Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

gibt? Wenn wir die regionale Produktion wollen – ich gehe einmal davon aus, dass wir uns darin im Haus über alle sonstigen Differenzen hinweg einig sind –, dann müssen wir auch sicherstellen, dass die Produzenten, also die Landwirte, von ihrem Einkommen leben können. Landwirtschaftliche Betriebe kann man nicht beliebig schließen oder öffnen. Flächen und Know-how gehen schnell verloren.

Landwirt zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere mit geregeltem Feierabend, freien Wochenenden oder gar Feiertagen. Viele Menschen arbeiten heute zunehmend mit unorthodoxen Arbeitszeiten. Das gebe ich zu. Wir kritisieren das auch an vielen Stellen. Aber bei der Landwirtschaft bestimmen eben das Tier, das Wetter oder das Wachstum die Arbeitszeiten, und zwar deutlich mehr, als der Landwirt sie selbst bestimmt.

Milchbauern haben in den letzten Jahren viel Geld investiert, um für das Tierwohl bessere Ställe zu bauen und um für ihre eigene Entlastung technisches Gerät anzuschaffen. Gerade diese modernen Betriebe stehen jetzt unter Druck, weil sie für ihre Kredite schließlich auch aufkommen müssen.

Die geplante Soforthilfe wollen auch die Mitglieder der Linksfraktion. Aber das reicht doch nicht aus. Der Milchmarkt muss dauerhaft stabilisiert werden. Wir können doch nicht immerzu mit Soforthilfen arbeiten, wenn es eine Krise gibt.

Die Abstände zwischen den Milchkrisen werden immer kürzer. Wir brauchen einen Systemwechsel in der Milchpolitik. Wir brauchen keine Billigproduktion und Exportausrichtung, sondern eine Ausrichtung auf die Binnennachfrage in der Europäischen Union und die Wertschöpfung durch regionale Verarbeitung und Vermarktung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Biomilch zeigt, dass das funktioniert. Die Bauern bekommen erstmals trotz der Krise in der konventionellen Milchproduktion weiterhin einen kostendeckenden Preis, während bisher der Preisabstand auch in Krisenzeiten bei etwa 10 % bestehen blieb.

Allen hier im Haus, die sich dazu genauer informieren wollen, empfehle ich einen Besuch der Upländer Bauernmolkerei. Da werden Sie noch einmal genau die Zahlen, Daten und Fakten über die Entwicklung in diesem Markt erfragen können. Der Besuch des Unternehmens ist sehr amüsant, weil man nebenbei in einem kleinen schönen Museum zur Milch auch in die Vergangenheit schauen kann.

(Timon Gremmels (SPD): Die haben auch tolle Produkte!)

Die Nachfrage für Biomilch ist unverändert vorhanden, so wie die Bereitschaft der meisten Menschen, für die Milch einen angemessenen Preis zu zahlen. Hessen mit seinen vergleichsweise eher kleinen Betrieben und seiner spezifischen Topografie und Besiedlung eignet sich für die biologische Produktionsweise gut. Deshalb sind Beratung und Unterstützung zur Umstellung besonders zielführend und hilfreich. Sie muss gerade jetzt ausgebaut werden. Sie ist da. Aber ich glaube, wir brauchen davon noch mehr.

Das darf sicherlich nicht der einzige Weg sein. Zusammenschlüsse, wie beispielsweise das Milch Board, müssen gefördert werden, um den Bauern zu mehr Durchsetzungskraft für ihre Anliegen, insbesondere bei der Preisgestal

tung, zu verhelfen. Es kann doch nicht sein, dass sie ihre Milch liefern und erst Wochen später erfahren, was sie dafür bekommen. Das ist doch bei keiner anderen Produktion denkbar. Ich verkaufe doch nur dann etwas, wenn ich einen Preis ausgehandelt habe. Warum soll das bei der Milch anders sein?

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne ein Mengenregulierungssystem jenseits der fehlkonstruierten teuren Milchquote, die seit April dieses Jahres abgeschafft ist, wird es nicht gehen. Ohne Nachfrageorientierung war sie krisenanfällig.

Das Auf und Ab hat zugenommen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ formulierte dieser Tage zutreffend: „Milchpreis im Schweinezyklus“.

Landwirte brauchen faire und kostendeckende Erzeugerpreise. Kein Agrarbetrieb will Notgroschen aus Brüssel haben. Es ist doch nicht Ziel der Bauern, dass sie immer dann, wenn es eine Krise gibt, gestützt werden. Sie wollen doch eine Situation, die ihnen ganzjährig und über alle Jahre hinweg eine Produktion ermöglicht und bei der ihre Arbeit entsprechend gewürdigt wird.

Die Marktmacht und das Wachstum der Molkereien und Handelskonzerne müssen begrenzt werden.

Freiwillige Drosselungen der Milcherzeugnisse müssen für einen befristeten Zeitraum entschädigt werden. Zu große Lieferungen müssen sanktioniert und Erzeugerzusammenschlüsse gestärkt werden.

