Protokoll der Sitzung vom 04.06.2003

damit einige dieser Bürgerbegehren überhaupt in Gang gekommen sind.

Meine Damen und Herren, Sie werden sich erinnern. Wie viele Jahre haben Sie das Begehren der Finkenwerder Bürger denn unter den Tisch gekehrt, endlich eine Ortsumgehung zu bekommen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Haben Sie die Bürger dort in irgendeiner Weise ernst genommen? Ich sage nein.

(Dr. Willfried Maier GAL: Wir hatten den Plan fer- tig!)

Zu Recht wird hier betont, es bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen Bürgerbegehren und dem SanktFlorians-Prinzip und den Interessen, die die Stadt an übergeordneter Bauleitplanung hat. Dieses Spannungsverhältnis gilt es weiter in vernünftiger Weise zu entspannen. Hier hat es bisher auch mit dem Bürgerbegehren nicht das Ergebnis gegeben, das der Bürger sich wünscht, wenn er von Bürgerbeteiligung redet. Hier muss Bürgerbeteiligung in einer Weise gemacht werden, dass der Bürger auch das Gefühl hat, dass seine Interessen berücksichtigt werden.

In dem Zusammenhang können wir nicht unerwähnt lassen, dass die Interessen der Bürger auch in den Walddörfern und in Wandsbek berücksichtigt wurden, indem immerhin auf das Begehren hin die Bebauung zurückgefahren und insgesamt reduziert wurde. Wir sind für Bürgerbeteiligung, wir sind die personifizierte Bürgerbeteiligung.

(Barbara Duden SPD: Oh nein, nein, nein!)

Jetzt werden wir den Interessen der Bürger nachkommen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Darf ich den Abgeordneten Farid Müller fragen, ob er noch für elf Sekunden das Wort ergreifen möchte. – Dann ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf, die Drs. 17/2766: Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbehörde.

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbehörde – Drs. 17/2766 –]

Die Stimmzettel liegen Ihnen vor. Er enthält bei dem Namen der vorgeschlagenen Person jeweils ein Feld für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfen nur ein Kreuz machen. Weitere Eintragungen oder Bemerkungen führen zur Ungültigkeit. Auch unausgefüllte Zettel gelten als ungültig. Bitte nehmen Sie Ihre Wahlentscheidung nunmehr vor. Ich darf dann die Schriftführerin bitten, mit dem Einsammeln der Stimmzettel zu beginnen.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Das ist erkennbar der Fall. Dann schließe ich die Wahlhandlung.

Das Wahlergebnis wird ermittelt und Ihnen im Laufe der Sitzung bekannt gegeben werden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf, Drs. 17/2706, Antrag der GAL-Fraktion: Prävention lohnt sich! Pilotprojekt gegen das Schulschwänzen!

[Antrag der Fraktion der GAL: Prävention lohnt sich! Pilotprojekt gegen das Schulschwänzen! – Drs. 17/2706 –]

Diese Drucksache möchte die GAL-Fraktion an den Schulausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Die Abgeordnete Goetsch hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die wissenschaftlichen Belege sind ganz eindeutig, dass sich Prävention lohnt. Prävention lohnt sich, das heißt, die Vorsorgemaßnahmen gegen Gewalt und Delinquenz unter Jugendlichen, die seit Jahren in Schulen und bei der Jugendhilfe eingesetzt wurden, haben zu einer positiven Trendwende geführt. Wir haben schon in der letzten Bürgerschaftssitzung in einem Antrag, der gestern im Jugend- und Sportausschuss behandelt wurde, gefordert, dass die Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, das in den Jahren 1998 und 2000 unter Leitung von Professor Wetzels eine repräsentative Befragung unter Schülerinnen und Schülern zu Gewalt und Jugendkriminalität durchgeführt hat, diese Tendenz deutlich oder sichtbar gemacht hat, dass auch die hamburgspezifischen Auswertungen...

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.

Es handelt sich jetzt natürlich um ein ernsthaftes, ruhigeres Thema und wir sind vielleicht nicht mehr so emotionsgeladen. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir uns dieser Sacharbeit widmen.

