Protokoll der Sitzung vom 07.06.2011

(Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vor- sitz.)

Warum der ganze Aufwand? Es soll wieder Geld zulasten der Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher eingespart werden. Die Betroffenen werden wieder dazu gezwungen, die Mietkosten aus dem Regelsatz zu subventionieren. Die Alternative, mit den Vermietern geringere Wohnkosten auszuhandeln, hat vor Kurzem die Vertreter der GWH, der Wohnstadt und der Vereinigten Wohnstätten zu einer öffentlichen kritischen Stellungnahme veranlasst, wonach die Mieten nicht mehr auskömmlich seien.

Ich freue mich sehr, dass ich hier von vielen Parlamentarierinnen und Parlamentariern gehört habe, dass sie diese Version der Erstattung der Kosten der Unterkunft ablehnen. Ich erwarte von all denen, die sich dagegen ausgesprochen haben, dass sie das in ihren Kommunen genauso konsequent angehen, statt hier etwas zu sagen und zu Hause etwas anderes zu machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Nächster Redner ist Herr Kollege Decker für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich ist schon alles gesagt. Die Argumente wurden in der Debatte am Dienstag zur Genüge ausgetauscht.

Wir haben bereits deutlich gemacht, warum die SPDFraktion den Entwurf für ein Änderungsgesetz ablehnt. Der Anlass für unsere ablehnende Haltung war und bleibt der aus unserer Sicht unausgegorene Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, mit dem sie in letzter Minute eine Ermächtigung zur Pauschalierung in das Gesetz hineinzaubern wollen. Mit diesem Änderungsantrag hat die eigentlich logische und notwendige Gesetzesnovelle – es geht am Ende schlichtweg darum, ein Bundesgesetz in ein Landesgesetz umzuwidmen – eine andere Dimension erreicht, und dem Ganzen wurde plötzlich ein völlig anderer politischer Drall gegeben.

Dieser Drall geht nach unserer Auffassung in die falsche Richtung, und an dieser falschen Richtung hat sich zwischen der zweiten und der dritten Lesung leider nichts geändert. Es war auch nicht zu erwarten, dass die Regierungsfraktionen zwischen Dienstag und Donnerstag zu einer besseren Erkenntnis kommen würden.

Dabei haben die Anhörungen auch und gerade auf der kommunalen Seite wahrlich keine Begeisterungsstürme hervorgerufen. Im Gegenteil, in den Anhörungen wurde unüberhörbar Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Aber ich bin ehrlich und räume ein, zu glauben, dass sich die Regierungsfraktionen und die Landesregierung eines Besseren besinnen würden, wäre genauso naiv gewesen, wie zu glauben, dass der Besitzer eines Rennboots über Nacht zum Müsli essenden Kanufahrer wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Kurz und gut: Wir befürchten, dass wir der kommunalen Familie in Hessen damit keinen allzu großen Gefallen tun werden. Am Ende müssen wir hier mit großer Wahrscheinlichkeit feststellen, dass damit in Hessen ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen und Handhabungen entstehen wird.

Das Ganze wird dadurch verstärkt, dass wir regional sehr unterschiedliche Wohnraumsituationen haben, wie die Debatte über die Wohnraumzweckentfremdung gezeigt hat. Die Kompliziertheit der Regelungen und die damit verbundenen Fallstricke zum einen und die nach wie vor offene Frage, was eigentlich die richtige Grundlage für eine gerechte Pauschalierung ist zum anderen bergen nach Auffassung nicht weniger Fachleute zusätzlich die Gefahr, dass auf die Kommunen eine weitere Welle von Widersprüchen und Klagen zurollt.

Wir von der SPD-Fraktion sehen das nicht so dramatisch, wie es meine Vorrednerin von der LINKEN eben dargestellt hat. Wir sehen das eher nüchtern. Man muss einräumen, dass die Pauschalierung möglicherweise auch Vorteile mit sich bringt. „Verschlankung der Verwaltung“ ist ein Stichwort. Aber aus unserer Sicht überwiegen die wahrscheinlichen Nachteile diesen kleinen Vorteil bei Weitem, sodass wir in diesem Fall bei unserer Auffassung bleiben. Wir warnen in diesem Zusammenhang auch vor einer Pauschalierung nach Kassenlage der jeweiligen Kommune.

Deswegen ist unser Fazit: Unter diesen Umständen lehnen wir den Gesetzentwurf auch in der dritten Lesung ab. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Decker. – Nächster Redner ist Herr Kollege Burghardt für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich werde die fünf Minuten Redezeit heute nicht ausschöpfen; denn ich denke, wir haben am Dienstag und auch in den Ausschussberatungen alle Argumente ausgetauscht.