Die Erfahrung mit der abgeschafften Milchquote zeigt, dass ein solches System anfällig ist. Ich bitte Sie jetzt, mir genau zuzuhören: Daher sollte es nicht wie die damalige Quote staatlich verkündet werden. Vielmehr sollte es zwischen den Marktakteuren verbindlich vereinbart werden. Aber da muss dann auch Verbindlichkeit her.

Wenn Erzeuger, Verarbeiter, Molkereien, Handel und Verbraucher an einem Tisch sitzen würden, könnte man den realen Bedarf näher bestimmen und sich daran orientieren. Dann würden die Preise auch steigen, weil man nur das produziert, was man braucht, und nichts darüber hinaus. Ich glaube, wir kämen tatsächlich bei 40 oder 50 Cent pro Liter Milch an. Wenn die Molkereien den Erzeugern dann nicht den Preis diktieren, sondern tatsächlich Augenhöhe gewollt wäre, kämen die Bauern auch aus ihrer Position der Ohnmacht heraus.

Wenn wir dann noch die regionale Vermarktung und Verarbeitung stärken, haben wir eine Chance, die Milch aus der Krise zu bringen. Dazu braucht es viel Überzeugungskraft, aber auch politischen Willen.

Wenn am nächsten Donnerstag die Agrarministerkonferenz tagt, werden die Bauern vor Ort sein und wieder demonstrieren. Frau Ministerin, bleiben Sie bitte bei Ihrer Linie. Exportwirtschaft und das Wachsen um jeden Preis sind nicht das Allheilmittel für unsere Landwirtschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Schott. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Wiegel das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landwirtschaft steckt nach 2009 wieder in einer Krise. Die Einkommen der Milch-, aber auch der Schweinebauern – das wird bei dieser Diskussion leider oftmals vergessen – sind nicht mehr kostendeckend. Die Preise für die Milch liegen 40 % unter dem Vorjahresniveau, der Preis für Schweine liegt um 20 % darunter. Der Preis für Schweine war im letzten Jahr auch nicht berauschend. Dies ist ein Preisniveau, mit dem gerade unsere Familienbetriebe auf Dauer nicht existieren können. Hier sind alle Ebenen gefragt, zu helfen und zu unterstützen, damit wir die Betriebe, die dort lebenden und arbeitenden Menschen und Familien und damit auch unsere bäuerliche Agrarstruktur und Kulturlandschaft erhalten können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Uns muss klar sein: Ein Hof, dem wir jetzt nicht durch die Krise helfen, ist nicht nur für die Bauern und ihre Familien, sondern auch für uns als Volkswirtschaft und Gesellschaft für immer verloren. Denn die Stalltür, die einmal geschlossen ist, wird meistens nicht mehr aufgemacht.

Lassen Sie mich auch deshalb gleich zu Beginn unserem Finanzminister – der jetzt leider nicht da ist, aber er wird es sicher mitbekommen – dafür danken, dass er den Betrieben die Möglichkeit der zinsfreien Stundung der Steuerlast erhalten und die Anpassung der Vorauszahlungen ermöglicht hat. Dies ist eine wichtige kurzfristige Sicherstellung der Liquidität. Deswegen danke ich dafür, dass der Finanzminister so schnell geholfen hat, durch Preissenkungen und die Möglichkeit der Stundung der Steuerlast Erleichterungen für Landwirte infolge des trockenen Sommers zu schaffen. Die Steuerlast wird leider im Voraus auf die Einnahmen der Vorjahre berechnet; damals waren die Erträge nicht so schlecht.

Liebe Frau Ministerin Priska Hinz, lassen Sie mich auch Ihnen danken. Sie haben vorgestern beim parlamentarischen Abend der Landwirtschaft zugesagt, dass die Betriebsprämie zum Ende des Jahres 2015 kommen wird. Das ist ein klares Bekenntnis; denn es stand auch die Möglichkeit im Raum, dass dies erst im März nächsten Jahres geschehen wird. Aber ich glaube, wir haben Wege gefunden, dass es funktioniert. Vielen herzlichen Dank, dass Sie das so klar gesagt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es sollte aber auch die Möglichkeit der früheren Vorauszahlung von 70 % der Betriebsprämie geprüft werden. Das wird jetzt auch von der EU genehmigt. Das wäre dann im Oktober und November so weit. Aber man muss dazu sagen: Bevor man Menschen zu viel Hoffnung macht – das Verfahren wird wahrscheinlich mit technischen Schwierigkeiten verbunden sein –, sollte man zumindest ausloten, ob es funktioniert. Das ändert zwar nichts an den Preisen, aber der finanzielle Druck wird gedämpft und die Liquidität der Betriebe erleichtert.