Interessant ist dabei, dass diese Trendwende im Kontext mit Gewalt und Jugendkriminalität nicht erst im letzten Jahr eingesetzt hat, sondern bereits 1999 aufgrund von Maßnahmen begonnen hat. Der Rückgang – laut Kriminalstatistik um circa 19,1 Prozent im Jahre 2002 – ist also das Ergebnis eines lange begonnenen Prozesses. Deshalb ist der Weg der Prävention richtig. Er muss fortgeführt werden und darf in diesem Bereich auch aus Spargesichtspunkten nicht aus dem Blickfeld geraten.

Wir haben, wie eben schon gesagt, in der letzten Bürgerschaftssitzung einen Zusatzantrag zur Großen Anfrage der CDU eingereicht. Ich habe gerade eben gehört, dass gestern im Jugend- und Sportausschuss leider nicht beschlossen wurde, diese Studie in Selbstbefassung zu diskutieren. Ich bedauere das sehr, denn das Thema Jugendkriminalität, Jugendgewalt ist sehr ernst.

Jetzt zu dem heutigen Antrag, der sich konkret aus dieser Studie ergibt. Das brisanteste Ergebnis dieser Studie ist, dass ein Zusammenhang zwischen massivem Schulschwänzen und delinquentem Verhalten von Jugendlichen besteht. Gemeint ist nicht, was auch einige aus meiner Fraktion schmunzelnd sagen, dass man irgendwann einmal eine Chorstunde in der sechsten Stunde

oder eine stinklangweilige Lateinstunde geschwänzt hat. Das wird sicherlich nicht schon der Beginn einer kriminellen Karriere sein. Darum geht es nicht.

(Dr. Willfried Maier GAL: Doch, so geht's los!)

Es geht hier um regelmäßige Schulschwänzer, die der Verband Bildung und Erziehung als "Potenzial gesellschaftlicher Sprengsätze" bezeichnet hat.

Ein signifikantes Ergebnis ist, dass bei Jugendlichen, die im letzten Schulhalbjahr eines Schuljahres mehr als zehn Tage geschwänzt haben, die Täterrate viermal höher ist als bei Nichtschwänzern. Es ist auch dabei herausgekommen, dass sich das Schwänzen in den Haupt- und Sonderschulen epidemieartig ausgebreitet hat. Bis zu 20 Prozent der Schüler fehlen mehrere Stunden in der Woche. Die Zahlen in Hamburg bestätigen diesen Bundestrend. Allein 41 Prozent aller Schulpflichtsverletzungen – so heißt das im offiziellen Jargon –, das sind die, die auch bei REBUS gemeldet werden, zwischen Februar 2001 und 2002, verteilen sich auf Hauptschulen, 18 Prozent sind es in Grundschulen, 18 Prozent in Gesamtschulen, 5 Prozent im Gymnasium; nur um einen Vergleich zu haben.

Bei diesen Kindern und Jugendlichen handelt es sich aber um die ganz harten Schulschwänzer, bei denen schon viel in den Brunnen gefallen ist. Darunter sind keine, die mal fünf Tage geschwänzt haben. Darüber gibt es auch noch eine Statistik in dieser Untersuchung. Es sind Schülerinnen und Schüler, die einerseits massivste Probleme im Elternhaus haben und/oder schon delinquent geworden sind. Und die Dunkelziffer ist noch viel höher. Da kann man nicht zugucken, da müssen wir handeln, und das beweist diese Studie signifikant.

Hier setzt das Pilotprojekt präventiv ein, was unser Antrag in Anlehnung an das niedersächsische Modell fordert. Es gibt drei wichtige Maßnahmen: Erstens den Bereich innerhalb der Schule, zweitens verbindliche Kooperation von Jugendhilfe und Schule und drittens kriminalpräventive Maßnahmen der Polizei.