Am Ende war die Satzungsänderung der Knackpunkt. Ich finde es schade, dass wir es in diesem Haus nicht geschafft haben, eine Stimmung der Einmütigkeit zu erzeugen, die dafür gesorgt hätte, dass wir das Gesetz gemeinsam verabschieden. Dieser Gesetzentwurf schreibt nämlich – das ist am Dienstag und auch heute nicht so sehr herausgekommen – ein Erfolgsmodell fort. Er gibt den Optionskommunen die Möglichkeit, unbefristet bestehen zu bleiben und die Arbeitsplatzvermittlung weiterhin kommunal zu organisieren.

Ich glaube, dass dies ein Erfolg der Hessischen Landesregierung ist, der wir es auch zu verdanken haben, dass wir ab dem 01.01. nächsten Jahres drei weitere Optionskommunen bekommen werden, sodass Hessen, mit dann 16 von 26 Kommunen, weiterhin das Optionsland Nummer eins bleibt.

Ich sagte zu Beginn, dass ich glaube, wir brauchen heute nicht mehr alle Argumente auszutauschen. Wir finden, das ist ein sehr guter Gesetzentwurf. Natürlich werden wir ihm zustimmen. Wie gesagt, wir finden es ziemlich schade, dass wir für dieses Erfolgsmodell, das fast vom gesamten

Haus getragen worden ist – zumindest in groben Zügen –, keinen gemeinsamen Weg gefunden haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Burghardt. – Nächster Redner ist Herr Kollege Mick für die FDP-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich kann mich auf meine Vorredner beziehen. Wir haben am Dienstag alle Argumente noch einmal ausgetauscht und sehr ausführlich über den Gesetzentwurf gesprochen.

Wir hatten heute Morgen eine Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses, in der Kollege Bocklet von den GRÜNEN die Argumente seiner Fraktion noch einmal vorgetragen hat. Aber auch in dieser Sitzung fiel die Aussprache relativ kurz aus, weil die Argumente im Wesentlichen ausgetauscht waren. Ihre Argumente haben uns nicht überzeugt; unsere Argumente haben Sie nicht überzeugt. Insofern sind wir jetzt an dem Punkt angelangt, an dem die Sache sozusagen entscheidungsreif ist und wir streitig darüber abstimmen müssen.

Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir den Kommunen mit der Pauschalierung ein sehr flexibles Instrument an die Hand geben. Ich bin insbesondere dem Kollegen Decker dankbar, dass er hier sehr differenziert argumentiert und auch die Vorteile dargestellt hat, die sich aus seiner Sicht daraus ergeben können. Insofern ist es an der Zeit, den Kommunen dieses Instrument an die Hand zu geben. Es ist ein guter Gesetzentwurf, und wir werden ihm zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in der Tat zum dritten Mal mit der Änderung des OFFENSIV-Gesetzes. Nicht alle Argumente, die in der dritten Lesung vorgetragen werden, sind also neu.

Für uns GRÜNE bleibt das größte Problem dieses Gesetzentwurfs, der bisher sehr unspektakulär daherkam, die von CDU und FDP initiierte Änderung, wonach die Kommunen nun die Möglichkeit haben, beim Wohngeld und bei der Heizkostenerstattung eigene Pauschalierungen vorzunehmen.

Was mich sehr nachdenklich stimmt und auch Sie, Herr Mick, und Ihren Kollegen Burghardt von der CDU nachdenklich stimmen sollte: Sie können auch heute nicht die Frage beantworten, was ein Hartz-IV-Empfänger macht – um dieses Rechenbeispiel zu nehmen –, wenn er eine Pauschale in Höhe von 300 € bekommt, seine Wohnung aber 330 € kostet. Er hat nichts anderes. In den Großstädten und in den Ballungsräumen, wo es kaum billigen Wohnraum gibt, hat er keine anderen Möglichkeiten. Er hat

keine andere Möglichkeit, als diese 30 € von dem Betrag zu nehmen, den er zur Sicherung des Existenzminimums erhält. Das Existenzminimum ist aber, wie mittlerweile auch höchstrichterlich anerkannt ist, unantastbar. Es ist völlig klar, dass man dieses Existenzminimum auch im Fall der Verhängung von Sanktionen nur temporär antasten darf. Mit diesem ungenauen und damit ungerechten Instrument zwingen wir Hartz-IV-Empfänger, deren Existenzminimum anzutasten, wenn die Wohnungskosten über der Pauschale liegen.

