Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Warum diese Relativierung? Wir wurden nervös, weil wir befürchten, dass das der erste Schritt im Entgegenkommen und ein weiterer Hinweis auf die Argumentation von Professor Hübener ist, der nämlich genauso argumentiert.

Nun zum Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft Hamburg nahm im Sommer 1993 die Ermittlungen gegen Herrn Professor Hübener wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung in über 200 Fällen auf. Angeklagt wurde er schließlich vor drei Jahren in einem einzigen Fall. Das Landgericht hat innerhalb dieser drei Jahre immer noch nicht die Entscheidung gefällt, ob es diese Anklage zulässt. Mittlerweile liegt ein zweites Gutachten vor und es ist möglich, dass das Verfahren eingestellt wird.

Von der Staatsanwaltschaft und auch von den Gerichten werden die Hürden für eine Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung sehr hoch gelegt und das wegen des Prinzips in dubio pro reo und ich finde, das ist auch zu akzeptieren. Gefordert wird der ganz klare Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen anerkanntem Behandlungsfehler, der gar nicht infrage gestellt wird, und der schweren Körperschädigung oder sogar dem Tod des Patienten. Angesichts der schweren Erkrankung dieser Menschen und auch der insgesamt hohen Nebenwirkungsrate von Strahlentherapie ist dieser Kausalzusammenhang schwer zu beweisen, weil in 5 Prozent der Strahlentherapiefälle Schäden auftreten, und zwar schwere Schäden.

Wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, dass, auch wenn es jetzt nicht zur Verurteilung von Professor Hübener in diesem einen Fall kommt, dennoch seine schwerwiegenden Behandlungsfehler weiterhin unbestritten sind, ebenso die fehlende Aufklärung der Patientinnen und Patienten und das völlig unwissenschaftliche Vorgehen, das er als Universitätsprofessor bei Therapien gezeigt hat, die von jeglichen Standards abwichen. Er hat das überhaupt nicht wissenschaftlich begleitet, die Leute nicht nachuntersucht. Das sind so schwerwiegende Dinge, dass wir der Meinung sind, dass das auf jeden Fall weiterhin streng verurteilt werden muss.

Mit Beginn der staatsanwaltlichen Ermittlungen im Juli 1993 wurde gegen Professor Hübener ein Verfahren zum Entzug der Approbation und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das Approbationsverfahren ruht. In das Disziplinarverfahren ist Bewegung gekommen, wie der Presse zu entnehmen ist. Ich erwarte, dass Herrn Professor Hübener die Approbation auf Dauer entzogen wird. Seine schwerwiegenden Behandlungsfehler, die vielen Menschen entsetzliches Leid zugefügt haben, schließen eine berufliche Rehabilitation aus. Er kann und darf nicht mehr ärztlich tätig werden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Dennoch, meine Damen und Herren, ist die lange Dauer des Verfahrens problematisch – das ist richtig –, und zwar die lange Dauer des Disziplinarverfahrens, der Strafverfahren und nicht zuletzt der Entschädigungsverfahren für die Patientinnen und Patienten, die zum Teil immer noch nicht wissen, wie und ob sie überhaupt entschädigt werden können.

Aber es ist äußerst geschmacklos, wenn Herr Professor Hübener sich jetzt als das eigentliche Opfer darstellt und solch eine Tendenz haben wir im Moment. Er stilisiert sich derzeit zum Justizopfer dieser langen Verfahren und das ist unredlich, denn er hat seine Rechtsmittel gegen die Länge gerade des Disziplinarverfahrens gar nicht ausgeschöpft.

Wir fragen uns, ob der Zeitpunkt zufällig ist. Wir haben das Gefühl, dass es da eine ganz gute Koordination gibt. Beklagt wird nämlich die lange Dauer des Disziplinarverfahrens, das – so wird argumentiert – sogar gegen die Menschenrechte verstößt, in dem Moment, wo es wahrscheinlicher wird, dass das Gerichtsverfahren wegen der Anklage der fahrlässigen Tötung gar nicht eröffnet wird. Jetzt kann es sein, dass darauf spekuliert wird, dass eine Einstellung dieses Gerichtsverfahrens wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung öffentlich als Freispruch verkauft werden kann und dass dieser Zeitpunkt dann für den Versuch seiner Rehabilitierung genutzt wird.

