Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Mit der Vorlage eines Sozialbudgets wurden im Sozialetat zunächst über 50 Millionen € für freiwillige Leistungen identifiziert. Dies wurde als ein zu schützendes Budget festgelegt, das trotz der Schuldenbremse von Einsparungen ausgenommen wird. Diese 52 Millionen € werden um weitere rund 18 Millionen € aufgestockt. Somit stehen nun rund 70 Millionen € jährlich für freiwillige Leistungen im Sozialbereich zur Verfügung. Dies bedeutet eine Steigerung um 35 %. Ich sage: Welch eine grandiose Summe, gerade in diesen Zeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Damit nicht genug: Diese 70 Millionen € werden über die gesamte Legislaturperiode hinweg von Einsparungen ausgenommen. Damit bekommen viele Träger von sozialen Hilfen und Träger von Unterstützungsangeboten eine Planungssicherheit, die ihresgleichen sucht. Ich sage dazu:

Wir haben bundesweit recherchiert. Kein anderes Bundesland hat etwas Vergleichbares in dieser Höhe, in dieser Form und mit diesen Inhalten vorzuweisen. Wir können auf diese Vorlage eines Sozialbudgets stolz sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Diese Mittel sind für soziale Vereine, Initiativen, Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Organisationen, die Menschen in nahezu allen sozialen Notlagen helfen und ihnen Unterstützung anbieten. Damit wird die soziale Infrastruktur massiv verbessert. Damit wird die soziale Infrastruktur auf Jahre hin planungssicher gestaltet. Damit wird Hessen ein großes Stück sozialer und gerechter. Das ist gut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass man von einem Meilenstein hessischer Sozialpolitik sprechen kann. Wir wissen nämlich alle, dass im Jahr 2003 die Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen des Sozialministeriums große soziale und politische Probleme aufgeworfen haben. Viele Organisationen standen vor dem Aus oder hatten große Probleme. Ich war als Sozialarbeiter in einer sozialen Organisation tätig und konnte selbst erleben, welche Konsequenzen das hatte.

Wir wissen auch, dass man nach elf Jahren nicht alles zurückdrehen und in den Stand von damals zurückversetzen kann. Das geht mitunter gar nicht, und auch die Problemlagen und die Strukturen haben sich verändert. Aber wir können mit bestimmten Schwerpunkten wichtige Prioritäten setzen, die sozialpolitisch von enormer Bedeutung sind, und darauf können wir stolz sein. Ich glaube, wir alle in diesem Haus können darauf stolz sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

In das Sozialbudget werden über 50 Positionen aus nahezu allen Feldern der Sozialpolitik aufgenommen. Wesentliche Positionen werden abgesichert, und neue kommen hinzu. Ich möchte in der Kürze der Zeit einige benennen: Die Förderung der Frauenhäuser wird nahezu verdoppelt. Das Programm Schutz vor Gewalt wird einen massiven Schub auslösen. Wir werden neue Beratungsstellen für die Opfer sexuellen Missbrauchs einrichten. Das ist nach den Fällen an der Odenwaldschule, die uns alle vehement beschäftigt haben, ein wichtiges Thema. Es werden Projekte der Gemeinwesenarbeit gefördert werden, früher unter „Soziale Stadt“-Projekte bekannt.

Wir werden die Schuldnerberatung verstärken können, die dazu beitragen wird, dass Menschen in ein schuldenfreies und damit selbstbestimmtes Leben zurückkehren können. Die Suchthilfe wird ausgebaut. Die Qualität der Betreuung in den Kindergärten wird dadurch ein weiteres Mal verbessert, dass die Sprachförderung verstärkt wird. Die Familienzentren werden ihre Erziehungsberatung verstärken. Was die Arbeitsmarktpolitik betrifft, werden wir ein Programm auflegen können, mit dem schwer vermittelbaren Arbeitslosen ein dauerhafter, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz angeboten wird. Damit finanzieren wir Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Das ist ein großer Fortschritt für dieses Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte anhand dieses Beispiels für die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen – anhand eines Modells, das in die Richtung sozialer Arbeitsmarkt geht – auf die Presseverlautbarung der SPD reagieren. Was könnten wir in Hessen alles für Arbeitslose tun, wenn es in Deutschland einen sozialen Arbeitsmarkt gäbe? Wenn Sie in der Bundesregierung die Kraft gehabt hätten, einen sozialen Arbeitsmarkt für Deutschland zu installieren, könnten wir in Hessen den Arbeitslosen noch viel besser helfen.