Man kann nicht sagen, es gebe möglicherweise ein paar, die daran verdienen, weil sie, im Gegensatz zu dem HartzIV-Empfänger in meinem Rechenbeispiel, statt 300 € nur 280 € Miete zahlen müssen.

Diese Vorteile für die geringeren Mieten werden nicht dadurch aufgewogen, dass derjenige, der keine andere Möglichkeit hat, sich das Geld woanders herzuholen – denn an die Sparguthaben gehen wir auch schon dran – –

(Minister Stefan Grüttner: Wo leben Sie?)

Herr Grüttner, Sie fragen: „Wo lebe ich?“ – Wir lassen den Hartz-IV-Empfängern kaum Sparguthaben. Sie dürfen kein eigenes Vermögen haben. Herr Minister Grüttner, Sie dürfen dies als Hartz-IV-Empfänger alles nicht haben. Wenn Sie in einer Stadt wie Frankfurt eine Pauschale vorgeknallt bekämen – Gott sei Dank haben wir dort eine kluge Regierung; ich hoffe nur, sie bleibt weiterhin so klug und erhebt keine Pauschale –,

(Beifall bei der CDU)

und Sie eine höhere Miete haben, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ans Existenzminimum zu gehen. – Herr Minister, wo lebe ich da? Dann lebe ich in einer falschen Welt, weil es ein falsches sozialpolitisches Instrument ist; es ist Ihnen geradezu wurst, weil Sie aufgrund von vermeintlichen Verwaltungseffekten mit dem Kopf durch die Wand wollen, und das lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Minister Stefan Grüttner: Mein Güte!)

Das mit dem Argument zu begründen: „Wir wollen den Kommunen nur mehr Rechte zur Verfügung stellen“, ist natürlich nicht falsch. Sie bekommen mehr Rechte, aber sie bekommen ein Recht mehr, das sozialpolitisch in die falsche Richtung geht. Ich kann Sie davor nur warnen. Das ist in den Ballungsräumen ein Problem, aber es ist auch in ländlichen Räumen ein Problem, weil es auch dort Mittelzentren gibt, wo gesagt wird: Du musst auch von Bad Homburg nach Glashütten hinter die Berge ziehen, wo die sozialen Netzwerke nicht vorhanden sind und der öffentliche Nahverkehr und die Mobilität gefährdet sind. – Das alles gilt es mit einer Wohnpauschale doch zu bedenken.

Wenn diese Wohnpauschale – ich wiederhole es noch einmal – zu niedrig liegt, dann muss man an seine Kosten des Lebensunterhalts gehen. Wer will das wirklich? Wir haben lange darum gefeilscht, dass die Regelsätze so sind, wie sie es sind, und Sie kündigen diesen Konsens mit einer völlig irrwitzigen Regelung sozusagen mutwillig auf. Nach meinem Wissen gibt es bisher nur ein Bundesland, nämlich Berlin, das diese Ermächtigung vorsieht.

Ich finde, das ist ein ohne Not vom Zaun gebrochener Streit, und es ist in der Tat eine Zielgruppe, die sich nicht wehren kann. Ich will nicht von der Gruppe der Ärmsten, der Allerärmsten und der Allerallerärmsten reden, auf de

ren Rücken dies ausgetragen wird; aber es ist eine Gruppe, die tatsächlich keine Lobby hat, die oft in verschämter Armut lebt und jetzt auch noch gesagt bekommt: Wenn deine Miete eben zu teuer ist, dann zieh doch gefälligst um, oder nimm es von deinem Regelsatz. – Welche Sozialpolitik ist das? Ich finde das höchst bedauerlich; das ist der völlig falsche Weg, und deswegen lehnen wir auch dieses OFFENSIV-Gesetz in dieser Form ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bocklet. – Das Wort hat nun Herr Sozialminister Grüttner für die Landesregierung.

(Norbert Schmitt (SPD): Ich weiß, wo der lebt!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte erst einmal um Nachsicht für die Zwischenrufe von der Regierungsbank. Ich finde die Unterstellungen des Kollegen Bocklet – deswegen sage ich es an dieser Stelle – allerdings in der Tat unsäglich. Er spricht davon, dass Kommunen eine Ermächtigung eingeräumt wird, und im gleichen Atemzug sagt er, dass die Kommunen von der Ermächtigung dergestalt Gebrauch machten, dass die Sozialpolitik in Hessen auf der Strecke bleibe und dass dies auf dem Rücken der Ärmsten der Armen ausgetragen werde.

Herr Bocklet, Sie haben es schlicht und einfach nicht verstanden.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann erklären Sie es einfach!)

Es gibt für die Kommunen eine Möglichkeit der Ermächtigung.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)