Der heutigen „Welt“, die immer gut informiert ist, entnehmen wir, dass der Ermittlungsführer im Disziplinarverfahren, Herr Meyer, einen entlastenden Bericht vorgelegt hat, der von der Wissenschaftsbehörde jedoch nicht akzeptiert werde. Ich hoffe, dass Herr Senator Dräger dazu gleich Stellung nehmen wird.

Eine Rückkehr Professor Hübeners an das UKE ist aus unserer Sicht unmöglich, denn dies würde den Ruf der Klinik erneut schwer schädigen.

(Beifall bei Dr. Verena Lappe GAL)

Eine finanzielle Entschädigung, eine Abfindung, wäre vor dem Hintergrund seiner Suspendierung bei vollen Bezügen eines C4-Professors absurd. Auch das wäre eine Verhöhnung der Opfer, wenn sich der Täter Hübener nun selber zum Opfer machen würde.

(Beifall bei der GAL)

Meine Damen und Herren! Gravierend finde ich, dass Herr Professor Hübener immer noch seine schweren Behandlungsfehler bestreitet. Er unterhält eine Internetseite, auf der er unbeirrt an seinen Methoden festhält und auch immer wieder behauptet, dass seine Methoden durch andere Studien, Gutachten jetzt bestätigt seien. Das stimmt einfach nicht, denn immer werden diese Behauptungen und seine Eingaben gutachterlich überprüft und bisher ist nichts bestätigt worden.

(Wolfhard Ploog CDU: Was Sie alles wissen!)

Im Internet distanziert sich sogar der Vorstand der DEGRO – das ist die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie –

(Richard Braak Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Gut, dass wir das wissen!)

Ich finde, das ist für eine deutsche ärztliche Fachgesellschaft ein ungeheurer Vorgang, das ist sehr ungewöhnlich.

Meine Damen und Herren! Das letzte Beispiel für einen vergeblichen Selbstrechtfertigungsversuch Professor Hübeners betrifft die adjuvante Leberbestrahlung, das heißt die vorsorgliche Leberbestrahlung, um dem Auftreten von Metastasen vorzubeugen. Herr Professor Hübener wandte diese ungewöhnlich aggressive Methode bei einigen Patienten mit Rektumkarzinom an, die er schon mit seiner umstrittenen Sandwich-Methode behandelt hatte.

Dem Wissenschaftsausschuss ist vor einem Monat das Gutachten von Professor Zamboglou aus Offenbach zugegangen. Ich habe mir das genauer angeguckt und Professor Zamboglou bestätigt wiederum, dass die Durchführung der adjuvanten Leberbestrahlung überhaupt nicht den Kriterien einer wissenschaftlichen Studie entsprochen habe. Er stellt fest, dass weder das Therapieziel definiert war noch die Indikation zur Leberbestrahlung überhaupt

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

bestanden hat. Vier der zehn gutachterlich ausgewerteten Patienten sind mittlerweile verstorben. Wörtlich sagt Professor Zamboglou: „Zwei davon höchstwahrscheinlich als Folge der Leberbestrahlung.“ Es ergibt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft erneut Ermittlungen aufnehmen muss.

Nun zum letzten Punkt, zur Qualitätssicherung. Ohne Ärzteskandale wäre die Qualitätssicherung sicher heute nicht so weit, wie sie ist. Erst mussten wohl diese entsetzlichen Behandlungsfehler öffentlich werden, bevor die Entmystifizierung der Halbgötter in Weiß beginnen konnte. Wenn sich deren Selbstverständnis nicht ändert, kann Qualitätssicherung nicht gelingen.

Es ist vielleicht heute unglaublich, aber nach dem PUA, den es hier zum Fall Bernbeck gab, noch mal zehn Jahre früher, wurde in Konsequenz dieser Vorfälle erst die ärztliche Berufsordnung geändert. Bis dahin, also noch bis Mitte der Achtzigerjahre, war nämlich festgeschrieben, dass die Meldung von begründetem Verdacht auf Behandlungsfehler bei der Ärztekammer gegen das ärztliche Kollegialprinzip verstößt. Ich denke, dieser Geist, der sitzt noch bei vielen ganz stark drin: Man darf Kollegen nicht kritisieren. Aber ein wesentlicher Bestandteil von Qualitätssicherung ist das Erkennen und das Bekennen von Fehlern. Dazu gehört auch die Übernahme von Verantwortung für Fehler.

