Protokoll der Sitzung vom 06.02.2003

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im März 2002 verkündete Innensenator Schill:

Jörg Lühmann GAL)

„Das Ziel der Koalitionsvereinbarungen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Hauptverkehrsstraßen auf 60 heraufzusetzen, wird in absehbarer Zeit realisiert.“

Im Juni 2002 beschließt die Regierungskoalition, der Senat solle eine Liste der Hauptverkehrsstraßen vorlegen, in der die Höchstgeschwindigkeit auf 60 heraufgesetzt werden soll. Diese Liste sollte danach die Bürgerschaft bis zum 30. August 2002 haben. Bis zum 30. August 2002 haben wir keine Liste bekommen. Auch heute, am 6. Februar 2003, haben wir immer noch keine Liste. Das ist jetzt zehn Monate her und insofern ist die Ankündigung von Senator Schill mehr als sechs Monate nach dem Bürgerschaftsbeschluss eine interessante Geschichte. Jetzt soll eine einzige 6,7 Kilometer lange Straße auf Tempo 60 heraufgesetzt werden. Das ist aber auch noch nicht passiert, sondern das soll im nächsten Monat geschehen.

(Christian Maaß GAL: Was wollen Sie denn?)

Das sage ich jetzt, um Irritationen oder möglicherweise aufkommende falsche Erwartungen bei den Regierungsfraktionen und bei der GAL auszuräumen. Wir bedauern das bisherige Nichthandeln oder zumindest das sehr zögerliche Handeln des Senats ausdrücklich nicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Bei uns in der SPD kam sogar schon der Verdacht auf, dass sich unter diesem Senat die Vernünftigen und die Verantwortungsbewussten, diejenigen, die nicht nur mit dem Bleifuß denken, sondern die sich auch ihrer Verantwortung für die Sicherheit, das Leben und die Gesundheit

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Also, Sie haben ein Auto, das mit 60 einen Bleifuß braucht?)

ja, Sie haben als Arzt vielleicht kein Interesse an gesunden Menschen, das mag ja sein –

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Peinlich, ergrei- fend!)

aller Verkehrsteilnehmer bewusst sind und sich durchgesetzt haben.

(Zuruf von Bernd Reinert CDU)

Man konnte, Herr Reinert, für einen Moment hoffen, dass die Liste der Straßen, in denen die zulässige Geschwindigkeit erhöht werden sollte, zumindest kurz ausfällt. Diese Hoffnung hat sich aber zerschlagen, wie man überhaupt bei diesem Senat immer mit dem Schlimmsten rechnen muss.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andrea Hilgers SPD: Aller- dings!)

Nach dem, was man von dem Senat hört und liest, ist mit einer wahren Horrorliste zu rechnen. Darin sind so schlimme Sachen, dass sogar die örtlichen CDU- und Schill-Politiker nicht immer folgen wollen und können. Am Montag konnte man jedenfalls in den Zeitungen lesen, dass auch die CDU- und Schill-Fraktionen in der Bezirksversammlung Nord die geplante Tempoerhöhung in der nördlichen Alsterkrugchaussee ablehnen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Hört, hört!)

Bevor jetzt nach mir die Sprecher der drei Regierungsfraktionen nacheinander das hohe Lied des durchgedrückten Gaspedals und des Geschwindigkeitsrausches singen werden, möchte ich noch einmal unsere Gründe zusammenfassen,

(Bernd Reinert CDU: Tempo 60 ist für Sie Lichtge- schwindigkeitsrausch!)

warum wir den geplanten Geschwindigkeitserhöhungen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen und meinen, dass man es sehr gut in begründeten Einzelfällen vornehmen darf, aber eben nur dort.

Erstens: Diese Regeländerungen auf bestimmten Straßen erwecken zusammen mit sonstigen Handlungen des Senats bei vielen Autofahrern und auch bei einigen Autofahrerinnen den Eindruck, auf Hamburgs Straße gilt völlig freie Fahrt für freie Bürger, Regeln müssen nicht mehr beachtet werden.

(Rolf Kruse CDU: Sie tüdeln!)