Lassen Sie mich zu erstens ganz konkret ein Beispiel nennen. Es ist klar, dass in Schulen Lehrer, Eltern, Schüler alle zusammen verpflichtet sind, sich über fehlende Schüler Gedanken zu machen. Es ist natürlich dringend erforderlich, dass Lehrer Schulschwänzer melden und dafür sorgen, dass man sich um sie kümmert. Der Alltag sieht aber so aus: Man gibt beispielsweise in einer Klasse nur einmal in der Woche eine Doppelstunde Physik. Ein Schüler fehlt einmal, zweimal, dreimal. Nun müsste man eigentlich sofort dem Klassenlehrer Bescheid sagen und dieser müsste umgehend die Eltern informieren. Aber da geht in der Alltagspraxis oft einiges unter. Dann müsste mit den Erziehungsberechtigten gesprochen und mit ihnen verbindlich festgelegt werden, was passiert wenn und so weiter. Das sind die pädagogischen Maßnahmen, die selbstredend in der Schule passieren. Wenn aber diese Maßnahmen nicht greifen und erfolglos bleiben – das ist in dieser Prozentzahl, die ich nannte, der Fall –, muss frühzeitig die Jugendhilfe eingreifen, und zwar verbindlich kooperieren. Das wird in keiner Stadt dieser Republik systematisch gemacht. Das steht nicht auf der Tagesordnung.

Das kostet kein zusätzliches Geld. Ich komme noch darauf zurück. Eine Hamburger Sonntagszeitung hat fälschlicherweise über unseren Antrag geschrieben, die wollen

jetzt schon wieder etwas Neues und das bei diesen knappen Kassen.

Wenn alle staatlichen und freien Träger der Jugendhilfe über Leistungsvereinbarungen ein bestimmtes Zeitbudget in der Schule als Unterstützer und als Ansprechpartner verbindlich vor Ort tätig wären, könnten viele sich krisenhaft abzeichnende Lebensläufe von Jugendlichen frühzeitig wieder auf die rechte Bahn gebracht werden.

Zweitens: Präsenz der Jugendhilfe in der Schule ist angesagt. Diese Helferteams könnten sofort gebildet und wie beispielsweise in Skandinavien eingesetzt werden. Wir haben jetzt schon an jeder Schule einen Beratungslehrer oder eine Beratungslehrerin, wir haben an jeder Schule einen Vertrauenslehrer oder Vertrauenslehrerin. Wir haben an vielen Schulen – an den Gesamtschulen und an einem Teil der HR-Schulen – Sonderpädagogen, zum Teil Schulpsychologen. Wenn wir dann die Jugendhilfe verbindlich haben, nicht nur in den Einrichtungen, sondern vor Ort, gerade im Kontext mit Ganztagsschulen, hätten wir schon ein Netz dieser Helferteams. Das ist machbar und würde – Herr Peiner, keine Angst – keine einzige Neueinstellung kosten, sondern es ist nur eine Frage der systematischen Verfolgung in Richtung Jugendhilfe und Schule und hätte Synergieeffekte.

Beispielsweise gibt es schon in den Stadtteilschulen das berühmte "NaSchEi" – Nachbarschaft und Schule in Eimsbüttel – oder in Altona "SchuNa" – Schule und Nachbarschaft –, wo diese Erfahrungen gemacht worden sind.

Drittens: Hinzu kommen flankierende kriminalpräventive Aufgaben, die die Polizei wahrzunehmen hat. Wir haben den so genannten Kontaktbereichsbeamten in der Schule. An diesem Modellprojekt ist aber besonders interessant, dass aufgrund des festgestellten Zusammenhangs von Schulschwänzen und Delinquenz geschulte Beamte im Stadtteil vor Ort sind – beispielsweise in Kaufhäusern, in Altona im Mercado, in Spielhallen –, und zwar zu der Zeit, in der Schule stattfindet. Sie führen Gespräche, wenn sich dort offensichtlich schulpflichtige Kinder aufhalten. Wenn man während der Schulzeit Jugendliche in den Kaufhäusern an den Computerspielen sieht, müsste man sich eigentlich fragen, ob nicht der Einzelhandel sagt, liebe Leute, Computerspiele stehen in der Schulzeit nicht zur Verfügung. Das wird übrigens in dem Modellprojekt in Niedersachsen so gehandhabt.