Da brauchen Sie nicht auf uns zu deuten und zu sagen, dass das nicht genug ist. Leisten Sie Ihren Beitrag in der Bundesregierung. Wir bekämen einen großen sozialen Arbeitsmarkt. Deswegen sage ich: Ihre Kritik trifft Sie selbst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Manfred Pentz (CDU), zur SPD gerichtet: Da traut sich keiner, etwas zu sagen!)

Herr Kollege Bocklet, Sie müssen zum Schluss kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Liga der Freien Wohlfahrtspflege bezeichnet das als einen richtigen Schritt in die richtige Richtung. Für uns Sozialpolitiker ist eines klar – auch für unsere Fraktion und, ich glaube, für Schwarz-Grün insgesamt –: Das ist ein Meilenstein für die hessische Sozialpolitik. Es ist ein richtiger Schritt, und es ist ein guter Tag für Hessen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Kollege Bocklet. – Das Wort hat Herr Abg. Merz, SPD-Fraktion.

(Günter Rudolph (SPD): Nun wollen wir einmal die wahren Zahlen hören!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor elf Jahren gab es die berühmte – besser: berüchtigte – „Operation düstere Zukunft“. Das war ein Frontalangriff auf die soziale Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Ein Bestandteil dieser „Operation düstere Zukunft“ waren die Kürzungen bei den Fördermitteln in einer ganzen Reihe von sozial- und jugendpolitischen Handlungsfeldern und bei den auf diesen Feldern tätigen Trägern und Einrichtungen sowie bei ihren Maßnahmen. Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, habe ich damals mit einer gewissen Bewunderung darauf geschaut, wie man mit einem Kürzungsvolumen von nur 30 Millionen € einen solch flächendeckenden Schaden anrichten kann, wie es damals gelungen ist: wie man mit der Streichung von so wenig Geld so viel Schaden anrichten kann.

(Beifall bei der SPD)

Im Gegensatz zu dem, was wir heute vor uns haben, war das damals in der Tat eine weltmeisterliche Leistung. Herr Kollege Staatssekretär – der gerade nicht da ist – hat gesagt, das, was wir heute vor uns haben, nämlich die Aufstockung des Sozialbudgets um zunächst 18 Millionen €, sei eine weltmeisterliche Leistung. Zu den Zahlen kommen wir noch. Er wollte damit einer Angelegenheit etwas Glanz verleihen, die nicht glänzend ist. Er hat, was die weltmeisterliche Leistung betrifft, im Übrigen übersehen, dass die Leistungen gerade in der letzten Zeit doch etwas zu wünschen übrig ließen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich wollte gerade sagen: Vorsicht mit solchen Vergleichen!)

Ich will das nicht vertiefen; denn Fußballmetaphern führen immer in die Irre. Ich will nur darauf hinweisen, dass man ein bisschen aufpassen muss, wenn man sie verwendet.

Jedenfalls wird auch durch das Attribut „weltmeisterlich“ aus der „Operation düstere Zukunft“ keine „Operation strahlende Zukunft“. Dieser Teil der Sozialpolitik verbleibt nämlich auch danach in einem Halbdunkel, von dem man nicht wirklich weiß, ob es die Morgenröte einer neuen Zeit oder nicht doch eher die Abenddämmerung grüner Blütenträume ankündigt.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen uns die Zahlen einmal näher angucken.

(Florian Rentsch (FDP): Ja, mach das mal!)

Es gibt eine Aufstockung um 18 Millionen €. Darin sind einige Sachen eingerechnet, die aus anderen Teilbereichen der Politik stammen. Darin ist z. B. das komplette WIRProgramm eingerechnet, das sowieso aufgelegt worden wäre. Nun nehme ich mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis, dass man den Fortschritt an dieser Stelle darin sieht, dass man das WIR-Programm, das doch der Kardinalpunkt der Integrationspolitik dieser Landesregierung ist – oder, wenn man so will, der einzige Punkt einer eigenständigen Integrationspolitik –, vor sich selbst in Sicherheit bringt und jetzt in einen geschützten Haushaltsbereich stellt. Hatte dieses Programm das denn nötig?