Herr Winkler hat bei der Einbringungsrede des einschlägigen Antrags im Juni letzten Jahres noch gesagt:

„Dabei muss die Ausführung der Maßnahme mit einem gezielten Geschwindigkeitskontrollüberwachungssystem verknüpft werden.“

In seiner Antwort auf die Große Anfrage macht der Senat nun deutlich, dass er gar nicht kontrollieren will. Er sagt:

„Der Senat setzt verstärkt auf die Eigenverantwortung aller Verkehrsteilnehmer und geht davon aus, dass die Bürger sich grundsätzlich regelkonform verhalten.“

Ich sehe da einen Widerspruch.

Zweitens: Zulässiges Tempo 60 bedeutet – und das sagte Herr Lühmann schon – praktisch Tempo 70, denn der Senat sagt selbst, er wird erst bei einer gemessenen Geschwindigkeit ab 69 Kilometern tätig, vorher nicht. Unfälle bei Tempo 70 verlaufen in der Regel – auch darauf hat Herr Lühmann hingewiesen – wesentlich weniger glimpflich ab als Unfälle bei Tempo 50. Der Senat führt in seiner Antwort zwar aus, dass nur 4 Prozent aller Unfälle auf Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückzuführen sind, aber das sind immerhin 15 Prozent. Hauptunfallursache sind aber mit mehr als 20 Prozent Fußgängerfehler beim Überschreiten der Fahrbahn.

(Rolf Gerhard Rutter Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Fußgängerfehler, wohlgemerkt!)

Wir alle wissen doch – wir sind ab und zu ja auch Fußgänger –, dass wir dazu neigen, die Straße auf möglichst kurzem Wege zu überqueren. Wir alle wollen den langen Weg zur nächstgelegenen Ampel möglichst vermeiden. Wenn ein Fußgänger bei Tempo 50 angefahren wird, hat er Chancen, das einigermaßen zu überleben. Bei Tempo 70 ist diese Chance wesentlich geringer. Das Gleiche gilt natürlich auch für die bei den Regierungsfraktionen so fürchterlich unbeliebten Radfahrer.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schinnenburg?

Sie differenzieren. Sie hatten gesagt, der neue Senat will erst ab Tempo 69 blitzen. Ist Ihnen klar, dass der alte Senat bisher auch erst bei Tempo 59 geblitzt hat und dass der Vergleich zwischen Tempo 50 und 70 also völlig abwegig ist?

(Michael Dose SPD)

Das ist mir bekannt. Deshalb hat der alte Senat auch nicht diese Erhöhung auf Tempo 60 im Auge gehabt, weil er nämlich wusste, dass dann Tempo 69 gefahren werden kann.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich habe eben darauf hingewiesen, was das für Fußgänger und Radfahrer bedeuten kann.

Die SPD-Fraktion will Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer, für Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger. Wir wollen keine einseitige Bevorzugung bestimmter Autofahrer.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Was heißt be- stimmter Autofahrer?)

Deswegen stehen wir der zu befürchtenden undifferenzierten Geschwindigkeitserhöhung sehr kritisch gegenüber und werden die Auswirkungen genau beobachten und dann notfalls auch in der Bürgerschaft thematisieren. In Hamburg und darüber hinaus gilt im Übrigen immer noch: Je schneller du fohrst, desto eher büsst in Mors. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Hesse.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich bei der GAL bedanken, dass Sie diese Große Anfrage zur Debatte angemeldet hat, gibt sie mir doch die Möglichkeit, einiges richtig zu stellen, was in der letzten Zeit zu Tempo 60 gesagt wurde, und auch mit einigen Gerüchten aufzuräumen.

Wenn Sie hier, lieber Kollege Lühmann, darstellen wollen, dass die Verkehrspolitik mit Tempo 60 für Anwohnerinnen und Anwohner schädlich ist, dann möchte ich Ihnen darauf Folgendes antworten:

Das, was Sie hier in Verantwortung, in Koalition mit der SPD gemacht haben, war schädlich, denn Sie haben jahrelang Staus auf diesen Straßen produziert.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Thomas Böwer SPD: Hahaha!)

Das war nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch schädlich, denn stehende Autos produzieren auch mehr Emissionen.

(Thomas Böwer SPD: Sie sind sehr lustig heute!)