Wenn diese drei Maßnahmen konsequent durchgeführt würden, könnten wir die Jugendkriminalität weiterhin präventiv senken. Niedersachsen ist ein gutes Beispiel. Was für Niedersachsen gut ist und was die neue Regierung in Niedersachsen, Herr Dr. Freytag, auch weitermacht, kann für Hamburg nur gut sein. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn wir diesen Antrag an den Schulausschuss überweisen, dort die Experten, die das jetzt in Niedersachsen praktizieren, anhören, uns selbst befassen und schauen, wie wir kostenneutral, verbindlich und systematisch eine vernünftige Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule hinbekommen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Hilgers.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schulschwänzen ist ein ernst zu nehmendes Problem. Es hat als nahe liegende Konsequenz, dass

Unterricht versäumt wird, der Bildungsabschluss gefährdet sein kann und die Jugendlichen aus ihrer Normalität herausfallen. Schulpflichtverletzungen können verschiedene Formen annehmen: von der Schulverweigerung, gelegentlichem oder häufigem Schwänzen, Schulentzug durch die Eltern, bis hin zu so genannten Ferienverlängerungen.

Häufiges Schulschwänzen deutet auf tiefer liegende Ursachen hin und kann mit zusätzlichen Problemen einhergehen. Frau Goetsch hat es bereits gesagt, dass die empirischen Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen auf den Zusammenhang von häufigem Schulschwänzen und delinquentem Verhalten der Jugendlichen hingewiesen haben.

Was sind die Ursachen für Schwänzen des Unterrichts? Die Ursachen können schulisch, sozial oder familiär bedingt sein. Sicher, gerade in der Pubertät kommt eine gewisse Neigung zum Ausprobieren der Grenzen, zum provozierenden Regelverstoß dazu, aber auch schlechter Unterricht, Ärger mit den LehrerInnen, Probleme im Elternhaus oder mit den Mitschülerinnen. Schulabsentismus ist aber häufig ein Signal, das auf einen Hilfebedarf hinweist. Dies macht klar, allein repressiv auf den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin zu reagieren, wird nicht ausreichen. Der Konflikt mit den Lehrerinnen bleibt, die Eltern werden nicht ausreichend mit angesprochen. Wichtig ist eine frühzeitige Reaktion. Schulen haben die Präsenz von Schülerinnen und Schülern als ein herausragendes Qualitätsmerkmal ihrer Arbeit zu begreifen. Die Reaktion der Schule muss den Jugendlichen daher verdeutlichen, dass sie sich selber schaden. Sie muss aber auch die Ursachen für das Fernbleiben vom Unterricht mit in den Blick bekommen. Eltern und Lehrerinnen, gegebenenfalls auch die Jugendhilfe, müssen mitarbeiten, um das Fernbleiben nicht zu einem chronischen Problem werden zu lassen. Wenn die Schule – das ist auch jetzt schon so – von Treffpunkten wie Kaufhäusern oder Bahnhöfen weiß, an denen sich die Jugendlichen aufhalten, so soll sie auch über das Jugendamt Kontakt mit der Polizei aufnehmen, um präventiv gegen die Gefährdung von Jugendlichen zu arbeiten.

Mit der vom Vorgängersenat im Dezember 2000 erlassenen Richtlinie für den Umgang mit Schulpflichtverletzungen wurde den regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen – abgekürzt: REBUS – eine zentrale Rolle bei der Sicherung der Schulpflicht zugewiesen. Es wäre an der Zeit, die praktische Wirkung dieser Richtlinie in den Schulen und in der Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe zu überprüfen.

Zum Antrag der GAL. Das Anliegen des GAL-Antrags ist in Ordnung, wir halten aber den Ansatz eines Pilotprojekts für falsch. Wenn die empirischen Fakten auf dem Tisch liegen – und das tun sie – und sich die beteiligten Instanzen auf ein gemeinsames Verfahren einigen, sollte man das insgesamt anwenden und nicht mit einer Vergleichsgruppe pilotieren, bei der dann nichts stattfindet. Das ist modellhaft auch in Reinkultur nicht durchzuhalten, denn man müsste eventuell Schulen davon abhalten, aktiv zu werden, was nicht Sinn und Zweck der Veranstaltung sein kann.