziehung vorgenommen würde. Gerade die Länder – darauf hat Frau Erfurth gestern in der Debatte über den Länderfinanzausgleich hingewiesen – haben viel weniger Möglichkeiten, konjunkturelle Stellgrößen zu verändern, als es der Bund kann. Sie können auf zurückgehende Einnahmen in geringerem Maße als der Bund Einfluss nehmen.
Meine Damen und Herren, eine Umstellung dieses Systems hätte für Hessen, wie ich deutlich gemacht habe, keine negativen Konsequenzen.
Es gibt allerdings einige Nehmerländer im Länderfinanzausgleich, die dadurch in ernsthafte Schwierigkeiten kommen könnten. Gerade diese Länder hätten nicht mehr die Chance, konjunkturelle Dellen durch höhere Staatsverschuldung abzufedern und in der wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung Schulden wieder abzubauen. Das wäre im Rahmen von Maastricht nicht mehr möglich.
Schauen wir uns in diesem Zusammenhang einmal die Entwicklung der Steuereinnahmen in Hessen und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft seit 1999 an. Nach einem Anstieg bis zum Jahr 2000 auf 14,91 Milliarden c gingen die Steuereinnahmen in den Folgejahren kontinuierlich zurück. Erst im Jahr 2005 – also erst im vergangenen Jahr – wurde mit 13,11 Milliarden c der Wert von 1998 wieder knapp überschritten. Diese massiven Einnahmeausfälle konnten nur durch höhere Kreditaufnahmen ausgeglichen werden. Schaut man sich die Nettokreditaufnahme im Bund an, stellt man fest, dass sie im Zeitraum von 1999 von 26,1 Milliarden c auf 39,5 Milliarden c in 2004 gestiegen ist. Nur darin liegt die Ursache für die Debatte, die wir heute über Verschuldungsgrenzen führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDPFraktion – ich sehe auch nicht allzu viel Unterstützung, Herr von Hunnius, bei diesem Punkt aus Ihren eigenen Reihen –, eines bleibt bei aller Sympathie für Ihren Vorschlag: Die große Aufgabe der Eindämmung der Staatsverschuldung ist nicht durch eine Änderung des Messund Regelsystems zu bewältigen. Die Balance zwischen der Erfüllung als notwendig angesehener staatlicher und kommunaler Aufgaben einerseits und der Höhe von Staatseinnahmen andererseits ist und bleibt eine politische und keine finanztechnische Aufgabe. Darauf haben Sie, Herr von Hunnius, gestern in der bereits angesprochenen LFA-Debatte hingewiesen, indem Sie gesagt haben, wir müssten Ziele zur Staatsverschuldung definieren. Genau das haben – ich komme jetzt wieder auf das zurück, was Herr Milde in seiner Presseerklärung gesagt hat – die Landesregierung und die CDU-Landtagsfraktion gemacht.Wir haben mit der „Operation sichere Zukunft“
erfolgreich und nachhaltig – und ohne Strukturen zu zerstören – dafür gesorgt, dass die Personal- und Versorgungsaufwendungen dauerhaft gesenkt wurden.
Dadurch haben wir jährliche strukturelle Einsparungen in Höhe von 600 Millionen c mit steigender Tendenz für die nächsten Jahre gewonnen. Wir sind eines der wenigen Bundesländer, das bei den Personalkosten die Trendwende zu einer Stagnation geschafft hat. Statt 7,44 Milliarden c, die wir ohne die eingeleiteten Sparmaßnahmen des Jahres 2004 an jährlichen Personalkosten jetzt zu verbuchen hätten, sind es lediglich 6,87 Milliarden c im Jahr 2006. Mit jedem eingesparten Euro bei den Personalkosten reduzieren wir die Versorgungsleistungen in der Zukunft.
Die FDP klammert bei ihrem Vorschlag aus, dass die Risiken, die insbesondere unter demographischen Aspekten in den künftigen Versorgungsaufwendungen liegen, weder durch die derzeitigen Verfassungsgrenzen noch durch Maastricht-Kriterien erfasst und abgebildet werden. Deshalb gilt: Jeder Staatsdiener, der nicht benötigt wird, weil die Arbeit effizienter erledigt wird und die Arbeitszeit auf Normalmaß erhöht wurde, leistet einen wirksamen Beitrag zur Senkung der Versorgungsleistungen in der Zukunft.
Ich möchte noch auf ein anderes Argument der FDPFraktion eingehen, und zwar auf die Frage der Abgrenzung von Investitionen zum konsumtiven Bereich. Sie sagen, das sei unklar, und spielen auf die leidige Debatte an, die wir hier in den vergangenen Jahren über Verfassungsgrenzen geführt haben, eine Debatte, die wir wohl exklusiv hier in Hessen führen, einem der Länder, in dem das Problem der Verschuldung eigentlich am minimalsten ist.