So ist es auch bei einer ganzen Reihe von weiteren Punkten: die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung mit 1,2 Millionen € und die Kosten für die Antidiskriminierungsstelle, die im Moment nicht zu beziffern sind. Im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik habe ich die Zahl von 2 Millionen € gehört. Sie ist in den Verlautbarungen nirgendwo substantiiert worden; aber Herr Bocklet hatte sie im letzten Jahr schon einmal genannt und das als eine „Revolution“ bezeichnet. Wenn alle Revolutionen so billig zu haben wären, würde ich mir auch eine kaufen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich finde den Ansatz richtig, vorausgesetzt, wir wissen, woraus genau er fachlich besteht. Aber um 2 Millionen € so viel Bohei zu machen finde ich dann doch etwas übertrieben.

Ich finde auch, dass Sie ein bisschen über das hinweggehuscht sind, was nun tatsächlich wieder in einen halbwegs vernünftigen Zustand versetzt wird. Die Schuldnerberatung wird jetzt wieder in die Förderung aufgenommen. Das ist ohne Wenn und Aber zu loben. Wir waren das einzige Land, das überhaupt keine Förderung der Schuldnerberatung mehr hatte. Wir begrüßen auch, dass die Mittel

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

ja, langsam – für die Frauenhäuser aufgestockt werden. Es war ein Skandal ohnegleichen, dass sie jemals gekürzt worden sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dasselbe gilt für die Fördermittel bei sexuellem Missbrauch. Da würde mich übrigens einmal interessieren, das ist nirgendwo genannt worden, wo eigentlich die Fördermittel für zusätzliche Beratungsstellen oder einen Ausbau vorhandener Beratungsstellen stehen. Deswegen wird eine Gesamtbilanz überhaupt erst dann zu treffen sein, wenn wir den Haushalt vorliegen haben. Das gilt auch für viele andere Punkte, weil wir bei vielen Dingen schlicht und ergreifend noch gar nicht wissen, wie hoch die Mittel für welche Träger sein werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen im Grunde nur, über den Inflationsausgleich haben wir noch gar nicht gesprochen, dass jetzt statt der 30 Millionen €, die es ehedem waren, 10 Millionen € zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, wenn ich einmal abrechne – davon habe ich schon gesprochen –, was eigentlich aus anderen Bereichen kommt.

Ich will, weil die Zeit knapp ist, zum Schluss eine Frage stellen. Der Minister und, ich glaube, andere haben gesagt: Wir werden dafür sorgen, dass dieses Geld bei den Trägern, Einrichtungen und Maßnahmen auch tatsächlich zusätzlich ankommt und nicht mit kommunalen Zuschüssen sozusagen gegengerechnet wird, die für diese Bereiche in der Vergangenheit aufgestockt werden mussten, um die verheerenden Folgen der „Operation düstere Zukunft“ auszugleichen. – Dazu könnte ich jetzt auch noch ein paar Lieder singen, wenn ich mehr Zeit hätte. Herr Minister, mich würde in der Tat fachlich interessieren, wie Sie das denn genau sicherzustellen gedenken, vor dem Hintergrund der Finanzsituation des Landes, vor dem Hintergrund von Schutzschirmvereinbarungen und von gedeckelten Budgets für das, was auch die Landesregierung

Herr Kollege Merz, vor dem Hintergrund der Redezeit, bitte.

das ist mein letzter Satz – nach wie vor „freiwillige Leistungen“ nennt, für sich selbst, aber eben auch für die Kommunen. Das ist eine der spannenden Fragen, die noch zu klären sein wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Das Wort hat Frau Abg. Schott, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Grüttner und sein Staatssekretär, Herr Dreiseitel, haben am Montag einige Eckdaten des Sozialbudgets vorgestellt. Mein Eindruck ist, Sie wollten damit das Image der Lan

desregierung mit einem sozialen Mäntelchen versehen. Wenn man sich die Presseberichterstattung anschaut, habe ich auch den Eindruck, dass dies missglückt ist. Ich finde, wir müssen uns noch einmal den Begriff der „freiwilligen Leistungen“ anschauen.

In Ihrer Presseinformation steht auch: „Signal von Wertschätzung für die Arbeit“. Wertschätzung allein ist an der Stelle tatsächlich zu wenig. Hierbei werden gesellschaftlich notwendige Aufgaben geleistet. Diejenigen, die das leisten, muss man nicht nur wertschätzen, sondern man muss eine Situation schaffen, in der sie arbeiten können, und dies richtig, gut und dauerhaft abgesichert.