Deswegen nochmals vielen Dank, auch an die Landesregierung und die Ministerien, die sich hier schnell und unbürokratisch bewegt haben, um den Betrieben in dieser schwierigen Lage zu helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich nun zu den Marktpreisen für die Milch kommen. Hier liegt das Hauptproblem. Für den Liter Milch sind weniger als 30 Cent nicht ausreichend. Unsere Bauern verdienen nicht mehr. Oft wird das Auslaufen der Quote – das hat auch Frau Schott gemacht – als Grund für den Preisverfall genannt.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das habe ich nicht gemacht!)

Doch, Sie haben das schon, aber es ist auch egal. Sie haben ja davon Ahnung.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Rede war schon fertig geschrieben!)

Aber nach dem Auslaufen der Quotenregelung zum 1. April 2015 ist die Milchmenge aktuell nur ca. 1 % höher. Gleichzeitig – das haben Sie, Frau Schott, auch gesagt – steht ihr aber ein Einbruch in der Nachfrage gegenüber. Auch durch das Einfuhrverbot Russlands für Agrarprodukte aus der EU, wie z. B. Obst, Gemüse, Schweinefleisch und Milchprodukte, war plötzlich ein Vermarktungsweg geschlossen, und der Export ist eingebrochen. Ein weiteres Problem ist, dass China durch die Abwertung seiner Währung die Einfuhr von Agrarprodukten verteuert und damit die Erzeugnisse für den normalen Chinesen unattraktiv macht. Auch hier ist ein wichtiger Markt – auch für deutsche Bauern – kurzfristig eingebrochen.

In dieser Situation kamen dann die Preisgespräche mit den Molkereien und dem Lebensmittelhandel auf. Dies haben vor allem die großen Discounter ausgenutzt, um die Einkaufspreise zum Nachteil der Erzeuger zu drücken. Ein Milchpreis unter 30 Cent pro Liter Milch bringt Betriebe in Existenznot. Zu diesen Preisen kann kein Landwirt produzieren. Deshalb ist besonders die EU-Politik gefordert, den Landwirten zu helfen. Deutschland oder Hessen alleine kann das nicht. Das muss EU-weit geregelt werden. Wir haben offene Märkte, das darf man nicht vergessen. Dies gilt auch für eine eventuelle Mengenbegrenzung, die nur auf europäischer Ebene machbar ist.

Wir brauchen die Fortführung von Intervention und privater Lagerhaltung, eine moderate Anhebung des Interventionspreises, der derzeit bei 23 Cent pro Liter liegt. Erst dann greifen die Lagerhaltung und alles andere, die Liquidität und Bürgschaftsprogramme, die teilweise schon angelaufen sind, aber auch russlandbedingte Sonderbeihilfen. Den Einbruch dieser Märkte kann die Landwirtschaft nicht alleine schultern. Sie benötigt Exportunterstützung und eine Erschließung neuer Märkte. Die Sonderabgabe, die die Landwirtschaft nicht nur in Höhe von 500 Millionen €, sondern von 900 Millionen € gezahlt hat, muss wieder in den Milchsektor zurückfließen, um die Probleme für die Betriebe zu vermindern.

Hessen hat frühzeitig – auch das will ich sagen – Vorsorge getroffen. Schon Anfang dieses Jahres kamen am sogenannten Milchtisch alle Erzeuger, Verarbeiter und der Handel zusammen. Sie haben die Probleme erörtert und mögliche Lösungen zwischen den Verbänden unter der Leitung des Ministeriums angesprochen und ihre Umsetzbarkeit ausgelotet. Das ist der richtige Ansatz. Nur gemeinsam werden wir Lösungen finden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch das noch sagen: Der Discounter Lidl hat angekündigt, seinen Milchproduzenten unabhängig vom Marktpreis 5 Cent zu bezahlen. Das kann ein Weg sein. Ich würde mich freuen, wenn

man auch Aldi und andere auf diesen Weg bekommen könnte; denn das würde den landwirtschaftlichen Erzeugern und Betrieben helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann sind aber auch wir als Verbraucher gefragt. Auch das ist angesprochen worden: Wir wollen regionale Produkte. Wir wollen eine gläserne Produktion. Wir wollen die Betriebe sehen und gute regionale Produkte – und dafür brauchen wir auch die Käufer. Die muss der Verbraucher auch wirklich nachfragen. Regionale Produkte sind zwar etwas teurer, aber man weiß auch, woher sie kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbstverständlich werden wir unserem Antrag zustimmen und den der LINKEN ablehnen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Wiegel. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Lotz das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist gut, dass wir die Milchkrise heute hier im Landtag diskutieren. Vor allem ist es gut, dass wir die Krise auch als solche benennen.

Mittlerweile stehen wir vor der dritten Milchkrise innerhalb weniger Jahre. Den eigentlich Betroffenen, den Milchviehhaltern, hilft es jedoch wenig, wenn wir uns hier im Landtag in Endlosdebatten im Kreis bewegen.