Das „Ärzteblatt“ – wirklich keine revolutionäre Zeitung – benennt in seiner jüngsten Ausgabe die Fehlerkultur als wesentlichen Kern jeder Qualitätssicherung. Ich denke, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der Ordinarienherrlichkeit, den wir derzeit zum Glück erleben, und der Qualitätssicherung und es gibt die Angst vor dem völligen Verlust dieser Herrlichkeit und damit auch die Hoffnung auf Hübeners Rehabilitierung bei Einzelnen.

Meine Damen und Herren! Ich denke, in Rückschau auf das, was die Bürgerschaft gemeinsam erarbeitet hat, sollten wir uns im Wissenschaftsausschuss weiter mit dem Strahlenskandal beschäftigen und ich bitte um Überweisung dieser Großen Anfrage. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Petersen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal aus der Internetseite der Wissenschaftsbehörde zitieren.

„Bei der Auseinandersetzung mit den Behandlungen Professor Hübeners und ihrer Bewertung kann nicht die Befindlichkeit des betroffenen Arztes im Vordergrund stehen. Es muss vor allem darum gehen, die medizinische und rechtliche Dimension der vorliegenden Behandlungs- und Konzeptfehler mit ihren Konsequenzen für schwerstgeschädigte Patientinnen und Patienten ohne parteiische Emotionen zu verdeutlichen. Fest steht, dass im Ergebnis einer mehrjährigen sorgfältigen Überprüfung unter Einschaltung von zahlreichen Gutachtern diese bestätigen, dass eine Vielzahl ehemaliger Patientinnen und Patienten irreversible Gesundheitsschäden mit zumeist schwersten Beeinträchtigungen im täglichen Leben erlitten haben.

Die Behörde für Wissenschaft und Forschung hat sich ihrer Verpflichtung, diese Schäden zumindest materiell abzugelten unter Beachtung der gesetzlichen Grund

lagen, gestellt. Finanzielle Leistungen sind indessen nur eine unzureichende Kompensation für das Leid der Betroffenen. Die Behörde für Wissenschaft und Forschung möchte allen betroffenen Patientinnen und Patienten an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich ihr Bedauern und ihr Mitgefühl aussprechen.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diesen Aussagen können wir uns mit ganzem Herzen anschließen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Natürlich widerspricht eine zehnjährige Verfahrensdauer der Menschenrechtskonvention. Das Verfahren muss endlich zu einem Ende kommen. Wir fordern, dass alle laufenden Verfahren in diesem Komplex, das Strafrechtsverfahren, Disziplinarverfahren, der Approbationsentzug zügig zu betreiben sind, und zwar nach Recht und Gesetz zu beenden sind.

Wir fordern, dass die Patientenentschädigung, die ja im Konsens von SPD, CDU und GAL nach dem Hamburger Modell erfolgt, entsprechend abzuschließen ist. Wenn aber wie nach einem Bericht der „Hamburger Morgenpost“ der Eindruck entsteht, dass das Problem des Strahlenskandals mittels eines goldenen Handschlags gelöst werden soll, und wenn bis zum heutigen Tage unwidersprochen der Eindruck entsteht, dass die Verfahrensabläufe nicht korrekt sind oder gar manipuliert werden, ist das nicht hinnehmbar.

Immerhin hat das Verfahren als Ganzes auch einen positiven Aspekt. Die Verfahrensabläufe haben sich in ihrer Qualität so verbessert,

(Vizepräsident Peter Paul Müller übernimmt den Vorsitz.)

dass mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sich ein solcher Skandal im UKE nicht wiederholt. Wir hoffen, dass die offenen Fragen schnell geklärt werden und dass das Verfahren im Sinne der vielen Opfer und ihrer Angehörigen rasch abgeschlossen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort hat der Abgeordnete Beuß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war schon starker Tobak, Frau Freudenberg. Ich bin ja nur froh, dass Sie Psychiaterin sind und nicht Richterin.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP)

Sie haben hier in der Manier eines Scharfrichters versucht, Recht zu sprechen. Das fand ich schon sehr bedenklich.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP)

Sie haben hier versucht, von dieser Stelle aus weiter Gerüchte in Richtung der Behörde zu schüren, was ich scharf zurückweisen möchte. Sie haben gesagt, diese Relativierung in der Antwort nähmen Sie zum Anlass, zu sagen, hier werde von der Hamburger Tradition abgewichen. Woher nehmen Sie das Recht, solche Unterstellungen auf den Markt zu bringen? Ich finde das unglaublich.

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)